(Rom) Irren ist menschlich, im Irrtum verharren aber ist teuflisch, schrieb der heilige Augustinus. Die Neufassung der Redewendung scheint sich auf Bergoglio zu reimen.
Papst Franziskus hat als Stellvertreter Christi und Kirchenoberhaupt auf Erden nicht sich selbst darzustellen, sondern eine Mission zu erfüllen hat, die Herde zu weiden, die Glaubenswahrheit zu bewahren, durch die Sakramente zu binden und zu lösen, allen Völkern das Evangelium zu verkünden und das Königtum Christi sichtbar zu machen. Und dennoch: Nichts nützten die Empfehlungen von Kardinal Joachim Meisner zum vergangenen Jahreswechsel für Papst Franziskus, um nicht mit Scalfari verwechselt zu werden. Der inzwischen emeritierte Erzbischof von Köln legte dem Papst in Rom eindringlich nahe, auf Interviews zu verzichten. Dennoch gewährte Papst Bergoglio dem Atheisten freimaurerischer Tradition Eugenio Scalfari ein zweites Mal ein Gespräch, wissend, daß Scalfari das Interview frei aus dem Gedächtnis und aus seinem ideologischen Blickwinkel rekonstruiert. Das nennt sich unter normalen Umständen Naivität.
Selbst der naivste Mensch tappt in der Regel nur einmal in dieselbe Falle. Wenn Papst Franziskus ohne Not zum „Wiederholungstäter“ wird, darf nach menschlichem Ermessen umgekehrt daraus geschlossen werden, daß er mit der Art und den Inhalten des ersten umstrittenen Interviews (Abschaffung der Sünde, kein objektiv Gutes, keine Bekehrung der Ungläubigen) einverstanden ist. Warum sucht der argentinische Papst den italienischen Doyen des linken Journalismus als privilegierten Gesprächspartner? Eine berechtigte Frage. Weil er ihm einen Zugang zu Kreisen verschafft, die sonst die Botschaft nicht hören würden? Mag sein. Doch welche Botschaft: Jene des katholischen Papstes oder des freimaurerischen „Papstes“? Die Bergoglios oder jene Scalfaris? Oder herrscht soweit Einvernehmen in der Sichtweise zwischen beiden, daß der bekennende Atheist zum Sprachrohr des bekennenden Theisten wird? Unterm Strich soll dabei was herauskommen? Alle beachteten und diskutierten „Aussagen“ der beiden (Nicht)Interviews stehen in einem frappierenden Kontrast zur kirchlichen Tradition. Cui bono? Normalisten stecken bei dieser und ähnlichen Fragen den Kopf in den Sand und tun so als würden sie nichts hören und nichts sehen. Darum noch einmal: Cui bono?
Giuliano Ferrara, der Chefredakteur der Tageszeitung Il Foglio, seit Papst Benedikt XVI. eine der führenden Diskussionsplattformen für die Entwicklung in der Katholischen Kirche, verfaßte den nachfolgenden Kommentar, den wir zusammen mit einigen Leserzuschriften veröffentlichen.
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Perseverare ist Bergoglianisch
Il Foglio vom 15. Juli 2014
Irren ist menschlich, aber im Irrtum verharren ist Bergoglianisch. Zum zweiten Mal in weniger als einem Jahre – das erste Mal geht auf den Oktober 2013 zurück, das zweite Mal auf den vergangenen Sonntag – wurde das, was die Tageszeitung La Repubblica als Interview ihres Gründers mit Papst Franziskus ausgibt, der ausgerechnet Eugenio Scalfari als bevorzugten Gesprächspartner und metaphorischen Maieutiker beachtenswerter Neuheiten im Leben der Kirche wählt, zum Anlaß eines hochnotpeinlichen Widerrufs durch das von Pater Federico Lombardi geleitete Presseamt des Vatikans.
Die bestrittenen Erklärungen, die „nicht mit Sicherheit dem Papst zugeschrieben werden können“, wie es – wie bereits das erste Mal – in der offiziellen Note des Vatikans heißt, sind jene, die am schmackhaftesten und am meisten geeignet sind, als neue, unerwartete Etappen in der Bergoglianischen Kirchenrevolution präsentiert zu werden.
„Zum Beispiel und im besonderen“ – wie Lombardi in der Erklärung betonte – „gilt das für zwei Behauptungen, die große Aufmerksamkeit erregten, die aber nicht dem Papst zuzuschreiben sind. Einmal daß es unter den Pädophilen ‚Kardinäle‘ gibt und daß der Papst mit Sicherheit zum Zölibat behauptet habe, ‚die Lösungen werde ich finden‘.“ Pater Lombardi geht sogar soweit, die Art, wie in der Repubblica die päpstlichen Pseudo-Erklärungen in einem verdächtigen Spiel geöffneter, aber nie geschlossener Anführungszeichen präsentiert wurden, als „Manipulation für die unbedarften Leser“ zu bezeichnen. Töne, die an eine Kriegserklärung erinnern.
Die Wahrheit aber ist, daß der Mann von Welt und große Zeitungsmacher Eugenio Scalfari genau weiß und genau kalkuliert, was er tut und wie er es tut. Seine päpstlichen Interviews aus dem Gedächtnis, ohne Notizblock, ohne Tonband und ohne, daß der Interviewte den Text durchsieht, sind inzwischen dabei, zu einem eigenen neuen und grandiosen literarischen Genre zu werden.
Wer nicht verstanden zu haben scheint, was jedesmal auf ihn zukommt, scheint hingegen Papst Franziskus zu sein. So unbedarft – kann der erste Jesuitenpapst wirklich so naiv sein? – um den journalistischen Gebrauch und sogar Mißbrauch dieser Gespräche vorherzusehen (und dem vorzubeugen), den sein Gesprächspartner Scalfari, der ungläubige Laizist, der zwar der Humanität Christi zugetan ist, nicht aber der Kirche, betreiben wird.
Dazu einige Lesermeinungen:
- „Man sollte Papst Bergoglio sagen, daß jedes Interview von Scalfari ein Interview von Scalfari mit Scalfari ist: dem Papst eben!“
- „Es wäre eine gute Sache, wenn Pater Lombardi Papst Franziskus empfehlen würde, sich für das nächste Interview einen vertrauenswürdigeren Gesprächspartner zu suchen. Einen, der der Kirche mehr zugetan ist und weniger dem Journalismus, der den Leuten gefällt, die gefallen.“
- „Es ist eine alte Tradition des Vatikans: Wenn ein Besuch kommt, macht man ihm ein Geschenk, damit er sich an den Tag der Begegnung erinnert. Eine Ikone, ein altes Buch, einen Rosenkranz. Das nächste Mal, wenn Eugenio Scalfari kommt, sollte man ihm ein Tonbandgerät schenken.“
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi