Dignitas hatte suizidwillige Deutsche zu Prozess angestiftet. Ökonomische Argumente mischen sich schleichend in die Suizid-Debatte


Erst kürz­lich hat­te in Deutsch­land ein Urteil des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts Leip­zig hef­ti­ge Kri­tik her­vor­ge­ru­fen: Pati­en­ten sol­len in Aus­nah­me­fäl­len das Recht auf ein töd­li­ches Medi­ka­ment zum Zweck der Selbst­tö­tung haben, sofern pal­lia­tiv­me­di­zi­ni­sche Maß­nah­men bereits aus­ge­schöpft wur­den. Die Urteils­be­grün­dung dürf­te erst in zwei Mona­ten vor­lie­gen, inzwi­schen wur­den jedoch Details zu den Hin­ter­grün­den des tra­gi­schen Fal­les öffentlich.

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Frau K. war nach einem Unfall quer­schnitt­ge­lähmt, muß­te beam­tet wer­den, war jedoch wei­ter­hin ansprech­bar. Sie wur­de Mit­glied der geschäfts­mä­ßig täti­gen Ster­be­hel­fer-Orga­ni­sa­ti­on Digni­tas in der Schweiz. Die­se stif­te­te Frau K. dazu an, einen Muster­pro­zeß her­bei­zu­füh­ren mit dem Ziel, ein Recht auf Erhalt einer töd­li­chen Medi­ka­men­ten­do­sis zu erkämp­fen. Es ging in die­sem Ver­fah­ren zu kei­nem Zeit­punkt um einen ärzt­lich assi­stier­ten Sui­zid, son­dern von Anfang an um einen Sui­zid mit Unter­stüt­zung der umstrit­te­nen Schwei­zer Orga­ni­sa­ti­on, der dann Anfang 2005 auch so in Zürich durch­ge­führt wur­de. Die Frau habe dem Vor­schlag, ein Rechts­ver­fah­ren ein­zu­lei­ten, „sofort zuge­stimmt, (…) obwohl das ihre Lei­dens­zeit um eini­ge Mona­te ver­län­ger­te“, gab der 85jährige Lud­wig Minel­li, Grün­der von Digni­tas, bei der Ein­ver­nah­me an. In der aus­führ­li­chen Behand­lungs­ge­schich­te, mit der Frau K.s Ehe­mann nach ihrem Tod bis zum Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te ging, ist weder von einer pal­lia­tiv­me­di­zi­ni­schen Bera­tung noch Ver­sor­gung die Rede, berich­tet die FAZ.

Das Leip­zi­ger Urteil kommt den Befür­wor­tern einer Libe­ra­li­sie­rung der Ster­be­hil­fe gele­gen. Der­zeit sind 13 Ver­fas­sungs­be­schwer­den gegen das Ver­bot der Sui­zid­bei­hil­fe als Dienst­lei­stung in Deutsch­land anhän­gig. Ende 2015 hat­te der Deut­sche Bun­des­tag im § 217 des Straf­ge­setz­bu­ches die sog. geschäfts­mä­ßi­ge För­de­rung der Selbst­tö­tung aus­drück­lich ver­bo­ten. Es dro­hen bis zu drei Jah­re Haft. Bis Ende April soll der Deut­sche Bun­des­tag zu den Beschwer­den Stel­lung neh­men. Sie kom­men u. a. von Ster­be­hil­fe-Ver­ei­nen, denen das Gesetz zu wenig libe­ral ist. Aber auch ein aus renom­mier­ten Ärz­ten bestehen­des Arbeits­bünd­nis Kein assi­stier­ter Sui­zid in Deutsch­land! wand­te sich an die Rich­ter. Sie hal­ten das Gesetz für zu wenig restrik­tiv. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) in Karls­ru­he will dar­über bis Jah­res­en­de entscheiden.

In die aktu­el­le Debat­te mischen sich inzwi­schen neue Töne, die die öko­no­mi­schen Vor­tei­le des assi­stier­ten Sui­zids unter­strei­chen. So tritt der Münch­ner Anwalt Johan­nes Fia­la unter dem Titel Chan­ce für Bei­trags­sen­kung durch Ster­be­hil­fe (pro­con­tra – ein Maga­zin, das sich an die Finanz- und Ver­si­che­rungs­wirt­schaft rich­tet) offen dafür ein, dass pri­va­te Kran­ken­ver­si­che­rer (PKV) „zur Ster­be­hil­fe bera­ten müs­sen“. Pati­en­ten, die frei­wil­lig auf lebens­ver­län­gern­de The­ra­pien ver­zich­ten, könn­ten mit „Lei­stun­gen“ belohnt wer­den – etwa durch gerin­ge­re Beitragszahlungen.

Außer­dem soll­ten die Ver­si­che­rungs­neh­mer laut Fia­la dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, daß lebens­ver­län­gern­de Behand­lung mit künst­li­cher Ernäh­rung unter bestimm­ten Umstän­den nicht mehr bezahlt wür­den. Wenn die PKV etwa „jah­re­lang ster­bens­kran­ke Demen­te künst­lich ernährt“, wür­den sie unge­recht­fer­tigt Geld aus­ge­ben und außer­dem „einen Gna­den­akt und Akt der Erlö­sung“ ver­hin­dern, heißt es in dem Kommentar.

Für IMA­BE-Direk­tor Johan­nes Bonel­li, selbst Inter­nist, gehen sol­che Aus­sa­gen an der Wirk­lich­keit vor­bei: „Demen­te kön­nen, wenn sie wirk­lich ‚ster­bens­krank’ sind, auch nicht durch künst­li­che Ernäh­rung jah­re­lang am Leben erhal­ten wer­den“, so der Medi­zi­ner. Stu­di­en hät­ten gezeigt, daß sol­che Pati­en­ten unter künst­li­cher Ernäh­rung nicht län­ger leben als ohne. Und: „Chro­nisch kran­ke Men­schen mit Demenz sind nicht per se Ster­ben­de, sie haben ein Recht auf opti­ma­le Ver­sor­gung und lebens­er­hal­ten­de Maß­nah­men“, betont Bonel­li. Es sei bedenk­lich, wenn Juri­sten Ster­be­hil­fe auf irri­ge Wei­se umde­fi­nie­ren, und aus den bestehen­den Geset­zen einen Strick dre­hen, etwa mit der Aus­sa­ge, man kön­ne man Pati­en­ten ins künst­li­che Koma ver­set­zen (Pal­lia­ti­ve Sedie­rung), dabei gleich­zei­tig ihre Ernäh­rung unter­sa­gen, um so den Tod „ganz legal“ her­bei­zu­füh­ren. Die­se Annah­me ist irrig, betont der IMABE-Direktor.

„Sowohl die pal­lia­ti­ve Sedie­rung bei gro­ßen Schmer­zen als auch die Reduk­ti­on oder der Abbruch von künst­li­cher Ernäh­rung haben natür­lich ihren Platz im Umgang mit Ster­ben­den, um Sym­pto­me zu lin­dern und den Ster­be­pro­zeß nicht unnö­tig zu ver­län­gern“, erklärt der Wie­ner Inter­nist und ehe­ma­li­ge Ärzt­li­che Direk­tor des Kran­ken­hau­ses St. Eli­sa­beth. IMABE hat dazu eige­ne Emp­feh­lun­gen für Ärz­te erar­bei­tet (vgl. Kon­sens. The­ra­pie­re­duk­ti­on und The­ra­pie­ver­zicht 2006). „Wer die­se Maß­nah­men jedoch nicht medi­zi­nisch indi­ziert oder mit Tötungs­ab­sicht ein­setzt, bewegt sich im ethi­schen Sumpf der Bei­hil­fe zur Selbst­tö­tung oder Tötung auf Ver­lan­gen“, dif­fe­ren­ziert Bonelli.

Zu mei­nen, dass ein Ver­bot der Sui­zid­bei­hil­fe die Pal­lia­tiv­me­di­zin kri­mi­na­li­sie­re, gehe kom­plett an der medi­zi­ni­schen Pra­xis vor­bei, betont auch der Pal­lia­tiv­me­di­zi­ner und Medi­zin­ethi­ker Ste­phan Sahm in der FAZ am Sonn­tag (28.3.2017). Wie bei jedem medi­zi­ni­schen Ein­griff kann es zu einer in Kauf genom­me­nen Lebens­ver­kür­zung kom­men, etwa bei der Gabe von Schmerz­mit­teln. Was dabei laut Sahm aber außer Acht gelas­sen wird, ist, daß eine kunst­ge­rech­te Schmerz­the­ra­pie viel sel­te­ner uner­wünsch­te, oder gar töd­li­che Fol­gen her­vor­ruft als ande­re Behand­lun­gen wie etwa die Ope­ra­ti­on einer Gal­len­bla­se, Ein­grif­fe an der Bauch­spei­chel­drü­se oder die Ver­schrei­bung von Mit­teln zur Behand­lung von Stö­run­gen des Herz­rhyth­mus. „Nie­mand käme auf die Idee, Ärz­ten, die zu einer die­ser Maß­nah­men grei­fen, auch nur den Hauch einer Tötungs­ab­sicht zu unter­stel­len“, so der Palliativmediziner.

Auch die Deut­sche Gesell­schaft für Pal­lia­tiv­me­di­zin (DGP) hält fest, daß Deutsch­land kei­ne neu­er­li­che Revi­si­on der gesetz­li­chen Rege­lung brau­che: „Grund­sätz­lich bestehen zwi­schen einer auf die Her­bei­füh­rung des Todes zie­len­den Sui­zid­bei­hil­fe und einer Pal­lia­tiv­ver­sor­gung von schwer kran­ken Men­schen deut­li­che Unter­schie­de, die klar erkenn­bar und benenn­bar sind“, heißt es in der Stel­lung­nah­me der DGP.

Text: IMABE, Bild: Can­di­da Performa

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2 Kommentare

  1. Den von Ihnen zitier­ten Text der Autoren Dr. Fia­la und Schramm in ‚pro­con­tra-online‘ haben wir mit Befrem­den zur Kennt­nis genom­men. Als Spre­cher des Ver­ban­des der Pri­va­ten Kran­ken­ver­si­che­rung (PKV) distan­zie­re ich mich auf das Schärf­ste von die­sem Mach­werk. Die Pri­va­te Kran­ken­ver­si­che­rung tritt für eine sehr gute und mensch­li­che Ver­sor­gung von Pati­en­ten in jeder Lebens­la­ge und beson­ders auch am Lebens­en­de ein. Die Autoren hin­ge­gen plä­die­ren allen Ern­stes für ein akti­ves Ange­bot von „Ster­be­hil­fe­lei­stun­gen“ durch Ver­si­che­run­gen und begrün­den dies u.a. mit dem „Vor­teil der Ein­spa­rung von Lei­stun­gen und damit Abmil­de­rung von Bei­trags­er­hö­hun­gen“ (sic!). Die­ses Mach­werk hat in der Ver­si­che­rungs­bran­che und auch bei mir per­sön­lich Abscheu und Empö­rung aus­ge­löst. Die Autoren ver­ste­hen offen­kun­dig nichts vom hip­po­kra­ti­schen Eid der Medi­zi­ner und vom respekt­vol­len Umgang mit Ster­ben­den. Das Wesen jeder Kran­ken­ver­si­che­rung als prak­ti­zier­te Soli­da­ri­tät der Gesun­den mit den Kran­ken scheint ihnen eben­falls völ­lig fremd zu sein.
    Ste­fan Reker (Ber­lin, Spre­cher des PKV-Verbandes)

    • Dan­ke für die­se Klar­stel­lung. Die zurecht kri­ti­sier­ten Autoren asso­zi­ie­ren mit der Frei­heit des Pri­va­ten ledig­lich die Mög­lich­keit ver­meint­lich öko­no­mi­scher Opti­mie­rung und prä­sen­tie­ren uns damit ledig­lich ihr eige­nes Welt­bild. Der pri­va­te Mensch hin­ge­gen sucht heu­te ja oft genug im Pri­va­ten noch die Ethik, zumin­dest für sich und die Sei­nen zu ret­ten, die im all­ge­mei­nen Staats­so­zia­lis­mus ver­lo­ren­ge­hen muß.

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