[Update] Die „Hure Babylon“ ehrt Martin Luther


Rom und der Martin-Luther-Platz beim Kolosseum
Rom und der Martin-Luther-Platz beim Kolosseum

(Rom) Bald 500 Jah­re nach der Ver­brei­tung von Mar­tin Luthers 95 The­sen (1517) und 494 Jah­re nach der Exkom­mu­ni­ka­ti­on des ent­sprun­ge­nen Augu­sti­ner-Ere­mi­ten von Wit­ten­berg, durch Papst Leo X. mit dem Dekret Roma­num Pon­ti­fi­cem von 1521, benann­te die Stadt Rom einen Park in der Nähe des Kolos­se­ums nach dem Mann, der die pro­te­stan­ti­sche „Refor­ma­ti­on“ auslöste.

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Die Auf­schrift im Ersten Rio­ne lau­tet „Piaz­za Mar­tin Lute­ro. Teo­lo­go Tedes­co del­la Rif­or­ma (1483–1546)“, über­setzt „Deut­scher Theo­lo­ge der Refor­ma­ti­on“. Damit wird Luther von jener Stadt geehrt, die er selbst wenig schmei­chel­haft als „Hure Baby­lon“ beschimpf­te. Das Papst­tum, die katho­li­sche Kir­che und Rom wur­den glei­cher­ma­ßen zu die­sem Synonym.

Der Park befin­det sich im Rio­ne Mon­ti am Via­le Sera­pi­de, benannt nach der ägyp­tisch-hel­le­ni­sti­schen Göt­tin Sera­pis. In der Nähe befin­det sich die Domus Aurea von Kai­ser Nero.

Adventisten und Lutheraner stellten den Antrag

Der Beschluß der Stadt­re­gie­rung geht bereits auf das Jahr 2010 zurück. Den Antrag dazu hat­ten die Adven­ti­sten zusam­men mit den Luthe­ra­nern gestellt. Die Stadt­re­gie­rung des dama­li­gen römi­schen Bür­ger­mei­sters, des Links­ka­tho­li­ken Igna­zio Mari­no, ist längst Ver­gan­gen­heit. Am kom­men­den 12. Juni fin­den Neu­wah­len statt. Umbe­nen­nun­gen, ob Stra­ßen, Plät­ze oder Park­an­la­gen sind dage­gen beständiger.

Wäh­rend der Vati­kan die Ent­schei­dung nicht kom­men­tier­te, zeig­ten sich die Luthe­ra­ner wegen der sym­bo­li­schen Bedeu­tung hoch­er­freut. Hei­ner Blu­dau und Jakob Betz von der Luthe­ri­schen Kir­che Ita­li­ens mein­ten dazu:

“Es erfüllt uns mit Freude, daß unser Traum vor dem Gedenkjahr 2017 Wirklichkeit geworden ist.“

„Als wird 2010 unse­re Erhe­bun­gen began­nen, haben wir ver­stan­den, daß sein [Luthers] Auf­ent­halt in Rom Teil der pro­te­stan­ti­schen Refor­ma­ti­on und daher Teil der euro­päi­schen Geschich­te war. Dem gro­ßen Refor­ma­tor in Rom einen Platz zu wid­men, ist ein bedeu­tungs­vol­ler Schritt: im Licht der Welt­ge­schich­te gese­hen ent­spricht es der­sel­ben Ebe­ne wie die euro­päi­sche Ein­heit. Daher sind wir sehr zufrieden.“

Erstaun­li­cher­wei­se fand die Umbe­nen­nung kaum Auf­merk­sam­keit. „Weil Mar­tin Luther ehren, heu­te unter Lai­en und Prie­stern fast zur gän­gi­gen Norm gewor­den ist“, mut­maß­te The Catho­lic World Report, der die heu­ti­ge Her­vor­he­bung Mar­tin Luthers von deut­scher Sei­te als Ver­such sieht, dem 1990 wie­der­ver­ei­nig­ten Deutsch­land einen gemein­sa­men Natio­nal­stolz zu geben.

Dar­an tra­gen auch die deut­schen Bischö­fe eine Mit­ver­ant­wor­tung, so Catho­lic World Report, weil sie „dem Häre­si­ar­chen ver­stärkt Respekt zol­len“ und gleich­zei­tig jedes kri­ti­sche Wort ver­mei­den. Damit ent­ste­he eine ein­sei­ti­ge Wahr­neh­mung, die pro­te­stan­ti­schen Deut­schen den Ein­druck ver­mit­teln müs­se, im Recht zu sein. Heu­te nen­nen katho­li­sche Ober­hir­ten Luther einen „gro­ßen Theo­lo­gen“, der „kei­ne Kir­chen­spal­tung“ gewollt habe“. Einen Beweis dafür blei­ben sie schuldig.

Marx: „Nach 50 Jahren Dialog kann auch ein Katholik Luthers Schriften mit Gewinn lesen“

Kar­di­nal Rein­hard Marx von Mün­chen-Frei­sing schrieb bereits im Janu­ar 2015: „Nach 50 Jah­ren des Dia­logs“ kön­ne auch ein Katho­lik die Schrif­ten Luthers mit Gewinn lesen. Kar­di­nal Marx dürf­te noch kei­ne Luther-Schrif­ten gele­sen haben, um zu einer sol­chen Schluß­fol­ge­rung zu gelangen.

Von Hans Küng war kei­ne gegen­tei­li­ge Stel­lung­nah­me zu erwar­ten. Zu den katho­li­schen Luther-Apo­lo­ge­ten zäh­len jedoch auch Kar­di­nal Wal­ter Kas­per und Kurt Koch, der ehe­ma­li­ge und der amtie­ren­de Vor­sit­zen­de des Päpst­li­chen Rates zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten. Eini­ges deu­tet dar­auf hin, daß es sich dabei weni­ger um eine tat­säch­li­che Mar­tin Luthers Rezep­ti­on han­delt. Viel­mehr scheint es im Rah­men des „öku­me­ni­schen Dia­log-Pro­zeß“ dar­um zu gehen, den heu­ti­gen Luthe­ra­nern Blu­men zu streuen.

The Catho­lic World Report nennt auch Kar­di­nal Car­lo Maria Mar­ti­ni und den Jesui­ten Georg Spor­schill unter den Kir­chen­ver­tre­tern, die in Luther eine posi­ti­ve Quel­le für die nach­kon­zi­lia­ren Umbrü­che in der katho­li­schen Kir­che sehen. Erst aus einer siche­ren zeit­li­chen Distanz zu die­sen Umbrü­chen wur­de das von den Ver­tre­tern die­ser Rich­tung auch aus­ge­spro­chen. Eine Rich­tung, die seit den spä­ten 1960er Jah­re unter dem Stich­wort „Pro­te­stan­ti­sie­rung“ der katho­li­schen Kir­che sum­miert wird.

Papst Franziskus, Luther und die Interkommunion

Den wich­tig­sten Anstoß zur „geist­ge­lei­te­ten“, jedoch will­kür­lich anmu­ten­den Annä­he­rung lie­fer­te Papst Fran­zis­kus bei sei­nem Besuch der römi­schen Luther­kir­che, als er auf die Fra­ge einer Luthe­ra­ne­rin, ob die Inter­kom­mu­ni­on zwi­schen Katho­li­ken und Luthe­ra­nern mög­lich sei, sinn­ge­mäß ant­wor­tet: Nein, Jein, ent­schei­det selbst.

Sein Gast­ge­ber, Pastor Jens Kru­se, wer­te­te die Papst-Wor­te umge­hend als Zustim­mung zur Inter­kom­mu­ni­on als einer Fra­ge des Gewis­sens, die damit der Ent­schei­dung irgend­wel­cher kirch­li­cher Instan­zen ent­zo­gen sei und kei­ner Bewil­li­gung bedürfe.

Die Benen­nung eines römi­schen Parks nach Mar­tin Luther paßt ins Bild und lie­fert das ent­spre­chen­de Zierwerk.

Am 31. Okto­ber wird Papst Fran­zis­kus nach Stock­holm rei­sen, wo ein gemein­sa­mes luthe­risch-katho­li­sches Luther-Geden­ken statt­fin­det. Um nicht direkt an den 500-Jahr­fei­ern teil­zu­neh­men, fin­det das „öku­me­ni­sche“ Geden­ken ein Jahr frü­her statt, denn zu die­sem Zeit­punkt vor 500 Jah­ren sei Luther noch Katho­lik gewe­sen, wie es in Rom heißt. W

Wel­chen kon­kre­ten Sinn­ge­halt die­se klei­ne Vor­ver­le­gung haben könn­te, wird von den Wor­ten von Papst Fran­zis­kus in Stock­holm abhän­gen. Am 31. Okto­ber 1516 war Mar­tin Luther nicht nur Katho­lik, son­dern auch Augu­sti­ner-Ere­mit und katho­li­scher Prie­ster. Das wür­de aus­rei­chend Gele­gen­heit bie­ten, deut­lich zu machen, wel­che Ver­spre­chen und Gelüb­de von Luther gebro­chen wur­den, um die aktu­el­le Beschwich­ti­gungs-Behaup­tung eini­ger katho­li­scher Wür­den­trä­ger zumin­dest abschwä­chen, wenn nicht zu wider­le­gen, Luther habe „kei­ne Kir­chen­spal­tung“ gewollt.

Der offi­zi­el­le Fest­akt zur Umbe­nen­nung des Parks fand bereits im Sep­tem­ber 2015 statt. Damals war Bür­ger­mei­ster Mari­no gera­de noch für weni­ge Tage im Amt. Als offi­zi­el­ler Ver­tre­ter des Deut­schen Bun­des­ta­ges nahm der Abge­ord­ne­te Micha­el Kret­schmer dar­an teil. Kret­schmer erin­ner­te an den „Barm­her­zig­keits­sinn“ Luthers für „die Letz­ten“ die­ser Welt. Bür­ger­mei­ster Mari­no deu­te­te die Park-Benen­nung nach Luther als Beweis „für den Respekt, den Rom für jede Reli­gi­on und jedes Bekennt­nis“ habe.

Die Katho­li­ken, Juden und deut­schen Bau­ern zähl­ten für Luther jeden­falls weder zu den „Letz­ten“ noch zu jenen, die Barm­her­zig­keit ver­die­nen würden.

[Update] Die Uni­on der christ­li­chen adven­ti­sti­schen Kir­chen Ita­li­ens (Adven­ti­sten) hat­te gemein­sam mit der Evan­ge­lisch-luthe­ri­schen Kir­che Ita­li­ens (Luthe­ra­ner) den Antrag auf Benen­nung eines öffent­li­chen Plat­zes nach Mar­tin Luther gestellt, nicht wie ursprüng­lich berich­tet die Mormonen.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL

 

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