Am jesuitischen Wesen soll die Welt genesen?


Jesuiten

Von End­re A. Bárdossy*

Anzei­ge

Als Papst Fran­zis­kus am 16. Janu­ar d. J. in Chi­le bei einem pri­va­ten Fami­li­en­tref­fen sei­ne Jesui­ten­brü­der traf, for­der­te er drin­gend eine „Moral der Unter­schei­dung“. Er nann­te sie „unse­re [d. h. jesui­ten­ei­ge­ne] Fami­li­en­gna­de“, eine Gna­de, derer heu­te die Kir­che auf beson­ders drin­gen­de Wei­se im Bereich der Moral bedür­fe. Er hob in der Inti­mi­tät die­ses erle­se­nen Krei­ses den jesui­ti­schen Cha­rak­ter des umstrit­te­nen, nach­syn­oda­len Schrei­bens Amo­ris Lae­ti­tia hervor.

So deut­lich, aber lei­der immer nur für Insi­der voll ver­ständ­lich, hat er zum ersten Mal für die spal­te­ri­schen Kon­se­quen­zen sei­ner ethi­schen Vor­stel­lun­gen gewor­ben. Die Plau­der­stun­de wur­de zwar in einem ver­trau­lich geschlos­se­nen Krei­se abge­hal­ten, aber sogleich mit einer dis­kre­ten Ver­laut­ba­rung durch die Hin­ter­tür für die Welt­pres­se kund­ge­tan. Das ist die Funk­ti­ons­wei­se des halb­of­fi­ziö­sen „Berg­o­glia­ni­schen Lehr­am­tes“. Wir fra­gen betrof­fen, was soll die­se „Moral der Unter­schei­dung“ schluß­end­lich hei­ßen und bewirken?

Unterscheidung und Prüfung der Geister

An der lan­gen, tur­bu­len­ten Geschich­te der Jesui­ten läßt sich able­sen, daß

  • die Unter­schei­dung der Gei­ster (1 Kor 12,10),
  • die Prü­fung der Gei­ster (1 Joh 4,1) und
  • die Erneue­rung des Gei­stes (Röm 12,2)

kei­ne exklu­si­ve Gna­de einer eli­tä­ren reli­gi­ös-poli­ti­schen Jesui­ten­fa­mi­lie ist. Viel­mehr scheint eine mehr­deu­ti­ge Moral von all­zu libe­ra­len (locke­ren) Unter­schei­dun­gen ihre histo­risch fest­ge­fah­re­ne Ver­su­chung gewor­den zu sein.

Hl. Ignatius von Loyola
Hl. Igna­ti­us von Loyola

„Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sau­sen; aber du weißt nicht, woher er kommt noch wohin er geht. So ver­hält es sich mit jedem, der aus dem Geist gebo­ren ist“ (Johan­nes 3,8). Der Hl. Geist wirkt also über­all. In der Spi­ri­tua­li­tät hat nie­mand ein eigen­mäch­ti­ges Mono­pol – nicht ein­mal ein Jesui­ten­papst. Wer über­heb­lich wird, muß tief fal­len. Nun aber, ver­su­chen wir die (posi­ti­ve) Theo­rie der Igna­tia­ni­schen Spi­ri­tua­li­tät und die (nega­ti­ve) Pra­xis der jesui­ti­schen Geschich­te der Rei­he nach zu beden­ken. Dabei kön­nen wir eine spek­ta­ku­lä­re Dis­kre­panz entdecken.
Der hl. Igna­ti­us von Loyo­la (1491–1556) war ein guter Ken­ner der Welt­lich­keit sei­ner Zeit, die von der unse­ren ganz und gar nicht ver­schie­den ist. Er defi­nier­te klipp und klar den Grund­riß der spi­ri­tu­el­len Kampfplätze:

„Ich setz­te vor­aus, daß es drei­er­lei Gedan­ken in mir gibt: sol­che, die mein eigen sind und allein mei­ner Frei­heit und mei­nem Wil­len ent­sprin­gen, wäh­rend die bei­den andern von außen kom­men: der eine vom guten, der ande­re vom bösen Geist.“

Oft­mals bedür­fen wir aber kei­ner hel­den­haf­ten „Unter­schei­dung, Prü­fung und Erneue­rung“ als Refe­renz, wenn das Gute und Fal­sche wie aus einem auf­ge­schla­ge­nen Buch „trocken“ abzu­le­sen sind. In der Regel kön­nen wir aus der Kate­che­se die unmit­tel­ba­re Gewiß­heit erlan­gen, was zu tun sei. Über eine Abtrei­bung, Schei­dung und der­glei­chen braucht man im Prin­zip kein Kon­si­li­um mit einer dra­ma­ti­schen Anru­fung des Hl. Gei­stes zu erfle­hen, da das Gebo­te­ne nur all­zu klar vorliegt.

Zunächst ein­mal gibt es also vier Klas­sen von Kri­te­ri­en für den Fall, daß die Leit­fä­den der Unter­schei­dung, Prü­fung und Erneue­rung in unse­ren Hän­den lie­gen und ledig­lich der Ver­fü­gung unse­rer Frei­heit und Ver­nunft unter­ge­ord­net sind. Sie könn­ten daher grund­sätz­lich mit einem Blick und gutem Wil­len erkannt werden:

  1. MIT DEM GESUNDEN MENSCHENVERSTAND: Seid nüch­tern und wachet (1 Petrus 5,8)! Weil die Ver­nunft Got­tes Gabe ist, so kann der Hl. Geist von uns nie­mals etwas Unver­nünf­ti­ges ver­lan­gen, allen­falls etwas Über­ver­nünf­ti­ges, das die gemei­nen Über­le­gun­gen über­ragt. Daher kön­nen wider­sin­ni­ge Leh­ren, Anre­gun­gen und Ein­ge­bun­gen nicht „von oben“ kom­men. Das gilt auch für Stim­mungs­la­gen eines pseu­do­re­li­giö­sen, eksta­ti­schen Enthu­si­as­mus, bei dem sich der Ver­stand ver­dun­kelt und der Sinn für die Wirk­lich­keit verlorengeht.
  2. AUF GRUND DER HEILIGEN SCHRIFT UND DER KIRCHLICHEN LEHRE: Prüft alles, das Gute behal­tet! Von aller Art Laster hal­tet euch fern (1 Thes­sa­lo­ni­cher 5, 21–22). Eben­so wenig kann ein Wider­spruch zur über­lie­fer­ten Leh­re der Kir­che vom Hl. Geist kom­men: Wer euch hört, der hört mich (Lukas 10,16). Was der katho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re direkt oder indi­rekt wider­spricht, kann daher nur vom bösen Geist stam­men (1 Kor 12,3 ; 1 Joh 4,2).
  3. DANK DER HÜTER DER TRADITIONELLEN SITTEN UND BRÄUCHE: Wach auf, du Schlä­fer…, so sehet denn genau zu, wie ihr wan­delt (Ephe­ser 5,15)! Im Lau­fe zwei­er christ­li­cher Jahr­tau­sen­de sind Erfah­rungs­schät­ze von gro­ßen Hei­li­gen, Kir­chen­leh­rern und Gewährs­leu­ten, Schu­len und Fami­li­en ange­wach­sen, deren Ver­mitt­lung eher einem Sta­fet­ten- oder Fackel­lauf und nicht einem Stein­bruch gleicht. Es kann also nie­mand am Null­punkt begin­nen wie es die Pro­te­stan­ten in der Kir­che und die Revo­luz­zer an den Bar­ri­ka­den immer wie­der ange­stellt haben.
  4. ANHAND DER OFFENSICHTLICHEN RESULTATE EINER BEREITS VOLLZOGENEN, IRREVERSIBLEN ENTSCHEIDUNG: Schluß­end­lich unter­schei­den aber die Früch­te den guten vom schlech­ten Baum (Mat­thä­us 7,16 ff ; Gala­ter 5,19–23). Die guten Früch­te sind immer vom Hei­li­gen, die schlech­ten immer vom bösen Geist.

In jenen kon­kre­ten Fäl­len aber, wo die natür­li­chen Leit­fä­den der Ver­nunft und der Gefüh­le ver­wor­ren und abge­ris­sen, mit dunk­len Lei­den­schaf­ten und ver­stock­ten Her­zen ver­wo­ben sind, stellt sich die Sache nicht so ein­fach dar. Wir begeg­nen oft genug Wöl­fen im Schafs­pelz und nicht wenig Unkraut mit gutem Wei­zen gemischt (Mat­thä­us 7,15 ; 13,25) sowohl im Scho­ße der Kir­che und des Staa­tes, der Gesell­schaft und der Fami­lie wie auch im Inner­sten unse­rer Seele.

Entlarvung des Bösen

Über die genann­ten Prü­fungs­kri­te­ri­en hin­aus gibt es also schwie­ri­ge Fäl­le, wo die natür­li­chen Kri­te­ri­en des gesun­den Men­schen­ver­stan­des, das Stu­di­um der Hei­li­gen Schrift und der kirch­li­chen Leh­re, die festen Sit­ten und Bräu­che der Tra­di­ti­on und die offen­kun­dig ersprie­ßen­den Ergeb­nis­se nichts Befrie­di­gen­des zei­ti­gen. Im Laby­rinth des Bösen müs­sen wir dann beson­ders sorg­fäl­tig acht­ge­ben, damit wir nicht irre­ge­führt wer­den (Lukas 21,8)!

Chri­stus ver­si­cher­te sei­nen Jün­gern: „Ich bin der Weg, die Wahr­heit und das Leben“ (Johan­nes 14,6). Läßt Er uns aber schließ­lich, – dem Anschein nach – im Sturm der Geschich­te, in den heik­len Wech­sel­fäl­len unse­res Lebens doch allein? Kei­ne Fra­ge, sicher nicht! Er ver­sprach uns den Hei­li­gen Geist, den Weg­wei­ser und Trö­ster, um das Wah­re zu erken­nen und zu tun (Johan­nes 16,13).

Der hl. Igna­ti­us nimmt also in beson­ders schwie­ri­gen Fäl­len die Ent­lar­vung des Bösen ins Visier, wenn es als das Gute ver­klei­det ist. Mit sei­nen geist­li­chen Exer­zi­ti­en führt er uns zu einer geleb­ten Spi­ri­tua­li­tät, um unbe­irr­bar auf Wind und Spur der objek­ti­ven Tat­sa­chen blei­ben zu kön­nen. Die Ambi­gui­tät unse­rer Frei­heit und die Raf­fi­nes­se des Bösen unter­wer­fen uns der Qual der Wahl und ver­lan­gen stets neue Unter­schei­dun­gen für und wider eine gute bzw. fal­sche Ent­schei­dung auf der Wan­de­rung über unse­ren gewun­de­nen Lebens­pfad. Nicht umsonst beten wir im Vater­un­ser den dra­ma­ti­schen Schlußsatz:

Und füh­re uns nicht in Versuchung,
son­dern erlö­se uns von dem Bösen!

Denn das Böse begibt sich immer wie­der hart­näckig auf die Lau­er, um die kla­ren Unter­schei­dun­gen in bezug auf Got­tes Gebo­te zu ver­ne­beln und uns eine schlech­te Ent­schei­dung zu ent­win­den. Das Böse ringt aber unse­re Ent­glei­sung sel­ten in offe­ner Spra­che ab, son­dern erschleicht sie viel­mehr mit sub­ti­len Metho­den, mas­kiert mit einer Aureo­le des Guten. Das Übel tritt also „Sub ange­lo lucis“ – rou­ti­niert und ver­klei­det als Lich­ten­gel auf (2 Kor 11,14).

Die Igna­tia­ni­schen Exer­zi­ti­en raten den Üben­den, den schwan­ken­den Gemüts­la­gen kei­ne gestei­ger­te Auf­merk­sam­keit zu schen­ken, son­dern bereit zu sein, auf ver­wir­ren­de Ver­lockun­gen des Bösen hei­ter und gelas­sen zu reagie­ren. Denn die­se sind in der Lage, unse­ren kla­ren Ver­stand zu täu­schen, um uns vom rech­ten Weg abzu­len­ken. Solan­ge wir uns des­il­lu­sio­niert, bedrückt und abge­schla­gen füh­len, – so warnt uns Igna­ti­us ein­dring­lich – soll­ten wir kei­nen schwer­wie­gen­den und schon gar kei­nen lebens­ent­schei­den­den gro­ßen Ent­schluß tref­fen, ins­be­son­de­re nicht die Wahl geist­li­cher Beru­fun­gen, aber auch kei­ne Anbah­nung einer bestimm­ten Stu­di­en­rich­tung, kei­ne Berufs­wahl, kei­ne Ver­lo­bung und Ehe­schlie­ßung, ja kei­ne Schei­dung, und all das nicht, was fol­gen­schwe­re Wei­chen­stel­lun­gen wie Treue, Kün­di­gung, Bür­den, Ein­sät­ze, lang­fri­sti­ge Ver­pflich­tun­gen und der­glei­chen anbe­langt. In Trost­lo­sig­keit und Ver­zweif­lung soll man lie­ber kei­ne Ver­än­de­rung der Grund­po­si­tio­nen vornehmen!

Die wichtigsten Entscheidungsregeln

Schlech­te Zei­ten? Pech gehabt? Hal­te dich zurück! War­te ab, sagt Igna­ti­us. Stür­me und Böen las­sen gewöhn­lich nach. Es klingt zwar banal, aber über den Wol­ken ist der Him­mel immer son­nen- oder ster­nen­klar. Kei­ne Nie­der­ge­schla­gen­heit dau­ert ewig, damit man nach­her umso leuch­ten­der sehen kön­ne. Gut über­leg­te, objek­ti­ve Ent­schei­dun­gen soll­ten also nicht in einem Zustand mit star­ken Gemüts­wal­lun­gen getrof­fen werden.

Wir wer­den schon mer­ken, ob die Impul­se von Gott stam­men oder nicht, denn sie müs­sen uns Frie­den und Freu­de, Auf­ge­räumt­heit und Erfül­lung brin­gen. Wenn die Gedan­ken vom Bösen her­rüh­ren – auch wenn sie noch so viel Pomp und Auf­wand trei­ben –, besche­ren sie weder Frie­den und noch weni­ger ech­te Freu­de. Schließ­lich sto­ßen sie doch sau­er auf. Denn der Teu­fel heißt auf alt­grie­chisch nicht umsonst „Diá-bolos“, wort­wört­lich Durch­ein­an­der­wer­fer im Sin­ne eines gemei­nen Ver­wir­rers, Fak­ten­ver­dre­hers, Ver­leum­ders. Igna­ti­us hielt sogar dafür, daß Sub ange­lo lucis das über­aus schil­lern­de Per­fek­te der Tod­feind des Guten sei. Wir kön­nen von aller­hand Übeln und Ego­is­men über­wäl­tigt wer­den, wenn wir spek­ta­ku­lä­ren Chi­mä­ren (Luft­schlös­sern, Trug­bil­dern, Fik­tio­nen) nach­ja­gen und dabei das schlich­te Gute unterlassen.

Igna­ti­us spricht in die­sem Zusam­men­hang von einem „magis“ als Richt­schnur eines ech­ten Apo­stels: „Apó­sto­los“ (dt. Gesand­ter, Send­bo­te) hieß zum Unter­schied des ver­wir­rungs­stif­ten­den „Diá­bo­los“ auch die abge­sand­te grie­chi­sche Flot­te, die mit Gütern und Schät­zen bela­den nach einer stür­mi­schen Fahrt im Ziel­ha­fen gut ein gelau­fen war. In die­sem Sin­ne ruft der hl. Pau­lus voll Begei­ste­rung aus:

Apo­sto­li, glo­ria Christi!
Die Apo­stel sind der Ruhm Christi.
(2 Korin­ther 8,23)

Das latei­ni­sche Adverb „magis“ besagt bekannt­lich ein rea­les Plus, mehr als…, in höhe­rem Gra­de als…, eher, lie­ber, viel­mehr. Es dient somit zur Umschrei­bung des Kom­pa­ra­tivs: wie stär­ker, hef­ti­ger, bes­ser und zeigt damit zwi­schen einem simp­len Posi­tiv und einem über­stei­ger­ten Super­la­tiv die maß­vol­le Mit­te an. Oft stei­gert es aber auch die Tätig­keit oder die Wir­kung von Ver­ben wie magis intel­le­ge­re, magis gau­de­re (d. h. bes­ser ver­ste­hen, sich mehr freuen).

Die Unter­schei­dung der Gei­ster ist somit eine Stei­ge­rungs­form des Posi­ti­ven mit vol­lem Wind und Elan „Rich­tung Zukunft“ – und sicher nicht in die einer mor­bi­den Recht­fer­ti­gung von bereits getrof­fe­nen, nega­ti­ven, fal­schen Ent­schei­dun­gen wie das bei Wie­der­ver­hei­ra­te­ten nach einer Schei­dung übli­cher­wei­se der Fall ist. Die Igna­tia­ni­schen Exer­zi­ti­en sind also eine befrei­en­de, intel­li­gen­te und logi­sche Abklä­rung von Lebens­lü­gen; zugleich aber auch eine prak­ti­sche, dyna­mi­sche und kon­stan­te Ent­schei­dungs­hil­fe, um das zu wer­den, wozu wir beru­fen sind – näm­lich zur „Got­tes­kind­schaft“ nach dem Evan­ge­li­um des hl. Johan­nes (15,15) und nach der kla­ren Spra­che der Apo­stel­brie­fen (1 Joh 3,1 ; Röm 8,14–17 ; Gal 4,1–7). Im Igna­tia­ni­schen Exer­zi­ti­en­buch gibt es prä­zi­se Regeln zur Unter­schei­dung, Prü­fung und Erneue­rung wie zum Beispiel:

§ 01 Daß der Hei­li­ge Geist die Men­schen guten Wil­lens ermu­tigt, beru­higt und tröstet.
§ 02 Daß der böse Geist umge­kehrt ver­fährt: Die­ser beun­ru­higt und ent­mu­tigt die Eif­ri­gen und beru­higt und ver­trö­stet die Lau­en und Sünder.
§ 05 Daß man in Zei­ten der Ver­wir­rung und Ent­mu­ti­gung nichts an ihren guten Vor­sät­zen und an der ein­ge­schla­ge­nen Lebens­rich­tung ändern soll.
§ 11 Daß man sich bei reli­giö­sem Hoch­ge­fühl demü­ti­gen, und bei Nie­der­ge­schla­gen­heit mit dem Gedan­ken an die Gna­de auf­rich­ten soll.
§ 12 Daß man dem bösen Angrei­fer mutig die Stirn zu zei­gen hat…
§ 13 …und sei­ne Ein­flü­ste­run­gen gera­de dann, wenn er uns zur Geheim­hal­tung drängt, dem Beicht­va­ter auf­decken soll.
§ 14 Daß der Feind mei­stens dort angreift, wo unse­re schwäch­ste Stel­le ist.

Nach all die­sen Aus­füh­run­gen kön­nen wir zu recht ver­mu­ten, daß die Exer­zi­ti­en des hl. Igna­ti­us nicht ande­res als die Ein­übung in eine groß­an­ge­leg­te Lebens­beich­te dar­stel­len, im Zuge deren nicht die fal­schen Ent­schei­dun­gen der Ver­gan­gen­heit beschö­nigt und gerecht­fer­tigt, son­dern bereut sowie die Erneue­rung des eige­nen Gei­stes (Röm 12,2) in die Wege gelei­tet wer­den soll.

Aberration der biblischen Unterscheidung der Geister in der heiß umstrittenen Schrift „Amoris Laetitia“

Da heu­te nur mehr die aller­we­nig­sten noch aus­rei­chend Latein kön­nen, ist es uner­läß­lich vor­erst an der Wort­grup­pe „Lae­ti­tia“ (Freu­de) ein wenig zu schnup­pern: Was ist, wie ist, wo ist ech­te Freu­de zu finden?

[table id=36 /]Es ist damit zu rech­nen, daß in der ero­tisch auf­ge­heiz­ten, moder­nen Kon­sum- und Spaß­ge­sell­schaft ein Wort wie „Lae­ti­tia“ (d. h. Schön­heit, üppi­ger Wuchs, Freu­de, Fröh­lich­keit) nicht nur gut ankom­men und sei­ne Ambi­gui­tät hart­näckig bei­be­hal­ten wird, son­dern als Sucht unter den Schei­dungs­grün­den gewöhn­lich gleich an aller­er­ster Stel­le steht. Des Jubels aller Moder­ni­sten kann man eben­falls sicher sein, wenn eine sol­che sen­sa­tio­nel­le Auf­mun­te­rung aus dem Mun­de eines Jesui­ten­pap­stes kommt. Otto Nor­mal­ver­brau­cher in Stim­mung zu ver­set­zen und sei­ne Lust am Amou­rö­sen schlecht­hin zu loben, ist der mora­li­sche Tief­punkt der Berg­o­glia­ni­schen Seel­sor­ge. Auf Schleich­we­gen hat er damit die „Katho­li­sche Schei­dung“ eta­bliert und gerechtfertigt.

Es ist aber eben­falls mit Sicher­heit anzu­neh­men, daß der hl. Ordens­grün­der und aske­ti­scher Exer­zi­ti­en­mei­ster von Loyo­la weder das „Fräu­lein Leti­cia“ noch eine ande­re „üppi­ge Schön­heit“ oder die jauch­zen­de „Laet­a­tio“ der Mas­sen in das Pro­gramm sei­ner Übun­gen inklu­dier­te. Wenn er von inni­gem Frie­den und ech­ter Her­zens­freu­de als Kri­te­ri­um einer gelun­ge­nen Unter­schei­dung sprach, mein­te er kei­nen fal­schen Ire­nis­mus mit dem Ziel einer pazi­fi­sti­schen, inter­kon­fes­sio­nel­len und inter­re­li­giö­sen Aus­ein­an­der­set­zung um jeden Preis der gegen­sei­ti­gen Nivel­lie­rung und Fra­ter­ni­sie­rung ant­ago­ni­sti­scher Posi­tio­nen. Die Jesui­ten der Gegen­re­for­ma­ti­on waren sicher­lich füh­ren­de Päd­ago­gen, Wis­sen­schaft­ler und kom­pro­miß­lo­se Sol­da­ten in der Leh­re der Einen, Hei­li­gen, Katho­li­schen Kir­che. Aber bereits damals wur­de der prak­ti­schen und poli­ti­schen „Jesui­ten­mo­ral“ eine über­trie­be­ne Diplo­ma­tie und Schlau­meie­rei nach­ge­sagt. Fran­zis­kus bekann­te ein­mal auf sich selbst bezo­gen, daß er ein wenig „cuco“ (auf Spa­nisch geris­sen, schlau, ein alter Fuchs) sei. Die häu­fig­sten Vor­wür­fe, die immer wie­der gegen den Orden erho­ben wur­den, sind des­halb vor allem:

  • Der ethi­sche Pro­ba­bi­lis­mus: d. h. eine libe­ra­le Aus­le­gung des Moral­ge­set­zes mit küh­ler Berech­nung der zu erwar­ten­den Wahr­schein­lich­kei­ten. Dabei unter­schei­den die Jesui­ten gern zwi­schen dem stren­gen, „meta­phy­sisch Not­wen­di­gen“ und dem ledig­lich „mora­lisch Not­wen­di­gen“. Wohl kann aus Wah­rem nichts Fal­sches fol­gen, aber auf der Ebe­ne der mora­li­schen Kon­se­quenz klaf­fen dabei Theo­rie und Pra­xis nicht sel­ten aus­ein­an­der. Wenn das Gesetz anspruchs­voll ist, dann degra­diert man es zu einem blo­ßen, prak­tisch irrele­van­ten Ideal.
  • Die Reser­va­tio men­ta­lis: d. i. eine ver­deck­te, nicht erkenn­ba­re Absicht mit gei­sti­gem Vor­be­halt, das in einer Wil­lens­er­klä­rung Erklär­te in Wirk­lich­keit nicht zu wol­len. Ach, wie oft kommt uns das aus dem lau­fen­den Pon­ti­fi­kat bekannt und schmerz­lich vor!
  • Die Hei­li­gung der Mit­tel durch den Zweck: Theo­re­tisch wird die­se Hal­tung frei­lich stets geleug­net. Wenn aber der Pfer­de­fuß nicht all­zu derb und offen­sicht­lich aus der Sou­ta­ne her­aus­hängt, dann gehört sie zur „Ange­wand­ten Moral“ der höhe­ren Politik.
  • Die Beicht­pra­xis: Als noch zahl­rei­che Jesui­ten Beicht­vä­ter und Bera­ter hoch­ge­stell­ter Per­sön­lich­kei­ten in den katho­li­schen Herr­scher­häu­sern von Wien, Mün­chen, Paris, Madrid, Lis­sa­bon waren, erlang­ten sie histo­ri­sche Berühmt­heit nicht nur dafür, daß sie damit die Zügel der Welt­po­li­tik in der Hand hiel­ten, son­dern auch, daß man im all­ge­mei­nen bei ihnen „flot­ter“ durch­kommt, wenn man ihnen nur geschmei­dig pariert. Mätres­sen wur­den katho­li­schen Köni­gen stets nach­ge­se­hen, falls sie sonst auf Linie waren. Der Jesui­ten­papst Fran­zis­kus unter­stell­te ein­mal sei­nen Prie­ster­kol­le­gen mit sei­ner gewohn­ten, nicht all­zu zise­lier­ten Grob­heit, den Beicht­stuhl nicht in eine „Fol­ter­kam­mer“ zu ver­wan­deln und groß­zü­gig zu ver­ge­ben. So wur­de „Barm­her­zig­keit“ oft mit spitz­fin­di­ger „Libe­ra­li­tät“ ver­wech­selt. Viel­sa­gend ist das Bon­mot, das der ordens­in­ter­nen Weis­heit nach­ge­sagt wird: Darf man wäh­rend des Betens rau­chen? Nein, natür­lich nicht! Darf man wäh­rend des Rau­chens beten? Ja, natür­lich immer, das Beten ist ja in jeder Situa­ti­on erlaubt.

Die Jesuitische Methode der Akkommodation in der Mission

Der Missionar Matteo Ricci S.J. (1552–1610) mit einem katholisch konvertierten Gelehrten in China
Der Mis­sio­nar Matteo Ric­ci S.J. (1552–1610) mit einem katho­lisch kon­ver­tier­ten Gelehr­ten in China

Der Orden der Jesui­ten wur­de im klei­nen Kreis von sie­ben Kame­ra­den um Igna­ti­us von Loyo­la in der höch­sten Not der pro­te­stan­ti­schen Kir­chen­spal­tung gegrün­det und durch aller­höch­ste päpst­li­che Ver­fü­gung aner­kannt (1540). Neben Armut und Ehe­lo­sig­keit ver­pflich­te­ten sie sich zu Gehor­sam und zu einem beson­de­ren Gehor­sam dem regie­ren­den Papst gegen­über. Sie hat­ten sich von Anfang an kei­ne eige­ne Ordens­klei­dung und auch kein gemein­sa­mes Chor­ge­bet in festen Nie­der­las­sun­gen wie Klö­stern und Stif­ten vor­ge­schrie­ben. Bis heu­te leben sie in locke­ren Kom­mu­ni­tä­ten, mit libe­ra­ler Anpas­sungs­fä­hig­keit und unge­bun­de­ner Mobi­li­tät, aber ordens­in­tern mit para­mi­li­tä­ri­scher Dis­zi­plin. Sie konn­ten sich daher jeder­zeit, auch im über­tra­ge­nen Sin­ne, frei ver­klei­den und somit oft her­vor­ra­gen­de wis­sen­schaft­li­che und erzie­he­ri­sche Posten in Gym­na­si­en, Kol­le­gi­en und an Uni­ver­si­tä­ten anneh­men, aber auch in aller­lei mis­sio­na­ri­sche und poli­ti­sche Rol­len schlüpfen.

Frei­lich ging das Libe­ra­le, Lege­re und Salop­pe immer schon mit einer über­gro­ßen Por­ti­on an Fle­xi­bi­li­tät und Lax­heit im all­ge­mei­nen Sit­ten­bild und im brei­te­ren Brauch­tum ein­her. Ent­ge­gen der offi­zi­el­len Papst­treue, ver­wickel­ten sie sich in zahl­rei­che, schwer­wie­gen­de Zer­würf­nis­se nicht ohne Reni­tenz und Unge­hor­sam, wei­ters auch nicht nur gegen die Pon­ti­fi­ka­te von JOHANNES PAUL II. und BENEDIKT XVI., son­dern bereits gegen CLEMENS XI. und Bene­dikt XIV. im Lau­fe des XVII. und XVIII. Jahr­hun­derts. Sie fühl­ten sich immer schon päpst­li­cher als die Päpste.

Seit dem Vati­ca­num II geht die tota­le Anpas­sung an die jesui­ti­sche Situa­ti­ons­ethik soweit, daß man die „Mis­sio­nie­rung“ als Pro­se­ly­ten­ma­che­rei ver­pönt. Man setzt lie­ber auf anspruchs­lo­se, lee­re Plau­de­rei­en („Dia­log“) und setzt sich dabei selbst der Gefahr der Ent­lee­rung aus. Die tota­le Anglei­chung an die äuße­ren Lebens­for­men in Klei­dung, Nah­rung, Woh­nung, Rechts­nor­men, Phi­lo­so­phie, Ästhe­tik (Archi­tek­tur, Male­rei, Musik) und Spra­che bis zum Nach­plap­pern von klein­sten, ato­mi­sier­ten Gruppen‑, Lokal- und Regio­nal­for­men, brach­te den lang­sa­men Ver­lust des uni­ver­sa­len, latei­ni­schen Kul­tes und Ritus sowie die Gefah­ren von Schis­men mit sich. Über­gro­ße Viel­falt ist eben­so schwer zu ertra­gen wie eine stren­ge Ver­schrän­kung. „Drei Jesui­ten – vier Mei­nun­gen“ ist ein oft gehör­ter Vor­wurf gegen den libe­ra­len Plu­ra­lis­mus und den cha­rak­ter­lo­sen, fei­gen Syn­kre­tis­mus, die zugleich fana­tisch indok­tri­niert wer­den: Viel­falt um der Viel­falt wil­len schafft ledig­lich Unord­nung. Ab 1975 begann sich für die­sen Pro­zeß der Ter­mi­nus „Inkul­tu­ra­ti­on“ durch­zu­set­zen. Es ist eine offen­kun­di­ge Fäl­schung, wenn zum Bei­spiel die Got­tes­mut­ter Maria für die süd­ame­ri­ka­ni­schen India­ner an die von ihnen ver­ehr­te, per­so­ni­fi­zier­te „Mut­ter Erde“ (Pacha­ma­ma) adap­tiert wird.

Der Akkommodations- und Ritusstreit (1610–1744)

Bereits nach dem Triden­ti­num (1545–63) ent­fach­te ein Dau­er­streit über die Fra­ge, inwie­weit sich die Kir­che heid­ni­schen Riten und Bräu­chen öff­nen dür­fe und wie sie sich in der Mis­si­ons­ar­beit, die im XVII. Jahr­hun­dert in Chi­na, aber auch in Indi­en erblüh­te, rich­tig ver­hal­ten sol­le. Die füh­ren­den Jesui­ten spra­chen sich für eine brei­te Front der Akkom­mo­da­ti­on aus, die Domi­ni­ka­ner und Fran­zis­ka­ner lehn­ten dage­gen jeden Syn­kre­tis­mus kom­pro­miß­los ab (1633). Rom ent­schied den Streit mal gegen die Akkom­mo­da­ti­on, mal dafür, neu­er­lich dage­gen, nach einem Rekurs der Jesui­ten wie­der dafür. Der Kon­flikt hat sich jedes­mal ver­schärft. In der Fol­ge ver­bot Kai­ser Yong­zh­eng kur­zer­hand das Chri­sten­tum (1724) – eine logi­sche Fol­ge von nicht har­mo­ni­sier­ten Querköpfigkeiten.

Die Jesui­ten dul­de­ten näm­lich den chi­ne­si­schen Ahnen­kult und die Ver­eh­rung des Kon­fu­zi­us, sie akzep­tier­ten für den Drei­fal­ti­gen Gott Namen und Bezeich­nun­gen aus dem heid­ni­schen Göt­ter­kult wie „Him­mel, Kai­ser, höch­ster Herr“, unter­lie­ßen gewis­se Zere­mo­nien bei den Sakra­men­ten. Das sind Sachen, die man nicht auf die leich­te Schul­ter neh­men kann.

Yongzheng, Kaiser von China (1678–1735)
Yong­zh­eng, Kai­ser von Chi­na (1678–1735)

Die eigen­sin­ni­gen Jesui­ten hiel­ten sich aber nicht an die Anwei­sun­gen von Papst Cle­mens XI. (1711, 1715) und erwirk­ten mit ihrer mis­sio­na­ri­schen Schlei­me­rei nur Schein­erfol­ge. Bis Papst Bene­dikt XIV. eines Tages nicht umhin konn­te, eine lehr­mä­ßi­ge Ent­schei­dung gegen die Miß­bräu­che zu erlassen.
Die Mis­si­ons­tä­tig­keit wur­de danach ange­fein­det und in den Unter­grund ver­drängt. Zahl­rei­che Mis­sio­na­re muß­ten ihre Wahl­hei­mat ver­las­sen. Die ein­hei­mi­schen Kon­ver­ti­ten wur­den einer schar­fen Ver­fol­gung aus­ge­setzt. Die Dia­spo­ra über­leb­te jedoch in Chi­na bis ins XIX. Jahr­hun­dert. Auch in Indi­en ver­hiel­ten sich die reni­ten­ten Jesui­ten nicht anders mit der Anpas­sung an das heid­ni­sche Brauch­tum des Hin­du­is­mus. Ihre defi­ni­ti­ve Ver­ur­tei­lung wur­de sowohl in Chi­na wie Indi­en in den Jah­ren 1742–44 durch die Päpst­li­chen Bul­len Bene­dikts XIV. besie­gelt. Erst nach 200 Jah­ren wur­den sie „infol­ge der ver­än­der­ten Lage“ von Papst Pius XII. auf­ge­ho­ben (1939–40).

Untergang des Jesuitenordens (1758–1773) im Theresianisch-Josephinischen Reformzeitalter 1749–1790

In Bäl­de soll­ten die Jesui­ten neue Kon­flik­te vom Zaun bre­chen. Die mäch­ti­ge „Jesui­ten­re­pu­blik“ des Ordens hat­te auch im süd­ame­ri­ka­ni­schen Ein­fluß­be­reich Por­tu­gals und Spa­ni­ens, aber auch im Frank­reich des „auf­ge­klär­ten“ Des­po­tis­mus ein viel­schich­tig gela­ger­tes, poli­ti­sches Dos­sier akku­mu­liert. Die Jesui­ten droh­ten selbst ein abso­lu­ti­sti­scher Staat in abso­lu­ti­sti­schen Staa­ten zu wer­den, wodurch in den roma­ni­schen Län­dern ein gro­ßer Stau der Kon­flikt­po­ten­tia­le ent­stan­den war.

Für die Epo­che gibt es nichts, was so sym­pto­ma­tisch wäre als der Wahl­spruch des vor­re­vo­lu­tio­nä­ren Abso­lu­tis­mus, der im dama­li­gen Euro­pa in zahl­rei­chen Spra­chen ein beflü­gel­tes Wort gewor­den ist:

Tout pour le peu­ple, rien par le peuple.
Alles für das Volk, nichts mit dem Volk.

Auf Unga­risch: Min­dent a népért, sem­mit a nép által.

Auch Spa­nisch geläu­fig: Todo para el pue­blo, pero sin el pueblo.

Die „auf­ge­klär­ten“, reform­be­flis­se­nen, aber zum Des­po­tis­mus nei­gen­den Ari­sto­kra­ten, Für­sten, Köni­ge und Prie­ster zier­ten sich mit die­ser Maxi­me und leg­ten sie oft – in Öster­reich-Ungarn beson­ders gern – dem Deutsch-Römi­schen Kai­ser Joseph II. (1740–1790) oder König Fried­rich II. (1740–1786) in den Mund. In der Tat gebührt aber die Autoren­schaft Vol­taire (1694–1778), der am Preu­ßi­schen Hof in Pots­dam auf Schloß Sans­sou­ci gern gese­he­ner Gast war. Sein Spruch ist ein Para­de­bei­spiel für die ver­let­zend gön­ner­haf­te Über­klug­heit der füh­ren­den Intel­lek­tu­el­len, die dem min­der­wer­tig ange­se­he­nen Volk, ins­be­son­de­re dem auf­stre­ben­den Land­adel und dem klei­nen Bür­ger­tum jedes Wis­sen und Gewis­sen „für­sorg­lich-wich­tig­tue­risch“ abneh­men woll­ten. Der Stan­des­dün­kel der „auf­ge­klär­ten, rei­nen“ Ver­nunft war die bestän­dig­ste Cha­rak­te­ri­stik der ange­hen­den „Auf­klä­rung“ im XVII. Jahr­hun­dert des „Lichts“ und der „Erleuch­te­ten“. Die Jesui­ten, aber auch die Frei­mau­rer waren kei­ne Aus­nah­me von der Hof­fart der explo­die­ren­den Bil­dung und Ein­bil­dung. Der Pen­del der „auf­ge­klär­ten“ Des­po­tie der Eli­ten hat dann unwei­ger­lich in der „fin­ste­ren“ Des­po­tie der revo­lu­tio­nä­ren Volks­herr­schaft ausgeschlagen.

Kaiserin Maria Theresia – Rex Hungariae et Bohemiae – (1740–1780) empfängt den Rektor der Universität Wien
Kai­se­rin Maria The­re­sia – Rex Hun­ga­riae et Bohe­miae – (1740–1780)
emp­fängt den Rek­tor der Uni­ver­si­tät Wien

In die­ser dicken Luft kur­sier­ten zahl­rei­che Ver­schwö­rungs­theo­rien und Gerichts­ur­tei­le mit Ein­bin­dung von Jesui­ten für den ver­such­ten Tyran­nen­mord gegen König Lou­is XV. in Paris (1751), aber auch gegen José I. in Lis­sa­bon (1758), was kreuz und quer in ganz Euro­pa bis nach Königs­berg in Preu­ßen zu einem Medi­en­er­eig­nis auf­ge­bauscht wor­den war. Auch gegen Car­los III. dürf­te der Madri­der Auf­ruhr (1766) durch die Jesui­ten ange­zet­telt wor­den sein. Jeden­falls an die 7000 ihrer Ordens­brü­der wur­den ange­hal­ten, teils nach Kor­si­ka, teils in den Kir­chen­staat per Schiff nach Ita­li­en ver­frach­tet (1767), bald aber auch aus dem König­reich Nea­pel, sowie aus Mal­ta und Par­ma ver­trie­ben (1768).

Papst Cle­mens XIII. (1758–1769), ein gro­ßer Freund und För­de­rer der Jesui­ten, ver­such­te gegen alle poli­ti­schen und publi­zi­sti­schen Wider­stän­de den Orden mit einer Bul­le (1765) rein­zu­wa­schen. wofür er aus Spa­ni­en und Frank­reich (nicht zuletzt von den from­men Jan­se­ni­sten und den unfrom­men Enzy­klo­pä­di­sten) hef­ti­ge Kri­tik ein­stecken mußte.

Als Cle­mens das Zeit­li­che geseg­net hat­te, erreich­te der „Jesui­ten­my­thos“ unge­ahn­te Haß- und Lust­ge­füh­le. Knapp zwan­zig Jah­re vor der per­fi­de­sten Revo­lu­ti­on aller Zei­ten (1789) schür­ten aber aus­ge­rech­net die Jesui­ten wei­ter­hin die Span­nun­gen in Euro­pa bis auf die letz­te Zer­reiß­pro­be. Dafür wur­den sie aus Por­tu­gal, Spa­ni­en und Frank­reich (1759–1768) lau­fend des Lan­des ver­wie­sen. Kurz und gut, Que­ru­lanz mit krank­haf­ter Stei­ge­rung des Rechts­ge­fühls und der Recht­ha­be­rei war immer schon der merk­wür­di­ge Par­al­lel­zug aller „libe­ra­len“ und zugleich all­zu „stram­men“ Ideo­lo­gen, Des­po­ten und Revo­lu­tio­nä­re, die Kon­flik­te suchen, aber weder im Scho­ße der Kir­che noch im Staa­te lösen können.

Um Schlim­me­res zu ver­hü­ten, ver­an­laß­te das Cha­os den fried­fer­ti­gen Papst Cle­mens XIV. (1769–1774) in der euro­päi­schen Hoch­span­nung der „Auf­klä­rung“ zu der dra­ma­ti­schen Maß­nah­me, die zün­deln­den Jesui­ten vom Schlacht­feld der Intri­gen abzu­zie­hen. Er ver­don­ner­te schließ­lich mit dem Bre­ve Domi­nus ac redemptor noster (also mit einem ener­gi­schen „Bre­ve“, d. h. mit einem gehar­nisch­ten „Brief“) die Auf­he­bung des Jesui­ten­or­dens (1773). Das Bre­ve beginnt mit einem Hin­weis des Pap­stes auf sei­ne Bemü­hun­gen um das fried­li­che Zusam­men­le­ben, gefolgt von einer Auf­zäh­lung der gegen den Orden erho­be­nen Vor­wür­fe von Six­tus V. bis Bene­dikt XIV.:

„Ange­haucht von dem gött­li­chen Gei­ste, wie wir ver­trau­en, durch die Pflicht getrie­ben, die Ein­tracht der Kir­che zurück­zu­füh­ren, über­zeugt, daß die Gesell­schaft Jesu den Nut­zen nicht mehr lei­sten kann, zu dem sie gestif­tet wor­den, und von ande­ren Grün­den der Klug­heit und Regie­rungs­weis­heit bewo­gen, die wir in unse­rem Gemü­te ver­schlos­sen behal­ten, heben wir auf und ver­til­gen wir die Gesell­schaft Jesu, ihre Ämter, Häu­ser, Institute.“

Die Ver­ord­nung der Aus­zeit kam jedoch zu spät. Das Bemü­hen um eine Aus­söh­nung der Kir­che mit den Zeit­strö­mun­gen und den katho­li­schen Köni­gen der roma­ni­schen Län­der Por­tu­gal, Spa­ni­en, Nea­pel und Frank­reich am Vor­abend der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on blieb erfolg­los. Immer­hin ver­hü­te­te die Vor­se­hung die Jesui­ten vor dem Gemet­zel, dem sie sicher­lich in den vor­der­sten Rei­hen aus­ge­setzt wor­den wären, als der Ter­ror der Stra­ße in Paris los­ge­tre­ten wur­de. Nolens volens emi­grier­ten sie mas­sen­wei­se aus­ge­rech­net in die nicht­ka­tho­li­schen Län­der nörd­lich der Alpen, haupt­säch­lich nach Preu­ßen und in das Ruß­land der eben­falls „auf­ge­klär­ten“ Kai­se­rin Katha­ri­na der Gro­ßen (1762–1796). Fried­rich – im Volks­mun­de „der Alte Fritz“ genannt – glaub­te als Pro­te­stant ohne­hin ein Päpst­li­ches Edikt igno­rie­ren zu kön­nen, ande­rer­seits brauch­te er Seel­sor­ger für die pol­nisch-katho­li­schen Bevöl­ke­rungs­tei­le sei­nes Lan­des. Kai­se­rin Maria The­re­sia fand an ihren Jesui­ten in Öster­reich eigent­lich wenig ver­werf­li­ches, da sie in vie­len Schu­len ange­se­he­ne Leh­rer und Direk­to­ren waren und als sol­che wie­der ange­stellt bzw. als Diö­ze­san­prie­ster inkar­di­niert wur­den. Die pie­tät­vol­le Herr­sche­rin kam der Päpst­li­chen Ver­ord­nung schwe­ren Her­zens nach, aber mit Wider­wil­len löste sie den Orden doch auf (1773). Ihrem anti­kle­ri­ka­len Sohn und Nach­fol­ger Joseph II. ist frei­lich die Ver­staat­li­chung der Güter und Gebäu­de der Jesui­ten leich­ter gefallen.

Die Ver­ban­nung wur­de nach 40 Jah­ren von Papst Pius VII. (1800–1823) rück­gän­gig gemacht (1814), kaum drei Mona­te nach sei­ner Ent­las­sung aus der fran­zö­si­schen Gefan­gen­schaft unter Napo­lé­on. Es kam zu einer Renais­sance des Jesui­ten­or­dens. Die Aus­zeit hat ihnen offen­sicht­lich gut getan. In Deutsch­land (1872–1917), aber auch in der Schweiz (1874–1973) war der Orden noch zeit­wei­lig ver­bo­ten. Zur schlimm­sten Zeit der süd­ame­ri­ka­ni­schen „Befrei­ungs­theo­lo­gie“ waren die Jesui­ten unter Papst Johan­nes Paul II. unter Kura­tel gestellt.

Lehrreicher Nutzen und Konsequenz aus der Geschichte

Die Stra­te­gie und das Tak­tie­ren in der Mis­si­on dür­fen weder von den Jesui­ten noch von den Möch­te­gern-Theo­lo­gen des Moder­nis­mus neu erfun­den wer­den. Denn wir soll­ten die Erkennt­nis­se aus den histo­ri­schen Bei­spie­len des Völ­ker­apo­stels Pau­lus, Bene­dikts von Nur­sia (480–547) und der Sla­wen­apo­stel Cyrill und Method (IX. Jh.) able­sen und über­neh­men. Drei Fix­punk­te dürf­ten dabei ins Auge stechen:

  • Maß­vol­le Kon­zes­sio­nen an die kul­tu­rell füh­ren­de Eli­te: Eine dis­kre­te, vor­läu­fi­ge, unwe­sent­li­che Adap­t­ati­on an die Ober­schicht eines heid­ni­schen Vol­kes zu Beginn der Mis­sio­nie­rung kann unter Umstän­den einen Pro­zeß der Ange­wöh­nung ein­lei­ten, weil eine ver­nünf­ti­ge Eli­te wahr­schein­lich am ehe­sten fähig sein dürf­te, sich in die christ­li­che Zivi­li­sa­ti­on der Ver­nunft zu inte­grie­ren und sich voll von ihr assi­mi­lie­ren zu lassen.
  • Mis­si­on von oben nach unten: Daher ver­mit­tel­ten die Bene­dik­ti­ner die Reli­gi­on den Bar­ba­ren nach dem Unter­gang des West­rö­mi­schen Rei­ches euro­pa­weit „von oben nach unten“ mit dem latei­ni­schen Alpha­bet, dem Pflug und dem Kreuz. Ein leuch­ten­des Bei­spiel dafür war die spä­te Mis­sio­nie­rung der noma­di­schen Magya­ren, die erst im zehn­ten Jahr­hun­dert (!) inmit­ten einer bereits weit­ge­hend chri­stia­ni­sier­ten sla­wi­schen Umge­bung Land genom­men haben. Als Hei­den waren sie Euro­pas Gei­ßel, als Chri­sten sind sie gegen die Inva­sio­nen der Tar­ta­ren und Tür­ken Euro­pas Basti­on gewor­den – auch heu­te noch.
  • Die Annah­me des Kreu­zes ist wesent­lich ver­bun­den mit der Ver­mitt­lung von Wis­sen­schaft, Kunst und Zivi­li­sa­ti­on: d. h. ohne Schul­bil­dung der brei­ten Mas­sen kann sich kei­ne Mis­sio­nie­rung dau­er­haft auf­recht erhal­ten. Das Chri­sten­tum ist die Reli­gi­on der Ver­nunft („Logos“!) und kann nicht auf pri­mi­ti­ve Unter­stu­fen redu­ziert wer­den: „Cre­do ut intel­li­gam“ (ich glau­be, damit ich erken­nen kann) ist das theo­lo­gisch-phi­lo­so­phi­sche Mot­to von Anselm von Can­ter­bu­ry (1033–1109). Die Hei­den müß­ten in die höhe­re Zivi­li­sa­ti­on „inkul­tur­iert“ (ein­ge­schmol­zen) wer­den – nicht umgekehrt!

Sonderfall der Mobilmachung gegen sich selbst

Wenn die aktu­el­le Palast­re­vo­lu­ti­on im Vati­kan von einem Jesui­ten­papst selbst und sei­nen jesui­ti­schen Prä­to­ria­nern aus­geht, die alle Feh­ler der Ver­gan­gen­heit in sich ver­ei­ni­gen und über­stei­gern, dann ist das ein­zig­ar­tig in der nahe­zu 500jährigen Geschich­te des Ordens. Wenn man in der näch­sten, dro­hen­den Syn­ode auch an die Rela­ti­vie­rung der katho­li­schen Wesens­zü­ge des Prie­ster­tums her­an­ge­hen wird, dann nimmt die­ses Pon­ti­fi­kat bereits apo­ka­lyp­ti­sche Züge an.

Die tota­le Akkom­mo­da­ti­on der Kir­che an den Zeit­geist legt heu­te eine ech­te „Unter­schei­dung und Prü­fung der Gei­ster“ völ­lig lahm. Die Risi­ken der um sich grei­fen­den, libe­ra­len Situa­ti­ons­mo­ral und die zahl­rei­chen, aus den Fugen gera­te­nen Ent­schei­dun­gen über­stei­gen bei wei­tem das Desa­ster, das die Jesui­ten im XVII. und XVIII. Jahr­hun­dert ange­rich­tet haben. Die unver­hält­nis­mä­ßi­gen Akkom­mo­da­ti­ons­kri­sen waren zwar damals brand­ge­fähr­lich, aber in fern­lie­gen­de Län­der wie Chi­na, Indi­en, Süd­ame­ri­ka aus­ge­la­gert. Heu­te wird die Welt­kir­che vom Jesui­ten­or­den in ihrer Sub­stanz erschüttert.

*Zuletzt von Prof. Dr. End­re A. Bár­d­os­sy auf die­ser Sei­te erschie­ne­ne Aufsätze:

Bild: Wikicommons/geschichte.univie.ac.at

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2 Kommentare

  1. Eine in sich schlüs­si­ge Auf­be­rei­tung und Kom­men­tie­rung der Geschich­te und Men­ta­li­tät der Jesui­ten. Beson­ders inter­es­sant die Vor­ge­schich­te des Jesui­ten­ver­bo­tes von 1773. Ich hal­te es aber für nicht aus­rei­chend belegt, dass den Jesui­ten a) die Auf­ruh­re und Mord­ver­su­che an den genann­ten Köni­gen unter­stellt wird, b) dass die­se damals breit publi­zier­ten Vor­wür­fe der wirk­li­che Grund für die Feind­schaft der „auf­ge­klär­ten“ Eli­te Euro­pas gegen die Jesui­ten war. Auch die fol­gen­de The­se des Autors hal­te ich für einen argu­men­ta­ti­ven Schnell­schuss, der die Ein­fluss- und Ent­wick­lungs­fak­to­ren der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on nicht ange­mes­sen berück­sich­tigt: „Der Pen­del der „auf­ge­klär­ten“ Des­po­tie der Eli­ten hat dann unwei­ger­lich in der „fin­ste­ren“ Des­po­tie der revo­lu­tio­nä­ren Volks­herr­schaft ausgeschlagen.“

  2. Ein sehr inter­es­san­ter Arti­kel. Die Pro­ble­ma­tik besteht ja nicht zuletzt dar­in, daß die Dis­zi­plin der Kir­chen­ge­schich­te im 19.Jh. weit­läu­fig ent­we­der strikt jesui­tisch oder dezi­diert anti­kle­ri­kal war. Und da sehr vie­le neue­re Autoren meist nur nach ihrer ideo­lo­gi­schen Prä­fe­renz ihren Wer­ken die­se par­tei­sche Vor­ar­beit aus dem 19.Jh. zugrun­de­le­gen, ist das auch bei neue­ren Stu­di­en oft wenig hilf­reich, da sie somit mehr oder weni­ger nur die alten Ste­reo­ty­pen wiederholen.
    Glück­li­cher­wei­se haben aber in in den letz­ten zehn Jah­ren eine Rei­he fran­zö­si­scher und ita­lie­ni­scher Geschichts­wi­sen­schaf­ter sich mit dem Pon­ti­fi­kat und der Per­son Cle­mens XIV. Ganganel­li inten­siv beschäf­tigt; auch gab es rezent in Ita­li­en meh­re­re sehr schö­ne Aus­stel­lun­gen über Papst Cle­mens XIV. Die­se Histo­ri­ker haben auf­grund ihrer Arbeit strikt ad fon­tes die­sen guten Papst gleich­sam reha­bi­li­tiert und sei­ne Per­sön­lich­keit vom lie­der­li­chen Jesui­ten­ka­the­der-Spott frei­ge­legt. Dies geschah natür­lich pri­mär außer­kirch­lich, da die Jesui­ten bis heu­te die­se Dis­zi­plin domi­nie­ren und frei­lich ihre Mythen bewahrt wis­sen wol­len. Jedoch ist löb­lich zu erwäh­nen, daß die Fran­zis­ka­ner-Mino­ri­ten die­se neu­en Stu­di­en­ar­bei­ten über die­sen guten und tugend­haf­ten Papst, der ihrem geschätz­ten Orden ent­stammt, inner­halb der Rei­he „Fon­ti E Stu­di Fran­ce­sca­ni“ des „Cen­tro Stu­di Anto­nia­ni“ immer­noch sehr unter­stüt­zen. Gut, daß man so mit­hilft, daß Cle­mens XIV. die ade­qua­te Wür­di­gung wie­der zuteil wird.

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