(Rom) Rund um die von Papst Franziskus angekündigte Öko-Enzyklika herrscht eine seltsame Erregung. Deren Veröffentlichung sollte noch vor der Sommerpause erfolgen. Dahinter zeichnet sich eine dramatische Kursänderung der Katholischen Kirche unter dem argentinischen Papst ab: eine Anpassung an die UNO-Globalisierungsideologie.
Von Riccardo Cascioli, Chefredakteur der Nuova Bussola Quotidiana
Besonders seltsam ist, daß die Erwartungen vor allem in laizistische Kreisen hoch sind. Inzwischen vergeht kein Tag, an dem die große internationale Presse sich nicht mit der Öko-Revolution befaßt, die dieser Papst auslösen werde. Laut der Washington Post von Montag werde Papst Franziskus die „drängenden Sorgen wegen der globalen Erderwärmung aufgreifen und den menschlichen Einfluß auf den Klimawandel betonen“. Die Washington Post kündigte sogar triumphal an, daß es das erste Mal in der Geschichte sei, daß ein Papst „für ein so wichtiges Schreiben“ ein gezielt gesuchtes Erscheinungsdatum wählt, „um den Prozeß der Zivilgesellschaft zu beeinflussen, im konkreten Fall die UNO-Weltklimakonferenz, die im kommenden Dezember in Paris stattfinden wird.“
Wahrscheinlich wurde noch keine Enzyklika so auffallend erwartet und ihre Inhalte schon vorab so umfassend angekündigt. Damit besteht die Gefahr, daß nach ihrer Veröffentlichung nicht ihr tatsächlicher Inhalt beachtet werden könnte, da ihn schon alle zu kennen meinen. Damit aber könnten Inhalte in die Enzyklika hineininterpretiert oder betont werden, die so gar nicht drinnen stehen.
Ziel zum Greifen nahe, daß Katholische Kirche sich der Klimadoktrin beugt?
Warum gibt es aber diese ganze Aufregung und Begeisterung um diese angekündigte Enzyklika? Aus dem einfachen Grund, weil man – ob zu recht oder zu unrecht – ein Ziel zum Greifen nahe sieht, das bisher unerreichbar schien: nämlich, daß sich die Katholische Kirche in den Öko-Chor der Religionen einreiht und die offizielle Klimadoktrin unterstützt.
Bisher war die Katholische Kirche, trotz des zum Teil enormen Drucks von außen, aber auch von innen, der letzte, unüberwindliche Hort zur Verteidigung der Menschenwürde gegen die Globalisierungsideologie, die den Menschen – in Bildung und Information – in völlige Abhängigkeit von der vorherrschenden Macht führen will. Die internationalen Konferenzen der UNO sind seit den 90er Jahren beredte Beispiele dafür. Wenn bisher noch kein internationales Dokument die Abtreibung zum Grund- und Menschenrecht erklärt hat, noch kein internationales Dokument die Gender-Ideologie statt des Geschlechts von Mann und Frau postuliert hat und noch kein Dokument offiziell die Zerstörung der Familie fordert, dann ist dies gerade und in erster Linie dem Widerstand der Katholischen Kirche zu verdanken, die durch vatikanische Delegationen vertreten ist und bisher durch intensive Arbeit imstande war, mit ausreichend Staaten Koalitionen zu bilden, um solche Pläne zu durchkreuzen.
„Ganzheitliche menschliche Entwicklung“ gegen „nachhaltige Entwicklung“
Ein Beispiel dafür ist auch die Enzyklika Caritas in Veritate von Benedikt XVI., die sich trotz des starken Drucks, der auch von einigen europäischen Episkopaten ausgeübt wurde, nicht der vorherrschenden Mentalität beugte. Benedikt XVI. verwarf einen vorherrschenden „Reduktionismus“ mit seinen Verkürzungen:
„Die Entwicklung muß außer dem materiellen auch ein geistig-geistliches Wachstum umfassen, weil der Mensch eine ‚Einheit aus Seele und Leib‘ ist, geboren von der schöpferischen Liebe Gottes und zum ewigen Leben bestimmt. Der Mensch entwickelt sich, wenn er im Geist wächst, wenn seine Seele sich selbst und die Wahrheiten erkennt, die Gott ihr keimhaft eingeprägt hat, wenn er mit sich selbst und mit seinem Schöpfer redet. Fern von Gott ist der Mensch unstet und krank. Die soziale und psychologische Entfremdung und die vielen Neurosen, die für die reichen Gesellschaften kennzeichnend sind, verweisen auch auf Ursachen geistlicher Natur. Eine materiell entwickelte, aber für die Seele bedrückende Wohlstandsgesellschaft ist an und für sich nicht auf echte Entwicklung ausgerichtet. Die neuen Formen der Knechtschaft der Droge und die Verzweiflung, in die viele Menschen geraten, finden nicht nur eine soziologische und psychologische, sondern eine im wesentlichen geistliche Erklärung. Die Leere, der sich die Seele trotz vieler Therapien für Leib und Psyche überlassen fühlt, ruft Leiden hervor. Es gibt keine vollständige Entwicklung und kein universales Gemeinwohl ohne das geistliche und moralische Wohl der in ihrer Gesamtheit von Seele und Leib gesehenen Personen.“
Soweit nur ein kleiner Auszug dieses wertvollen Dokuments des kirchlichen Lehramtes. Von Papst Benedikt XVI. hatte man damals gefordert, die zentrale Formulierung „ganzheitliche menschliche Entwicklung“ schon im Titel durch „nachhaltige Entwicklung“ zu ersetzen. (Caritas in Veritate Nr. 4, 8, 9, 11, 17, 18, 29, 30, 34, 44, 48, 51, 55, 62, 67, 74, 77). Eine Forderung, der sich die gesamte Enzyklika widersetzt.
Legitimation für UNO-Welteinheitsideologie
In dieser zentralen anthropologischen Frage hat sich die Katholische Kirche immer von allen anderen Religionen unterschieden, die sich weitgehend schon seit einiger Zeit der UNO-Welteinheitsideologie angepaßt haben. So sehr, daß sie sogar eine Art UNO der Religionen geschaffen haben, die der von den UNO-Organisationen beschlossenen Weltpolitik die moralische Unterstützung und Legitimation beisteuern sollte: siehe „nachhaltige Entwicklung“. Nur die Katholische Kirche, die in dieser Politik richtiggehend eine Bedrohung der Menschenwürde im Namen abstrakter „Werte“ erkennt, hielt sich davon fern und verweigerte die Anpassung und Unterwerfung.
Das alles scheint nun aber Vergangenheit zu sein: Heute findet in Rom eine große, von der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften organisierte Tagung über den Klimawandel statt. „Die Erde schützen, die Menschheit veredeln. Die moralischen Dimensionen des Klimawandels und der nachhaltigen Entwicklung“ lautet der Titel der offiziell Workshop genannten Veranstaltung. Die Eröffnungsrede hielt heute im Vatikan kein geringerer als UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon, was allein schon das große Interesse an der Wende in der Kirche unterstreicht.
Stimmt die Kirche der Ideologie der nachhaltigen Entwicklung mit einer Weltethik zu?
In der Einladung heißt es: Zweck der Tagung sei es, „zu sensibilisieren und einen Konsens über die Werte der nachhaltigen Entwicklung in Übereinstimmung mit den Werten der wichtigsten religiösen Traditionen zu schaffen mit besonderer Berücksichtigung der Schwächsten“. Zweck der Tagung ist es auch, „in allen Religionen eine globale Bewegung für die nachhaltige Entwicklung und den Klimawandel aufzubauen“.
Der Zweck der Tagung läßt sich auch mit anderen Worten wiedergeben: „Zustimmung zur Ideologie der nachhaltigen Entwicklung, Integration mit den anderen Religionen auf der Suche nach einer globalen Ethik, unkritische Unterstützung für die Ideologie des (menschenverschuldeten) Klimawandels.“ So lautet die Neuausrichtung, die in diesem Fall von der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften gefördert wird, die aber inzwischen von der vatikanischen Führungsspitze weitgehend geteilt wird. Wahrscheinlich auch (aber nicht nur) aus Ignoranz.
Auch eine ignorante Person müßte sich nämlich fragen, warum die Enzyklika Caritas in Veritate von „ganzheitlicher menschlicher Entwicklung“ spricht und eben nicht von „nachhaltiger Entwicklung“. Zudem müßte sich heute jeder Beobachter fragen, warum eine Institution wie die Kirche sich entscheidet, nicht ein Konzept zu bewerben, das der christlichen Anthropologie entspringt, sondern ein Konzept, das ihr völlig fremd ist.
Deindustrialisierung und Geburtenkontrolle
Doch kehren wir zur Ignoranz zurück: Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich „nachhaltige Entwicklung“ auf Modelle zur wirtschaftlichen Entwicklung, die in besonderer Weise dem Umweltschutz verpflichtet sind. Wer wäre damit, zumindest grundsätzlich, nicht einverstanden? Doch darum geht es gar nicht. Die Idee der nachhaltigen Entwicklung taucht bei der UNO mit dem Brundtland-Bericht „Our Common Future“ über Entwicklung und Bevölkerung auf („Unsere gemeinsame Zukunft“, 1987). Er beruht auf einer negativen Sicht des Menschen, dessen Existenz und Handeln in jedem Fall schädlich für die Entwicklung und für die Umwelt sei. Die wirtschaftliche Entwicklung und das Bevölkerungswachstum wurden von der Brundtland-Kommission zu Hauptfeinden eines ausgeglichenen Ökosystems erklärt.
Seither werden mit der Ausrede des Umweltschutzes politische Entscheidungen zugunsten einer „nachhaltigen Entwicklung“ getroffen, die in Wirklichkeit alte Projekte verfolgen: Deindustrialisierung der entwickelten Welt und weltweite Geburtenkontrolle. Nicht von ungefähr wurde bei den ebenso sinnlosen wie kostspieligen Weltklimakonferenzen, die seit dem Protokoll von Kyoto 1997 in der Hoffnung stattfinden, ein weltweites, verpflichtendes Abkommen zustande zu bringen, die Ablehnung der Volksrepublik China, sich den ihre Entwicklung hemmenden Regeln zu unterwerfen, damit gerechtfertigt und akzeptiert, daß Peking seinen Teil bereits durch die „Ein-Kind-Politik“ geleistet habe.
Jeffrey Sachs, fanatischer Anhänger der Geburtenkontrolle, als Hauptredner im Vatikan
Wie könnte man nicht darüber besorgt sein, daß auf der heutigen Tagung des Vatikans als Hauptredner Jeffrey Sachs auftreten konnte? Sachs war bereits Chefökonom der UNO und ist heute Direktor des UN Sustainable Development Solutions Network. Er wurde inzwischen in die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften kooptiert und soll laut einigen Quellen aktiv an der Formulierung der Öko-Enzyklika von Papst Franziskus mitgewirkt haben. Sachs ist der treueste Interpret der Idee der nachhaltigen Entwicklung und natürlich ein fanatischer Unterstützer einer weltweiten Politik der Geburtenkontrolle. Damit wären wir, sobald man das Dickicht wohlklingender, aber irreführender Vokabeln lichtet, bei einer altbekannten Geschichte angelangt: Um die Armut zu beseitigen, genügt es die Armen physisch zu beseitigen.
Ich hatte Gelegenheit, mit Jeffrey Sachs zusammenzutreffen. Das war vor einigen Jahren beim Meeting von Comunione e Liberazione (CL) in Rimini, wo er als Redner geladen war. Auf meine Frage genau zu diesem Thema antwortete er mit sichtlicher Genugtuung: „Ich habe viele Bischöfe getroffen, die mir privat zur Geburtenkontrolle sagten, daß sie mit mir übereinstimmen, auch wenn sie aus naheliegenden Gründen dies nicht offen sagen können.“ Die „naheliegenden Gründe“ sind natürlich das Lehramt der Kirche, die „berüchtigte“ Doktrin, die uns lehrt, daß jedes Menschenleben heilig ist und aus keinem Grund, nicht einmal für die „Rettung“ des Planeten (wobei es einen solchen Interessenkonflikt natürlich nicht gibt), geopfert werden darf, auch nicht für das angebliche „Wohl“ künftiger Generationen.
Die Kirche ist dabei, genau diesen irrigen Weg einzuschlagen: stillschweigend die Geburtenkontrolle zu akzeptieren, indem man über etwas ganz anderes spricht.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Nuova Bussola Quotidiana