Ein göttliches Eingreifen für die katholische Religion


Joseph de Maistre
Joseph de Maistre

Sein Apho­ris­mus „Jedes Volk hat die Regie­rung, die es ver­dient“ wird gern und oft zitiert, er selbst weckt in Abstän­den immer neu das Inter­es­se von Essay­isten und Wis­sen­schaft­lern: Joseph de Maist­re. 2010 leg­te Marc Fro­ide­font 2010 den Band Théo­lo­gie de Joseph de Maist­re vor, erschie­nen in den pre­sti­ge­träch­ti­gen Clas­si­ques Gar­nier in Paris. Tat­säch­lich scheint noch lan­ge nicht alles zu Graf Joseph Marie de Maist­re (1753–1821) geschrie­ben. Der Diplo­mat im Dien­ste der Her­zö­ge von Savoy­en war der Begrün­der der soge­nann­ten kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Schu­le, einer katho­li­schen Schu­le zur Inter­pre­ta­ti­on der Geschich­te und der Poli­tik. Ent­spre­chend wur­de er vor allem von den Poli­tik­wis­sen­schaf­ten stu­diert. Obwohl sein poli­ti­sches Den­ken letzt­lich auf einer Geschichts­theo­lo­gie ruht, ist sein reli­giö­ses Den­ken weni­ger bekannt.

Freimaurer und Katholik?

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Der Sozio­lo­ge Mas­si­mo Intro­vi­gne erin­nert in einer Bespre­chung von Fro­ide­fonts Buch an einen zen­tra­len strit­ti­gen Punkt, der das Stu­di­um von de Mai­stres reli­giö­sem Den­ken ver­hin­der­te oder zumin­dest ein­brem­ste. Alle Bio­gra­phen sind sich dar­in einig, daß de Maist­re von einem star­ken katho­li­schen Glau­ben durch­drun­gen war. Ein Mann des Gebets und inte­grer Lebens­füh­rung war.

Einig sind sie sich aller­dings auch, daß de Maist­re meh­re­re Jah­re sei­nes Lebens der Frei­mau­re­rei ange­hör­te. Sei­ne Logen­be­su­che enden erst nach der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on. Auch danach nahm er wäh­rend sei­ner Zeit in St. Peters­burg noch gele­gent­lich an frei­mau­re­ri­schen Ver­samm­lun­gen von Diplo­ma­ten teil, die am rus­si­schen Zaren­hof akkre­di­tiert waren. Die frei­mau­re­ri­schen Schrif­ten de Mai­stres geben Auf­schluß über sei­ne Posi­ti­on. „Zu unrecht“, wie Intro­vi­gne betont, wur­den sie im 19. Jahr­hun­dert nicht in die vier­zehn­bän­di­ge Gesamt­aus­ga­be sei­ner Wer­ke auf­ge­nom­men, aller­dings dann im 20. Jahr­hun­dert fast voll­stän­dig neu her­aus­ge­ge­ben. Sie zei­gen, daß der Diplo­mat die päpst­li­chen Ver­ur­tei­lun­gen der Frei­mau­re­rei seit der ersten Bul­le In emi­nen­ti von Papst Kle­mens XII. (1652–1740) im Jahr 1738 so inter­pre­tier­te, daß sie sich (nur) gegen Orga­ni­sa­tio­nen rich­te­ten, die gegen die Kir­che konspirierten.

De Maist­re teil­te die­se Ver­ur­tei­lun­gen der Kir­che, betrach­te­te jedoch die Logen, in denen er ver­kehr­te, als davon nicht betrof­fen, da sie für die Kir­che und die Mon­ar­chie han­del­ten. Denn die­sen sei die Geheim­hal­tung, so de Maist­re, auf­ge­zwun­gen wor­den, aber kein kon­sti­tu­ie­ren­des Ele­ment ihres Den­kens und Han­delns. Es sei ihnen zunächst wegen der kul­tu­rel­len und sozia­len Ver­fol­gung durch die gesell­schaft­lich domi­nan­te Auf­klä­rung und dann wegen der bru­ta­len und blu­ti­gen Ver­fol­gung durch die fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on auf­ge­zwun­gen wor­den. „Von der for­ma­len Fra­ge abge­se­hen, die nicht uner­heb­lich ist, wonach die Bul­le Kle­mens XII. recht­lich nicht für jene Län­der galt, deren Für­sten ihr exe­qua­tur nicht erteil­ten, war de Maist­re der Ansicht, daß der Besuch der Logen durch einen sub­stan­ti­el­len Aspekt gerecht­fer­tigt war“, so Introvigne.

Träume einer Wiedervereinigung der russischen Orthodoxie mit Rom

In der Tat dach­te de Maist­re, der auf­klä­re­ri­schen Frei­mau­re­rei eine „wei­ße“, spi­ri­tu­el­le Frei­mau­re­rei ent­ge­gen­zu­set­zen, die über­all dort, wo sie von Katho­li­ken getra­gen wäre, in Län­dern wie Ruß­land im Hoch­adel die Rück­kehr der getrenn­ten Chri­sten nach Rom för­dern könn­te. Auch nach der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on und den ent­täusch­ten Träu­men einer Wie­der­ver­ei­ni­gung der rus­si­schen Ortho­do­xie mit Rom habe de Maist­re – laut Intro­vi­gne – sei­ne frei­mau­re­ri­schen Pro­jek­te nicht als unmo­ra­li­sches Unter­fan­gen betrach­tet, son­dern ledig­lich als geschei­ter­ten Versuch.

„Heu­te kön­nen, ja müs­sen wir sagen, daß die­se Ideen de Mai­stres zur Frei­mau­re­rei falsch waren. Die frei­mau­re­ri­sche Metho­de ist in sich mit dem katho­li­schen Glau­ben unver­ein­bar. Das erklärt auch, wes­halb die Plä­ne zur Bil­dung einer ‚wei­ßen‘ Frei­mau­re­rei im Lauf der Geschich­te nie geglückt sind“, so Intro­vi­gne. Heu­te fal­le die Ant­wort so ein­deu­tig aus, weil das kirch­li­che Lehr­amt von der Enzy­kli­ka Huma­num Genus (1884) von Papst Leo XIII. bis zur Erklä­rung der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on zur Frei­mau­re­rei von 1983 die frei­mau­re­ri­sche Metho­de genau durch­leuch­tet und ana­ly­siert hat, wäh­rend de Maist­re ledig­lich Ver­ur­tei­lun­gen zur Ver­fü­gung stan­den, die zwar ein­deu­tig, aber „in ihrer Begrün­dung noch recht beschei­den“ waren, so Introvigne.

De Maistre durch Patristik, nicht durch Esoterik beeinflußt

Fro­ide­font räumt mit dem frei­mau­re­risch genähr­ten Mythos auf, Tei­le in de Mai­stres reli­giö­sem Den­ken sei­en nicht nur im katho­li­schen Kon­text neu gewe­sen, son­dern wür­den vom Ein­fluß der Frei­mau­re­rei auf ihn her­rüh­ren. De Maist­re sei vor allem vom hete­ro­do­xen Mysti­ker Lou­is-Clau­de de Saint-Mar­tin (1743–1803) beein­flußt wor­den. Die­se The­se wur­de beson­ders vom bekann­ten Anthro­po­lo­gen Gil­bert Durand ver­tre­ten, des­sen Buch „Un Comte sous l’acacia: Joseph de Maist­re“ (Paris 2009) vom offi­zi­el­len Ver­lag des Groß­ori­ents von Frank­reichs her­aus­ge­ge­ben wurde.

Fro­ide­font wider­legt die gewag­te Behaup­tung Durands, der sie mit einem ele­gan­ten, aber unbe­leg­ten Park­our-Ritt in die Welt setz­te und sogar soweit ging, de Mai­stres Hal­tung zugun­sten des päpst­li­chen Lehr­am­tes auf die Frei­mau­re­rei zurück­zu­füh­ren. Fro­ide­font kann Punkt für Punkt wider­le­gen anhand unver­öf­fent­lich­ter Tex­te und vor allem zahl­rei­cher eigen­hän­di­ger Rand­no­ti­zen, die der savoy­ische Staats­mann den von ihm gele­se­nen Büchern, Schrif­ten und Brie­fen hin­zu­füg­te. Der Groß­teil fin­det sich nun gesam­melt in den Depar­te­ments­ar­chi­ven Hoch­sa­voy­ens und sind der Wis­sen­schaft zugänglich.

Die­se neu­erschlos­se­nen und von Fro­ide­font aus­ge­wer­te­ten Quel­len bele­gen, daß der Saint-Mar­tin zuge­schrie­be­ne Ein­fluß im Den­ken de Mai­stres in Wirk­lich­keit auf Tex­te der Patri­stik und vor allem auf Orig­e­nes (185–254) zurück­ge­hen. Aus den Anmer­kun­gen geht eben­so her­vor, daß de Maist­re, was für sei­ne Zeit völ­lig unüb­lich war, die Schrif­ten des Kir­chen­va­ters Augu­sti­nus im latei­ni­schen Ori­gi­nal las. Er las Augu­sti­nus also in der authen­ti­schen, glau­bens­treu­en und damit rom­treu­en Aus­ga­be, wäh­rend im Frank­reich des 18. Jahr­hun­derts die Gedan­ken­welt des Kir­chen­va­ters nur durch den Fil­ter gal­li­ka­ni­scher und jan­se­ni­sti­scher Autoren ver­brei­tet war. Der Staats­mann las auch ger­ne eng­li­sche Autoren, kei­nes­wegs nur katho­li­sche. Ihnen ver­dank­te er eine Rei­he von Argu­men­ten gegen den Unglau­ben des 18. Jahrhunderts.

De Maistres Geschichtstheologie gründet auf Schöpfung-Sündenfall-Erlösung

De Mai­stres gro­ßes poli­ti­sches The­ma: Revo­lu­ti­on und Gegen­re­vo­lu­ti­on erscheint somit in einer Geschichts­theo­lo­gie ver­wur­zelt, die auf einer drei­tei­li­gen Anthro­po­lo­gie grün­det, deren Ele­men­te lauten:

  • Die Schöp­fung: De Maist­re fei­ert in Pole­mik mit den Pro­te­stan­ten und den Jan­se­ni­sten, aber auch mit Nico­las Male­branche (1638–1715), in des­sen Den­ken er fide­i­sti­sche Gefah­ren sieht, die Natur des nach dem Eben­bild Got­tes und mit Ver­nunft aus­ge­stat­te­ten erschaf­fe­nen Men­schen, wobei sein Den­ken weit weni­ger pes­si­mi­stisch ist, als gemein­hin angenommen.
  • Der Sün­den­fall: Eigent­lich ein drei­fa­cher Fall, denn de Maist­re fügt der Ver­trei­bung aus dem Para­dies die Sint­flut und den Turm­bau zu Babel hin­zu. Zwei Momen­te der Mensch­heits­ge­schich­te, in denen die Men­schen von Stolz und Über­heb­lich­keit über­mannt, durch Eigen­ver­schul­den wich­ti­ge Tei­le der ihnen von Gott trotz der Erb­sün­de belas­se­nen Gna­den und Reich­tü­mer verlieren.
  • Die Erlö­sung: Die Mensch­heits­ge­schich­te ist eine Geschich­te der Deka­denz, die sich bis in unse­re Tage, so de Maist­re, fort­setzt und zur Revo­lu­ti­on wird. Eine jahr­hun­der­te­lan­ge histo­ri­sche Leug­nung Got­tes, die sich kei­nes­wegs nur auf die fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on beschränkt. Doch in der Zwi­schen­zeit hat Gott mit der das Alte Testa­ment krö­nen­den Erlö­sung die Mög­lich­keit ange­bo­ten, die Rück­kehr zu Gott zu erlan­gen. So ent­fal­tet de Maist­re eine posi­ti­ve Bewer­tung des Mit­tel­al­ters und des das Mit­tel­al­ter beherr­schen­den Gei­stes, um gleich­zei­tig des­sen Ver­fall scharf zu kri­ti­sie­ren, der zu Abso­lu­tis­mus und Auf­klä­rung führte.

Den trotz allem posi­ti­ven Zug in de Mai­stres Den­ken ver­deut­licht sei­ne Ana­ly­se der Revo­lu­ti­on, die er auch als Stra­fe Got­tes wer­tet, die offen­kun­dig die Mög­lich­keit zu Reue und Buße in sich trägt. De Maist­re betrach­tet die Revo­lu­ti­on kei­nes­wegs als „unum­kehr­ba­re“ Ent­wick­lung, son­dern aus­drück­lich als genau­es Gegen­teil im Sin­ne einer „Umkehr­bar­keit“ der Ent­wick­lung. Kon­kret wer­den die Lei­den der Gerech­ten in de Mai­stres Den­ken auf geheim­nis­vol­le Wei­se zum Vor­teil für die gesam­te Mensch­heit. „Wenn man auf einer Sei­te kost­ba­re Opfer fal­len sieht, so kann man allem dawi­der­strei­ten­den Anschei­ne zum Trotz bestimmt dar­auf rech­nen, daß die­se Par­tei den Sieg davon­tra­gen wird.“ Auch die­se Theo­rie, prä­zi­siert Fro­ide­font, bezieht der savoy­ische Den­ker nicht aus der Eso­te­rik sei­ner Zeit, son­dern aus der katho­li­schen Theologie.

Revolution stets auch Gelegenheit zur Gegenrevolution

Die Revo­lu­ti­on ist für de Maist­re also immer auch eine Gele­gen­heit zur Gegen­re­vo­lu­ti­on. Je sata­ni­scher die Revo­lu­ti­on ist, desto grö­ßer sei die Gele­gen­heit für eine Gegen­re­vo­lu­ti­on, die „eng­lisch und gött­lich“ sein kön­ne. Wobei sich der Ter­mi­nus „ange­li­cus“ natür­lich auf die Welt der hei­li­gen Engel bezieht. Wo viel Sün­de herrscht, kann die Gna­de über­reich flie­ßen. Des­halb erwar­tet de Maist­re mit dem Ende der revo­lu­tio­nä­ren Pha­se, das er kei­nes­wegs mit der post-napo­leo­ni­schen Restau­ra­ti­on iden­ti­fi­ziert, die er besten­falls für einen Schat­ten der wah­ren Gegen­re­vo­lu­ti­on hält, ein „gro­ßes reli­giö­ses Ereig­nis“, ein „gött­li­ches Ein­grei­fen, das den Erfolg der katho­li­schen Reli­gi­on för­dert“. Fro­ide­font inter­pre­tiert die­sen Aspekt in de Mai­stres Den­ken im Gegen­satz zu ande­ren Intepre­ta­tio­nen als ganz spe­zi­el­le Hil­fe für die Rück­kehr der Ortho­do­xen, ganz beson­ders Ruß­lands, dem er sich ver­bun­den fühl­te, und vie­ler Pro­te­stan­ten zur Ein­heit mit dem Papst.

Der Papst steht ins­ge­samt im Mit­tel­punkt von de Mai­stres Den­ken. Sein Trak­tat „Du Pape“ von 1819 übte bekann­ter­ma­ßen einen wich­ti­gen Ein­fluß auf das Erste Vati­ka­ni­sche Kon­zil und die Ver­kün­di­gung des Unfehl­bar­keits­dog­mas aus. Die Gegen­re­vo­lu­ti­on besteht für de Maist­re nicht nur dar­in, dem Papst und den fei­er­lich­sten Tei­len sei­nes Lehr­amts, den Dog­men zu fol­gen, son­dern sich von ihm auch in den Grund­fra­gen des sozia­len und poli­ti­schen Lebens und zum höhe­ren Wohl der Völ­ker und Staa­ten füh­ren zu lassen.

Der Sozio­lo­ge Mas­si­mo Intro­vi­gne sieht dar­in „in gewis­ser Wei­se pro­phe­ti­sche Wor­te“, weil sie zu einem Zeit­punkt geschrie­ben wur­den, in denen das päpst­li­che Lehr­amt noch kei­ne syste­ma­ti­sche Sozi­al­leh­re ent­fal­tet hat­te. In der „Wie­der­rich­tung des päpst­li­chen Thro­nes“ sieht de Maist­re im letz­ten Abschnitt sei­nes Lebens und Schaf­fens „die Hoff­nung Europas“.

Text: BQ/​Giuseppe Nardi
Bild: wikicommons

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