„Katholiken sollten nicht Selbstmord begehen wie Protestanten“


USA
Religionszugehörigkeit in den USA mit politischen Auswirkungen?

(New York) Die pro­te­stan­ti­schen Gemein­schaf­ten der USA erle­ben eine schwe­re Kri­se. Ihr Anteil an der US-Bevöl­ke­rung sei inner­halb von 15 Jah­ren von 50 Pro­zent auf 36 Pro­zent zurück­ge­gan­gen. Dies geht aus einer Gallup-Umfra­ge her­vor, die am 10. Mai von ABC News und Washing­ton Post ver­öf­fent­licht wurde.

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Die amt­li­che Erhe­bung der Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit ist in den USA nicht erlaubt, wes­halb ledig­lich Mei­nungs­um­fra­gen zur Ver­fü­gung ste­hen, die nur von beding­ter Genau­ig­keit sind.

USA und Protestanismus

Gallup-Umfrage
Gallup-Umfra­ge

Gallup ver­glich die aktu­el­len Zah­len von 2017 mit einer Erhe­bung von 2003. Dem­nach erlebt der klas­si­sche US-Pro­te­stan­tis­mus eine mas­si­ve Ero­si­on, der lan­ge Zeit staats­tra­gend war und sei­nen Aus­druck in der For­mel WASP für White Anglo-Saxon Pro­te­stant  fand. Sein Anteil an der Gesamt­be­völ­ke­rung sei von 50 Pro­zent im Jahr 2003 auf 36 Pro­zent im Jahr 2017 ein­ge­bro­chen. Der Rück­gang beläuft sich laut Gallup-Erhe­bung auf 14 Pro­zent (mehr als ein Viertel).

Der Rück­gang betrifft laut Gallup nicht nur die histo­ri­schen Gemein­schaf­ten (Epi­skopa­lia­ner, Pres­by­te­ria­ner, Metho­di­sten), son­dern auch die wei­ßen Evan­ge­li­ka­len, deren Anteil laut Umfra­ge von 21 auf 13 Pro­zent zurück­ge­gan­gen sei. Sie hät­te dem­nach den stärk­sten Ein­bruch erlebt. ABC und Washing­ton Post beton­ten bei der Ver­öf­fent­li­chung die „poli­ti­sche Bedeu­tung“ die­ser Anga­be. Die Evan­ge­li­ka­len gel­ten seit den 80er Jah­ren als Kern­grup­pe für repu­bli­ka­ni­sche Wahlsiege.

Gegen die Rich­tig­keit die­ser Behaup­tung und der Erhe­bung ins­ge­samt wer­den zahl­rei­che Zwei­fel ange­mel­det. Daß der Anteil der wei­ßen Evan­ge­li­ka­len schrumpft, liegt auf­grund des all­ge­mei­nen Rück­gangs der Wei­ßen auf der Hand. Davon las­se sich aber kei­ne Aus­sa­ge über die tat­säch­li­che Stär­ke der Evan­ge­li­ka­len ableiten.

Die Gallup-Zah­len wer­den man­gels gesi­cher­ter Zah­len jeden­falls ernst­haft dis­ku­tiert, auch in der katho­li­schen Kir­che, die laut Erhe­bung unver­än­dert bei 22 Pro­zent steht.

Katholiken konstant

Der kon­stan­te Wert bedeu­tet in Wirk­lich­keit einen nicht uner­heb­li­chen Umbau der katho­li­schen Gemein­schaft des Lan­des und ist im Zusam­men­hang mit star­ken demo­gra­phi­schen Ver­än­de­run­gen zu sehen. Die Gesamt­ver­än­de­run­gen, die auch die katho­li­sche Kir­che betref­fen, haben zwei Haupt­stoß­rich­tun­gen. Durch Ein­wan­de­rung und Gebur­ten­ra­te nimmt der Anteil der wei­ßen Bevöl­ke­rung in den USA kon­ti­nu­ier­lich und rapi­de ab. Deren Anteil lag 1960 noch bei 85 Pro­zent, der­zeit bei etwa 63 Pro­zent. Laut Pro­gno­sen soll er um 2040 unter 50 Pro­zent fal­len. Zugleich lösen sich reli­giö­se Bin­dun­gen unter Wei­ßen beson­ders stark auf.

Wenn die katho­li­sche Kir­che unver­än­dert stark ist, dann habe dies laut Gallup mit der star­ken his­pa­ni­schen Zuwan­de­rung zu tun. Die Volks­zäh­lung 2000 stell­te erst­mals fest, daß die His­pa­nics die Afro-Ame­ri­ka­ner als zweit­größ­te eth­nisch-ras­si­sche Grup­pe in den USA über­holt haben. Der Volks­zähl­uns­be­griff His­pa­nics stellt eine Aus­nah­me dar, da er vom übri­gen, in den USA ange­wand­ten Ras­sen­sche­ma abweicht. Zu den His­pa­nics wer­den alle US-Bür­ger gezählt die latein­ame­ri­ka­ni­scher Abstam­mung sind, unab­hän­gig von ihrer Ras­sen­zug­hö­rig­keit. Unter ihnen fin­den sich Wei­ße, Schwar­ze, India­ner oder „Son­sti­ge“, unter denen die ver­schie­de­nen Misch­for­men, Men­schen mit ver­schie­den­ras­si­scher Abstam­mung, sum­miert wer­den. Zu den Wei­ßen wer­den umge­kehrt auch die semi­ti­schen Völ­ker des Nahen Ostens und Nord­afri­kas gezählt, was teil­wei­se als Ver­fäl­schung der Zah­len kri­ti­siert wird.

Auch die his­pa­ni­schen Ein­wan­de­rer und ihre Nach­kom­men erle­ben in reli­giö­ser Hin­sicht in den USA star­ke Ver­än­de­run­gen. Laut Gallup bekennt sich die Hälf­te von ihnen als katho­lisch. „Nur“, müß­te es aus katho­li­scher Sicht hei­ßen. Laut ande­ren Erhe­bun­gen beträgt der Katho­li­ken­an­teil in den USA eigent­lich ein Drit­tel, wenn auch jene gezählt wer­den, die katho­lisch getauft wur­den. Die Zahl ver­deut­licht die Fluk­tua­ti­on, der das reli­giö­se Bekennt­nis in den USA unter­wor­fen ist.

„Liberals“ mit „No Religion“

Der star­ke Ero­si­ons­pro­zeß des wei­ßen und des pro­te­stan­ti­schen Bevöl­ke­rungs­an­teils führt nicht nur zu Umschich­tun­gen inner­halb der eben­so viel­schich­ti­gen wie viel­fäl­ti­gen und vor allem zer­split­ter­ten, pro­te­stan­ti­schen Welt, son­dern zu einem Rück­gang der Chri­sten ins­ge­samt. Die 14 Pro­zent Ver­lu­ste des klas­si­schen Pro­te­stan­tis­mus wer­den zum Teil von ande­ren christ­li­chen Gemein­schaf­ten auf­ge­fan­gen (dar­un­ter sind die ortho­do­xen Kir­chen, Mor­mo­nen, Zeu­gen Jeho­vas und ande­re gemeint). Aller­dings nur zu einem klei­ne­ren Teil (weni­ger als ein Vier­tel). Um 25 Pro­zent haben laut Gallup ande­re, also nicht-christ­li­che Reli­gio­nen zuge­nom­men (von vier auf fünf Prozent).

Der Löwen­an­teil des pro­te­stan­ti­schen Rück­gangs sei jedoch in die Grup­pe „No Reli­gi­on“ abge­wan­dert, deren Zahl sich von 12 Pro­zent auf 21 Pro­zent ver­mehr­te. Die Defi­ni­ti­on „No Reli­gi­on“ ist sehr weit gefaßt und meint ver­schie­de­ne Kate­go­rien. Ledig­lich drei Pro­zent der US-Bür­ger bezeich­nen sich als Athe­isten, wei­te­re drei Pro­zent als Agno­sti­ker, ande­re ver­nei­nen eine bestimm­te Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit oder woll­ten kei­ne Aus­kunft dazu geben, ande­re eine bestimm­te Kon­fes­si­ons­zu­ge­hö­rig­keit. Wäh­rend es unter Repu­bli­ka­nern und Schwar­zen kaum Ver­schie­bun­gen zugun­sten der Grup­pe „No Reli­gi­on“ gab, sind star­ke Ver­schie­bun­gen bei jenen zu ver­zeich­nen, die sich poli­tisch als „libe­ral“, also links, bezeichnen.

67 Pro­zent derer, die sich bei der Umfra­ge unter „No Reli­gi­on“ zäh­len lie­ßen, gaben an, bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len 2016 Hil­la­ry Clin­ton unter­stützt zu haben.

Die Zahl der Athe­isten und Agno­sti­ker blieb gegen­über 2003 hin­ge­gen auf unver­än­dert nie­de­rem Niveau.

Der erwähn­te Ero­si­ons­pro­zeß durch Bevöl­ke­rungs­ver­schie­bun­gen ist nicht erst seit 2003 im Gan­ge. Es setz­te im gro­ßen Stil mit der Prä­si­dent­schaft von Ronald Rea­gan Anfang der 80er Jah­re ein. Seit­her erle­ben die USA eine Ein­wan­de­rung in einer Grö­ßen­ord­nung, mit der die Ein­wan­de­rung aus Euro­pa im 19. Jahr­hun­dert zah­len­mä­ßig bei wei­tem in den Schat­ten gestellt wird.

Bischof Tobin: Katholiken sollten nicht Selbstmord begehen wie Protestanten

Bischof Thomas J. Tobin
Bischof Tho­mas J. Tobin

Bischof Tho­mas J. Tobin von Pro­vi­dence in Rho­de Island, nicht zu ver­wech­seln mit Kar­di­nal Joseph W. Tobin, Erz­bi­schof von Newark, ist einer der mar­kan­te­sten katho­li­schen Bischö­fe der USA. Er ver­öf­fent­lich­te eine „knap­pe und bril­lan­te“ (Info­Ca­to­li­ca) Ana­ly­se zu den Gallup-Zah­len. Der Pro­te­stan­tis­mus habe sich an die Moder­ne ange­paßt und lie­ge im Ster­ben. Das dür­fe für Katho­li­ken kein nach­ah­mens­wer­tes Vor­bild sein.

Wört­lich schrieb Bischof Tho­mas J. Tobin auf Twitter.

„Eini­ge sagen, daß die katho­li­sche Kir­che mehr wie die Pro­te­stan­ten wer­den muß, um zu über­le­ben (z.B. ver­hei­ra­te­te Prie­ster, Prie­ste­rin­nen, Abtrei­bung, Homo-Ehe). Eine neue ABC-Umfra­ge zeigt, daß die Mit­glied­schaft bei den Pro­te­stan­ten in den letz­ten 15 Jah­ren um 14% gesun­ken ist! Wir Katho­li­ken soll­ten bes­ser genau schau­en, bevor wir springen.“

Info­Ca­to­li­ca schrieb dazu:

„Die Wor­te von Bischof Tobin sind eine War­nung an alle Pro­phe­ten und Augu­ren der Ver­welt­li­chung. Es über­rascht heu­te viel­mehr, daß gan­ze Bischofs­kon­fe­ren­zen wei­ter­hin mit einem 68er-Dis­kurs die Augen vor der Wirk­lich­keit ver­schlie­ßen und glau­ben, die Lösung ist: ‚Pro­te­stant zu sein‘.  Die Bot­schaft unse­res Herrn Jesus Chri­stus ist aber unver­än­dert wei­ter­hin attrak­tiv, aller­dings die gan­ze Botschaft.“

Text: Andre­as Becker
Bild: ABC/​Twitter (Screen­shots)

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1 Kommentar

  1. Obwohl man gegen­über sta­ti­sti­schen Erhe­bun­gen vor­sich­tig sein soll­te, ist die Ten­denz doch klar. Ver­schie­bun­gen in der Bevöl­ke­rung tra­gen genau­so dazu bei wie Ver­än­de­run­gen hin­sicht­lich der Glaubenspraxis.
    In New York beherr­schen in frü­her jüdisch-euro­pä­isch gepräg­ten Stadt­vier­teln Lati­nos schon lan­ge das Leben – mit allen Men­ta­li­täts­un­ter­schie­den nach dem Mot­to „warm­her­zig, aber unzu­ver­läs­sig“, was nicht despek­tier­lich gemeint ist, son­dern ein­fach der Erfah­rung entspricht.
    In Paris sind es auf­fal­lend vie­le Afri­ka­ner, die auch an Werk­ta­gen katho­li­sche Got­tes­dien­ste mit­fei­ern oder zum Gebet in Kir­chen ver­wei­len. Außer­dem gibt es äußerst leben­di­ge, rein afri­ka­ni­sche Gemein­den mit einer ganz eige­nen Atmo­sphä­re, mit lau­ter Musik und kör­per­li­cher Bewe­gung in von wei­ßen Fran­zo­sen ver­las­se­nen alten Kirchenmauern.
    Unse­re Welt befin­det sich in einem radi­ka­len Wan­del, fast schon ver­gleich­bar mit dem Ende des Römi­schen Rei­ches zu Beginn der Völ­ker­wan­de­rung. Aber kei­ne Angst: Wir wis­sen, dass das Ende herr­lich sein wird: Jesus, der sich für uns Chri­sten schon als Mes­si­as erwie­sen hat, erscheint für alle Men­schen wieder.
    Der Weg ist vor­ge­zeich­net: Das Volk Isra­el kehrt bereits in sei­ne alte Hei­mat zurück und unser Herr wird für alle sicht­bar den Thron Davids einnehmen.

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