von Endre A. Bárdossy*
„Mit dem Islamischen Staat ist ein Ungeheuer herangewachsen, das seine Tentakel um die ganze freie Welt schlingen will. Der Westen muss nun seinen Willen und seine Fähigkeit demonstrieren, seine Werte zu schützen,“ – so beurteilte die Frankfurter Allgemeine zwei Tage nach dem Schwarzen Freitag vom 13. November 2015 die verheerenden Attentate in Paris.
Was heißt hier jedoch überhaupt eine „Freie Welt“? Heißt sie „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ a la Französische Revolution? Heißt sie „Aufklärung“ a la Freimaurerei? Oder will das ein freier Fall heißen in die Abgründe der Dekadenz und des Nihilismus? Handelt es sich um Liberalität? Liberalismus? Oder Libertinismus?
Nein, die mehr oder minder frommen islamischen Theokraten und ihre barbarischen Söldnerheere sehen uns nicht als das größere Ganze einer heilen, freien Welt, das sie aus Bosheit vernichten möchten. Nein, vielmehr schätzen sie sich selber als Gralsritter der Moral und uns dafür als diabolische, liberalistisch entfesselte Bösewichte ein. Als „Säkularisierte von heute“ sind wir für sie verachtenswerter als „Gläubige von gestern“. Im Zeitalter der Massenkommunikation ist die Auflösung der abendländischen Moral selbstverständlich auch für die morgenländische Jugend eine eminente Gefahr geworden.
Es ist ein zusätzliches Verhängnis, wenn die Mainstream-Journalisten nicht einmal versuchen auch die Optik der Täter zu hinterfragen.
Welches Ansehen können wir also haben nach der Abwertung all unserer traditionellen Werte und Tugenden in den Augen der Mohammedaner? Öffentlich akzeptierte und legalisierte Prostitution auf dem Strich, im Bar- und Rotlichtmilieu, Exhibitionismus in Kunst, Fernsehen und Mode, Lockerung der Familienbande, Sodomie, oder gar Blasphemie nach Charlie Hebdo? All das sind für fromme Muselmanen Ärgernisse erster Ordnung, noch viel verächtlicher als unsere Kirchen und Credos samt unserem Konsum von Schweinsbraten, Schinken und Alkohol.
Jüdische Migranten-Invasion ins Gelobte Land und ungebeten Migration heute nach Europa
Wenn das „Christliche Abendland“ für den Islam ein Feindbild war, der sogenannte „Säkulare Westen“, – der moralisch ausgehöhlte, liberalistische, – muss für den gottesfürchtigen, islamischen Gläubigen ein Horrorbild der Hölle sein. Die Neugründung des jüdischen Staates im Schoße der islamischen Welt, – zusätzlich zum traditionellen Juden- und Christenhass, – war am Anbeginn des XX. Jahrhunderts die frischeste Wunde der Muselmanen. Die Phantomschmerzen der in Palästina Jahrhunderte hindurch bodenständig gewordenen Araber werden auch für uns verständlich und nachvollziehbar, da die Einwanderung der Juden – aus arabischer Sicht – ebenfalls völlig „unkontrolliert und unerlaubt“ vor sich gegangen war. Es handelte sich zwar eigentlich um eine Rückwanderung, aber nach rund 2000 Jahren wird jede Revindikation fraglich. Die Siedler strömten also damals genauso illegal ins Gelobte Land wie die ungebetenen Migranten heute nach Europa.
Diese jüdische Migranten-Invasion wirft ihren dunklen Schatten vor allem auf die Schutzmacht „Amerika“ und mittelbar auf den ganzen „Westen“, obwohl sie vorerst unter Britischem Banner installiert wurde. Von einer Integration Israels zum Islam ist ebenso wenig die Rede, wie von einer Integration vom Islam zum Christentum die Rede sein wird. Das nebeneinander liegende Koexistieren dieser Parallelgesellschaften kann nur durch Säkularisation bewältigt werden. Eine der beiden Religionen oder beide müssen klein beigeben, um irrelevant zu werden und die Reibungsflächen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, d. h. in Apostasie verfallen. Wie das unter den Arabern und Juden ausgefochten werden wird, das ist nun außerhalb unserer Verantwortung. Aber Europas Vergangenheit und Zukunft kann daran ahnungsvoll ausgemalt werden.
Historische Integration der jüdischen Massen in Europa
Von Hitlers barbarischer Endlösung der Shoah abgesehen, die historische Integration der jüdischen Massen in Europa war vielfach glatt vor sich gegangen,
– durch die Taufe nach dem Lutheranischen Ritus, der ohnehin zu nichts verpflichtet und praktisch einer Säkularisierung gleichkommt;
– durch Agnostizismus und Atheismus als Direktissima zum säkularen, hedonistischen Lebenswandel;
– durch die inbrünstige Assimilation in die Ideologien & Utopien der sozialen Bewegungen des XIX. Jahrhunderts: Sei es in den wildesten Kommunismus, in die Sozialdemokratie oder in den schlichten Linksliberalismus. Mit großer Vorliebe errichteten viele Juden auf diesem Nährboden ihre neue, religionslose, geistige Heimat. Bekanntlich waren und sind die erfolgreichsten Köpfe der Arbeiterbewegung selten Arbeiter, sondern säkularisierte, jüdische Intellektuelle, Journalisten, Literaten und Künstler. Das war bereits bei Marx & Engels so, aber auch im XX. Jahrhundert allen voran in den historischen Caféhäusern von Wien und Budapest, den geistigen Hauptstädten des mittel- und osteuropäischen Judentums. Hans Kelsen oder Bruno Kreisky sind herausragende Gestalten dafür.
Wir vermuten, dass der Assimilationswille der jüdischen Massen in Europas linke Reichshälfte sicher ehrlich und vollständig war, was auch häufig in der Anpassung der Tauf‑, Vor- und Familiennamen an die kulturelle Umgebung zum Ausdruck kam: G. Lukács alias Löwinger, M. Rákosi alias Rosenfeld, B. Kun alias Kohn sind einige der prominentesten Beispiele aus Ungarn. Ihre Aversion insbesondere dem traditionellen Katholizismus gegenüber – die strengste und authentischste Form der Christlichkeit überhaupt, – blieb jedoch bis heute virulent.
Islamischerseits kaum ein Integrationsansturm zu erwarten
Im Gegensatz zu der üblicherweise hochqualifizierten jüdischen Diaspora in Europa, ist islamischerseits ein ähnlicher Integrations- oder gar Assimilationsansturm kaum zu erwarten. Das Judentum hat eine rund dreitausend Jahre alte, geschliffene und erprobte Kultur, um Mitspieler in der typisch abendländischen Zivilisation zu sein. Nach dem Römerbrief (11,16–24) haben wir ein inniges Verhältnis zum Judentum zu pflegen, wie die aufgepfropften Zweige zu den Wurzeln des Ölbaumes. Der Islam dagegen – im Vergleich zur jüdisch-christlichen Symbiose – ist erst vom VII. Jahrhundert an eine junge, unreife, ländlich-sittliche, regionale „Abweichung“ von den beiden Hauptströmungen der Buchreligionen.
Das Morgenland hat seinerseits nie offene, bürgerliche Gesellschaftsformen nach gräko-romanischem Muster hervorgebracht und ist eine archaische Glaubensgemeinschaft geblieben, deren theologische Prämissen aus phänomenologischer Sicht einem jüdisch-byzantinisch-arabischen Eklektizismus entnommen sind. Der an die Konsumgesellschaft angebiederte Islam in Europa wird daher eher in eine introvertierte Sonderreligion der reinen Diätvorschriften und Kleiderverordnungen verkümmern, und höchstwahrscheinlich zusammen mit dem Katholizismus, einem raschen Prozess der radikalen theologischen Leere (also einem geistigen Vakuum!) anheimfallen, der heute ausgerechnet von höchster katholischer Seite in der Form einer sentimentalen Orthopraxis und Sündenmystik: „Pastoral, Barmherzigkeit, Philanthropie“ am intensivsten vorangetrieben wird.
Woher rührt urwüchsiger mohammedanischer Hass?
Wir wollen hier keine Apologie der frommen islamischen Haltungen betreiben, aber auch keine Verharmlosung ihrer gemeingefährlichen, wilden Auswüchse verallgemeinern. Lediglich versuchen wir sie zu „verstehen“ von ihrer Warte aus. Der urwüchsige Hass auf unseren offensichtlichen, massiv zunehmenden, unmoralischen Lebenswandel und der harte Kern der dogmatischen Differenzen der drei monotheistischen Buchreligionen: Juden-Christen-Mohammedaner haben objektive Formen und unüberwindbare Hindernisse, die durch interreligiöse „Dialoge“ nur weich geredet, verschwiegen, aber keinesfalls überwunden werden können. Denn der Ausschließlichkeitsanspruch des Einen, Wahren und Guten kann von keiner anständigen Religion, ja nicht einmal von einem zweit- oder drittrangigen Religionsersatz im geistigen Wettkampf um die Leitkultur aufgegeben werden.
„Kultur ist die fleischgewordene Religion eines Volkes“ (Thomas Stearns Eliot). Unsere kulturellen Leistungen schauen also immer dementsprechend aus! Somit gibt es auch einen inversen Zusammenhang zwischen fehlender Religion und fehlender Kultur.
Hobbes’Leviathan als Schulterschluss einer Gemeinschaft in Lebensgefahr
Im Vergleich zu den anderen Mitstreitern ist kurioserweise heute der dogmatische Wahrheitsanspruch der Linken und Grünen am militantesten und am lautesten. Weltanschaulicher Pluralismus, Liberalismus und Egalitarismus sind jedoch intrinsische Widersprüche in einem labilen Gleichgewichtszustand, der notwendig zu unnützem Zeitvertreib, Indifferenz, Relativität führt und allzu leicht in einen Totalitarismus umkippen kann. Der Ernstfall eines allseitigen Vernichtungskrieges, inmitten des absoluten Nihilismus, wurde von Thomas Hobbes als staatenloser Naturzustand beschrieben, aber auch von Nietzsche bis zum Wahnsinn vorgelebt und vorgelitten.
Hobbes‘ Leviathan war der Schulterschluss einer Gemeinschaft in Lebensgefahr. Das Titelblatt der Erstausgabe (1651) zeigt den gewaltigen Herrscher einer eng verflochtenen Gemeinschaft mit Krone, Schwert und Bischofsstab. Am oberen Rand ist die erste Hälfte des lateinischen Zitats aus der Bibel zu entziffern: „Non est potestas super terram quae comparetur ei. Es gibt nicht seinesgleichen auf der Erde“ – wenn man das Zitat in der Bibel zu Ende liest, dann wird des Rätsels Lösung einsichtig: „dazu geschaffen, ohne Furcht zu sein.“ (Hiob 41,25)
Der Staat hat also die primordiale Aufgabe die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren. Die konstitutionelle Monarchie des Vereinigten Königreichs war dreihundert Jahre hindurch ein Höhepunkt der Abendländischen Zivilisation im Zusammenspiel der paläoliberalen Whigs und Torries. Die Blütezeit der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten von der Nachkriegszeit der ephemeren Englischer Republik Cromwell’s angefangen bis kurz vor dem Ausbruch des Weltkrieges (1914), kann sich nur mit den Vorbildern des gräko-romanischen Altertums und mit den Höhenflug des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation messen.
Angelsächsischer Parlamentarismus in die theokratische Gefühlswelt der Muselmanen zu transplantieren, wurde zum kolossalen Misserfolg
Das naive, neo-amerikanische Sendungsbewusstsein, den angelsächsischen Parlamentarismus in die theokratische Gefühlswelt der Muselmanen transplantieren zu können, ist eine Fehleinschätzung und ein kolossaler Misserfolg des „Westens“ geworden. Eines Tages werden wir der relativen Stabilität eines Saddam Hussein (Irak), Muammar al-Gaddafi (Libyen) oder Baschar al-Assad (Syrien) nachtrauern müssen, die der Kulturstufe ihres Landes angemessen waren. Die liberale Ideologie ist mit den Strukturen des Islam so unvereinbar wie die Elemente Wasser und Feuer, oder die fadenscheinige Bündnistreue der Wahabiten zu den Amerikanern, welche ausschließlich auf das Hasardspiel des Ölgeschäftes bezogen ist. Aus dem rezenten „Arabischen Frühling“ ist nur ein spektakuläres Pulverfass verblieben. Neuerdings hat die Verknappung der Finanzmittel im Wahabitischen Königreich, – dank des niedrigen Ölpreises auf dem internationalen Markt, – die Kriegsgelüste, Waffenlieferungen und ihre Finanzierung vorläufig etwas gebremst. Bekanntlich sind die Saudis nebst dem Türken Recep Tayyip Erdogan alle verbissene Sunniten, enge Verbündete der USA und die Hauptschuldigen daran, „dass der Islamische Staat eine Zeitlang so erfolgreich gewesen ist.“ (vgl. Syrien: Der wahre Grund zur Freude).
Wenn die Islamkritiker im laufenden Weltkrieg eine Mimik der Strenge und Härte fordern, kommen sie zu spät, denn die moralische Dekadenz und die geistige Wehrbereitschaft des Abendlandes haben bereits irreversible Tiefpunkte erreicht. Nicht nur Abertausende der syrischen Jungmänner ziehen fahnenflüchtig in das Schlaraffenland des hedonistischen „Westens“, der Westen selbst hat keine Jugend und erst recht keine Wehrhaftigkeit mehr. Im totalen Chaos der Völkerwanderung herrschen nur mehr Betroffenheit, Sentimentalität und Ratlosigkeit des Gutmenschentums. Schweigeminuten für die Toten in Paris sind eigentlich eine Beleidigung für die Opfer.
„Offene Gesellschaft“ kann nur in der geschlossenen „Glaubensgemeinschaft“ aufblühen
Wenn Angela Merkel für die laufende Migranten-Invasion „Nächstenliebe und Toleranz“ verlangt, dann ist das aus ihrem Munde lediglich eine hohle Phrase. Denn die Übernächstenliebe kann (und darf) nie größer werden als die legitime Eigenliebe im christlichen Wertekatalog.
Eine „Offene Gesellschaft“ kann nur im Zusammenspiel mit einer verschworenen, fest geschlossenen „Glaubensgemeinschaft“ aufblühen. Wenn die eine fehlt oder die andere wuchert, der Verfall der Zivilisation ist die böse Konsequenz davon. Die Grenzen einer Gemeinschaft sind nicht zum Überschreiten, sondern zum Respektieren da. Sie sind wie die schützenden Tore und Türe. Das beliebige Eindringen ist Hausfriedensbruch.
Mit der Französischen Revolution (1789) hat die „Offene Gesellschaft“ des Westens die Fundamente der eigenen „Glaubensgemeinschaft“ unterminiert und während des Weltkrieges (1914–1945) definitiv eliminiert. Im Verlauf dieses Prozesses sind die theozentrischen Grundstrukturen des Abendlandes rein anthropozentrisch und laizistisch geworden. Das klassische Naturrecht hat sich in ein beliebiges Menschenrecht verwandelt.
Wir haben für Moralisierung keinen Persilschein aus Europas jüngster Geschichte
Europas Selbstzerstörung vollendeten die Bolschewisten (1917). Adolf Hitler war „nur“ der deutsche Epigone von Napoleon I. und der Nationale Sozialismus in Deutschland stellte lediglich eine ideologische Variante zum Internationalen Sozialismus dar. Die Konzentrations- und die Umerziehungslager (GULAG) im dunkelsten XX. Jahrhundert aller Zeiten waren Kalvarienberge für Millionen Juden und Abermillionen Christen.
Die Massaker des islamischen Staates sind fürchterlich. Im Vergleich zu dem, was unsere „aufgeklärte, offene“ Gesellschaft ab 1789 geleistet hat, sind sie jedoch blutige Anfänger. Die Zahl der Opfer, die auf dem Konto des „unfreien, unzivilisierten“ Westens lastet, stieg in 200 Jahren bis zum Fall der Berliner Mauer (1989) ins Unermessliche.
Für Moralisierung haben wir also keinen Persilschein aus Europas jüngster Geschichte. Aus unserer mit millionenfachen Abtreibung und Euthanasie geplagten Gegenwart gibt es auch keine Aussicht auf moralische Genesung. In der langen Nacht der Kirchen, im Verlauf von 50 Jahren seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, ist sogar der Katholizismus morsch geworden. Nur der Geist der Benediktiner könnte dem Neo-Islamismus Einhalt gebieten, der nach dem Zusammenbruch des Imperium Romanum fähig war die barbarischen Horden der Germanen zu zivilisieren. Ein heiliger Benedikt ist aber heute nirgends auf Sicht. Einer, der es vielleicht hätte werden sollen, hat sich unerwartet disqualifizieren und emeritieren lassen.
Das Feldlazarett der neuerdings wiederbelebten Befreiungs- und Volkstheologie gleicht heute eher einem ahnungslosen Ritt über den Bodensee – als jener „Acies ordinata“ von Prinz Eugen, dem Edlen Ritter, die einst den Entsatz von Wien, Buda und Belgrad vom muselmanischen Joch erwirkte
*Endre A. Bárdossy war o. Universitätsprofessor in Argentinien für Landwirtschaftliche Betriebswirtschaftslehre und Leiter eines „Seminario de Aplicación Interdisciplinaria“.
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