(Rom) Der Sturm braute sich zusammen. Der Vatikanist Sandro Magister hatte es angekündigt. Geschehen ist nichts. In der aktuellen Ausgabe des Espresso (vergleichbar dem deutschen Spiegel) machte er die Nachricht über die Vergangenheit des Direktors des vatikanischen Gästehauses bekannt, in dem Papst Franziskus wohnt und den er als seinen persönlichen Vertrauten zum Hausprälaten der Vatikanbank mit allen Vollmachten ernannte.
Seit Papst Franziskus am vergangenen 6. Juni mit dem Vorstand des Dachverbandes der Ordensleute Lateinamerikas und der Karibik sprach, ist bekannt, daß es im Vatikan eine „Homo-Lobby“ gibt. Der Papst sagte, er müsse sehen, was „man tun kann“. Inszwischen entpuppt sich die erste eigentliche Personalentscheidung des neuen Papstes im Vatikan als Tretmiene. Ohne es zu wissen, förderte der Papst die Homo-Lobby. Vatikansprecher Lombardi dementierte die Enthüllung Magisters als „unglaubwürdig“. Magister reagierte darauf mit dem Kommentar: „Armer Pater Lombard, was machen sie dich nur alles sagen.“
Zu seinem Schüler und Freund, dem argentinischen Schriftsteller Jorge Milias habe der Papst gesagt, im Vatikan gebe es viele „Chefs“, denen er sich aber erfolgreich zu entziehen wisse. Damit meinte der Papst offenbar seine Entscheidung im Gästehaus des Vatikans wohnen zu bleiben, aber auch sein Verzicht auf einen von ihm ernannten Privatsekretär.
Dennoch scheint die „Unabhängigkeitsstrategie“ des Papstes nicht ganz aufzugehen. Magister ist der Meinung, der Papst sei einer Intrige zum Opfer gefallen, indem man ihn über die Vergangenheit des Direktors des Gästehauses Domus Sanctae Marthae, der neuen Apostolischen Residenz im Dunkeln gelassen habe. So sicher scheint diese These indes nicht. Daß das gesamte belastende Material aus Riccas Personalakte verschwunden sei, ehe sie dem Papst vorgelegt wurde, scheint sehr unwahrscheinlich. Die Entscheidung des Papstes scheint vielmehr im Alleingang getroffen worden zu sein unter Umgehung der üblichen Vorgehensweise. Papst Franziskus lernte Msgr. Ricca als seinen „Hausherrn“ und „Gastgeber“ kennen und offensichtlich schätzen. Dieser Umstand scheint ausschlaggebend gewesen zu sein.
Die Ernennung Riccas zum Hausprälaten der Vatikanbank erfolgte am 15. Juni ausdrücklich als persönlicher Vertrauter des Papstes mit allen Vollmachten, einschließlich der Möglichkeit an allen Sitzungen teilzunehmen, auch jener Kontrollkommission der Kardinäle (siehe eigenen Bericht).
Der 57 Jahre alte italienische Monsignore war im Diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls tätig und 15 Jahre im Auslandseinsatz. Laut Magister erhielt der Papst erst in den Einzelgesprächen mit den aus aller Welt nach Rom gerufenen vatikanischen Nuntien Kenntnis vom Vorleben Riccas.
Der dunkle Fleck in der Karriere des ehemaligen Vatikandiplomaten ist seine Zeit in Uruguay, wo er 1999 aus der Nuntiatur in der Schweiz hin versetzt wurde. In Bern hatte Ricca Freundschaft mit einem Hauptmann der Schweizer Armee geschlossen (nicht wie fälschlich von Medien wie dem ORF oder Bild.de behauptet, mit einem Miglieder der Schweizer Garde). Als Ricca an die Nuntiatur von Uruguay versetzt wurde, nahm er seinen Schweizer Freund P.H. mit, und Ricca beantragte auch für den Freund eine Aufgabe und eine Unterkunft an der Nuntiatur.
Der amtierende Apostolische Nuntius lehnte den Vorschlag ab, ging aber wenige Monate später in Pension. Ricca, der vorübergehend bis zur Ernennung eines neuen Nuntius die Botschaft leitete, gewährte umgehend seinem Freund Anstellung und Logis.
Im Vatikan wurde die Sache nicht weiter beachtet. Zuständiger Substitut für die Allgemeinen Angelegenheiten am Staatssekretariat war Kurienerzbischof Giovanni Battista Re. Der künftige Kardinal stammt wie Ricca aus Brescia. Man kannte sich.
Die Homo-Beziehung Riccas mit dem Schweizer war so offensichtlich, daß sie zum Ärgernis für Bischöfe, Priester und Laien im lateinamerikanischen Land wurde. Nicht zuletzt auch der Ordensfrauen, die den Haushalt der Nuntiatur führten.
Der neue Nuntius, der polnische Erzbischof Janusz Bolonek, der Anfang 2000 Uruguay erreichte, meldete die „unerträgliche“ Situation sofort nach Rom. Den Schweizer P.H. forderte er mehrfach auf, zu gehen, was dieser von Ricca unterstützt, ablehnte.
Wie unter Homosexuellen üblich, begnügte sich Ricca nicht mit seinem Schweizer Gespielen, sondern gehörte in Montevideo zu den häufigen Besuchern eines Schwulen-Lokals am Bulevar Artigas. Anfang 2001 wurde er dort von anderen Schwulen zusammengeschlagen. Er mußte von Priestern der Nuntiatur geborgen und in die Apostolische Residenz zurückgebracht werden.
Im August 2001 kam es zu einem weiteren Zwischenfall. Ricca blieb mitten in der Nacht im Aufzug der Nuntiatur stecken. Die Feuerwehr rückte an, um ihn zu befreien. Als sie die Aufzugkabine öffneten, war Ricca nicht allein, sondern mit einem jungen Burschen, den die Polizei identifizierte.
Nuntius Bolonek, der vergebens auf Antwort aus Rom wartete, forderte ein weiteres Mal Riccas sofortige Entfernung aus der Nuntiatur und die Entlassung seines Schweizer „Gefährten“ P.H. Endlich kam Antwort aus Rom.
Ricca wurde trotz seiner Proteste an die Mini-Nuntiatur nach Trinidad und Tobago versetzt, wo er noch bis 2004 blieb. Auch dort kam es zu Konflikten mit dem Nuntius. Schließlich wurde er aus dem Diplomatischen Dienst entfernt und nach Rom zurückgerufen.
Als der Schweizer P.H. die Nuntiatur verlassen mußte, habe dieser verlangt, daß sein Gepäck als Diplomatengepäck in den Vatikan geschickt werde und zwar an die Adresse von Ricca. Nuntius Bolonek lehnte kategorisch ab und ließ sie in ein Depot außerhalb der Nuntiatur bringen. Dort blieb es, bis vor wenige Jahre, als Ricca erklärte, nichts mehr damit zu tun haben zu wollen.
Nuntius Bolonek ordnete darauf ihre Öffnung an und die Vernichtung des Inhalts. Dabei wurden eine Pistole gefunden, die den uruguayanischen Behörden übergeben wurde, einige persönliche Dinge und eine große Menge an Kondomen und Pornomaterial.
Die Vorfälle von Uruguay sind dort „Dutzenden Personen bekannt: Bischöfen, Priestern, Ordensfrauen, Laien. Ohne die zivilen Behörden zu zählen, die Polizei und die Feuerwehr“, so Magister. „Aber auch im Vatikan hatten einige Kenntnis. Nuntius Bolonek hat sich in seinen Berichten an Rom immer mit äußerster Klarheit zu Ricca geäußert“, so Magister.
In Uruguay hielt man sich an das Schweigen „aus Gewissensgründen, wegen des Amtsgeheimnisses oder auch, weil man Kirche und Papst nicht in ein schlechtes Licht rücken wollte“, so Magister. „Im Vatikan aber gibt es jemand, der die Verschleierung aktiv betrieben hat. Der schon damals die Ermittlungen bis heute abgeblockt hat und die Berichte des Nuntius verschwinden ließ.“ Der Personalakt Riccas sei immer makellos gehalten worden, was diesem eine neue prestigeträchtige Karriere in Rom ermöglichte.
Nach Rom zurückbeordert, wurde er 2005 zunächst der Ersten Sektion des Staatssekretariats zugewiesen. 2008 erfolgte die Versetzung an die Zweite Sektion, das „Außenministerium“. 2012 die Rückversetzung an die Erste Sektion mit dem Rang eines Nuntiaturrats Erster Klasse.
Hier habe sich Ricca den Ruf eines strengen Wächters über die Ausgaben der Nuntiaturen erwiesen, der kompromißlos gegen Verschwendung vorging. Das soll Papst Franziskus besonders imponiert haben und Ricca in seinen Augen für den persönlichen Kontrollposten bei der Vatikanbank qualifiziert haben.
2006 übernahm Ricca auch die Leitung eines, dann zweier und schließlich aller drei Gästehäuser das Vatikans, in denen die Kardinäle und andere hohe Würdenträger bei ihren Romaufenthalten wohnen. Hier lernte ihn auch Papst Franziskus kennen. So richtig allerdings erst mit dem Konklave und der Entscheidung im Gästehaus unter der „Obhut“ seines diplomatisch versierten „Gastgebers“ Ricca wohnen zu bleiben.
Als Bolonek vom Papst in Audienz empfangen wurde, habe er ihm sofort seine Bedenken geäußert und über Riccas Vorgeschichte informiert.
Trotz Magisters Vorwarnung vor mehr als einer Woche wurde im Vatikan allerdings nichts unternommen, die „Bombe“ vorzeitig zu entschärfen. Noch hält der Papst an Ricca fest.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: L’Espresso Screenshot