(Rom/Buenos Aires) Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Argentinien rücken die politische Vision von Papst Franziskus in das Interesse. Dabei geht es um seinen offen zur Schau getragenen Enthusiasmus für die „Volksbewegungen“ und die Utopie einer neuen kommunistischen und „papistischen“ Internationale, wie sie beim antikapitalistischen Forum in Buenos Aires mit frenetischem Applaus gefordert und von Kurienbischof und Papst-Berater Marcelo Sanchez Sorondo mit zustimmendem Nicken bedacht wurde.
Am vergangenen Sonntag fanden in Argentinien Vorwahlen statt, die besondere Aufmerksamkeit finden, weil Jorge Mario Bergoglio, heute Papst Franziskus, Staatsbürger dieses lateinamerikanischen Landes ist.
Der eigentliche Urnengang findet am 25. Oktober statt. Die Argentinier sind gerufen, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Sollte der erstplatzierte Kandidat nicht mindestens 40 Prozent der Stimmen erreichen, wird am 24. November eine Stichwahl folgen zwischen allen Bewerbern, die im ersten Durchgang mindestens zehn Prozent der Stimmen erzielen. Der stimmenstärkste Kandidat der zweiten Runde wird neuer Staatspräsident.
Präsidentschaftswahlen in Argentinien: Die politische Vision des Papstes
Die Ära Kirchner geht in Argentinien ihrem Ende zu, jedenfalls jene, in der ein Kirchner persönlich in der Casa Rosada, dem Präsidentenpalast regiert. 2003 war Nestor Kirchner (1950–2010) Staatsoberhaupt geworden. 2007 folgte ihm seine Ehefrau und heutige Witwe Cristina Fernandez de Kirchner im Amt nach. Cristina Kirchner steht inzwischen am Ende ihrer zweiten vierjährigen Amtsperiode und darf laut Verfassung nicht mehr kandidieren. Sie bemüht sich allerdings darum, daß ein „Kirchnerista“ ihr Nachfolger wird.
Die Vorwahlen brachten keine Klarheit, ob die linksperonistische Ära Kirchner fortgesetzt wird oder ihr Ende findet.
Daniel Scioli (58), der amtierende Gouverneur der Provinz Buenos Aires, der bevölkerungsreichsten des Landes, kandidiert für den Frente para la Victoria (Front für den Sieg), dem Wahlbündnis Kirchners, und konnte 38,3 Prozent der Stimmen sammeln. Scioli ist Vorsitzender des Partido Justicialista, der als offizielle peronistische Partei Argentiniens gilt. Den Vorsitz übernahm er direkt von Nestor Kirchner.
Mit Mauricio Macrà, einem liberalkonservativen Unternehmer und Bürgermeister von Buenos Aires, gibt es einen ernstzunehmenden Herausforderer, der tatsächlich die Kirchner-Ära beenden könnte. Er steht an der Spitze der Propuesta Republicana (Republikanischer Vorschlag) und erreichte 30,2 Prozent.
Schließllich gibt es als dritten „Pol“ noch Sergio Massa, den Chef des Frente Renovador (Erneuerungsfront), der einen gemäßigten „Kirchnerismus“ vertritt. Er erhielt 20,6 Prozent der Stimmen. Hinzu kommen
Papst setzt auf den Kirchnerismus, die sozialistische Variante des Peronismus
Beide Hauptkandidaten, Scioli und Macrà warben mit einem Bild, das sie bei der jüngsten Buchmesse in Buenos Aires vor einem Bild von Papst Franziskus zeigt. Seither beschäftigt die Frage: Wen aber bevorzugt Papst Franziskus? Und: Wofür stehen die beiden Kandidaten?
Cristina Kirchner besuchte einerseits Papst Franziskus bereits mehrfach in Rom, andererseits fördert sie gleichzeitig zu Hause die Legalisierung von „Homo-Ehe“ und Abtreibung. Demonstrativ übernahm sie die Patenschaft eines Mädchens, das durch künstliche Befruchtung von einer Lesbe zur Welt gebracht wurde, die in einer eingetragenen Partnerschaft mit einer anderen Lesbe lebt. Trotz offenkundiger Widersprüche wurde in der zuständigen Diözese die Taufe gespendet, während die Patenschaft Kirchners politische Unterstützung signalisierte.
Der Verfassungsrechtler Marco Olivetti analysierte den „Kirchnerismus“ im lateinamerikanischen Kontext: „Der Kirchnerismus ist die x‑te Reinkarnation des Peronismus: nach dem vage faschistischen Original von Juan Domingo und Evita Perón, folgte der liberalkonservative der 70er Jahre des sterbenden Perón und seiner dritten Frau Isabelita, dann der hyper-liberalistische der 90er Jahre von Carlos Menem. Der Kirchnerismus seit der Jahrtausendwende stellt die sozialistische Variante dar in Fortsetzung der pararevolutionären Gruppen, die Argentinien in den 70er Jahren befallen hatten und die vom traditionellen peronistischen Gewerkschaftswesen unterstützt wird. Seine Zustimmung ist vor allem unter Menschen mit geringem Einkommen und geringer Bildung hoch.“
„Merkmal ist jener Populismus, der sich mit einem ‚guten Volk‘ identifiziert und der heute weite Teile Lateinamerikas beherrscht vom Venezuela von Chavez und seinen Erben über das Bolivien von Morales und Brasilien von Lula und Dilma bis zum Ecuador unter Correa, trotzt aller Unterschiede im Detail“, so Olivetti.
Während Scioli der Kandidat dieses Linksperonismus ist, steht Macrà für das Wahlbündnis Cambiemos, dem auch die Union Civica Radical angehört, die zweite große Partei Argentiniens des 20. Jahrhunderts und der historischer Gegenspieler der Peronisten. Die Union Civica Radical ist Teil der Sozialistischen Internationale. Ihr gehört auch die 2002 entstandene Coalicion Civica der katholischen Juristin und Abgeordneten Elisa Carrió an. Deren Gruppierung vertritt im politischen Spektrum sozialliberale Positionen. Eine katholische oder christlich-demokratische Partei im engeren Sinn gibt es in Argentinien aus historischen Gründen nicht, jedenfalls keine von nennenswerter Bedeutung.
Carriò: Papst spielt in Argentinien die „falsche Karte“
Carrió ist die erste Frau Argentiniens, die für die Casa Rosada kandidiert und gegen eine Legalisierung von Abtreibung und „Homo-Ehe“ ist, sich aber für eine staatliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften ausspricht. Carriò ist eine langjährige Freundin Bergoglios, die ihm 2001 auch dessen Wahl zum Papst vorausgesagt haben will.
Carriò ist heute der Meinung, daß Papst Franziskus in Argentinien die „falschen“ politischen Karten ausspielt, indem er den Kirchnerismus unterstützt. Damit bestehe, so die Politikerin, die Gefahr, daß Argentinien wie Venezuela ende.
Papst Franziskus äußerte nie öffentlich eine direkte Unterstützung für die Kirchner-Partei, weshalb dieses Urteil auf den ersten Blick voreilig scheint. „Daß der Papst allerdings seine politische Vision für Argentinien und das ‚große Vaterland‘ Lateinamerika hat, steht außer Zweifel“, so Sandro Magister.
Papst zeigte rege Sympathie für populistische Präsidenten, dem einzigen Konservativen aber die kalte Schulter
Die jüngste Reise des Papstes nach Ecuador, Bolivien und Paraguay war diesbezüglich eindeutig. Franziskus zeigte deutliche Sympathien für die populistischen Staatspräsidenten von Ecuador und Bolivien. Dem dritten Präsidenten, dem konservativen Staatsoberhaupt Paraguays, zeigte der Papst hingegen die kalte Schulter. Er ging sogar soweit, den Präsidenten öffentlich und völlig ungerechtfertigt eines Verbrechens zu beschuldigen (siehe Wenn der Papst einen kapitalen Bock schießt – Die Fettnäpfchen der zwanglosen freien Rede).
Das eigentliche politische „Manifest“ von Papst Franziskus war seine überlange, am 9. Juli in Santa Cruz in Bolivien gehaltene Rede an die „Volksbewegungen“, jene linken Globalisierungskritiker Lateinamerikas und vom Rest der Welt, die sich zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres durch „Selbsteinladung“ um den Papst scharten. Das erste Mal fand am 28. Oktober 2014 in Rom statt und in beiden Fällen stand Boliviens „bolivarischer“ „Cocalero“-Präsident Evo Morales in der ersten Reihe.
Liest man die beiden Reden, sticht als „Merkmal“, um Olivetti aufzugreifen, der Populismus ins Auge, der sich mit dem „guten Volk“ identifiziert und sich damit genau mit dem sozialistischen Peronismus der Kirchner-Ära trifft, der die Empfänger staatlicher Zuwendungen auf nunmehr 36 Prozent der argentinischen Bevölkerung verdreifachte.
Der Populismus des Papstes, der Giacomo da Fiore nähersteht als Augustinus von Hippo
Das „Volk“, das Papst Franziskus als Avantgarde der Weltrevolution gegen das transnationale Imperium des Geldes sieht, ist das, das er selbst ziemlich unsystematisch als „Cartoneros, Wiederverwerter, Wanderhändler, Schneider, Handwerker, Fischer, Bauern, Maurer, Bergarbeiter“ beschrieb. Ihnen gehöre „die Zukunft der Menschheit“, so das katholische Kirchenoberhaupt. Wie? Durch einen „Prozeß der Machtübernahme, der die logischen Vorgangsweisen der formalen Demokratie übergeht“.
Laut dem Jesuiten James V. Schall, der an der Georgetown Universität in Washington politische Philosophie lehrte, habe die Rede von Santa Cruz „Bergoglio in Reinform“ gezeigt mit einer politischen Vision, „die Giacomo da Fiore nähersteht als Augustinus von Hippo“.
Aber auch die Kirchner-Partei und das Umfeld des Papstes setzten zahlreiche Zeichen, die eine Nähe des Papstes zu dieser politischen Richtung signalisieren sollen. Die häufigen Empfänge für Cristina Kirchner im Vatikan sind ein Aspekt davon.
Vattimo: „Allein Papst Franziskus ist fähig, die internationale Revolution gegen die Geldherrschaft anzuführen“
Im vergangenen März organisierte die argentinische Kulturministerin Teresa Parodi im Teatro Cervantes in Buenos Aires ein Internationales Forum für Emanzipation und Gleichheit, wo sich die Prominenz der linken antikapitalistischen Kritik ein Stelldichein gab.
Am Nachmittag des 13. März trat einer nach dem anderen ans Mikrophon, darunter Leonardo Boff, der Befreiungstheologe und ehemalige Ordensmann, der zur Mutter-Erde-Religion konvertiert ist; der italienische Philosoph Gianni Vattimo, Vertreter des „Schwachen Denkens“, einer anti-metaphysischen Postmoderne, die sich als eine Form des Nichilismus versteht. Der bekennende Homosexuelle bezeichnet sich selbst als Katholik, glaubt aber nicht an Gott. Mit dabei war auch der in diesen Kreisen neuerdings omnipräsente argentinische Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo, Kanzler der Päpstlichen Akademien der Wissenschaften und der Sozialwissenschaften und „großer Berater von Papst Bergoglio“, so Magister.
Vattimo forderte im Teatro Cervantes unter frenetischem Applaus die Bildung einer neuen kommunistischen und zugleich „papistischen“ Internationale. Sanchez Sorondo befand sich sichtlich zufrieden und zustimmend an seiner Seite. Vattimo forderte von der Bühne eine neue linksextreme Internationale deren unumstrittener „Leader“ Papst Franziskus sei, der einzige, der fähig sei, eine politische, kulturelle und religiöse Revolution gegen die Übermacht des Geldes anzuführen in dem „Bürgerkrieg“, der bereits weltweit tobe, und der als „Kampf gegen den Terrorismus“ getarnt werde, in Wirklichkeit aber der Klassenkampf des 21. Jahrhunderts gegen die Vielzahl der Kapitalismuskritiker sei.
Wer es nicht glauben sollte, kann sich Vattimos Rede beim Forum als Video anschauen. Es geht um den Teil zwischen Minute 15 und Minute 51. Es folgen die Reden von Sanchez Sorondo und Boff.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Settimo Cielo/Foro Internacional (Screenshots)