Am 16. Mai werden im Kaisersaal des Frankfurter Römers zwei Reporter des Kölner Stadt-Anzeigers mit dem Wächterpreises der Stiftung „Freiheit der Presse“ ausgezeichnet. Die beiden „couragierten“ Journalisten Peter Berger und Joachim Frank hätten durch „hartnäckige Recherche und Berichterstattung“ einen „Skandal in kirchlichen Kliniken“ aufgedeckt.
Der konstruierte Skandal
Eine Kölner Notfallärztin hatte am 15. 12. 2012 ein mutmaßliches Vergewaltigungsopfer erstversorgt einschließlich einer Rezeptausstellung für die ‚Pille danach’. Anschließend ließ sie beim nahen St. Vinzenz-Hospital nachfragen, ob die Klinik eine forensische Untersuchung zur Sicherung gerichtsverwertbarer Spuren vornehmen könnte. Die kontaktierte Gynäkologin sagte dazu wahrheitsgemäß: „Das ist bei uns nicht möglich.“ Denn die nachgefragte Klinik hatte weder die Erlaubnis noch die medizinisch-technischen Geräte, um die entsprechende Untersuchung der Anonymen Spuren-Sicherung (ASS) durchführen zu können. Die Klinik-Ärztin empfahl der Notfallärztin, die Patientin in eins der fünf Kölner ASS-Krankenhäuser zu überweisen – auch um eine belastende Doppeluntersuchung zu vermeiden.
Diese Nachfrage ebenso wie die Weiterverweisung sind alltägliche Vorgänge in einem Klinikbetrieb, etwa wenn ein Krankenhaus keine freien Liegeplätze, keine Ärzte-Kapazitäten oder wie hier – keine Kompetenz in der Behandlung hat.
Wo also war hier ein „Skandal“ aufzudecken? Wieso soll dieser Alltagsvorgang „hartnäckige Recherche“ erfordert haben? Gegenüber wem wäre „kritische Wachsamkeit“ notwendig gewesen? Worin schließlich soll die „Couragiertheit“ der Journalisten bestanden haben?
Oder sollen die Journalisten dafür geehrt werden, daß sie aus einem banalen Vorgang einen medialen Skandal gegen die Kirche „konstruierten“? Tatsächlich entfachten die beiden Journalisten einen Sturm im medialen Wasserglas und hörten im Rauschen des Blätterwaldes das Echo ihre „Skandal!“-Rufe. Denn sie konstruierten aus dem Telefon-Gespräch von zwei Medizinerinnen um einen Platz für einen forensische Untersuchung ein Hilfe-Verweigerungsdrama: „Es ist haarsträubend, daß vergewaltigten Frauen in katholischen Kliniken die Hilfe verweigert wird“, schrieb Joachim Frank im Vorspann seines KStA-Beitrag zwei Tage nach dem Erstartikel. Dazu setzte die Zeitung groß das „Eingangsportal des St. Vinzenz-Hospitals“ ins Bild – so als wäre eine Vergewaltigte in persona am Klinikeingang ‚abgewiesen’ worden. Dieser unzutreffende Vorwurf von ‚Hilfeverweigerung’ ist als eine gezielte Verleumdung der Journalisten zur Rufschädigung der kirchlichen Kliniken anzusehen.
Das ist nur ein Beispiel für diverse journalistische Fehlleistungen bei der Artikel-Serie der beiden Reporter. Daß ihnen dafür der Wächterpreis für „herausragende publizistische Leistungen“ verliehen werden soll, ist Teil des ‚Kölner Medienskandals’, wie der angebliche ‚Kölner Klinikenskandal’ besser heißen sollte.
Gnadenlose Vor-Urteile gegen Kirche und Kardinal
Der Kölner Stadt-Anzeiger rühmt sich in einem Artikel vom 9. 4. 2014 im Zusammenhang mit der Nominierung für den „Wächterpreis der Tagespresse“ einer journalistischen Großtat: Die Redakteure Peter Berger und Joachim Frank hätten durch „hartnäckige Recherche und Berichterstattung“ auf die „Gradlinigkeit und Grundsatztreue“ der katholischen Kirche soviel „Druck“ ausgeübt, daß es zu einem „einmaligen Sinneswandel“ der Kirche gekommen sei. Medienpolitisch sollen die Reporter also für eine erfolgreiche Skandalisierung geehrt werden.
Für die Erhöhung des Skandal-Drucks auf den Kölner Kardinal war vor allem der Chefkorrespondent des Kölner Stadt-Anzeigers, Joachim Frank, verantwortlich. In einem Kommentar vom 17. Januar unter der Überschrift: „Verstörender Rigorismus der Kirche“ setzte Frank wider besseren Wissens Falschaussagen an wie diese: „Katholische Kliniken dürfen nicht über die ‚Pille danach’ aufklären.“ Erst am Tag vorher hatte der Krankenhausträgers dieses Gerede richtiggestellt. Weiterhin behauptete Frank kontrafaktisch, daß „kirchlichen Mitarbeitern die fristlose Kündigung droht“, wenn sie über die ‚Pille danach’ aufklärten. Schließlich macht er dem St. Vinzenz-Hospital die Nicht-Untersuchtung von gerichtsverwertbaren Spuren zum Vorwurf, wozu die Klinik weder Erlaubnis noch die technischen Mittel hatte.
Auf der Basis dieser drei Falschaussagen fällte Joachim Frank dann sein gnadenloses Vor-Urteil: Erklären ließe sich das Verhalten von Kliniken und Kirche „nur mit Abgebrühtheit, Lebensferne und Weltfremdheit“. Der vernichtende Ausdruck „Abgebrühtheit“ gegenüber Vergewaltigungsopfer zielte auf Kardinal Meisner, der im letzten Abschnitt des Kommentars ausdrücklich genannt wird. Darüber hinaus schimpft Frank über die „zölibatäre Priesterkaste“, die über ihre Prinzipien (‚Abtreibung ist Todsünde’) den Menschen vergessen würde.
In einem weiteren Kommentar vom 18. Januar mit dem Titel: „Die seelenlose Moral der Kirche“ bringt Frank noch größere Wort-Geschütze in Stellung. Die „Kirchenoberen“ würden „eine seelenlose Moral predigen“. Und dann eine überzogene Zerschlagungskritik: Für dieses „unseligen“ System gelte, was ein angeblicher Theologe schon über die Systematik des kirchlichen Rechts gesagt habe: „Man kann sie nicht reformieren. Man kann sie nur sprengen“
In seiner maßlosen Kritik an der kirchlichen Morallehre mit Sprengungs- und Zerstörungsphantasien erinnert Frank an den Kirchenhasser Voltaire. Und dieser Mann spielt sich gleichzeitig als theologisch-kirchlicher Heildoktor auf: Mit dem Titel seines neuen Buches fragt er: „Wie kurieren wir die Kirche?“
Auf solche Ratschläge nach Dr. Eisenbarts Methoden, die Patienten mit brachialer Gewalt zu heilen, kann die Kirche gern verzichten.
Kliniken und Kardinal knicken vor dem medialen Skandalisierungsdruck ein
Der KStA und in seinem Fahrwasser alle anderen Mainstream-Medien hatten seit dem 16. Januar 2013 mit einem Trommelfeuer von Vorwürfen gegen Kirche und Kliniken gewaltigen Rechtfertigungsdruck gegenüber der katholische Kirche aufgebaut. Wie haben die Skandalisierten darauf reagiert, also katholische Kliniken und das Erzbistum Köln?
Schon am Tag der Erstpublikation wies der Krankenhausträger in einer Pressekonferenz die Anschuldigungen des Kölner Stadt-Anzeigers zurück: Druck und Drohungen gegen das Klinik-Personal im Zusammenhang mit der ‚Pille danach’ habe es nicht gegeben. Entsprechend ihrer Richtlinien gewährleisteten die Krankenhäuser eine umfassende Heilbehandlung – auch an Vergewaltigungsopfern.
Zu dem konkreten Fall allerdings versäumte der Pressesprecher des Trägervereins die Richtigstellung, daß die Klinikärztin telefonisch ein anderes Krankenhaus mit ASS-Kompetenz empfohlen hatte. Indem er sich für die angebliche ‚Abweisung’ des Vergewaltigungsopfers entschuldigte, hatte er im Prinzip das fälschliche Anschuldigungsschema der Presse übernommen. Die Medien fühlten sich somit in ihrem Ansatz bestätigt.
Unter dem zunehmenden Skandalisierungsdruck mit wilden Spekulationen und falschen Folgerungen sah sich Kardinal Meisner nach einer Woche gedrängt, ebenfalls eine Betroffenheits-Erklärung abzugeben. Diese Entschuldigung wirkte sich noch fataler aus. Denn der Kardinal war auf das Medien-Märchen eines angeblichen Hilfe-Verweigerungsdrama hereingefallen: „Die Patientin hat in großer Not Hilfe gesucht und keine Aufnahme gefunden.“ Damit hatte der Kölner Kirchenobere erneut die Phantom-Abweisung einer „Hilfe suchenden Frau“ am Klinikeingang bestätigt, was die Medien schon immer suggerierte.
Inzwischen hatte der KStA schon ein neues Skandal-Faß aufgemacht: Es herrsche angeblich Mißtrauen, Drohung und Angst vorm Jobverlust in kirchlichen Kliniken im Zusammenhang mit der ‚Pille danach’, die in katholischen Einrichtungen nicht verschrieben werden durfte. Dabei knüpfte die Zeitung an den Schluß der Entschuldigungserklärung an, in der Meisner die Nicht-Verschreibung der ‚Pille danach’ bekräftigt hatte: „Weil diese eine befruchtete Eizelle töten kann, lehnt die katholische Kirche sie wie jede andere Methode der Abtreibung ab“ – zitiert aus der FAZ vom 22. Januar. Nach dieser Meldung richtete die Presse ihr mediales Trommelfeuer unisono gegen die Haltung der Kirche als rigoristisch, lebensfern und realitätsfremd.
Eine Woche nach Meisners Entschuldigung und zwei Wochen nach dem Erstbericht des KStA hatte die mediale Skandalisierung schließlich auch den Kölner Kardinal erreicht: Mit seiner Erklärung vom 31. Januar 2013 gab Meisner die bisherige kirchliche Position zur ‚Pille danach’ auf.
Die Medien triumphierten. Der KStA schrieb den „Sinneswandel“ des Kardinals auf seine Druck-Fahnen. Der Spiegel titelte: Meisner billigt ‚Pille danach’ für Vergewaltigungsopfer“. So pauschal hatte das der Kölner Oberhirte keineswegs getan, aber seine Erklärung ließ wachsweiche Interpretationen zu.
Der Kardinal hatte zwar an der betreffenden kirchlichen Lehrposition nichts geändert: „Wenn ein Präparat die Einnistung einer bereits befruchteten Eizelle verhindert, ist das nach wie vor nicht vertretbar.“ Er hatte jedoch auch festgestellt, daß zu Präparaten mit nicht-abtreibendem Wirkprinzip nichts einzuwenden sei.
Nach Beratung mit Fachleuten gehe er vom „neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft“ aus, ließ der Kardinal verlauten. Doch die dann folgenden Aussagen waren wissenschaftlich keineswegs abgesichert: Sie unterstellten in einem Gut-Böse-Schema, als wenn bei den zwei auf dem deutschen Markt befindlichen Präparaten das eine mit dem Wirkprinzip Nidationshemmung als schlecht anzusehen sei, weil es den Embryo abtreibe, das andere dagegen ausschließlich die Verhinderung von Eisprung und Befruchtung bewirke und damit unbedenklich sei.
In Wirklichkeit haben die beiden gebräuchlichen Präparate eine ähnliche Wirkweise, bei der nur der „Hauptwirkmechanismus“ die Unterdrückung des Eisprungs ist. Von zahlreichen Wissenschaftlern und mehreren Ärztevereinigung wurde aber bestätigt, daß bei beiden Wirkstoffen die Abtötung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutterschleimheit und beim Transport dahin wissenschaftlich nicht auszuschließen sei.
Aus diesen Tatbeständen ist zu folgern, daß die Einnahme der ‚Pille danach’ „eine abtreibende Wirkung haben kann“ und damit abzulehnen ist. Das ist genau die Lehrposition der Kirche, die auch der Kardinal bis zum 31. Januar 2013 vertreten hatte.
Es ist ein bisher einmaliger Vorgang in der Kirche, daß ein einzelner Kardinal ohne Absprache mit dem Papst und ohne Erörterung in den Kardinalskollegien eine wichtige Änderung bei einer praktisch-ethischen Weisung vorgenommen hat. Nachdem Meisners ethische „Kehrtwende“ von den Medien einhellig gelobt wurde, war die nachträgliche Zustimmung der Deutschen Bischofskonferenz zu der Kardinalsentscheidung ebenfalls eher dem Öffentlichkeitsdruck geschuldet als Ergebnis einer sachlichen und offenen Debatte in der Bischofsversammlung.
Wenn man bedenkt, wie lange und kontrovers die Behandlung von wiederverheirateten Geschiedenen in der Kirche auf verschiedenen Ebenen erörtert wird, dann wird die einsame Entscheidung des Kölner Kardinals umso problematischer.
Letztlich ist der Schnellschuß von Meisner aus dem medialen Skandalisierungsdruck zu erklären, allerdings nicht zu rechtfertigen. Die Kirche wurde insbesondere vom KStA-Chefkorrespondent Joachim Frank als lebensfremde Prinzipienreiterin beschimpft, der Kardinal als rigoroser und menschenfeindlicher Obere karikiert; er würde mit einer gehörigen Portion Abgebrühtheit die Not der Frauen übergehen.
Das waren Schlag-Worte, Begriffs-Attacken, Phrasen-Stiche, die das christliche Selbstverständnis der Kardinals treffen sollten und sein Herz trafen. Nach diesem medialen Nieder-Schlag kurz vor Ende seiner Amtszeit nahm er bedrängt den Rat eines „medizinischen Fachmanns“ an, der ihn mit falscher wissenschaftlicher Sicherheit einen vermeintlichen Ausweg aus seinem Dilemma zu weisen schien.
Bild: Raimond Spekking