Straßburg) Das Europäische Parlament hat am Dienstag mit breiter Mehrheit den Antrag des belgischen Abgeordneten Marc Tarabella angenommen, Abtreibung in der Europäischen Union noch mehr zu liberalisieren. 441 Europaabgeordente stimmen für ein „Recht“ ungeborene Kinder töten zu können. Nur 205 Abgeordnete stimmten dagegen, 52 enthielten sich der Stimme.
Auch der umstrittenste Teil des Antrags wurde genehmigt, in dem eine Notwendigkeit behauptet wird, daß ein leichter Zugang zu Abtreibung und Verhütung „Frauenrecht“ sei.
Tarabella-Antrag öffnet dem Kindermord Tür und Tor
Der Antrag des belgischen Sozialisten fordert eine Reduzierung von Ungerechtigkeiten gegen Frauen und das auf verschiedenen Ebenen. Allerdings enthält der Tarabella-Antrag auch gesellschaftspolitische Linksideologie erster Klasse. Durch die Zustimmung macht sich das Europaparlament die linken Gesellschaftsexperimente zu eigen. Dazu gehört das „Recht der Frauen, allein über ihren Körper zu verfügen“. Der Antrag erklärt „sexuelle und reproduktive Rechte“ zu „grundlegenden Menschenrechten“. Dazu gehöre, so die Meinung des Europaparlaments der „einfache Zugang zu Empfängnisverhütung und Abtreibung“. Faktisch wird die Verhinderung des Lebens und die Ermordung ungeborenen Lebens als „Frauenrecht“ und „Menschenrecht“ behauptet.
In weiterer Auslegung hat das Europäische Parlament grundsätzlich grünes Licht für künstliche Befruchtung gegeben. Einschränkungen werden nicht genannt, weshalb unter „reproduktive Rechte“ auch künstliche Befruchtung für Alleinstehende, für Homosexuelle, Leihmutterschaft oder In-Vitro-Fertilisation mit drei biologischen Eltern wie in England miteingeschlossen sind. Potentiell sogar künftige Techniken, die heute noch gar nicht bekannt sind.
Geheuchelte Neutralität
Marc Tarabella selbst heuchelte Neutralität mit seinem Antrag, indem er behauptet „weder für noch gegen Abtreibung zu sein“. Als wäre Mord und vorgeburtliche Kindestötung eine abstrakte Frage und keine konkrete Entscheidung über Leben und Tod. Ihm gehe es um „Gleichberechtigung und Entscheidungsfreiheit, und das seien Grundrechte“. In Wirklichkeit geht der angenommene Tarabella-Antrag noch weiter als der im Dezember 2013 abgelehnte Estrela-Antrag. Die portugiesische Sozialistin Edite Estrela verlangte in Sachen „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ die verpflichtende Einführung von Schulsexualerziehung für Kinder. Am besten sogar schon im Kindergarten. Alles nur, so Estrela, um „unerwünschte Schwangerschaften“ zu verhindern, indem den Kindern von klein auf der Zugang, die Verfügbarkeit und die Nutzung von Verhütungsmitteln beigebracht werde. Hauptanliegen war es auch für sie, die „sichere und legale Abtreibung“ in ganz Europa zum „Recht“ zu erheben.
Damit existiert in Europa ein Recht, ungeborene Kinder möglichst weitgehend uneingeschränkt töten zu können. Es existiert aber kein Recht des Kindes, geboren zu werden. Es gibt nur ein Recht durch Abtreibung getötet zu werden, aber kein Recht mehr, nicht durch Abtreibung getötet zu werden.
Obstruktionspolitik nicht durchschlagend
Im Herbst 2013 mobilisierten sich europaweit Bürger, um gegen den Estrela-Bericht zu protestieren. Mail-Kampagnen für die Abgeordneten verhinderten die Verabschiedung durch das Europaparlament. Eine Reihe katholischer Abgeordneten in sozialdemokratischen Parteien enthielten sich damals der Stimme oder blieben der Abstimmung fern. Schon die zu Jahresbeginn 2014 folgende Abstimmung über den Lunacek-Bericht, der auch mit den Stimmen einiger Christdemokraten angenommen wurde, zeigte die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse in Straßburg und Brüssel. Eiskalt ließ die von einem Christdemokraten geführte EU-Kommission, im Übergang von einer Legislaturperiode des Europäischen Parlaments zur nächsten, 1,9 Millionen Unterschriften für das Lebensrecht ungeborener Kinder der Europäischen Bürgerinitiative One of Us – Einer von uns unter den Tisch fallen.
Mit Blick auf die Europawahlen im Mai 2014 zeigten sich Linkskreise damals besorgt über einen möglichen Rechtsruck und drängten deshalb auf die schnelle Verabschiedung des Lunacek-Berichts vor den Wahlen. Wie die gestrige Zustimmung zum Tarabella-Antrag zeigt, hat sich die Achse im Europäischen Parlament in Wirklichkeit weiter nach links verschoben. Die Mehrheitsentscheidung ist erdrückend ausgefallen und das, obwohl erneut mehrere katholische Abgeordnete von Linksparteien sich aus Gewissensgründen enthalten haben.
Über die „Reproduktion“ entscheiden die Staaten
Fadenscheiniger Grund für die breite Zustimmung zum Tarabella-Antrag war ein Abänderungsantrag der Europäischen Volkspartei (EVP), der angenommen wurde. Er unterstreicht, daß die Gesetzgebung zur „Reproduktion“ – was ja einen ziemlich kruden Anklang zu (industrieller) Produktion hat – in der Zuständigkeit der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten liegt. Auf diese Weise konnten sich viele die Hände waschen, wie sie es bereits im Zusammenhang mit der Zustimmung zum Lunacek-Bericht getan hatten.
Auch im Vorfeld der Tarabella-Abstimmung hatten sich zahlreiche Lebensrechtsinitiativen aktiviert. Martin Lohmann, der Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht nannte die Zustimmung zum Tarabella-Antrag eine „gottlose Barbarei“. „Wer die Tötung von Menschen zum Menschenrecht erhebt, zerstört alle anderen Menschenrechte und macht diese zur Makulatur“, so Lohmann.
Der Bund Katholischer Familienverbände (FAFCE) sammelte 50.000 Unterschriften gegen den Antrag. „Die Frauen brauchen Hilfe, nicht Abtreibung“ ließ die Gemeinschaft Papa Giovanni XXIII alle Europaabgeordneten wissen mit der Aufforderung, den Tarabella-Antrag abzulehnen und statt dessen Hilfsprogramme zur Unterstützung schwangerer Frauen zu fördern.
„Das Europaparlament unterstützt eine untragbare Situation“, so der Vorsitzende der katholischen Gemeinschaft, die nach Papst Johannes XXIII. benannt ist: „Für die Abtreibung wurde ein breiter, bequemer Weg bereitete, der Ablauf ist ganz einfach, es genügt ein Gespräch mit einem Gynäkologen und alles vollkommen kostenlos. Wenn eine Frau sich aber für ihr Kind entscheidet, Leben schenkt, behütet und nicht vernichtet, dann bekommt sie in den allermeisten Fällen kaum Hilfe, bestenfalls ein bißchen Almosen. Ein Netz angemessenere Dienstleistungen steht ihr schon gar nicht zur Verfügung. Vielmehr erleben nicht wenige Frauen heftigen Druck aus ihrem engeren familiären und sozialen Umfeld, das eine Schwangerschaft ablehnt. Brutaler könnten die Gegensätze nicht sein.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Guido Reni