(Rom) Medjugorje wird eine Gebetsstätte. Die angeblichen Marienerscheinungen werden nicht anerkannt. Das ist das Ergebnis der Vollversammlung der Glaubenskongregation, die in Rom tagte. Sie hatte dabei über den Abschlußbericht der internationalen Untersuchungskommission zum Phänomen Medjugorje zu befinden. Um Fanatismus und übersteigertem Erscheinungsglauben unter den Gläubigen entgegenzuwirken, wird es wahrscheinlich ein kleines „Aber“ geben.
Genau am 34. Jahrestag nachdem zum ersten Mal die Gottesmutter Maria im damals armen herzegowinischen Bergdorf sechs Kindern erschienen sein soll, versammelte sich in Rom die Glaubenskongregation. Es war der 24. Juni 1981, als sich den Kindern laut deren Angaben die „Königin des Friedens“ gezeigt habe.
Ausformuliertes Dekret liegt auf dem Schreibtisch des Papstes
Zusammen mit den Richtlinienempfehlungen der Glaubenskongregation liegt nun das gesamte Dossier Medjugorje, das alle bisherigen Untersuchungen dokumentiert, auf dem Schreibtisch von Papst Franziskus. Es liegt nun an ihm, ob er den Empfehlungen der Untersuchungskommission und den Empfehlungen der Glaubenskongregation folgen wird. Die Glaubenskongregation hat bereits ein Dekret verfaßt. Papst Franziskus muß nun entscheiden, ob und wann er dieses Dekret unterzeichnet und veröffentlichen läßt.
Laut Angaben der italienischen Tageszeitung Il Giornale sieht das Dekret die Anerkennung Medjugorjes als Gebetsstätte vor, aber nicht mehr. Die Aufforderung lautet: den katholischen Balkanort zum Gebet zu besuchen, aber den Kontakt zu den angeblichen Sehern zu meiden. Ein ausdrückliches Verbot untersagt die Teilnahme an Veranstaltungen, bei denen angeblich die Gottesmutter erscheinen soll. Drei Seher behaupten, daß ihnen die Allerseligste Jungfrau jeden Tag erscheine.
Keine Übernatürlichkeit feststellbar
Dieses Verbot, so Il Giornale unter Berufung auf vatikanische Quellen, diene vor allem dazu, „Fanatismen und unkritische Begeisterung für die Seher zu vermeiden“. Die Gläubigen, so der Text des Dekrets, sollen nach Medjugorje gehen, um zu beten, nicht um die Seher zu treffen, oder sich mit angeblichen Botschaften zu beschäftigen.
Die Glaubenskongregation, so die italienische Tageszeitung, folgt dem Urteil der internationalen Untersuchungskommission und kann im Phänomen Medjugorje keine Übernatürlichkeit der Ereignisse feststellen. Gleichzeitig wird unter Berufung auf das Kirchenrecht keine definitive Entscheidung empfohlen, weil das Phänomen noch nicht abgeschlossen ist und damit ein endgütiges Urteil nicht möglich ist.
In die Praxis übertragen bedeutet das, daß die Kirche strenger gegen Auftritte der Seher vorgehen wird, wie sich dies in den vergangenen Jahren, seit Kardinal Müller an der Spitze der Glaubenskongregation steht, bereits abgezeichnete. Nicht bekannt ist noch, ob die Gebetsstätte Medjugorje direkt dem Heiligen Stuhl unterstellt wird und damit der Vatikan direkte Eingriffsmöglichkeiten vor Ort hätte. Er würde dann über die Einsetzung des Gebetsstättenleiters entscheiden und könnte Auftritte von Sehern und die Bekanntgabe von „Botschaften“ in der Gebetsstätte und an allen dazugehörenden Orten unterbinden.
Ob Wiens Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, der ranghöchste aktive Verfechter der Echtheit der „Erscheinungen“ von Medjugorje, weiterhin im Stephansdom Seher auftreten lassen wird, die dort „Botschaften“ empfangen, ist nicht bekannt. Kardinal Schönborn hat als Mitglied der Glaubenskongregation an der Vollversammlung vor zwei Tagen teilgenommen. Für den 25. September 2015 ist jedenfalls ein solches Treffen im Stephansdom angekündigt. In diesem Jahr mit der „Seherin“ Marija Pavlovic-Lunetti.
Seher geben sich gelassen – Spannung unter Medjugorje-Anhängern jedoch groß
Vicka Ivankovic ließ über Don Michele Barone, einen der eifrigsten Medjugorje-Pilger, Il Giornale wissen, daß sie „gelassen und ruhig erwarte, was die Position des Papstes sein wird. Ich stehe in vollem Gehorsam zur Kirche und die Gottesmutter hat mir gesagt, unbesorgt zu sein.“
Gestern erhielten die „Seher“, laut eigenen Angaben, die neue „Jahresbotschaft“ der Jungfrau, die ihnen jedes Jahr am 25. Juni, in Erinnerung an den ersten Erscheinungstag vor 34 Jahren mitgeteilt werde.
Unterdessen warten Millionen Gläubige weltweit auf die Entscheidung des Papstes. Genau dieser Umstand, so heißt es in Rom, werde eine „salomonische“ Lösung zur Folge haben. Eine Anerkennung der „Erscheinungen“ werde es nicht geben. Die „Seher“ sollen unter strengere Aufsicht gestellt und in Kirchen konsequenter das Verbot durchgesetzt werden, die Echtheit der „Erscheinungen“ zu behaupten. Damit wird die Ablehnung wie bereits seit den 1980er Jahren bestätigt. Unter Verweis darauf, daß die „Erscheinungen“ noch andauern, werde man aber einen kleinen Spalt offenlassen. Fest steht damit nur eines: daß Medjugorje wohl nie einen Platz neben La Salette, Lourdes und Fatima in der Reihe anerkannter Erscheinungen erhalten wird.
Das Nein zu Medjugorje, könnte wie ein pädagogisches Jein klingen
Darin sei ein pädagogischer Aspekt zu sehen, um jene Millionen, die an Medjugorje glauben, nicht zu sehr vor den Kopf zu stoßen. Auf den zahlreichen Medjugorje-Seiten im Internet ist die Spannung zu lesen, mit der die Entscheidung Roms unter den Medjugorje-Anhängern erwartet wird. „Wenn der Papst Medjugorje ablehnt, wird es einen Aufstand der Gläubigen geben“, schreiben dort viele. Manche meinen es, weil sie Angst vor einer Ablehnung haben, bei anderen klingt es mehr nach einer Drohung gegen Rom.
Als Papst Franziskus am 6. Juni aus Sarajewo zurückkehrte, spielte er auf Medjugorje an. Er lobte die „ausgezeichnete“ Arbeit der internationalen Untersuchungskommission, die Papst Benedikt XVI. unter der Leitung von Kardinal Camillo Ruini eingerichtet hatte, und kündigte an, daß eine Entscheidung bald bekanntgegeben werde. Wenige Tage später kritisierte er in einer morgendlichen Predigt in Santa Marta, ohne Medjugorje ausdrücklich zu nennen, die Erscheinungssucht mancher Gläubigen. Daß die Kirche öffentliche Auftritte der „Seher“ künftig unterbinden will, wurde nach Verboten in den USA und Spanien auch durch die Absage eines Treffens am 20. Juni in Modena deutlich, wo Vicka Ivankovic auftreten sollte.
Der letzte Akt zu Medjugorje – oder auch nicht
Nun steht der letzte Akt in einem 34 Jahre währenden Schauspiel bevor: Die Entscheidung des Papstes wird die Frage klären. Oder auch nicht. Klären wird er die Frage mit einem Nein, das aber als Jein unter den Medjugorje-Gläubigen weitergereicht werden kann, wie es schon bisher war, obwohl die zuständigen kirchlichen Stellen jede Übernatürlichkeit zurückgewiesen haben. Dieses „Jein“, das als ein Nein jetzt, aber kein definitives Nein in die Geschichte eingehen wird, weil die „Erscheinungen“ ja noch andauern. Damit wird jeder Medjugorje-Anhänger leben können, denn es läßt ihm die Hoffnung, daß in der Zukunft aus dem Nein ja doch noch ein Ja werden könnte. Und daß dem so sein werde, davon werden viele von ihnen fest überzeugt sein. Vor allem aber verhindert Papst Franziskus einen Popularitätsverlust für seine Person und ein potentielles Schisma, von dem der bekannte katholische Publizist Vittorio Messori spricht: „Sollte Papst Franziskus Nein zu Medjugorje sagen, besteht die Gefahr eines Schismas“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Timone