(Vatikan) Der Papst und der Philosoph. Sein Name ist Alberto Methol Ferré. Laut dem Vatikanisten Sandro Magister orientiert sich Papst Franziskus an ihm bei der Beurteilung der Welt und dem Versuch der vorherrschenden neuen Kultur, dem „libertinen Atheismus“ entgegenzuwirken. Dazu gehöre, so Magister, das auffallend strenge Gesicht, das der Papst bei seiner Begegnung mit US-Präsident Barack Obama aufsetzte. Die Frage ist nach wie vor, welche Elemente das Denken von Papst Franziskus prägen, Motor seines Handels sind und wohin er die Kirche führen möchte. Die Gesamtheit der päpstlichen Aussagen und Handlungen ergeben noch immer keine erkennbare Richtungsangabe. Sandro Magister unternahm einen neuen Versuch, diese Fragen zu entschlüsseln. Ob es ihm gelungen ist, muß ebenso offen bleiben, wie die Frage, ob Papst Franziskus den geeigneten Ansatz für eine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit hätte, sollten Magisters Überlegungen zutreffend sein.
US-Präsident Obama und das ernste Gesicht von Papst Franziskus
Bei seiner Begegnung mit Barack Obama verschwieg Papst Franziskus nicht, was die amerikanische Regierung von der katholischen Kirche in den USA trennt. Konkret ging es dabei um das „Recht der Religionsfreiheit und die Gewissensverweigerung“, wie das Presseamt des Vatikans nach dem Treffen bekanntgab.
Jorge Mario Bergoglio mag nicht den direkten Konflikt, schon gar keinen öffentlichen und am wenigsten mit den Mächtigen dieser Welt. In politischen Fragen läßt er den lokalen Episkopat handeln, den er am Beginn seines Pontifikats ausdrücklich dazu aufforderte. Während Papst Franziskus mit den bisherigen Staatsgästen freundlich, scherzend, teils ausgelassen mit südländischen Wangenküssen wie mit der argentinischen Staatspräsidentin Cristina Kirchner, teils für seinen Rang ziemlich unangemessen wie seine Verneigung samt Handkuß für die jordanische Königin Rania umging, war sein Verhalten gegenüber US-Präsident Barack Obama auffällig distanziert. Der Umgang mit dem mächtigsten Mann der Welt war von Bemühen um Distanz geprägt. Auf den offiziellen Fotos der Begegnung ist ein Papst mit strengem, ernstem Gesicht zu sehen. Eine Mimik, die man vom argentinischen Kirchenoberhaupt so nicht gewohnt ist und die um so mehr mit dem aufgesetzt-übertriebenen Lächeln des amerikanischen Staatsoberhauptes kontrastierte.
Lateinamerikanische Distanz zu den USA oder grundsätzliche Skepsis gegenüber den Mächtigen der Welt?
Die Frage ist, woher dieser Distanzierungsdrang gegenüber der stärksten Weltmacht rührt. Handelt es sich nur um eine grundsätzliche macht- oder sozialpolitische Skepsis gegen die USA, wie sie in Lateinamerika auch in der Kirche weitverbreitet ist? Oder konnte die Haltung des Papstes gar nicht anders sein, wie Sandro Magister meint, „angesichts einer radikal kritischen Haltung, die Papst Franziskus in seinem Inneren gegenüber den heutigen weltlichen Mächten“ hege. Eine Haltung, die der Papst nie ausdrücklich öffentlich formulierte, aber mehrfach andeutungsweise zu erkennen gab. Dazu gehört auch auf diffuse Weise die häufige Nennung des Teufels als des großen Widersachers gegen das Christentum im Bereich von Politik und Wirtschaft. Magister nennt dazu auch die Predigt vom 18. November 2013, in der sich Papst Franziskus gegen ein gleichgeschaltetes Denken wandte, das „Menschenopfer“ forderte und diese sogar durch das Gesetz schützt.
Wer prägt päpstliches Denken: Leon Bloy, Robert Hugh Benson oder Alberto Methol Ferré?
„Bergoglio ist kein origineller Denker“, so Magister. Seine literarischen Parameter scheinen, laut eigener Angabe, der eigenwillige katholische Franzose Leon Bloy, den er am Beginn seines Pontifikats einmal erwähnte, und vor allem Robert Hugh Benson, der Sohn eines anglikanischen Erzbischofs von Canterbury, der zum katholischen Glauben konvertierte und den apokalyptischen Roman Der Herr der Welt schrieb. Ihn nannte Papst Franziskus bereits mehrfach.
Papst Bergoglio scheint sich jedoch in seiner Berurteilung der modernen Welt vor allem von einem Philosophen leiten zu lassen. Sein Name ist Alberto Methol Ferré. Der Uruguayer aus Montevideo überschritt häufig den Rio de la Plata, um in Buenos Aires seinen Freund, den Erzbischof zu besuchen. Methol Ferré ist 2009 achtzigjährig verstorben. 2007 erschien ein Gesprächsbuch, das nun in Argentinien in einem Nachdruck neu aufgelegt wurde. [1]Alberto Methol Ferré, Alver Metalli, „El Papa y el filósofo“, Editorial Biblos, Buenos Aires, 2013 „Das Buch ist nicht nur von kapitaler Bedeutung, um seine Sicht der Welt zu verstehen, sondern auch die seines Freundes, der inzwischen Papst geworden ist“, so Magister.
„Genialer Denker vom Rio de la Plata“
Bei der Vorstellung der Erstausgabe in Buenos Aires, lobte Kardinal Bergoglio das Buch als von „metaphysischer Tiefe“. 2011 bezeichnete ihn Bergoglio im Vorwort zum Buch eines gemeinsamen Freundes, von Guzmán Carriquiry Lecour, ebenfalls Uruguayer und als Sekretär der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika der ranghöchste Laie im Vatikan, als den „genialen Denker vom Rio de la Plata“. Ein Lob, das der damalige Erzbischof von Buenos Aires aussprach, weil Methol Ferré im genannten Gesprächsbuch die nach dem Fall des messianischen marxistischen Atheismus die neue vorherrschende Ideologie sichtbar machte und sezierte. Es handelt sich um jene dominante Ideologie, die der Uruguayer den „libertinen Atheismus“ nannte.
Methol Ferré entstammte aus einer kirchenfeindlichen, agnostischen Familie. Bereits als Jugendlicher bekehrte er sich zum katholischen Glauben. Politisch gehörte er immer der gemäßigten Linken an und gilt als „uruguayischer Peronist“. Von 1975 bis 1992 war er Mitglied einer Arbeitsgruppe des Rats der Lateinamerikanischen Bischofskonferenzen (CELAM) für die Seelsorge. Von 1980 bis 1984 gehörte er dem Päpstlichen Laienrat in Rom an. Der Grund seines frühen Ausscheidens ist nicht ganz klar.
Libertiner Atheismus, das „neue Opium für das Volk“ und die „freimaurerische Ökumene“
Kardinal Bergoglio beschrieb diese Ideologie damals wie folgt: „Der hedonistische Atheismus und seine neo-gnostischen Ableger sind zur dominanten Kultur mit globaler Verbreitung geworden. Sie bestimmen die Atmosphäre der Zeit, in der wir leben. Sie sind das neue Opium für das Volk. Das ‚Einheitsdenken‘, das sozial und politisch totalitär ist, hat auch gnostische Strukturen: es ist nicht menschlich, sondern wiederholt die verschiedenen Formen eines absolutistischen Rationalismus, durch die jener nihilistische Hedonismus zum Ausdruck kommt, den Methol Ferré beschreibt. Es dominiert der ‚zerstäubte Theismus‘, ein diffuser Theismus ohne Fleischwerdung in der Geschichte. Im besten aller Fälle höchstens ein Baumeister der freimaurerischen Ökumene.“
Im Gesprächsbuch vertritt Methol Ferré den Standpunkt, daß der neue Atheismus „radikal sein Erscheinungsbild verändert hat. Er ist nicht mehr messianisch, sondern libertin. Er ist nicht revolutionär im sozialen Sinn, sondern Komplize des Status quo. Er interessiert sich nicht für Gerechtigkeit, aber für alles, was ermöglicht, einen radikalen Hedonismus zu pflegen. Er ist nicht aristokratisch, sondern hat sich in eine Massenphänomen verwandelt.“
Die „Wahrheit“ des libertinen Atheismus?
Das vielleicht interessanteste Element in der Analyse Methol Ferrés findet sich in seiner Antwort auf die Herausforderung, vor die das neue hegemoniale Denken stellt: „So war es mit der Reformation, so war es mit der Aufklärung und dann mit dem messianischen Marxismus. Einen Feind besiegt man, indem man das Beste seiner Intuitionen übernimmt und noch weitergeht.“ Und was sei am libertinen Atheismus wahr? „Die Wahrheit des libertinen Atheismus liegt in der Wahrnehmung, daß die Existenz eine intime Bestimmung des Genusses hat, daß das Leben selbst für eine Genugtuung geschaffen ist. Mit anderen Worten. Der tiefe Kern des libertinen Atheismus ist ein verborgenes Bedürfnis nach Schönheit.“
Kirche einziges Subjekt, das dem neuen Atheismus „entgegentreten kann“
Der libertine Atheismus „pervertiert“ die Schönheit, weil „er sie von der Wahrheit und dem Guten und damit von der Gerechtigkeit trennt“, so Methol Ferré. Man kann den wahren Kern des libertinen Atheismus nicht durch ein argumentatives oder dialektisches Vorgehen befreien. Noch weniger durch Verbote, Alarmrufe oder durch das Diktat abstrakter Regeln. Der libertine Atheismus ist keine Ideologie, sondern eine praktische Methode. Einer Praxis muß man eine andere Praxis entgegensetzen: eine bewußte Praxis, wohlgemerkt, die intellektuell gerüstet ist. Historisch gesehen ist die Kirche das einzige Subjekt auf der Weltbühne, das heute dem libertinen Atheismus entgegentreten kann. Für mich ist nur die Kirche wirklich post-modern.“
Die Übereinstimmung zwischen der Sichtweise Methol Ferrés und seinem Freund Bergoglio und nunmehrigen Papst Franziskus sei „beeindruckend“, so Magister. Dazu gehöre, so der Vatikanist, auch die Weigerung des Papstes, „ohne Unterscheidung eine Menge von Lehren aufzudrängen“, wie Franziskus in seinem Interview mit der Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica am 19. September 2013 sagte. Die Lehre der Kirche dürfe, so der Papst, nicht zu einer Ideologie unter vielen werden, sondern müsse das „Herz zum Glühen“ bringen und jede Art von Krankheit und Wunden heilen und den Menschen die Freude zurückgeben.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Settimo Cielo
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↑1 | Alberto Methol Ferré, Alver Metalli, „El Papa y el filósofo“, Editorial Biblos, Buenos Aires, 2013 |
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