(Rom) Kardinal Gerhard Müller, Präfekt der Glaubenskongregation, ist sichtlich verärgert. Er hatte in jüngster Zeit mehrfach Anlaß dazu gehabt. Nicht immer ist es ihm möglich, zu reagieren. Stillschweigend akzeptiert er aber nicht alles. Nun reagierte er auf den Rücktritt von Marie Collins.
Der Rücktritt der irischen Ordensfrau Marie Collins als Vorsitzende der Päpstlichen Kommission zum Schutz von Minderjährigen wurde von einem Teil der Medien in eine Anklage gegen die Glaubenskongregation umgemünzt, die von Kardinalpräfekt Müller geleitet wird. Das erstaunte. Müller ist für eine praktizierte Nulltoleranz bekannt. Daß ausgerechnet er die Arbeit der Anti-Pädophilen-Kommission behindert haben sollte, war eine harte Anklage. Eine Anklage, die mit den Fakten nicht zusammenpassen will.
„Fake News“ aus und über den Vatikan
Die Darstellung der Medien, ausgehend von Agenturberichten, war jedoch einseitig. Der Rücktritt wurde regelrecht ausgenützt, um bei einem so heiklen Thema die Position von Kardinal Müller und seiner Glaubenskongregation in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Die „böse Glaubenskongregation“ ist ein Klischee, das gar nicht wenige immer bereitwillig glauben wollen. Der Zusammenhang „böse Glaubenskongregation“ und Behinderung der Verfolgung pädophiler Kleriker und der Anti-Pädophilen-Prävention ergibt erst recht eine skandalträchtige Mischung. Nur: Die Sache stimmt so nicht. Sie ist eine Medienente, oder anders ausgedrückt Fake News, wie man derzeit so gerne zu sagen pflegt. Zufall, schlechte Recherche, Desinformation, versuchte Einflußnahme in innerkirchliche Angelegenheiten?
Die Linie der Nulltoleranz, die Kardinal Müller in Sachen sexuellem Kindesmißbrauch verfolgt, ist authentisch. Anders sieht es mit dem Kurs von Papst Franziskus aus. Wer gute Kontakte zu engen Papstvertrauten oder zum Papst selbst hat, wird sanfter behandelt, als jene, die nicht über diese Kontakte verfügen. Das Stichwort Don Mercedes soll genügen, um diese Linie des zweierlei Maßes zu benennen. Die Entlassung von drei Mitarbeitern der Glaubenskongregation, die der Papst persönlich anordnete und gegen den Willen von Kardinal Müller durchsetzte, steht ebenfalls im Zusammenhang mit dem Thema. Zwei der drei Entlassenen waren mit der Strafverfolgung von klerikalen Tätern befaßt, und ihre Entlassung erfolgte nicht, weil sie mit zweierlei Maß gemessen hätten. Sie vertraten die Nulltoleranz-Linie von Kardinal Müller, die noch von Papst Benedikt XVI. ausgegeben worden war.
Kardinal Müllers Verteidigung – Der Fall des chilenischen Bischofs
Eine Reihe von Zusammenhängen kann Kardinal Müller zu seiner eigenen Rechtfertigung und zum Schutz seines Dikasteriums nicht öffentlich geltend machen, weil sie schnell nach einer Kritik an Papst Franziskus aussehen könnten. Dennoch wollte er die Angriffe nicht auf sich sitzen lassen und formulierte eine Verteidigung. Die von den Medien auf die Kongregation gemünzte Kritik der zurückgetretenen Marie Collins, wies er mit dem Hinweis zurück, daß die „Anti-Mißbrauchs-Kommission die Kongregation bisher nur um die Versendung von Briefen gebeten hat“. Im Klartext: Welche Behinderung soll stattgefunden haben, wenn die Kommission von der Kongregation gar nichts wollte, und daher auch nichts abgelehnt werden hätte können.
Konkreter Anlaß für Collins Rücktritt, die selbst als Kind mißbraucht worden war, ist der Fall eines chilenischen Bischofs, dessen Absetzung Collins gefordert hatte. Da dieser auch nach wiederholter Aufforderung nicht erfolgte, setzte sie nach vorheriger Androhung ihren Schritt des Protestes. Schutzschild für den genannten Bischof ist aber nicht die Glaubenskongregation, sondern Papst Franziskus selbst. Konkret geht es dabei um den Bischof der chilenischen Diözese, Msgr. Juan de la Cruz Barros Madrid. Franziskus hatte ihn selbst 2015 zum Bischof von Osorno ernannt. Sofort empörten sich Opferorganisationen über die Ernennung. Franziskus hält jedoch an Bischof Barros Madrid fest und wies in Rom sogar chilenische Gläubige zurecht, die ihm ihr Anliegen vorbringen wollten (siehe Der Bischof von Osorno hat einen Super-Anwalt: Papst Franziskus samt Video der Zurechtweisung). Nicht dem Bischof wird sexueller Mißbrauch vorgeworfen, sondern einem in Chile sehr bekannten Priester, Fernando Karadima, den er gedeckt haben soll.
Kardinal Müllers grundsätzlichere Kritik: „Schluß mit dem Klischee“
Deutlicher wird die Verteidigung Müllers also in einem weiteren Satz, wenn er ein verbreitetes Klischee angreift: „Schluß mit diesem Klischee, daß der Papst auf einer Seite steht und die Widerständler auf der anderen“. So wird der Purpurträger von Matteo Matzuzzi in der gestrigen Sonntagsausgabe von Il Foglio bereits im Titel zitiert.
Daß Kardinal Müller seine Aussage keineswegs nur auf die Sache Anti-Pädophilen-Kommission münzte, geht aus seiner Wortwahl hervor. Das Zitat geht auf ein Interview des Kardinalpräfekten mit Gian Guido Vecchi vom Corriere della Sera zurück. Wörtlich hatte Müller gesagt:
„Ich denke, daß man diesem Klischee ein Ende setzen sollte, der Vorstellung, daß auf der einen Seite ein Papst ist, der die Reform will, und auf der anderen Seite eine Gruppe von Widerständlern, die sie blockieren wollen.“
Die Worte ließen sich auch so übersetzen, um ihre Brisanz zu erkennen. Er ist wohl auf den Konflikt um die Anti-Pädophilen-Kommission gemünzt, läßt sich jedoch auch in einem generellen Kontext lesen. „Schluß mit dem Klischee, daß dieser Papst auf der Seite der Guten und die Widerständler auf der Seite der Bösen stehen.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
Da man Kard. Müller keine großen Verfehlungen vorwerfen kann, hat ein Kleinkrieg gegen ihn und seine Glaubenskongregation begonnen. Cui bono? Sicherlich nicht den Missbrauchsopfern und erst recht nicht der in ihrem Glauben so orientierungslos gewordenen Kirche. Wird der Papst sich zumindest durch ein erkennbares Zeichen hinter Müller stellen? Jedenfalls sollte ihm bewusst geworden sein, dass sein Schweigen – wie im Fall der „Dubia“ – das Klima des Misstrauens und der Verunsicherung, der Verwirrung also, in der Kirche noch weiter fördern wird.
Klischee? Mittlerweile sieht es aus wie ein Kampf zwischen Gut und Boese, d.h. fuer Christus und die Wahrheit oder dagegen.
Vorab: auch ich folge dem Papst-Franziskus-Hype nicht. Aber ganz bestimmt aus anderen Gründen, als sie Mitbrüder des aktuellen Papstes anführen.
Eine Anregung zum Inhalt des Artikels möchte ich geben: bei Pädophilie im klinischen Sinne handelt es sich um eine schwere Persönlichkeitsstörung. Der daran Erkrankte bewegt sich permanent am Rande einer Geisteskrankheit, sein schwerer Narzissmuss kann schizoide Züge annehmen. So etwas ist sehr ernst, in erster Linie für die Opfern von pädophilen Missbrauchstätern. Aber schon allein, dass Pädophile erwiesenermaßen häufiger zu Suchtmitteln greifen oder depressiv werden zeigt, dass dieser Tätertyp unter seiner schweren Störung leidet. Wenn im Artikel von einer „Anti-Pädophilen-Kommission“ die Rede ist oder von „Anti-Pädophilen-Prävention“ dann handelt es sich vermutlich um eine Unbedachtheit. Zum Einen, weil wir auch bei Straftaten zwischen dem Menschen und dem, was er sich hat zu Schulden kommen lassen unterscheiden sollten. Aber vor Allem, weil zwar die Rate an pädophil Kranken unter den Priestern, die Missbrauchsverbrechen begehen höher zu sein scheint als in der sonstigen Bevölkerung, die meisten dieser Täter aber gar nicht pädophil sind. Sondern eher dem Typus des psychosozial verwahrlosten Menschen entsprechen. Diese Leute sind nicht unbedingt krank, aber weisen leider einen durchgängig übergriffigen Charakter auf. Übrigens hat meines Wissens noch niemand umfassend untersucht, wie viele Missbrauchstäterinnen es unter den Ordensfrauen gab bzw. immer noch gibt. Den Berichten von Ehemaligen Heimkindern zu Folge ist auch ihre Zahl hoch.
Weiter unten im Artikel heißt es dann auch passender „Anti-Missbrauch“. Mir gefällt die Kampagne des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des Sexuellen Kindesmissbrauchs so gut, weil sie dazu aufruft, dem Phänomen keinen Raum zu geben. Aber nicht Menschen mit „Anti“-Haltungen zu begegnen. Täterinnen und Täter brauchen zwar straffe Grenzen, denn das ist der Ursache ihrer Fehlentwicklung geschuldet. Aussondern und abwehren dürfen wir sie nicht. Wir sollten ihnen die Möglichkeit geben, ihre mutmaßlich von Traumen und schlechten Vorbildern geprägte Kindheit und Jugend aufzuarbeiten, nachzureifen und dadurch bessere Menschen zu werden. Denn (sexuelle) Übergriffigkeit ist keine Ausnahme, sondern weit verbreitet und tief in unserer Kultur verankert, was gerade in unseren Traditionen rund um Partnersuche, Eheschließung, Zeugung und Geburt zum Ausdruck kommt. Missbrauchsprävention fängt daher immer bei uns selbst an.
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden