(Rom) Am 28. Juni dementierte Pater Federico Lombardi SJ Medienberichte (darunter auch Katholisches.info mit dem Bericht Papst entscheidet über Medjugorje – Glaubenskongregation legt Franziskus Dekret zur Unterschrift vor), daß in Sachen Medjugorje bereits eine Entscheidung der Glaubenskongregation gefallen sei. Er gab gleichzeitig bekannt, Papst Franziskus werde „nach der Sommerpause“ eine Entscheidung bekanntgeben. Der Haus- und Hofvatikanist des Papstes, Andrea Tornielli, dem ein direkterer Draht zu Papst Franziskus nachgesagt wird als ihn der offizielle Vatikansprecher hat, hatte bereits zwei Tage zuvor die Medienberichte dementiert und geschrieben, daß eine Entscheidung erst „nach dem Sommer“ oder vielleicht erst „nach der Bischofssynode im Oktober“ bekanntgegeben werden könnte.
Das Phänomen Medjugorje ist ein „heißes Eisen“ für die katholische Kirche, wie die Tornielli- und Lombardi-Dementi zeigen. Von einem „Heiligen Krieg“ spricht der Vatikanist Paolo Rodari. Das Stichwort „Schismagefahr“ aus dem Mund von Medjugorje nahestehenden Personen spricht eine deutliche Sprache.
„Heiliger Krieg“ um Medjugorje
Das Dementi von Vatikansprecher Lombardi ist Teil dieses „Krieges“. Medienberichte hatten Medjugorje-Anhänger in der Kirche aufgeschreckt und zu massiven Interventionen in Rom veranlaßt. Die Ereignisse lassen sich zumindest teilweise rekonstruieren.
Papst Franziskus antwortete am 6. Juni während seines Besuchs in Sarajewo auf die Frage der kroatischen Journalistin Silvije Tomažević: „Über das Problem von Medjugorje hat Papst Benedikt XVI. seinerzeit eine Kommission gebildet […]. Sie haben eine bedeutende Arbeit geleistet, eine bedeutende Arbeit. Kardinal Müller hat mir gesagt, er werde in dieser Zeit eine Feria quarta abhalten; ich glaube, sie hat am letzten Mittwoch des Monats stattgefunden, aber ich bin nicht sicher… Wir sind nahe daran, Entscheidungen zu treffen.“ Vatikansprecher Lombardi korrigierte den Papst noch an Ort und Stelle: „Tatsächlich hat noch keine diesem Thema gewidmete Feria quarta stattgefunden.“
Nur wenige Tage später kritisierte der Papst bei der morgendlichen Predigt in Santa Marta Christen, die botschaftssüchtig seien: „‘Wo sind die Seher, die uns heute vom Brief sprechen, den die Gottesmutter um vier Uhr nachmittags schicken wird?‘ Zum Beispiel, nicht wahr? Und sie leben davon. Das ist nicht christliche Identität. Das letzte Wort Gottes heißt ‚Jesus‘ und nichts anderes!“
Interventionen gegen eine Entscheidung
Der Hinweis des Papstes auf die Feria quarta von Mai belegt, daß sich bereits diese ursprünglich mit dem Phänomen Medjugorje befassen sollte und eine Entscheidung unmittelbar bevorsteht. Ebenso, daß Kardinalpräfekt Müller diese vorbereitet. Gesichert ist, daß sich die Feria quarta vom 17. Juni mit Medjugorje befassen sollte. Mit näherrückendem Termin wurde von verschiedener Seite öffentlich zu Entscheidungsmöglichkeiten Roms Stellung genommen.
Die Vertagung einer Entscheidung zu Medjugorje geht auf die Intervention von Medjugorje-Anhängern zurück, deren namhaftester der Wiener Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn ist, der als Mitglied der Glaubenskongregation angehört.
Tatsache ist, daß Kardinal Müller ein unterschriftsfertiges Dekret zu Medjugorje ausgearbeitet hat. Seither wird hinter den Kulissen um Formulierungen gerungen und von Medjugorje-Anhängern auf allen Ebenen versucht, Einfluß zu nehmen. Manche drängen dabei auf Zeitgewinn, andere versuchen die Ablehnung möglichst aufzuweichen.
Ein „Nein“ zu Medjugorje, das als „Jein“ gelesen werden kann
In Rom neigt man zu einer „salomonischen“ Lösung. Manche sprechen von einer „pädagogischen“ Lösung. Medjugorje soll in eine Gebetsstätte umgewandelt werden mit einem „Nein“ zur Übernatürlichkeit der „Erscheinungen“ auf der Linie der Entscheidungen des Bischofs von Mostar und der Jugoslawischen Bischofskonferenz. Ein „Nein“, das allerdings von Medjugorje-Anhängern als „Jein“ gelesen werden kann. Zu letzterem Punkt gehen die Meinungen in Rom allerdings stark auseinander. Um die genaue Formulierung wird hart gerungen.
Am häufigsten wird der Hinweis genannt, daß ein „definitives“ Urteil erst getroffen werden könne, wenn das Phänomen abgeschlossen ist. Da das Phänomen Medjugorje bereits 34 Jahre andauert, kann das angesichts des Alters der sechs „Seherkinder“ noch Jahrzehnte dauern. Auch in Rom bevorzugen manche den Faktor Zeit in der Annahme und Hoffnung, daß sich damit das Phänomen Medjugorje unter den Gläubigen von selbst abschwächen und „normalisieren“ werde.
Es bliebe damit mehr oder weniger alles, wie es ist: Bereits seit den 80er Jahren lehnt die kirchliche Autorität eine Übernatürlichkeit der „Erscheinungen“ ab. Medjugorje-Anhänger verweisen jedoch darauf, daß „Rom noch nicht entschieden hat“, obwohl Rom eigentlich gar nicht entscheiden müßte.
Medjugorje dürfte, wie das Dementi von Vatikansprecher Lombardi und des päpstlichen Hofvatikanisten Tornielli zeigt, auch weiterhin eine Ziehharmonika bleiben. Je nachdem wer darauf spielt, wird er die Sache eng oder gedehnt auslegen (können).
Kirche besorgt über mögliche „Spaltungen“ – Anerkennung der „guten Früchte“
Die weitaus große Mehrheit der Medjugorje-Pilger sind treue Kinder der Kirche. Die Kirche, als weise Lehrmeisterin, sorgt sich um die Reaktion jener Medjugorje-Minderheit, die eine ungesunde, weil übersteigerte Anhänglichkeit an den geographischen Ort, statt an die Gottesmutter oder Jesus Christus haben. Die Gefahr irrationaler Reaktionen und Abspaltungstendenzen einzelner Gruppen wird in Rom durchaus ernst genommen.
Kardinalpräfekt Müller drängt daher mit Nachdruck auf die Durchsetzung eines weltweiten Verbots für die „Seher“, im kirchlichen Rahmen aufzutreten. Ebenso möchte er Medjugorje der direkten Kontrolle der Glaubenskongregation unterstellen. Die Seelsorge soll in der Hand des Franziskanerordens bleiben, das Nominierungsrecht für die dort tätigen Priester jedoch auf Rom übergehen. Rom hätte damit jederzeit direkte und unmittelbare Interventionsmöglichkeit. Allein dieser kirchenrechtliche Status würde disziplinierend wirken, sind sich einige in Rom sicher.
Gerungen wird vor allem auch um die Formulierung, wie die positiven „Früchte“ anerkannt werden können, ohne die Übernatürlichkeit der „Erscheinungen“ anzuerkennen. Medjugorje-Anhänger verweisen mit Nachdruck auf die „guten Früchte“, an denen man die Echtheit erkenne. Kardinal Schönborn war es, der in den 90er Jahren sagte, ohne Medjugorje hätte er sein Priesterseminar bereits zusperren müssen. Zumindest wird es so von Medjugorje-Anhängern kolportiert. Es gibt neue Ordensgemeinschaften, die den Gründungsimpuls auf Medjugorje zurückführen. Und es gibt Menschen, die dort ihren Glauben wiedergefunden haben.
Theologen sagen: Nicht Medjugorje, sondern Christus heilt auf die Fürsprache der Gottesmutter
Theologen verweisen hingegen darauf, daß die guten Früchte nicht mit den „Erscheinungen“, sondern mit der Offenheit und Bereitschaft zu tun haben, mit der Gläubige nach Medjugorje pilgern. Diese Öffnung des Herzens finde göttliche Erwiderung, daher auch Berufungen zum Priestertum oder Ordensleben. „Wäre derselbe junge Mann mit derselben Offenheit des Herzens zu einer anderen Marienkirche gepilgert statt nach Medjugorje und hätte dort mit derselben Bereitschaft gebetet, hätte Gott ihn eben dort berufen. Nicht Medjugorje beruft oder bekehrt oder befreit von Drogensucht, sondern – auf die Fürsprache Mariens – Gott allein. Das muß die Kirche den Gläubigen mit Geduld erklären.“
Vorerst wurde etwas Zeit gewonnen. Einige Monate, in denen hinter den Kulissen um Formulierungen gerungen werden wird. Dabei ist nicht gesagt, daß Papst Franziskus letztlich wirklich „nach der Sommerpause“ oder nach der Bischofssynode entscheiden wird. Bereits seine Vorgänger rissen sich nicht um eine Entscheidung, obwohl gerade die Medjugorje-Anhänger eine solche von Rom einforderten, allerdings mehr, um damit die ablehnenden Urteile der zuständigen Bischöfe zu umgehen. Nun, da Rom wirklich entscheiden will, wirken manche Medjugorje-Kreise mehr besorgt als zufrieden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider