(Frankfurt am Main) Bischof Heinrich Mussinghoff von Aachen äußerte Unverständnis für Papst Benedikt XVI. Bei einer Tagung in Frankfurt am Main zu 50 Jahre Konzilserklärung Nostra Aetate sagte Mussinghoff, er „habe nie verstanden, warum Papst Benedikt diese Fürbitte in den alten Ritus wieder eingeführt hat“. Das sei „mit Verlaub gesagt und bei allem Respekt keine gute Sache“.
Bischof Mussinghoff gilt weder als Freund der überlieferten Form des Römischen Ritus noch trifft das Verb „wieder einführen“ die Sachlage mit dem Karfreitagsgebet für die Juden. Benedikt XVI. führte 2008 eine neuformulierte Karfreitagsbitte ein. Bischof Mussinghoff brachte hingegen zum Ausdruck, daß er das Gebet für eine Bekehrung der Juden grundsätzlich streichen würde, auch im überlieferten Ritus.
Zentralsvorsitzender der Juden für ersatzlose Streichung
Es war Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, der in Frankfurt die ersatzlose Streichung der Karfreitagsbitte gefordert hatte. Bischof Mussinghoff, der in der Deutschen Bischofskonferenz für die Beziehungen zum Judentum zuständig ist, bemühte sich, zu sekundieren.
Der Bischof pflichtete Schuster bei, denn auch er „wünsche“ eine „Zurücknahme der Neuformulierung“. Mussinghoff gab ebenso zu verstehen, daß es ihm dabei nicht nur um jüdische Befindlichkeiten geht, sondern auch um eine Ende der „Verhandlungen mit der Piusbruderschaft“.
Der Aachner Bischof erklärte dem anwesenden Publikum, daß er, ging es nach ihm, unter die Verhandlungen mit der Piusbruderschaft einen Schlußstrich ziehen und diese beenden würde. Anders ausgedrückt: Wäre es nach Mussinghoff gegangen, wäre es erst gar nicht zu irgendwelchen Verhandlungen gekommen.
Verdacht, die Kirche wolle „Judenmission fortsetzen“
Die Ablehnung der neuformulierten Karfreitagsbitte begründete der Zentralratsvorsitzende mit dem Verdacht, den sie bei Juden aufkommen habe lassen, die Kirche wolle „letztlich doch die alte Judenmission fortsetzen“ und ein „Überlegenheitsgefühl“ gegenüber den Juden betonen. Solche Formulierungen hätten durch Jahrhunderte einen „christlichen Anti-Judaismus gefördert. Und was daraus wurde, das wissen wir ja alle“, wird Schuster von der Katholischen Nachrichtenagentur KNA zitiert. Unwidersprochen behauptete der Zentralratsvorsitzende eine Mitschuld der katholischen Kirche am nationalsozialistischen Rassen-Antisemitismus und den vom NS-Regime begangenen Verbrechen.
Mussinghoff, dem seine Distanzierung von „traditionalistischen Kreisen“ leicht über die Lippen kam, bezeichnete die Karfreitagsbitte in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus als „Belastung“ des christlich-jüdischen Dialogs.
In der ursprünglichen Fassung der Karfreitagsbitte wurde für die „verblendeten“ und „treulosen“ Juden um Bekehrung gebetet, weil sie Jesus Christus nicht als Messias und Sohn Gottes anerkennen und damit das Heilsangebot Gottes durch das Kreuzesopfer Christi zurückweisen.
Änderung mit nachkonziliarer Liturgiereform 1970
Mit der nachkonziliaren Liturgiereform von 1969/1970 wurde die Bitte auf umstrittene Weise umformuliert und die Juden faktisch aus dem Heilsgeschehen ausgeblendet, als wären sie nichts heilsbedürftig. „Laßt uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat. Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluß sie führen will.“ Diese Fürbitte ist bis heute die am Karfreitag in deutschsprachigen Gottesdiensten allgemein verwendete Formulierung.
Die Formulierung entspricht zwar dem jüdischen Selbstverständnis, aber weder Christi Botschaft noch dem sich daraus ergebenden christlichen Verständnis von der Heilsbedürftigkeit aller Menschen. In Frankfurt stieß man sich auf der Wortebene an der Formulierung, ignorierte jedoch die inhaltliche Ebene, da ein Einschluß der Juden in den Missionsauftrag der Kirche offen (Schuster) oder stillschweigend (Mussinghoff) abgelehnt wurde.
Sind nicht alle Menschen heilsbedürftig?
Gibt es aber einen Hinweise in der christlichen Glaubenslehre, daß es zwei Gruppen von Menschen gebe, nämlich zum einen die heilsbedürftigen Menschen und zum anderen die Juden? Aus christlicher Sicht ist ein Fortbestehen eines nachösterlichen Bundes für die Juden ebenso sinnwidrig wie unbelegt. Was es gibt, sind vielmehr solche Juden, die das Heilsangebot Gottes durch Christus angenommen haben und seit zweitausend Jahren annehmen und daher Christen werden, und solche Juden, die das Heilsangebot Gottes ablehnen und sich damit außerhalb des Bundes stellen. Das ändert nichts daran, daß sie es natürlich anders sehen, so wie Mormonen ihr Verhältnis zu Gott anders sehen, als es die katholische Kirche sieht. Für Christen ist es undenkbar, eine Gruppe aus ihrer Bitte um Bekehrung auszunehmen. Es wäre ein schwerwiegender Verstoß gegen das Gebot der Nächsten- und der Gottesliebe.
Bischof Mussinghoff und Zentralratsvorsitzender Schuster waren sich in der Bewertung einig, daß das christlich-jüdische Verhältnis „insgesamt sehr gut“ sei. „Belastungen“ dürften jedoch nicht übersehen werden, so die beiden Diskutanten.
„Nur in Deutschland ein Problem“
Die Verteidigung von Benedikt XVI. fiel P. Norbert Hofmann, Sekretär der Päpstlichen Kommission für die Beziehungen zum Judentum zu. Er verlas eine Stellungnahme von Kurt Kardinal Koch, der nicht nur die „gute Absicht“ des emeritierten Papstes betonte, sondern unterstrich, daß die Karfreitagsbitte „theologisch korrekt“ formuliert sei. Schließlich sei die ältere Formulierung „viel schlimmer gewesen“. Pater Hofmann gab allerdings zu verstehen, daß die Frage aufgrund seiner Geschichte nur in Deutschland ein Problem sei, nicht aber für den Rest der Welt.
Pater Hofmann riet Schuster schließlich, sein Anliegen direkt im Vatikan vorzubringen.
Text: Andreas Becker
Bild: Wikicommons