Und die Revolution (Reformation) „frisst ihre weiblichen Kinder“


Katharina von Zimmern, die letzte Fürstäbtissin von Fraumünster in Zürich
Katharina von Zimmern, die letzte Fürstäbtissin von Fraumünster in Zürich. Zwei Schweizer Historikerinnen weisen auf die negativen Folgen der Reformation für die Frauen hin.

Die bei­den Schwei­ze­rin­nen Mir­jam Janett und Jes­si­ca Mei­ster wer­fen einen Schat­ten auf die statt­fin­den­den Refor­ma­ti­ons­fei­ern. Der Schat­ten liegt nicht nur auf Mar­tin Luther, son­dern eben­so auf Cal­vin und Zwing­li. Janett pro­mo­viert an der Uni­ver­si­tät Basel. Die Histo­ri­ke­rin Mei­ster ist an der Rechts­quel­len­stif­tung des Schwei­ze­ri­schen Juri­sten­ver­eins tätig. Bei­de sind am Pro­jekt Frau­en­stadt­rund­gang Zürich betei­ligt. Sie wider­spre­chen dem Lob­lied, das der­zeit auf Refor­ma­ti­on und Refor­ma­to­ren gesun­gen wird, weil sie angeb­lich Ver­tre­ter des Huma­nis­mus und einer neu­en „Offen­heit“ in der Reli­gi­on gewe­sen sei­en. Sie wären die Weg­be­rei­ter von Demo­kra­tie und Reli­gi­ons­frei­heit gewesen.

Reformation war für Frauen kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt

Anzei­ge

Dem geüb­ten Ohr klin­gen die Voka­beln zu wohl­be­kannt und zu aktu­ell, um sie nicht als zeit­gei­stig zu erken­nen. Auf weni­ger geüb­te Ohren mögen sie aber viel­leicht authen­tisch wirken.

Wider­spruch ist daher ange­bracht und kommt in die­sem Fall von ver­meint­lich uner­war­te­ter, näm­lich femi­ni­sti­scher Sei­te. Das Nar­ra­tiv von „Moder­ne“, „Offen­heit“, „Huma­nis­mus“, Men­schen­rech­te“ und „Demo­kra­tie“ stim­me im Zusam­men­hang mit der Refor­ma­ti­on nicht, sagen Mir­jam Janett und Jes­si­ca Mei­ster im Schwei­zer Tages-Anzei­ger. Sie beleuch­ten die Aus­wir­kun­gen der Refor­ma­ti­on für die Frau­en. Für die Frau­en sei die Refor­ma­ti­on kein Fort­schritt, son­dern ein Rück­schritt gewe­sen, so die bei­den Autorinnen.

Fraumünster in Zürich (von Hans Leu)
Frau­mün­ster in Zürich (von Hans Leu)

In Zürich lag das Schick­sal der Stadt am Vor­abend der Refor­ma­ti­on über­haupt in der Hand einer Frau, was zei­ge, daß Frau­en im Mit­tel­al­ter durch­aus und sogar – für spä­te­re Jahr­hun­der­te völ­lig unge­wohnt – hohe Stel­lun­gen in Staat und Gesell­schaft inne­ha­ben konn­ten. Es han­del­te sich um die Äbtis­sin Katha­ri­na von Zim­mern (1478–1547). Sie muß auf ihre Stel­lung ver­zich­ten, damit die Refor­ma­ti­on in der Stadt nicht gewalt­tä­ti­ge Züge annimmt. So weicht sie der dro­hen­den Gewalt und muß die Schlüs­sel der reichs­un­mit­tel­ba­ren Frau­mün­ster­ab­tei dem männ­li­chen Zür­cher Rat über­ge­ben. Die Autorin­nen las­sen dabei offen, ob sie per­sön­lich mit der Refor­ma­ti­ons­be­we­gung viel­leicht sym­pa­thi­sier­te. An den Aus­wir­kun­gen ändert es nichts. Die Abtei übte vom 700 Jah­re einen nicht uner­heb­li­chen Ein­fluß in der Stadt aus. Kai­ser hat­ten teils per­sön­lich die Reichs­vog­tei über das Bene­dik­ti­ne­rin­nen­klo­ster inne, so bedeut­sam war die Abtei. Bis zuletzt konn­te die Äbtis­sin durch ihre Gna­den­recht Gerichts­ur­tei­le in der Stadt Zurück aufheben.

„Wie so oft frisst die Revolution ihre (weiblichen) Kinder“

Die Refor­ma­to­rin­nen, Frau­en, die mit der Refor­ma­ti­on sicher sym­pa­thi­sie­ren und selbst in deren Sin­ne aktiv wur­den, hat­ten unter den Refor­ma­to­ren einen schlech­ten Stand. Das gilt für Marie Den­tiè­re in Genf eben­so wie für Argu­la von Grum­bach in Bayern.

Das Resü­mee von Janett und Meister:

„Wie so oft währt der Früh­ling der Revol­te nicht lan­ge. Bald schon frisst die Revo­lu­ti­on ihre weib­li­chen Kinder.“

Der Hand­lungs­spiel­raum der Frau­en sei durch die Refor­ma­to­ren stark beschnit­ten worden.

„Die Ehe erhe­ben sie zum Ide­al, von den Auto­ri­tä­ten peni­bel über­wacht, die nach 1525 über Ehe­streit, Ehe­bruch, vor­ehe­li­chen Bei­schlaf und ande­res mehr zu urtei­len haben.“

Wappen von Äbtissin Katharina von Zimmern
Wap­pen von Äbtis­sin Katha­ri­na von Zimmern

Die Autorin­nen gehen nicht dar­auf ein, doch tat­säch­lich fin­det durch Luther eine radi­ka­le Umin­ter­pre­ta­ti­on der Ehe statt. Das Ehe­sa­kra­ment ver­wirft er wie fast alle Sakra­men­te. Die Ehe ist für ihn nur „ein welt­lich Ding“, das vor allem der Auf­recht­erhal­tung der Ord­nung, der Kin­der­zeu­gung und zur Zäh­mung der Begier­den dient. An die­ser Stel­le kann nicht auf die zwei Ebe­nen von Luthers Ehe­leh­re und die dar­aus fol­gen­de Ände­rung im Rol­len­bild und den dar­aus fol­gen­den Kon­se­quen­zen ein­ge­gan­gen wer­den. Janett und Mei­ster las­sen jedoch deut­lich anklin­gen, daß die pro­te­stan­ti­sche Refor­ma­ti­on für die Frau­en im Ver­hält­nis zum aus­ge­hen­den katho­li­schen Mit­tel­al­ter eine Ver­schlech­te­rung brach­te. In Luthers Ehe- und Fami­li­en­mo­dell sei für eine Eben­bür­tig­keit der Frau gegen­über ihrem Mann kein Platz. Das habe sich auf die gesam­te Gesell­schaft ausgewirkt.

Spätmittelalterliche Gesellschaft kannte Alternativen für Frauen

Janett und Mei­ster dazu:

„Die spät­mit­tel­al­ter­li­che Stadt­ge­sell­schaft hat­te noch Alter­na­ti­ven zum Leben als Ehe­frau gekannt: Die von der Refor­ma­ti­on auf­ge­ho­be­nen Klö­ster bil­de­ten einen wich­ti­gen Frei­raum für Frau­en, in dem sie sich Bil­dung aneig­nen, ein selbst­be­stimm­tes unver­hei­ra­te­tes Leben füh­ren oder gar – wie Katha­ri­na von Zim­mern – Macht und Ein­fluss erlan­gen konnten.
In den Städ­ten führ­ten Frau­en erfolg­reich eige­ne Geschäf­te. Wit­wen und Unver­hei­ra­te­te orga­ni­sier­ten sich in Zünf­ten und ent­schie­den über ihr Vermögen.
In Zürich etwa ver­mach­te eine Frau ihr gan­zes Ver­mö­gen der Toch­ter, weil ihr Sohn, «wie man weyst, gantz lie­der­lich hus gehal­ten» habe. Begi­nen – christ­li­che Frau­en­ge­mein­schaf­ten – sorg­ten als Kran­ken­pfle­ge­rin­nen oder Webe­rin­nen für ihren eige­nen Lebens­un­ter­halt. Pro­sti­tu­ier­te hat­ten, wenn auch am Ran­de, einen Platz im sozia­len Gefüge.“

„Zunehmend verschwindet das «Weib» im privaten Bereich“

Durch die pro­te­stan­ti­sche Refor­ma­ti­on sei Schluß damit gewe­sen, da sie ein neu­es Frau­en- und Fami­li­en­mo­dell durchsetzt:

„Damit ist nun Schluss. Die Refor­ma­to­ren schaf­fen ein neu­es Fami­li­en­mo­dell, das in den kom­men­den Jahr­hun­der­ten mit dem Auf­stieg des Bür­ger­tums in die Degra­die­rung des weib­li­chen Geschlechts mündet.
So ste­hen bis 1881 unver­hei­ra­te­te Frau­en unter der Vor­mund­schaft ihres Vaters, ihres Bru­ders oder ande­rer männ­li­cher Ver­wand­ter. Ver­hei­ra­te­te Frau­en brau­chen noch bis Anfang des 20.Jahrhundert die Ein­wil­li­gung des Ehe­manns, um einen Beruf aus­zu­üben, ein Geschäft zu füh­ren oder über ihr Ver­mö­gen zu bestim­men. Vor dem Gesetz gel­ten sie als hand­lungs­un­fä­hig, ste­hen auf glei­cher Stu­fe wie ihre unmün­di­gen Kinder.“

Die bei­den Histo­ri­ke­rin­nen schrei­ben die Nega­tiv­ent­wick­lu­ung für Frau­en dem Den­ken Luthers, Cal­vins und Zwinglis:

„Zuneh­mend ver­schwin­det das «Weib» im pri­va­ten Bereich.“

Dazu schrei­ben Janett und Meister:

„Bezeich­nend für die Ent­wick­lung: Mit der Abschaf­fung des Hei­li­gen­kults machen vie­le weib­li­che Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren dem ein­zi­gen männ­li­chen Gott Platz, allen vor­an die hei­li­ge Maria.“

Reformatorisches Frauenbild und Hexenwahn

An die­ser Stel­le wäre auch das The­ma Hexen­jag­den zu behan­deln, das Janett und Mei­ster nicht anspre­chen. Von anti­ka­tho­li­scher Sei­te wur­de die­ses Schreckens­phä­no­men seit der Auf­klä­rung ein­sei­tig der katho­li­schen Kir­che ange­la­stet. So hat es sich stark im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis ein­ge­pflanzt. In Wirk­lich­keit han­delt es sich dabei vor allem um ein pro­te­stan­ti­sches und schwer­punkt­mä­ßig um ein deut­sches Phä­no­men, wo der Ein­fluß des pro­te­stan­ti­schen Hexen­wahns auch katho­li­sche Volks­schich­ten erreichte.

Hexenverbrennung im protestantischen Nürnberg
Hexen­ver­bren­nung im pro­te­stan­ti­schen Nürnberg

Obwohl die Inqui­si­ti­on, beson­ders die Spa­ni­sche und die Römi­sche Inqui­si­ti­on als Pro­to­ty­pen von will­kür­li­chen und blut­rün­sti­gen Ver­fol­gungs­or­ga­nen und Schreckens­re­gi­men­tern im Bewußt­sein ver­an­kert sind, wozu Lite­ra­ten wie Schil­ler, Dosto­jew­ski und Brecht und im 20. Jahr­hun­dert die Pro­pa­gan­di­sten von Sozia­lis­mus und Natio­nal­so­zia­lis­mus bei­getra­gen haben, weiß man heu­te, daß bei­den Inqui­si­tio­nen zu Unrecht ein schlech­ter Ruf anhaf­tet. Als Straf­ver­fol­gungs­or­ga­ne lei­ste­ten sie sogar maß­geb­li­che Bei­trä­ge zur Wei­ter­ent­wick­lung zur garan­tier­ten Rechts­staat­lich­keit und zur Abschaf­fung von Willkür.

Was die Opfer­zah­len angeht, so weiß man heu­te, daß die bei­den Inqui­si­tio­nen zusam­men weni­ger Men­schen hin­rich­ten lie­ßen als die pro­te­stan­ti­sche Stadt Nürn­berg allei­ne. Abge­se­hen davon, daß die Inqui­si­ti­on in einem ande­ren Bereich tätig war – die Gleich­set­zung von Inqui­si­ti­on und Hexen­wahn in der Regel man­geln­der Sach­kennt­nis ent­spricht –, sind die genau­en Zah­len für die Römi­sche und die Spa­ni­sche Inqui­si­ti­on bekannt. Für das Phä­no­men Hexen­ver­fol­gung sind sie es nur teilweise.

Das neben­ste­hen­de Bild wird bei­spiels­wei­se bei Wiki­pe­dia dem Ein­trag „Inqui­si­ti­on“ zuge­ord­net, obwohl es eine Hexen­ver­bren­nung in der pro­te­stan­ti­schen Stadt Nürn­berg zeigt.

Seit Ende 2012 ent­steht im Rah­men des Muse­ums Schloß Wil­helms­burg im thü­rin­gi­schen Schmal­kal­den eine Daten­bank für alle Hexen­pro­zes­se, die im Hei­li­gen Römi­schen Reich Deut­scher Nati­on statt­fan­den. Die Brei­te des For­schungs­pro­jekts ist dabei von beson­de­rem Wert und läßt mit Span­nung die Ergeb­nis­se erwar­ten, die empi­risch gesi­cher­te und umfas­sen­de Aus­kunft versprechen.

Die bei­den Histo­ri­ke­rin­nen Janett und Mei­ster kommt das Ver­dienst zu, auf eine grund­sätz­li­che Schlech­ter­stel­lung der Frau durch die pro­te­stan­ti­sche Refor­ma­ti­on auf­merk­sam gemacht zu haben, deren Fol­gen erst im spä­ten 19. und 20. Jahr­hun­dert kor­ri­giert wur­den. Die zeit­li­che Par­al­le­li­tät zwi­schen die­ser Ent­wick­lung und dem Hexen­wahn bekräf­tigt die The­se der bei­den Schweizerinnen.

Text: Johan­nes Thiel
Bild: Wikiwand/​Wikicommons

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1 Kommentar

  1. Ja das fin­de ich auch. Die Katho­li­sche Kir­che gibt als eine der ganz weni­gen Reli­gio­nen an Frau­en die Frei­heit und einen Aus­weg falls sie nicht hei­ra­ten wollen.

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