Luthers Kehrtwende vom Reformer zum Kirchenspalter (II)


Martin Luther als "Weltenrichter": Abendmahl der Protestanten und Höllensturz der Katholiken
Martin Luther als "Weltenrichter": Abendmahl der Protestanten und Höllensturz der Katholiken

Pro­te­stan­ten nei­gen dazu, ihren Prot­ago­ni­sten Mar­tin Luther legen­da­risch zu ver­klä­ren. Im Vor­feld des luthe­ri­schen Refor­ma­ti­ons­ju­bi­lä­ums bemüht sich auch Papst Fran­zis­kus offen­sicht­lich, den Luthe­ra­nern schmei­chelnd ent­ge­gen­zu­kom­men. Es droht eine Öku­me­ne der Resi­gna­ti­on (Joseph Ratz­in­ger), die nicht mehr nach der Wahr­heit fragt. In die­ser Situa­ti­on wirkt ein Neu­stu­di­um des Luther-Buches von Paul Hacker klarstellend.

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Ein Gast­bei­trag von Hubert Hecker.

Hacker publi­zier­te sein Buch Das Ich im Glau­ben bei Mar­tin Luther 1966. Damals wur­de das luther­kri­ti­sche Werk als Sen­sa­ti­on wahr­ge­nom­men. Ein Ergeb­nis sei­ner Stu­di­en bestand in dem Nach­weis, dass schon Luther selbst an einer fal­schen Lebens- und Lehr­le­gen­de gestrickt hatte.

Paul Hackers unbestechlicher Wahrheitssinn …

Hacker unter­sucht in sei­nem Buch, wie sich Luthers Glau­bens­ver­ständ­nis von den vor­pro­te­stan­ti­schen Publi­ka­tio­nen bis zur end­gül­ti­gen Abkehr von der katho­li­schen Kir­che um etwa 1520 wan­del­te. Sei­ne Fra­gen lau­ten unter ande­rem: Wie kam Luther zu sei­nem zen­tra­len Begriff von der Gerecht­ma­chung Got­tes? Wie steht die gött­li­che Gerech­tig­keit zu Got­tes Gna­de und Barm­her­zig­keit, aber auch dem gött­li­chen Gericht? Kar­di­nal Josef Ratz­in­ger beschei­nig­te der Neu­her­aus­ga­be von Hackers Buch im Jah­re 2002 eine blei­ben­de Aktua­li­tät. Mit der von Kar­di­nal Kas­per initi­ier­ten und Papst Fran­zis­kus über­nom­me­nen The­se von der Vor­ran­gig­keit der Barm­her­zig­keit vor Gerech­tig­keit bekommt Hackers Buch aktu­el­le Bri­sanz. Hackers Werk ist zugleich ein Ein­spruch gegen einen Öku­me­nis­mus der Resi­gna­ti­on, der es für alt­mo­disch hält, sich noch um die Wahr­heit zu strei­ten – so Bischof Voderholzer.

Paul Hacker: Das Ich im Glauben bei Martin Luther
Paul Hacker: Das Ich im Glau­ben bei Mar­tin Luther

Der dama­li­ge Hoch­schul­leh­rer Joseph Ratz­in­ger bestä­tig­te in sei­nem ersten Vor­wort zu Paul Hackers Buch des­sen unbe­stech­li­chen Wahr­heits­sinn. Hacker begann als Pro­te­stant sei­ne Stu­di­en über Luthers Tex­te mit Wohl­wol­len, wie er selbst bemerk­te. Als er sie abge­schlos­sen hat­te, kon­ver­tier­te er zur katho­li­schen Kir­che. Er war durch sei­ne gründ­li­chen Text­ana­ly­sen zu der Über­zeu­gung gekom­men, dass Luther sich in den kri­ti­schen Jah­ren um 1518 bis 1522 von der Mit­te des Evan­ge­li­ums, der über­lie­fer­ten Leh­re und der apo­sto­li­schen Kir­che abge­kop­pelt hatte.

… entlarvt eine Lebenslüge Luthers

Luther behaup­te­te in einer Spät­schrift von 1545, er habe im Turm­zim­mer sei­nes Klo­sters plötz­lich ent­deckt, dass Got­tes Gerech­tig­keit nur in sei­ner Gna­de bestehe, die allein durch den Glau­ben geschenkt wer­de. Hacker kommt nach sei­nen Stu­di­en zu dem Befund: Die Tat­sa­chen zwin­gen zu dem Schluss, dass es ein ‚Turm­er­leb­nis’ als Ent­deckung der Gerech­tig­keit Got­tes bei Luther nie gege­ben hat (S. 304). 

Die­se The­se erschließt Hacker aus Luthers Früh­schrif­ten bis 1517, in denen der Wit­ten­ber­ger Mönch mehr­mals Augu­sti­nus’ Ent­fal­tung der schen­ken­den oder geschenk­ten Gerech­tig­keit zitiert. Das ist genau jene Inter­pre­ta­ti­on zu Römer 1,17, von der Luther spä­ter behaup­te­te, sie erst in den Refor­ma­ti­ons­jah­ren plötz­lich ent­deckt zu haben.

Mit die­ser Rich­tig­stel­lung fällt auch Luthers legen­da­ri­sche Rück­schau­the­se zusam­men, in der Zeit vor sei­nem Turm­er­leb­nis habe er nur die stra­fen­de Gerech­tig­keit Got­tes gekannt. Die pro­te­stan­ti­schen Apo­lo­ge­ten sekun­die­ren Luther fälsch­lich mit der The­se, von den Kir­chen­vä­tern bis zum Spät­mit­tel­al­ter hät­ten alle doc­to­res nur den urtei­lend-stra­fen­den Rich­ter­gott pro­pa­giert. Auch von die­ser Legen­de soll­ten sich die Pro­te­stan­ten ver­ab­schie­den. Schon die mit­tel­al­ter­li­chen Bild­dar­stel­lun­gen an Kir­chen­wän­den und Andachts­bü­chern stel­len den Rich­ter über die Leben­den und Toten stets mit den Sym­bol-Attri­bu­ten von Gerech­tig­keit und Barm­her­zig­keit dar. Auch wis­sen­schaft­lich ist Luthers The­se von sei­ner Neu­ent­deckun­gen der schen­ken­den Gerech­tig­keit Got­tes gegen die gan­ze Theo­lo­gie­ge­schich­te längst widerlegt.

Luther legt die Bibel einseitig aus, damit sie zu seiner sola-fide-Lehre passt

Eben­so falsch ist die Behaup­tung des Refor­ma­tors, im Evan­ge­li­um gebe es kei­ne oder nur feh­ler­haft inter­pre­tier­te Beleg­stel­len zu Got­tes Gericht und Urteil über die Wer­ke der Men­schen und ihre Ver­dien­ste. Neben vie­len ande­ren Stel­len zeugt der Apo­stel Pau­lus in 2 Korin­ther 5,10 gegen Luther: Denn alle müs­sen wir erschei­nen vor dem Rich­ter­stuhl Chri­sti, damit ein jeder (den Lohn) erhal­te für das, was er durch den Leib getan hat, es sei gut oder böse.

Hacker kom­men­tiert dazu: In einer Glau­bens­leh­re, die den gan­zen Inhalt des Neu­en Testa­ments wie­der­gibt, müs­sen Erlö­sung und Gericht doch wohl bei­de genannt sein (S. 298). Der vor­pro­te­stan­ti­sche Luther habe zwar mit der Kreu­zestheo­lo­gie zunächst einen Weg ein­ge­schla­gen, um dem Geheim­nis der Zusam­men­schau von Got­tes Barm­her­zig­keit und sei­nem Gericht zu ent­spre­chen. Doch dann – etwa in den Jah­ren 1518 bis 1520 – habe er die selbst­ge­pre­dig­ten Tugen­den von Geduld und Demut, Ver­trau­en, Hoff­nung und Lie­be über Bord geworfen.

Luthers Glaube an die alleinige Heilswirksamkeit des subjektiven Glaubens

Mit dem Kon­strukt eines neu­en Glau­bens­be­griffs rede­te Luther sich und sei­nen Hörern eine selbst­si­che­re Heil­ge­wiss­heit ein: Ein Christ müs­se mit Gewiss­heit glau­ben, ja, dar­auf pochen, sogar mit Stolz und Trotz ver­trau­en, dass er auch als über­gro­ßer Sün­der ein­fach durch sei­nen Glau­ben zwin­gend in Got­tes Gna­de und Gerech­tig­keit ste­he. Der luthe­ri­sche Theo­lo­ge Ernst Bizer fasst den pro­te­stan­ti­schen Glau­bens­be­griff so zusam­men: Man erlangt die Gna­de, weil man glaubt, dass man sie erlangt (S. 309). Hacker nennt das selbst­re­fle­xi­ven Glau­ben. Nicht mehr der Glau­ben an die Kreuz-Erlö­sung durch den Got­tes­sohn oder das gedul­dig ertra­ge­ne Kreuz in der Nach­fol­ge Chri­sti, son­dern allein das sub­jek­ti­ve Sta­tu­ie­ren von Chri­sti Erlö­sungs­gna­de für das Ich des Glau­ben­den bewir­ke die Gerecht­ma­chung des Sün­ders. Das objek­ti­ve Heil fällt nach Luther mit dem sub­jek­ti­ven Heils­be­wusst­sein und der Heils­ge­wiss­heit zusammen.

Der Kern der pro­te­stan­ti­schen Leh­re ist somit, dass der sün­di­ge Ein­zel­ne immer wie­der mit Sicht auf die Erlö­sung Christ sei­ne Heils­ge­wiss­heit sta­tu­ie­ren muss – und sie damit setzt und sichert. Mit die­ser sta­tua­risch erwirk­ten Heil­ge­wiss­heit waren für den pro­te­stan­ti­schen Luther und alle sei­ne heils­si­che­ren Anhän­ger die biblisch-christ­li­chen Tugen­den von Lie­be und Hoff­nung, auch die Gebo­te zu guten Wer­ken und schließ­lich Got­tes urtei­len­de Gerech­tig­keit im Gericht obso­let gewor­den. Das alles rech­net Luther dem über­wun­de­nen Gesetz zu. Was er als das eigent­li­che Evan­ge­li­um aus den gan­zen Evan­ge­li­ums­schrif­ten her­aus­de­stil­liert, sei­en aus­schließ­lich die posi­ti­ven Ver­hei­ßungs­wor­te Chri­sti. Alle neu­te­sta­ment­li­chen Auf­for­de­run­gen zu Wer­ken und Lie­bes­ta­ten, die Wor­te zu Lohn und Ver­dienst, Gericht und Stra­fe wur­den von dem Bibel-Refor­ma­tor als nicht heils­re­le­vant für die Gläu­bi­gen aus den Schrif­ten ins Abseits interpretiert.

Für die Heilsgewissheit werden die entgegenstehenden Bibelstellen marginalisiert

Luther und sei­ne Inter­pre­ten win­den sich mit sophi­sti­schen Argu­men­ten, um die ent­spre­chen­den Lohn- und Gerichts­re­den aus dem Evan­ge­li­um weg­zu­re­tu­schie­ren. Auch das Satz im Glau­ben­be­kennt­nis, dass Chri­stus wie­der­kommt zu rich­ten die Leben­den und Toten, ist für die pro­te­stan­tisch Glau­ben­den ein Ärger­nis. Denn ein nach­träg­li­ches Gericht über gute und böse Wer­ke wür­de die Luthe­ra­ner in ihrer Heils­ge­wiss­heit allein aus dem Glau­ben ver­un­si­chern. Luther woll­te sich nur rich­ten las­sen durch die Hei­li­ge Schrift. Da er der festen Über­zeu­gung war, allein die rich­ti­ge Aus­le­gung der Schrift zu besit­zen – und damit den Weg zur Wahr­heit und Erlö­sung wei­sen zu kön­nen -, glaub­te er sich zum Schrift-Gerichts­ur­teil über sei­ne Geg­ner beru­fen. Ins­be­son­de­re über die Papi­sten goss er alle die Fluch- und Straf­wor­te der Bibel aus, die er für sei­ne eige­nen Glau­bens-Anhän­ger mar­gi­na­li­siert haben woll­te: Wir erklä­ren jede Leh­re für ver­flucht, die von unse­rer abweicht. In einem Kan­zel­bild von Lucas Cra­nach tritt Luther selbst an die Stel­le des Wel­ten­rich­ters mit der anma­ßen­den Geste zur Lin­ken hin: ‚Wei­chet von mir, ihr ver­fluch­ten Papi­sten, in das ewi­ge Feu­er.’ Sei­nen pro­te­stan­ti­schen Schäf­chen zur Rech­ten dage­gen weist er das ewi­ge Leben zu – allein wegen ihres ‚rich­ti­gen’ Glaubens.

luther-2Luthers don­nern­de Welt­ge­richts­pre­digt for­mu­lier­te er 1520 als Glau­bens­be­kennt­nis für die Luthe­ra­ner: Ich glau­be, dass er wie­der­kom­men wird, … um mich und alle (luthe­ri­schen) Gläu­bi­gen zu erlö­sen … und zu stra­fen ewig­lich unse­re Fein­de und Wider­sa­cher – gemeint sind Papst, Kle­rus und Katholiken.

Nach Luther ist jeder Christ selber Papst und Kirche

Luthers kate­go­ri­sche Heils- und Selbst­ge­wiss­heit zu sei­ner Leh­re führ­te ihn ab 1520 dazu, ein jeg­li­ches Lehr-Urteil durch Bischö­fe oder Papst abzu­leh­nen. Er bestritt damit prin­zi­pi­ell das Lehr­amt der Kir­che. Auch sei­nen Pre­digt­hö­rern rede­te er stän­dig ein, sie dürf­ten an ihrer Heils­ge­wiss­heit weder durch teuf­li­sche Gewis­sen­sein­sprü­che noch durch papi­sti­sche Leh­ren in Zwei­fel kom­men. Als Fol­ge­rung aus die­ser Lehr­ent­wick­lung ist dann das Luther­wort von 1520 zu sehen: In Sachen des Glau­bens ist jeder Christ sich sel­ber Papst und Kir­che. Paul Hackers Kom­men­tar dazu lau­tet: Mit dem refle­xiv-selbst­be­zo­ge­nen Glau­ben wer­de die Kir­che fak­tisch auf das Ich ein­ge­engt. Luthers Pole­mik gegen den Papst als Anti­chri­sten ist Teil sei­ner Ableh­nung der apo­sto­li­schen Kir­che. Wäh­rend er Bischö­fen und Papst jede kirch­li­che Auto­ri­tät abspricht, setzt Luther sich selbst auf den Thron der defi­ni­ti­ven Lehr­au­tori­tät: Ich bin nach der (evan­ge­li­schen) Leh­re gewiss, dass, wer mei­ne Leh­re nicht annimmt, der nicht selig wer­den kann. Denn sie ist Got­tes und nicht mein. Ich und ein jeg­li­cher, der Chri­sti Wort redet, darf sich rüh­men, dass sein Mund Chri­sti Mund sei. In Lehr­fra­gen gibt sich Luther päpst­li­cher, ja unfehl­ba­rer als der Papst.

Aus eigenem Antrieb entschloss sich Luther, den Weg der Kirchenspaltung zu gehen

In öku­me­nisch ori­en­tier­ten Krei­sen wird viel­fach die Ansicht ver­tre­ten, Luther habe mit bestem Wil­len die Kir­che erneu­ern wol­len. Zur Kir­chen­spal­tung sei er dann aber durch die Reak­tio­nen der katho­li­schen Kir­che sowie die Zeit­um­stän­de gedrängt wor­den. Paul Hacker bestrei­tet vehe­ment die­se Ent­schul­di­gung Luthers. Denn aus sei­nen Stu­di­en ergibt sich schlüs­sig, dass Luthers strik­te Ableh­nung von Papst und Kir­che aus des­sen Leh­re von der sub­jek­ti­ven Heil­ge­wiss­heit des ein­zel­nen Gläu­bi­gen ent­stan­den ist – und nicht als Reak­ti­on auf päpst­lich-kirch­li­ches Han­deln. Luther habe den Gang der Geschich­te beein­flusst – nicht durch den Drang äuße­rer Beein­flus­sung, son­dern als Ent­schei­dungs­pro­zess im geist­li­chen Inne­ren sei­ner Per­son. Es gab für ihn zwei Mög­lich­kei­ten: den Weg der Refor­men, den er in sei­nen vor­pro­te­stan­ti­schen Schrif­ten jah­re­lang gepre­digt hat­te, und den Weg der kirch­li­chen Abspal­tung, für den er sich ab 1518 entschied.

Das vernichtende Urteil des frühen katholischen Luthers über seine spätere protestantische Lehre

Hacker hat die Wand­lung Luthers vom katho­li­schen Reform­pre­di­ger zum pro­te­stan­ti­schen Kir­chen­spal­ter in einer ein­druck­vol­len Gegen­über­stel­lung von Text­pas­sa­gen doku­men­tiert. So kann er den vor­pro­te­stan­ti­schen Luther als Kri­ti­ker und Rich­ter über den spä­te­ren Refor­ma­tor prä­sen­tie­ren – etwa aus einer Schrift von 1515/​16: Die Hoch­mü­ti­gen und Häre­ti­ker schmei­cheln sich ver­geb­lich damit, dass sie an Chri­stus glau­ben, aber nicht an das, was zu Chri­stus gehört: die Kir­che. Denn wer mit Demut und Geduld auf die Wor­te der Vor­ste­her höre, der hört Chri­stus nach Lk 10, 16. Die Abspal­tung der Hus­si­ten von der römi­schen Kir­che ver­dammt Luther noch 1519, weil sie gegen die Lie­be ste­he. Weder das eige­ne Gewis­sen noch der Hin­weis auf schlech­te Bischö­fe und Prie­ster kön­ne die Abspal­tung recht­fer­ti­gen. Sol­che Miss-Stän­de müss­ten eher noch den Reform­ei­fer bestär­ken. Auch wenn wir – so Luther wei­ter – die unge­heu­er­li­chen Lasten der römi­schen Kurie tra­gen, flie­hen wir und tren­nen uns nicht. Das sei fer­ne! Wir tadeln zwar, ermah­nen und beten, aber wir spal­ten des­halb die Ein­heit des Gei­stes nicht. Wir blä­hen uns nicht gegen die Kir­che auf, denn wir wis­sen, dass die Lie­be alles über­ragt.

Bald dar­auf warf Luther alle sei­ne gepre­dig­ten Regeln von christ­li­cher Demut und Geduld, gegen Selbst­auf­blä­hung und Hoch­mut sowie die Mah­nung der gegen­sei­ti­gen Beleh­rung im Gei­ste der Glau­bens­ein­heit über Bord: Ver­flucht sei die Demut! Und: Ver­flucht sei die Lie­be! schrieb er 1535 mit Bezug auf die kirch­li­che Ein­heit. Gegen den Papst will er sich mit hei­li­gem Hoch­mut über­he­ben und nicht um eine Haa­res­brei­te nach­ge­ben. Ins­be­son­de­re gegen die katho­li­sche Recht­fer­ti­gungs­leh­re vom lie­be­durch­form­ten Glau­ben will er auf­säs­sig und hart­näckig sein, um sei­nen neu­en selbst­re­fle­xi­ven und lie­belo­sen Glau­bens­be­griff dage­gen­zu­set­zen. Was er frü­her bei den Hus­si­ten kri­ti­siert hat­te, den Hoch­mut und Stolz sowie die Auf­ge­bläht­heit der Häre­ti­ker, stellt er nun als Tugend dar. Als Ein­flü­ste­rung des Teu­fels will er jede Kri­tik an die­sen häre­ti­schen Hal­tun­gen denun­zie­ren, wenn sie ihm vor­hält: Seit der Urkir­che und durch vie­le Jahr­hun­der­te haben so vie­le hei­li­ge Män­ner und Den­ker die Leh­re der Kir­che geformt. Wer bist du, dass du es wagst, von ihnen allen in dei­ner Ansicht abzu­wei­chen (S. 230)?

Mit die­sem Vor­halt, den man durch­aus als Luthers eige­nen Gewis­sens­vor­wurf anse­hen kann, war sich der Refor­ma­tor offen­bar bewusst, dass er gegen die kirch­li­che Lehr­tra­di­ti­on von fast 1500 Jah­ren eine neue Leh­re ver­brei­te­te. Deren Kern war die abso­lu­te sub­jek­ti­ve Heil­ge­wiss­heit durch die stän­di­ge Glau­bens­sta­tu­ie­rung. Das hat­te vor Luther nie ein Theo­lo­ge gelehrt. Im Gegen­teil: Tho­mas von Aquin sprach mit Augu­sti­nus in die­sem Zusam­men­hang von einer fal­schen Heils­ge­wiss­heit und einer per­ver­sen Sicher­heit (per­ver­sa secu­ri­tas). Auf die­ses Dik­tum der Kir­chen­leh­rer hat Wal­ter Hoe­res in sei­nem letz­ten Buch hin­ge­wie­sen (‚Die ver­ra­te­ne Gerech­tig­keit nach dem Abschied von Got­tes hei­li­ger Maje­stät’, postum ver­öf­fent­licht). Hoe­res sieht in der heu­ti­gen ein­sei­ti­gen Über­hö­hung der gött­li­chen Barm­her­zig­keit eine wei­te­re Quel­le für die ‚fal­sche Heils­ge­wiss­heit’, nach der wir alle sowie­so in den Him­mel kämen. Wenn man katho­li­scher­seits die schen­ken­de Barm­her­zig­keit Got­tes unter Hint­an­stel­lung sei­ner rich­ten­den Gerech­tig­keit als öku­me­ni­sche Gemein­sam­keit mit Luthers ‚sola gra­tia’ dekla­riert, geht man den Weg der resi­gna­ti­ven Öku­me­ne ohne Wahrheitsanspruch.

Davor hat­te Kar­di­nal Ratz­in­ger gewarnt, indem er das Hacker-Buch als Augen­öff­ner und Heil­mit­tel gegen blin­den Öku­me­nis­mus empfahl.

Paul Hacker, Das ICH im Glau­ben bei Mar­tin Luther. Der Ursprung der anthro­po­zen­tri­schen Reli­gi­on. Mit einem Vor­wort von Papst Bene­dikt XVI., Ver­lag nova & vete­ra Bonn, Neu­druck von 2009 der Aus­ga­be von 2002

Text: Hubert Hecker;
Bild: Zeno​.org/​v​ova & vete­ra (Screen­shots)

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