(Rom) Der argentinische Jesuit Juan Carlos Scannone übernimmt die Verteidigung von Kardinal Walter Kasper und dessen Thesen „neuer Wege“ für die wiederverheiratet Geschiedenen. Er tut dies nicht irgendwo, sondern auf den Seiten der renommierten Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica, die mit ausdrücklicher Druckerlaubnis des Vatikans erscheint und damit im Namen des Papstes. Welche Argumente bringt der „Volkstheologe“ Scannone vor, der Jorge Mario Bergoglio zu seinen Zöglingen zählt?
Papst Franziskus warf das Steinchen in den Teich, als er am Fest Peter und Paul 2013 von „Synodalität“ statt Kollegialität sprach. Auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Rio de Janeiro kündigte er dann erstmals an, daß die nächste Bischofssynode zum Thema Familie stattfinden werde. Eine Ankündigung, die auf eine Journalistenfrage zur Zulassung wiederverheiratet Geschiedener zur Kommunion erfolgte. Der Journalist hatte gefragt: „Besteht die Möglichkeit, daß sich in der Disziplin da etwas ändert?“ Obwohl die Synode sich um „die Familie“ drehen soll, bestand damit vom ersten Augenblick an und vom Papst gewollt ein direkter Zusammenhang zwischen der Bischofssynode und der Frage der wiederverheiratet Geschiedenen.
Es ist begründet anzunehmen, daß Papst Franziskus das Steinchen mit der Absicht in den Teich warf, daß Kreise gezogen werden. Wo es nicht geschieht, hilft er je nach Lage und Situation auch einmal nach. Die Rede ist von „Revolution“, die die Unauflöslichkeit der Ehe in einem Dampfbad der Barmherzigkeit aufzulösen droht (zu den wichtigen bisherigen Etappen der Strategie siehe Kardinal Kaspers Rede und „Die Zeit“ – Eindruck einer strategischen Planung).
Kritik an Kaspers Kasuistik – Civiltà Cattolica schlägt dialektisch zurück
Der Stein zieht seine Kreise. Die einflußreiche Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica, die sich seit dem großen Interview vom September des Vorjahres ganz im den Dienst der neuen Papst-Linie gestellt hat, machte sich in ihrer jüngsten Ausgabe die Verteidigung von Kardinal Walter Kasper und dessen Thesen zur Zulassung wiederverheiratet Geschiedener zu den Sakramenten zur Aufgabe. Beauftragt wurde damit der argentinische Jesuit Juan Carlos Scannone. Ohne Kasper zu nennen, versucht er einige Kritikpunkte und negative Reaktionen auf Kaspers Rede vom 22. Februar vor dem versammelten Kardinalskollegium zu parieren. Der Weg, den er dabei wählt, ist allerdings erstaunlich. Er wirft den Kritiker vor, daß sie in moralischen Fragen dazu neigen würden, sich in eine unhistorische und abstrakte Kasuistik einzuschließen, die den realen und persönlichen Kontext der Menschen und ihres Lebens zu abstrahieren versuche.
Die Argumentationsweise erstaunt, weil Kritiker gerade Kasper eine Reduzierung der Frage auf bloße Kasuistik vorwerfen.
Pater Scannone, ein Karl Rahner-Schüler, zählt Jorge Mario Bergoglios zu seinen Zöglingen. Scannone war es, der nach dessen Wahl den neuen Papst als Vertreter der „Argentinischen Schule“ der „Befreiungstheologie“ benannte, dem „der Blutdruck nicht steigen wird, wenn er innerkirchliche Reformen umsetzt“, so der 83 Jahre alte Jesuit, der selbst der „argentinischen“ Variante der „Befreiungstheologie“, der sogenannten „Volkstheologie“ angehört.
Scannone übernimmt Verteidigung Kaspers
Die neue Ausgabe von Civiltà Cattolica mit dem Aufsatz von Pater Scannone wird am kommenden Samstag erscheinen. Andrea Tornielli, dem Haus- und Hof-Vatikanisten dieses Pontifikats, fällt es zu, bereits vorab die Werbetrommel für die Kasper-Verteidigung zu rühren. Zeichen dafür, daß hinter Kardinal Kasper, wenn auch offiziell geleugnet, der Papst selbst steht.
So ist es auch kein Zufall, daß Scannone seinen Aufsatz damit beginnt, daß er das Lob zitiert, mit dem Papst Franziskus sich bei Kardinal Kasper für seine Ausführungen beim Kardinalskonsistorium bedankte. Ein Lob, das überschwenglich war, und so offensichtlich darauf abzielte, die heftigen Widerstände zahlreicher Kardinäle gegen Kaspers Thesen abzumildern, wenn nicht gar zu brechen.
Dann kreist der argentinische Jesuit um den Berg, indem er die Bedeutung erläutert „was“ man sagt, aber auch „wie“ man es sagt, da das „wie“ Teil des Inhalts sei und daher kein zufälliger äußerer Umstand sei.
Das Papstlob für Kardinal Kasper und das „offene Denken“
Ausgangspunkt von Scannones Überlegungen, der Jesuit legt wert auf diese Hervorhebung und empfiehlt diese Betrachtungsweise gewissermaßen allen, ist das Lob des Papstes für Kasper. Der Papst sprach davon, daß die Ausführungen Kaspers das Ergebnis einer „Theologie auf den Knien“ sei. Ein Lob, das dermaßen überzogen klingt, daß es eigentlich geradezu seine Wirkung verfehlen müßte. Pater Scannone läßt sich davon nicht beeindrucken, denn das Wort des Papstes, so scheint der Autor wohl nicht zu Unrecht anzunehmen, werde seine Wirkung schon nicht verfehlen. Und der Papst hatte seinen schwärmerischen Zuspruch für Kasper, den er zuvor mit dem einzigen Referat des Konsistoriums beauftragt und ihm und seinen Thesen von vorneherein eine privilegierte Stellung verschafft hatte, nicht sofort ausgesprochen, sondern erst, nachdem sich aus den Reihen der Kardinäle heftige Kritik gegen Kasper erhob. Ohne mit einem einzigen Wort inhaltlich auf die Frage einzugehen, signalisierte der Papst dennoch eine eindeutige Parteinahme. Eine dialektische Meisterleistung.
Scannone erinnert zudem an die Rede, die Papst Franziskus am vergangenen 10. April vor Professoren und Studenten einiger päpstlichen Hochschulen gehalten hat. Darin sprach der Papst von einer Philosophie und einer Theologie, ‚die „mit offenem Geist und auf den Knien“ gemacht werde. Zudem verwies er auf eine „existentielle Haltung“, die diese begleiten müsse, damit sie fruchtbar sein können. Der Papst fügt hinzu: „Der Theologe, der sich seines abgeschlossenen Denkens gefällt ist mittelmäßig. Der gute Theologe und Philosoph hat ein offenes, das heißt unvollständiges Denken, immer offen für das Größere Gottes und die Wahrheit, immer in Entwicklung“.
Dem stellt Scannone die Kritiker Kaspers gegenüber und bezichtigt sie, “ein eintöniges, nicht offenes Denken zu haben, weder für die Transzendenz noch für historische Neuheiten noch für das unveränderliche Anderssein der Anderen“. Diese Abschließung werde „häufig gerade von der Angst vor diesen Neuheiten und Anderssein provoziert und sogar von der eigenen Freiheit und der Unvorhersehbarkeit Gottes, der immer größer ist“.
Alles eine Frage der Sprache?
In seinen weiteren Ausführungen spricht der Jesuit von der Bedeutung einer geeigneten Sprache für „die Verkündigung und Akzeptanz des Evangeliums“ und zitiert dazu erneut Papst Franziskus, diesmal dessen Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium: „Manchmal ist das, was die Gläubigen beim Hören einer vollkommen musterhaften Sprache empfangen, aufgrund ihres eigenen Sprachgebrauchs und ‑verständnisses etwas, was nicht dem wahren Evangelium Jesu Christi entspricht.“ Was in der offiziellen deutschen Übersetzung „vollkommen musterhafte Sprache“ heißt, wäre gemäß Original (lenguaje completamente ortodoxo) eigentlich mit „vollkommen orthodoxe Sprache“ zu übersetzen, was die Aussage verschärft. Überhaupt kommt Papst Franziskus in Evangeliii Gaudium 22 Mal auf die Art und Bedeutung einer neuen, angemessenen oder geeigneten Sprache zu sprechen.
Dann verweist Pater Scannone darauf, daß „Papst Franziskus in allen Situationen mit Einfachheit spreche, aber deshalb nicht mit weniger Tiefe“. Der Jesuit analysiert und vertieft das päpstliche Lob für Kasper und das, was er die „ruhige und bedächtige Art seiner Theologie“ nennt, indem sich der Kardinal zweier Philosophien mit moderner Sprache bediene, der „analytischen, vorwiegend angelsächsischen Philosophie, und der vorwiegend europäischen Phänomenologie“.
Warnung vor „Hermeneutik der Angst“
Letztlich warnt Scannone vor dem, was er als „die Furcht vor unerwartet Neuem oder der unbekannten Zukunft“ bezeichnet, die „immer eine Herausforderung seien und den Plan unserer (scheinbaren) Sicherheiten durcheinander bringt. Das Sprichwort sagt, Angst ist der schlechteste Ratgeber: Das ist er nicht nur in den praktischen Entscheidungen, sondern auch in den theoretischen Feststellungen und vor allem wenn es sich um die Angst vor der Freiheit handelt (sowohl der eigenen als auch jener des Heiligen Geistes)“.
Die Gefahr sei, daß „die Angst vor unvorhergesehen Neuem – das dem Handeln Gottes eigen ist, da freies und unergründliches Mysterium – die Angst vor der Freiheit und dem Anderssein jedes anderen Menschen, da Abbild Gottes“ sich „in einem Denken und in einer eintönigen, das heißt nicht für die Transzendenz Gottes, das Unvorhersehbare und die anderen“ offenen Denken widerspiegelt, „vielleicht aus Angst Sicherheiten zu verlieren.“ In Moralfragen tendiere dieses Denken „sich einzuschließen in eine unhistorische und abstrakte Kasuistik, die reale und persönliche Kontexte abstrahiere und sie in einfachen syllogistischen Anwendungen formalisiere, indem sie sie so zu bloßen ‚Fällen‘ einer Generalregel reduziert.“
Deshalb sei das von Bedeutung, was der kanadische Jesuit und Religionsphilosoph Bernard Lonergang „affektive Umkehr“ nennt. Gemeint sei damit die Umkehr von einem ungeordneten Affekt zur Ruhe, die Wahrheit sie selbst sein zu lassen. Diese „Umkehr“ sei auch für die wissenschaftliche Methodologie wichtig, vor allem jene der Theologie. Um so mehr gelte diese für die Entscheidungen des Lebens, vor allem im Zusammenleben mit anderen sowohl in den persönlichen Beziehungen, als auch in den Makro-Beziehungen, die durch Institutionen und Strukturen vermittelt werden.
Scannone schließt seinen Aufsatz mit einer Anleihe beim Theologen Hans Urs von Balthasar, der zwischen der “negativen Furcht“, von der im Aufsatz im Zusammenhang mit der “Hermeneutik der Angst“ die Rede ist, und der „grundlegenden Funktion (wenn sie auch nicht die grundlegendste ist) der Furcht in der Kirche“ unterscheidet, „der Überlieferung untreu zu sein“.
Die “begründete Furcht der Überlieferung untreu zu sein“, so Pater Scannone abschließend, “ist nie eine Angst vor der Freiheit – dem schlechten Lehrmeister -, sondern ist Teil der gemeinschaftlichen Annäherung des Gottesvolkes an die Wahrheit in der Liebe, und daher wird sie auf angemessene Weise die Stimme zu erkennen wissen, die der Kirche sagt, was Gabriel der Jungfrau sagte: ‚Fürchte dich nicht, Maria!‘“.
Scannones Totschlagkeule
Die Ausführungen des argentinischen Jesuiten gehen nicht inhaltlich auf das Thema der nahenden Bischofssynoden 2014 und 2015 ein. Was somit den Diskurs unterschiedlicher Positionen erleichtern sollte, tut es aber nicht. Ganz im Gegenteil. Mit seinen Überlegungen, wie man sich grundsätzlich dem Thema der Zulassung zur Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene annähern sollte, ergreift er nicht nur eindeutig Partei, sondern antwortet der Kritik an Kardinal Kaspers „Öffnungs“-Thesen, die offensichtlich von Papst Franziskus gewünscht sind, mit einer Totschlagkeule.
Wer die Thesen des deutschen Theologenkardinals nicht teilt, habe „Angst“ vor der eigenen Freiheit und dem unvorhersehbaren Wirken Gottes. Dahinter stehe der „Heilige Geist“ und eine „Theologie auf den Knien“, die allerdings Kardinal Kasper vor dem Papst noch niemand attestiert hatte, schon gar nicht zum genannten Thema. Mit gutem Grund. Was Scannone mit ausdrücklicher Druckerlaubnis des Vatikans vorlegt, ist trotz der kenntnisreichen und intelligenten Darlegung, letztlich eine ziemlich plumpe dialektische Übung. Mit anderen Worten: So sehen Totschlag-„Argumente“ aus
Text: Giuseppe Nardi
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