Abtreibung ist schlecht, das Abtreibungsgesetz aber gut


Abtreibung
Lucetta Scaraffia und Ernesto Galli della Loggia

(Rom) Wer nichts dazu­lernt, den bestraft das Leben? Im kon­kre­ten Fall wird vor allem das eige­ne Volk bestraft, weil die Tötung unge­bo­re­ner Kin­der, tech­nisch-euphe­mi­stisch Abtrei­bung genannt, dem Volk eines Lan­des eine unglaub­li­che Wun­de zufügt, indi­vi­du­ell und kol­lek­tiv. Von den Kin­dern erst gar nicht zu spre­chen. Nicht dazu­ge­lernt hat Lucet­ta Sca­raf­fia, Kolum­ni­stin des Osser­va­to­re Roma­no, der Tages­zei­tung des Pap­stes, und Ver­ant­wort­li­che der Frau­en­bei­la­ge die­ser Zei­tung (sie­he auch).

5,9 Millionen Tote

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In einem Inter­view ver­tei­dig­te sie am 22. Mai im Cor­rie­re del­la Sera das ita­lie­ni­sche Abtrei­bungs­ge­setz Nr. 194 von 1978. Mit die­sem Gesetz wur­de die Tötung unge­bo­re­ner Kin­der lega­li­siert. Ihm sind bis zum 31. Dezem­ber 2016 amt­lich 5.814.615 Kin­der zum Opfer gefal­len. Die Zah­len für 2017 lie­gen noch nicht vor. Es ist anzu­neh­men, daß die Zahl 5,9 Mil­lio­nen inzwi­schen längst über­schrit­ten wurde.

Mehr als 52 Pro­zent davon wur­den 2016 chir­ur­gisch mit der Kar­man-Metho­de abge­saugt (durch den star­ken Sog wird das unge­bo­re­ne Kind im Mut­ter­leib zer­ris­sen und abge­saugt, even­tu­ell ver­blei­ben­de Reste aus­ge­schabt), 28 Pro­zent wur­den durch ver­schie­den kom­bi­nier­te For­men aus­ge­schabt und abge­saugt (das unge­bo­re­ne Kind wird im Mut­ter­laub mit einem Schab­ei­sen zer­stückelt und aus­ge­schabt), 18 Pro­zent der durch Abtrei­bung getö­te­ten Kin­der wur­de che­misch besei­tigt durch Mife­pri­ston (RU-486 – Mifegy­ne) und/​oder Prostaglandine.

5,9 Mil­lio­nen Tote in 40 Jah­ren, doch Lucet­ta Sca­raf­fia, katho­li­sche Edel­fe­der der Tages­zei­tung des Pap­stes, meint, das Gesetz 194/​1978 sei ein „gutes Gesetz“ gewe­sen, als es beschlos­sen wur­de. Es sei nur schlecht umge­setzt worden.

Die Sca­raf­fi­as fin­den sich nicht nur in Ita­li­en und nicht nur im Vati­kan, son­dern auch in ande­ren Län­dern, und sie tre­ten immer im Namen der katho­li­schen Kir­che oder zumin­dest als Katho­li­ken auf. Es sind die Schön­red­ner, die auf die eine oder ande­re Wei­se den „gesell­schaft­li­chen Kon­sens“ namens Abtrei­bung recht­fer­ti­gen wol­len. Dabei machen sie aller­lei gei­sti­ge Kopfstände.

Sca­raf­fia läßt ihren Stand­punkt bereits im Titel erkennen:

„Schlecht ange­wandt, wur­de eine Ideo­lo­gie daraus“.

Dialektisches Spiel zugunsten der Abtreibung

Dia­lek­tisch ver­siert scheint die Autorin auf der rich­ti­gen Sei­te zu ste­hen, da sie die Abtrei­bungs­pra­xis kri­ti­siert. Doch in Wirk­lich­keit ver­tei­digt sie das Abtrei­bungs­ge­setz. Die Pasto­ral­kon­sti­tu­ti­on Gau­di­um et spes des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils nennt die Tötung eines Kin­des durch Abtrei­bung ein „ver­ab­scheu­ens­wür­di­ge Ver­bre­chen“. Kein Gesetz, das ein ver­ab­scheu­ungs­wür­di­ges Ver­bre­chen erlaubt, kann aber ein „gutes Gesetz“ sein.

Da paßt es zusam­men, daß vom Cor­rie­re del­la Sera auf der­sel­ben Sei­te neben dem Sca­raf­fia-Inter­view auch ein Inter­view mit Emma Boni­no, einer Abtrei­bungs­ideo­lo­gin par excel­lan­ce – wenn auch zu ande­ren The­men – ver­öf­fent­licht wurde.

Im Vati­kan schei­nen weder der zustän­di­ge Lebens­rechts-Ver­ant­wort­li­che, Kuri­en­erz­bi­schof Vin­cen­zo Paglia, Prä­si­dent der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben, noch Gio­van­ni Maria Vian, der Chef­re­dak­teur des Osser­va­to­re Roma­no, noch Papst Fran­zis­kus Pro­ble­me mit Sca­raf­fi­as Posi­ti­on zu haben. War es nicht Fran­zis­kus, der Emma Boni­no, die sich brü­ste­te, per­sön­lich 11.000 Abtrei­bun­gen durch­ge­führt zu haben, eine „ganz Gro­ße“ nann­te?

Unter Papst Fran­zis­kus sprach sie sich in einem Leit­ar­ti­kel im Osser­va­to­re Roma­no dafür aus, den Tod wie­der durch den dau­er­haf­ten Herz­still­stand und nicht durch den Hirn­tod zu defi­nie­ren. Da die Aus­sa­ge die Organ­trans­plan­ta­ti­on weit­ge­hend lahm­le­gen und auch die Lega­li­sie­rung der Eutha­na­sie behin­dern wür­de, gab es ein inter­na­tio­na­les Auf­se­hen und einen enor­men Auf­schrei. Die­ser war so laut, daß Vati­kan­spre­cher Feder­i­co Lom­bar­di SJ sich von Sca­raf­fia distan­zier­te und von einer „per­sön­li­chen Mei­nung“ sprach, die nicht die Posi­ti­on der katho­li­schen Kir­che wie­der­ge­be, die am Har­vard-Pro­to­koll fest­hal­te. In die­sem Punkt stand Sca­raf­fia dem damals regie­ren­den Papst Bene­dikt XVI. sicher näher als jene vati­ka­ni­schen Krei­se, die sofort die wei­ße Fah­ne hißten.

„Ich bin keine Ex-Feministin“

Anson­sten ist jedoch ernst zu neh­men, was Sca­raf­fia von sich selbst sagt:

„Ich bin kei­ne Ex-Femi­ni­stin, son­dern eine Femi­ni­stin, die sich gegen ein femi­ni­sti­schen Ein­heits­den­ken verwehrt“.

In Sum­me meint das aller­dings, was sie vor drei Tagen in ihrer Kolum­ne zur Abtrei­bung schrieb: Abtrei­bung ist schlecht, aber das Abtrei­bungs­ge­setz ist grund­sätz­lich gut. Anders aus­ge­drückt: Ich bin gegen Abtrei­bung, aber Abtrei­bung soll erlaubt sein.

Die Sca­raf­fi­as vom Schla­ge Lucet­tas unter­gra­ben und kor­rum­pie­ren die Glaub­wür­dig­keit der Kir­che sie.

Ver­hei­ra­tet ist Sca­raf­fia mit dem Geschichts­pro­fes­sor, stän­di­gen Kolum­ni­sten des Cor­rie­re del­la Sera und Vor­sit­zen­den der trans­at­lan­ti­schen Stif­tung Ita­lia USA, dem Gra­fen Erne­sto Gal­li del­la Log­gia. Nomen est omen, auch Sca­raf­fi­as Vater war Frei­mau­rer. Bei­de began­nen ihren Akti­vis­mus in der radi­ka­len Lin­ken. Er war 1968 in der neo­mar­xi­sti­schen Sze­ne aktiv, dann geord­ne­ter und macht­be­wuß­ter im Rah­men der Sozia­li­sti­schen Par­tei, sie in der femi­ni­sti­schen Sze­ne. Ihre Bekeh­rung, die Mut­ter war Katho­li­kin, erfolg­te im Alter von etwa 40 Jah­ren im Rah­men der Gemein­schaft von Sant’Egidio. Bei­de gehö­ren zur Eli­te des ita­lie­ni­schen Journalismus.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: For­mi­che (Screen­shot)

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2 Kommentare

  1. „Der Grund­ge­dan­ke ist gut, wur­de aber schlecht umge­setzt“, die immer wie­der­keh­ren­de Exkul­pa­ti­on der extre­mi­sti­schen Ideo­lo­gen, gera­de in Deutsch­land wohl­be­kannt. Es soll immer noch gei­stig Ent­kern­te geben, die loben, dass Hit­ler die Auto­bah­nen bau­te (was so nicht stimmt), Sta­lin die UdSSR (mit Skla­ven­ar­bei­tern) moder­ni­sier­te und in der DDR aber die Grund­nah­rungs­mit­tel samt Wohn­raum bil­lig waren und jeder Arbeit hatte. 

    Was ist dem­ge­gen­über schon getö­te­tes Leben, ob im Krieg, Lager oder an der Mauer?
    Oder eben im Mutterleib?

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