Der Fall Karadima und seine Folgen


Vertraulicher Brief von Papst Franziskus an die Führung der Chilenischen Bischofskonferenz: Kein Ohr für deren Sorgen und die der Gläubigen?
Vertraulicher Brief von Papst Franziskus an die Führung der Chilenischen Bischofskonferenz: Kein Ohr für deren Sorgen und die der Gläubigen?

(Rom) Die inter­na­tio­na­le Nach­rich­ten­agen­tur Asso­cia­ted Press (AP) ver­öf­fent­lich­te gestern ein ver­trau­li­ches Schrei­ben von Papst Fran­zis­kus, aus dem die Sor­ge der chi­le­ni­schen Bischö­fe über die Fol­ge­wir­kun­gen im Fall Kara­di­ma her­vor­geht, der die Kir­che in Chi­le erschüt­ter­te. Ohne es direkt zu sagen, übten sie damit auch Kri­tik an Fran­zis­kus. Der will davon nichts wis­sen und ent­schei­det in Chi­le ganz anders als im nahen Peru.

Das vertrauliche Schreiben

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Das ver­trau­li­che Schrei­ben des Pap­stes stammt vom 31. Dezem­ber 2015 und gelang­te in die Hän­de von AP, dies es weni­ge Tage vor dem Papst­be­such in Chi­le ver­öf­fent­lich­te. Fran­zis­kus ist dar­in um Beru­hi­gung bemüht und ver­spricht einen Plan zur Ein­däm­mung der Kol­la­te­ral­schä­den des Skan­dals um Fer­nan­do Karadima.

Das vertrauliche Schreiben vom 31.12.2015
Das ver­trau­li­che Schrei­ben vom 31.12.2015

Die Kri­tik der Bischö­fe an Fran­zis­kus kommt in ihrer gro­ßen Sor­ge über eine Bischofs­er­nen­nung des Pap­stes zum Aus­druck. Der Papst mach­te Juan Bar­ros Madrid am 10. Janu­ar 2015 zum Bischof von Osor­no im Süden von Chi­le. Die Ernen­nung pro­vo­zier­te eine tie­fe Spal­tung unter den Gläu­bi­gen und dem Kle­rus. Prie­ster und Lai­en pro­te­stier­ten gegen den neu­en Bischof. Ihm wird vor­ge­wor­fen Kara­di­ma gedeckt zu haben.

Man­che rech­nen damit, daß die­se Pro­te­ste kom­men­de Woche wie­der­auf­flam­men könn­ten, wenn Papst Fran­zis­kus chi­le­ni­schen Boden betritt.

In der Öffent­lich­keit stell­te sich die Bischofs­kon­fe­renz hin­ter Bar­ros, der das Ver­trau­en von Papst Fran­zis­kus genießt und daher sei­ne Ernen­nung von Rom ver­tei­digt wur­de. Hin­ter den Kulis­sen waren die Bischö­fe über die päpst­li­che Ent­schei­dung ganz und gar nicht glück­lich, wie das nun ver­öf­fent­lich­te Schrei­ben belegt, und lie­ßen das den Vati­kan auch wissen.

Bei Fran­zis­kus stie­ßen sie aber auf tau­be Ohren. Er hielt an Bar­ros fest und beschul­dig­te die Pro­te­stie­rer, gesteu­ert zu wer­den. Er gebrauch­te dabei einen Aus­druck, mit dem in Chi­le all­ge­mein die poli­ti­sche Lin­ke gemeint ist. Damals hat­ten meh­re­re Abge­ord­ne­te der Sozia­li­sti­schen Par­tei mit einer Peti­ti­on gegen die Ernen­nung von Bar­ros protestiert.

Der Plan des Nuntius

Das nun ver­öf­fent­lich­te, ver­trau­li­che Schrei­ben ist an das Stän­di­ge Komi­tee der Chi­le­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz gerich­tet. Es soll signa­li­sie­ren, daß sich Papst Fran­zis­kus um die Sache bemüht habe. Er teilt dar­in mit, über den Kon­flikt, der durch die Ernen­nung Bar­ros ent­stan­den ist, unter­rich­tet zu sein. Der Apo­sto­li­sche Nun­ti­us, so der Papst habe sich um eine Lösung bemüht, um den Scha­den in der Öffent­lich­keit zu begren­zen. Ob im Auf­trag des Pap­stes oder nicht geht nicht deut­lich hervor.

Die­ser habe Bar­ros den Rück­tritt nahe­ge­legt, der damals noch Mili­tär­bi­schof war. Er soll­te ein Sab­bat­jahr absol­vie­ren und dann wie­der an ande­rer Stel­le als Bischof tätig wer­den kön­nen. Eben­so woll­te der Nun­ti­us es zwei wei­te­ren Bischö­fen emp­feh­len, die beschul­digt wur­den, Kara­di­ma gedeckt zu haben. Bar­ros habe jedoch abge­lehnt, und so sei der Gesamt­plan kom­pro­mit­tiert gewesen.

Fran­zis­kus macht das geschei­ter­te Vor­ge­hen des Nun­ti­us dafür ver­ant­wort­lich, daß dadurch jeder wei­te­re Ver­such „kom­pli­ziert und blockiert“ wor­den sei.

Vor allem geht aus dem Schrei­ben nicht her­vor, war­um Fran­zis­kus Bar­ros dann zum Bischof von Osor­no ernann­te. Der ein­zi­ge Effekt war, daß er aus der Haupt­stadt ent­fernt und tau­send Kilo­me­ter wei­ter in den Süden ver­setzt wur­de. Erst die­se Ernen­nung rück­te sei­nen Fall aber wie­der ver­stärkt in den Fokus der Öffentlichkeit.

Der Fall Karadima

Der heu­te 87 Jah­re alte Fer­nan­do Kara­di­ma war ab 1980 Pfar­rer in einem ele­gan­ten Stadt­teil von Sant­ia­go de Chi­le, wo er ein eige­nes Exer­zi­ti­en­haus auf­ge­baut, aus dem fünf Bischö­fe her­vor­gin­gen, dar­un­ter Bar­ros und die bei­den ande­ren, die beschul­digt wer­den, sei­ne Schand­ta­ten gedeckt zu haben. Man­che Opfer behaup­ten, daß sie sogar anwe­send waren, aber nichts unter­nom­men hät­ten. Der Jour­na­list Juan Car­los Cruz, ein Kara­di­ma-Opfer, sag­te AP, daß die­se Bischö­fe, die von Kara­di­ma aus­ge­bil­det wor­den waren, dabei waren, als er miß­braucht wur­de. Sie hät­ten Kara­di­ma „geküßt und sich berührt, und jetzt haben sie alles vergessen?“

Fernando Karadima
Fer­nan­do Karadima

Als 2010 Opfer an die Öffent­lich­keit gin­gen, lei­te­te Rom Unter­su­chun­gen ein. 2011 wur­de Kara­di­ma von der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on zu einem Leben der Buße und des Gebets ver­ur­teilt. Ihm wur­de zudem unter­sagt, Kon­takt mit den Ange­hö­ri­gen sei­ner Pfar­rei auf­zu­neh­men. Heu­te lebt er iso­liert im Haus einer Schwesterngemeinschaft.

Kein Ereig­nis hat das Anse­hen der katho­li­schen Kir­che in Chi­le mehr erschüt­tert als der Fall Karadima.

Seit dem Brief von Papst Fran­zis­kus, mit dem er die Bischofs­kon­fe­renz zu beru­hi­gen ver­such­te, ist in der Sache nichts mehr gesche­hen. Alle drei Bischö­fe haben zwei Jahr danach noch ihre Bischofs­stüh­le inne. Zum Fall Bar­ros ver­tritt Fran­zis­kus den Stand­punkt, man habe alle Vor­wür­fe vor der Ernen­nung geprüft, aber nichts Stich­hal­ti­ges fin­den können.

Das Ver­fah­ren gegen Kara­di­ma vor einem staat­li­chen Straf­ge­richt ende­te übri­gens ohne Bestra­fung, weil die ihm zur Last geleg­ten Taten bereits ver­jährt waren. Die zustän­di­ge Rich­te­rin Jes­si­ca Gon­za­lez beton­te sein Schuld, und daß die Archi­vie­rung nicht aus Man­gel an Bewei­sen erfolgte.

Keine Begegnung mit Karadima-Opfern

Vati­kan­spre­cher Greg Bur­ke erklär­te, auf mög­li­che Pro­te­ste von Kara­di­ma-Opfern wäh­rend des Papst­be­su­ches ange­spro­chen, daß jeder frei sei, zu demon­strie­ren. Der Vati­kan respek­tie­re die­ses Recht. Zugleich bestä­tig­te er, daß kei­ne Begeg­nung des Pap­stes mit den Kri­ti­kern von Bischof Bar­ros geplant ist. Selbst wenn sie dar­um bit­ten wür­den, gebe es bereits ein Pro­gramm, das nicht mehr geän­dert wer­den kön­ne, so Burke.

Die­se abwei­sen­de Hal­tung ent­spricht der Posi­ti­on, die Fran­zis­kus bereits in der Ver­gan­gen­heit im Fall Bar­ros ein­ge­nom­men hat­te. Das Pro­gramm bei Papst-Besu­chen wur­de bereits mehr­fach geän­dert, das gilt beson­ders für den spon­ta­nen Fran­zis­kus. Das kate­go­ri­sche Nein wie­der­holt viel­mehr die Bot­schaft, die Fran­zis­kus chi­le­ni­schen Gläu­bi­gen auf dem Peters­platz gege­ben hat­te, als die­se ihn am Ran­de einer Gene­ral­au­di­enz spon­tan auf den Fall Bar­ros anspra­chen. Ener­gisch ver­tei­dig­te er Bar­ros und sei­ne Ent­schei­dung, ihn zum Bischof von Osor­no zu ernen­nen. Die Gläu­bi­gen soll­ten sich nicht von jenen „an der Nasen her­um­füh­ren las­sen von denen, die nur ver­su­chen, Ver­wir­rung zu stif­ten, die ver­su­chen, zu verleumden…“.

Bar­ros selbst sag­te, von AP kon­tak­tiert, nichts von dem Papst-Schrei­ben zu wis­sen und bekräf­tig­te, nie von irgend­ei­ner der von Kara­di­ma began­ge­nen Straf­ta­ten gewußt zu haben. „Weder wuß­te ich davon noch hät­te ich mir irgend etwas von dem schwe­ren Miß­brauch vor­stel­len kön­nen, den die­ser Prie­ster an sei­nen Opfern beging“.

Im benach­bar­ten Peru, der zwei­ten Etap­pe der Papst-Rei­se, ent­schied Fran­zis­kus am Mitt­woch in einem ande­ren Fall, der vor­der­grün­dig, ähn­lich gela­gert scheint, ganz anders.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL

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