(Amsterdam/New York) „Ihr habt bessere Erinnerungen als den 11. September und das Attentat auf den Marathon von Boston verdient“. Dies wollte Ayaan Hirsi Ali zu den Studenten und zum Lehrkörper der Brandeis University von Boston anläßlich der Verleihung eines Doktorats honoris causa an die Somalierin sagen. Beim Boston-Marathon 2013 explodierten in der Zielgeraden zwei Bomben. Drei Menschen wurden getötet, mehr als zweihundert verletzt.
Film „Submission“ – Theo van Gogh ermordet, Hirsi Ali zum Tode verurteilt
Ayaan Hirsi Ali ist die somalische Muslimin, die es 2004 gewagt hatte, den Text für den Kurzfilm Submission des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh zu schreiben. Darin schildert sie die Geschichte von fünf islamischen Frauen, die Opfer von Mißhandlungen wurden, die ihnen im Namen des Islam und der Scharia zugefügt wurden. Die Islamisten empfanden den Film als unerträgliche Beleidigung. Kaum zwei Monate, nachdem der Film veröffentlicht wurde, mußte Theo van Gogh seinen Mut mit dem Leben bezahlen. Sein Mörder, ein marokkanischer Einwanderer lauerte ihm am hellichten Tag mitten in Amsterdam auf. Mit vier Pistolenschüssen tötete er den Regisseur und rammte ihm noch ein Messer in die Brust an dem ein fünf Seiten langer Brief an Ayaan Hirsi Ali steckte. Er enthielt eine Fatwa, ein islamisches Urteil, mit dem die Somalierin wegen Apostasie zum Tode verurteilt wurde.
Die nie gehaltene Rede für die Gedankenfreiheit an der Brandeis University
Der Boston-Marathon 2014 verlief vor wenigen Tagen, am 21. April, ohne Zwischenfälle. Ayaan Hirsi Ali konnte ihre Rede an der Brandeis University aber nicht halten. Auf Druck einiger Dozenten und Studenten, die sich über die „Islamophobie“ der Somalierin „empörten“, machten die Universitätsgremien einen Rückzieher. Die Verleihung der Ehrendoktorwürde wurde einfach gestrichen.
Der Westen müsse mit Blick auf das Schicksal der Frauen in den islamischen Ländern die nötige Hilfe bieten. Er müsse „zu den Wurzeln zurückkehren“ und zum „Leuchtturm des freien Denkens und der Freiheit des 21. Jahrhunderts“ werden. „Gegen eine Ungerechtigkeit müssen wir reagieren. Nicht nur indem wir sie verurteilen, sondern auch mit konkreten Aktionen. Einer der besten Orte, dies zu tun, sind unsere Hochschulen. Wir müssen unsere Universitäten zu einem Ort nicht einer dogmatischen Orthodoxie, sondern eines wirklich kritischen Denkens machen. Ich bin es gewöhnt, an den Universitäten ausgepfiffen zu werden, deshalb bin ich für die Gelegenheit dankbar, heute zu euch sprechen zu können.“ Das wollte Ayaan Hirsi Ali in ihrer Rede an der Universität sagen.
Hirsi Ali: „Verbindung zwischen Islam und Gewalt“
Sie wollte auch über die Verbindung zwischen Gewalt und Islam sprechen, „die zu offensichtlich ist, um übersehen zu werden“. Es sei niemandem geholfen, „wenn wir vor diesem Zusammenhang die Augen verschließen, wenn wir Ausreden suchen, statt darüber nachzudenken“.
Ayaan Hirsi Ali wollte ihre Rede mit den Worten schließen: „Das Motto der Brandeis University lautet: ‚Die Wahrheit, auch die unzugänglichste“. Das ist auch mein Motto.“ Die Universität legte ihr eigenes Motto etwas anders aus, und setzte Ayaan Hirsi Ali vor die Tür.
Islamkritikerin von westlicher Politik als Belastung empfunden
2004 ging ein Aufschrei durch die westliche Welt wegen der Ermordung von Theo van Gogh und das Todesurteil gegen Ayaan Hirsi Ali. Die Somalierin war 1992 im Alter von 23 Jahren vor einer islamischen Zwangsverheiratung mit einem Cousin nach Europa geflohen und erhielt in den Niederlanden wegen des in Somalia herrschenden Bürgerkriegs Asyl. Nach dem Studium der Politikwissenschaften arbeitete sie im wissenschaftlichen Büro der damals regierenden sozialdemokratischen Partij van de Arbeid (PvdA). Wegen ihrer zunehmenden Distanz zum Islam, angesichts der schlechten Behandlung der Frauen auch unter den in den Niederlanden lebenden Moslems wurde sie zur Atheistin und trennte sich wegen einer zu islamfreundlichen Haltung von den Sozialdemokraten. 2003 wurde sie für die rechtsliberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) in das niederländische Parlament gewählt. Nach den Morddrohungen wegen „Submission“ konnte sie sich nur mehr mit Polizeieskorte bewegen. Ihre islamkritische Haltung wurde jedoch bald zur Belastung. Politische Gegner warfen Ayaan Hirsi Ali vor, die Gewährung des Asyls und in Folge die niederländische Staatsbürgerschaft mit falschen Angaben erschlichen zu haben. Die Multikulturalisten witterten ihre Chance. Die Integrationsminister, obwohl derselben VVD wie Hirsi Ali angehörend, erklärte 2006 die Aberkennung der niederländischen Staatsbürgerschaft. An der Frage zerbrach die Regierungskoalition aus Christdemokraten, VVD und linksliberalem D66.
Von den Niederlanden in die USA, doch Distanz bleibt
Als Nachbarn sich durch ihren Personenschutz belästigt und durch ihre Anwesenheit in ihrer Sicherheit gefährdet fühlten und mittels Gerichtsverfahren ihren Wegzug erzwingen wollten, ging Hirsi Ali in die USA, wo sie für das American Enterprise Institute in Washington tätig ist.
Die nun erfolgte Ausladung und die Rücknahme des bereits zugesicherten Ehrendoktorats durch die Brandeis University bekam einen besonders unangenehmen Beigeschmack, weil die Universität zunächst öffentlich behauptete, der „Verzicht“ auf die Ehrung sei mit Hirsi Ali abgesprochen und vereinbart worden. Eine Darstellung, die Ayaan Hirsi Ali kategorisch zurückwies. Doch diesmal erhob sich niemand, um für sie Partei zu ergreifen. Sie wird mit ihrer Haltung von der offiziellen westlichen Politik als Belastung wahrgenommen. Jene, die ihr näherstehen, klopfen ihr zwar auf die Schulter, doch geradestehen will niemand für ihre Ideale.
„Christentum eines der mächtigsten Gegenmittel zum Islam“
In zwei autobiographischen Büchern schildert Ayaan Hirsi Ali ihr Leben. Für ihre Lebensentscheidung mußte sie einen hohen Preis bezahlen: ihre Familie verleugnet sie, sie wurde Atheistin, der Westen will nicht wirklich etwas mit ihr zu tun haben und distanziert sich sogar, wie die Brandeis University. Was bleibt ihr dann? Vielleicht das Christentum, zu dem sie sich bisher in Auflehnung gegen die Religion, die sie in Gestalt des Islams kennenlernte, nicht durchringen konnte. Im Vorwort zu ihrem zweiten Buch schrieb sie jedoch, sie habe zu ihrer Freude, Christen getroffen. Deren Gottesbild sei ganz anders von Allah. Dieser christliche Gott sei Synonym für Liebe. „Das Christentum der Liebe und der Toleranz ist eines der mächtigsten Gegenmittel des Westens zum Islam des Hasses und der Intoleranz.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: NBQ