(Rom) Am 6. November blockierte die italienische Polizei in der nähe des Vatikans eine Gedenkaktion der Lebensrechtsorganisation Pro Vita und der Kulturvereinigung Fede e Cultura (Glaube und Kultur), mit der an den Anfang September verstorbenen Kardinal Carlo Caffarra erinnert werden soll. Am Dienstag wurde der Initiator der Aktion von der Polizei einvernommen. Heute wurden zur Zensurmaßnahme mehrere parlamentarische Anfragen an den italienischen Innenminister eingebracht.
Als Grund für die Zensur nannte die Polizei die „Sorge wegen der öffentlichen Ordnung“, weil Kardinal Caffarra „nicht auf der Linie von Papst Franziskus war“.
Toni Brandi, Vorsitzender von Pro Vita und Initiator der Gedenkaktion, fragte sich öffentlich, ob die italienische Polizei eine Gesinnungspolizei sei, die auf „Zuruf“ handle. Zuruf von wem?
Einvernahme durch die Polizei
Am 7. November mußte Brandi persönlich am zuständigen Polizeikommissariat an der Piazza Cavour des römischen Stadtteils Borgo erscheinen. In diesem Stadtteil befindet sich auch der Vatikan. Dort wurde er einer längeren Einvernahme unterzogen.
Daran nahm der Leiter des Kommissariats und „weitere vier, fünf Polizisten“ teil, so Brandi. Zunächst ging es um die Genehmigungen für den Lastwagen mit der Werbefläche. Da alles korrekt vorlagen, „konzentrierten sich die Beamten auf unsere Beweggründe“. Die Fragen lauteten: Wer hat die Aktion organisiert? Wer steht hinter der Aktion? Warum findet sie statt? Ist der Vatikan darüber informiert?
„Ich habe die Annahme geäußert, daß der Vatikan nicht darüber informiert ist und ich auch nicht wüßte, weshalb er darüber informiert werden hätte sollen.“
„Aber der Kardinal war doch aus Bologna!“, meinten die Polizisten und wollten damit sagen: Wozu dann eine Gedenkaktion in Rom. Ich antwortete, daß Rom der „Sitz der Christenheit“ sei.
„Aber jetzt redet die Kirche nicht mehr soviel über das Leben“, sagte der Leiter des Kommissariats. Brandi staunte über eine solche Äußerung.
„War das eine Sensibilisierung, ein Protest oder nur ein Gedenken?“, wollten die Beamten wissen.
„Ich habe geantwortet, daß es eine Dank- und Gedenkaktion für einen großen Kardinal ist, der vor zwei Monaten gestorben ist. Und daß es auch eine Gelegenheit ist, um die Römer an zwei große Gestalten im Bereich des Lebens und der Familie zu erinnern.“
„Establishment fühlte sich gestört“
„Am Ende des Gesprächs, bei dem alle sehr freundlich waren, schien der Leiter des Kommissariats zufrieden mit den Beweggründen, die ihm genannt hatte. Diese Beweggründe beim Gedenken an einen defensor vitae durch eine Organisation, die sich Pro Vita nennt, sollten allerdings an sich schon leicht erkennbar sein. Abgesehen davon, waren sie in einer Presseerklärung, die zur Aktion von uns abgegeben worden war, deutlich erklärt worden“, so Brandi.
„Was das Establishment gestört hat und für das dominante Denken eine ‚Sorge der öffentlichen Ordnung‘ ist, scheint die Aussage im Zitat von Papst Johannes Paul II.: ‚Wir werden aufstehen, um die Ehe zu verteidigen‘.“
Dazu Toni Brandi auf der Internetseite von Pro Vita:
„Die Ehe (die echte, die zwischen einem Mann und einer Frau, die für immer und die offen ist für das Leben) und die Familie (die echte, die natürliche) sind seit Jahrzehnten im Visier der Kultur des Todes. Es war Kardinal Caffarra, der wiederholt an einen Brief von Schwester Lucia von Fatima erinnerte, den er von ihr erhalten hatte, in dem sie schrieb: ‚Der Endkampf zwischen dem Herrn und dem Reich Satans wird um die Familie und die Ehe stattfinden‘.“
Parlamentarische Anfragen
Heute wurden im italienischen Parlament mehrere Anfragen an den Innenminister eingebracht. Eine Anfrage stammt von Giorgia Meloni von der nationalkonservativen und EU-kritischen Partei Fratelli d’Italia. Sie gilt als aussichtsreichste Kandidatin des Mitte-rechts-Bündnisses nach den Wahlen im Frühjahr erste Ministerpräsidentin in der Geschichte Italiens zu werden.
Auch der Fraktionsvorsitzende der Lega Nord im Senat, einer regionalistische und ebenfalls EU-kritischen Partei, brachte eine Anfrage ein. In einer Presseerklärung dazu schrieb er:
„Wir wollen wissen, warum die Polizei für zwei Stunden einen Lastwagen mit einer Werbefläche der Organisation Pro Vita blockiert hat, auf der an das Werk und das Leben des jüngst verstorbenen Kardinals Caffarra erinnert wird, und warum der Vorsitzende der Organisation, Toni Brandi in ein Polizeikommissariat vorgeladen wurde, um einvernommen zu werden. Das ist eine unzulässige Einmischung: Es ist unzulässig, demokratische Meinungsäußerungen zu blockieren, auch wenn diese dem herrschenden Relativismus widersprechen. Ich habe eine Anfrage an Innenminister Minniti eingebracht mit der Aufforderung, Klarheit zu dieser häßlichen, repressiven Sache zu schaffen, hinter der sich Spannungen im Vatikan und die Einmischung einer bestimmten Kirche in den Staat verbergen.“
Toni Brandi schrieb zu den parlamentarischen Anfragen, daß es nicht sein könne, daß gegenüber der Polizei der Nachweis erbracht werden müsse, daß der verstorbene Kardinal, der bis zum 27. Oktober 2015 Erzbischof von Bologna war, der bis zu seinem Tod Mitglied der römischen Kongregation für die Heilig- und Seligsprechungsprozesse und als Kardinal Inhaber der römischen Titelkirche San Giovanni Battista dei Fiorentini war, nicht irgendein sondergläubiger Sektierer war und schon in- und nicht außerhalb der Kirche stand. Das sei ein unglaublicher Vorgang.
Wörtlich schrieb Brandi:
„Kardinal Caffarra war für Pro Vita ein Freund und Vorbild. Er hat uns gelehrt, daß man das Leben für das Leben, für die Familie und für den Schutz der Schwächsten – angefangen bei den Kindern vor und nach der Geburt – einsetzen kann und soll.“
Seit die Blockade gegen den Lastwagen mit den Großplakaten am Dienstag aufgehoben wurde, geht die Aktion auf den Straßen Roms weiter. Sie wird vorerst bis Samstag, 11. November fortgesetzt.
Damit bleibt abschließend die Frage, warum die Polizei eingeschritten ist. Kam eine Anweisung vom Innenministerium? Oder ging, wie in den vergangenen Tagen gemutmaßt wurde, im Polizeikommissariat ein Telefonanruf aus dem Vatikan ein? Ein Anruf, von wem auch immer, der offenbar nicht davor zurückschreckte, das Ansehen eines „großen Kardinals“ (Toni Brandi) zu diskreditieren.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Pro Vita