Pius XII.: Bild der 60er Jahre durch neue Forschung annulliert


Papst Franziskus und Rabbi Abraham Skorka im Gästehaus Santa Marta des Vatikans (Rom) Am 27. Janu­ar 1945 erreich­te die Rote Armee das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ausch­witz-Bir­ken­au und befrei­te die Gefan­ge­nen. Der Tag wur­de 1996 in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zum natio­na­len Gedenk­tag an die Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus aus­ge­ru­fen und 2005 von der UNO als Inter­na­tio­na­ler Gedenk­tag an die Opfer des Holo­caust pro­kla­miert. Aus katho­li­scher Sicht ist der 27. Janu­ar vor allem ein Tag des Geden­kens, „um nicht zu ver­ges­sen, daß Papst Pius XII. Tau­sen­de von Juden in Kir­chen und Klö­stern, ein­schließ­lich dem Peters­dom geret­tet hat“, so der Vati­ka­nist San­dro Magister.

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All­jähr­lich wür­den erneut frucht­lo­se Pole­mi­ken vom Zaun gebro­chen, die ein angeb­li­ches Ver­sa­gen der Katho­li­schen Kir­che brand­mar­ken, in Wirk­lich­keit aber eine Art „Mit­schuld“ an der Juden­ver­fol­gung und Ermor­dung wäh­rend der Herr­schaft des Natio­nal­so­zia­lis­mus kon­stru­ie­ren wol­len. Im Mit­tel­punkt der Ankla­ge steht immer wie­der das „Schwei­gen“ von Papst Pius XII. „Doch die Fak­ten spre­chen für sich. Die Katho­li­sche Kir­che bot einer gro­ßen Zahl von Juden Zuflucht“, so Magister.

Benedikt XVI. am Grab von Pius XII.Rabbi Skorka: „Archive werden geöffnet“

Am 16. Janu­ar emp­fing Papst Fran­zis­kus sei­nen argen­ti­ni­schen Freund Rab­bi Abra­ham Skorka, der eine Dele­ga­ti­on latein­ame­ri­ka­ni­scher Juden anführ­te. Der Rab­bi wird Papst Fran­zis­kus Ende Mai bei des­sen Besuch im Hei­li­gen Land beglei­ten. Nach der Audi­enz sag­te Skorka im Zusam­men­hang mit Papst Pius XII. der Sun­day Times: „Ich glau­be, daß der Papst die Archi­ve öff­nen wird“.

Damit sag­te Rab­bi Skorka nichts Neu­es, da die Öff­nung bereits von Papst Bene­dikt XVI. ange­kün­digt wur­de und die dafür not­wen­di­ge Auf­ar­bei­tung, Ord­nung und Kata­lo­gi­sie­rung in Auf­trag gab. Doch die Wor­te des Rab­bi genüg­ten, die Gemü­ter zu bewe­gen und eine unmit­tel­ba­re bevor­ste­hen­de Öff­nung der Akten zum Pon­ti­f­kat von Euge­nio Pacel­li anzu­neh­men, ja sogar noch für die Zeit vor der Rei­se nach Isra­el vom 23.–26. Mai anzukündigen.

Bereits in den 60er Jah­ren ließ Papst Paul VI. ent­ge­gen jeder vati­ka­ni­schen Pra­xis zwölf umfang­rei­che Bän­de mit vati­ka­ni­schen Doku­men­ten aus der Zeit des Zwei­ten Welt­krie­ges veröffentlichen.

Nun war­tet die Welt, zumin­dest die Medi­en­welt, auf die Zugäng­lich­ma­chung des gesam­ten Archivs zur Zeit­span­ne 1939–1958, dem Pon­ti­fi­kat von Pius XII. Das sind mehr als 16 Mil­lio­nen Blät­ter in 15.000 Map­pen und 2.500 Ordnern.

Seit sechs Jah­ren wird im Vati­kan dar­an gear­bei­tet, die­se enor­me Doku­men­ten­men­ge der Fach­welt zugäng­lich zu machen. Vor kur­zem sag­te der Bischof Ser­gio Paga­no, der Prä­fekt des vati­ka­ni­schen Geheim­ar­chivs, daß es „noch ein bis andert­halb Jah­re“ braucht, bis die Erschlie­ßung abge­schlos­sen sein wird.

Papst Bene­dikt XVI. gab den Anstoß zur Archi­vöff­nung. Als er Ende 2009 jedoch den heroi­schen Tugend­grad von Pius XII. ver­kün­de­te, erhob sich ein inter­na­tio­na­ler Pro­test­sturm. Die Sho­ah-Gedenk­stät­te Yad Vas­hem kri­ti­sier­te den Schritt noch „bevor alle Doku­men­te“ öffent­lich gemacht waren.

Bergoglios „Ungeduld“

In jene Zeit fällt die „Unge­duld“ des dama­li­gen Erz­bi­schofs Jor­ge Mario Berg­o­glio in Bue­nos Aires, die er auch gegen­über dem Rab­bi­ner Skorka äußer­te und die auch im Gesprächs­buch der bei­den ihren Nie­der­schlag fand. Erz­bi­schof Berg­o­glio nahm eine Ver­schlep­pung der Archi­vöff­nung an und heg­te die Ver­mu­tung, es könn­te sich in den Archi­ven doch etwas gefun­den haben, das gegen die Katho­li­sche Kir­che spricht. „Wenn wir etwas falsch gemacht haben, dann müs­sen wir sagen: Wir haben uns in die­ser Sache geirrt. Wir dür­fen kei­ne Angst haben, es zu tun.“

Doch es han­del­te sich um kei­ne „Ver­schlep­pung“. In der Zwi­schen­zeit mach­te die Erfor­schung des Pon­ti­fi­kats von Pius XII. gro­ße Fort­schrit­te. In der Fach­welt trat eine immer grö­ße­re Ent­span­nung ein, das The­ma wur­de ent­ideo­lo­gi­siert, weil auch jüdi­sche Histo­ri­ker anhand der Akten­la­ge über­prü­fen konn­ten, daß auf direk­te Inter­ven­ti­on von Pius XII. Tau­sen­de von Juden geret­tet wur­den, weil der Papst ihnen die Tore zu den Kir­chen und Klö­stern öff­ne­te, in denen sie ein siche­res Ver­steck fanden.

Hochhuths „Stellvertreter“ war Propagandalüge

Aus den Doku­men­ten weiß man heu­te, daß die­se Ret­tungs­ak­ti­on in Rom und Ita­li­en nicht nur vom Kir­chen­ober­haupt gebil­ligt, son­dern auch maß­geb­lich koor­di­niert wur­de. Das in den 60er Jah­ren ent­stan­de­ne Bild vom „Schwei­gen“ des Pap­stes, ja sogar vom „Kom­pli­zen“ der Nazis, ent­puppt sich immer deut­li­cher als Pro­pa­gan­da­er­fin­dung, die wahr­schein­lich in Mos­kau ent­stan­den, aber erst durch den deut­schen Dra­ma­ti­ker Rolf Hoch­huth zum Durch­bruch geführt wur­de. Hoch­huth schweigt sich bis heu­te dar­über aus, wie er auf das The­ma und zu angeb­li­chen Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen gekom­men ist.

Das Bild der 60er Jah­re wird durch die neue­re For­schung „aus­ge­löscht“, schrieb die jüdi­sche Histo­ri­kern Anna Foa in ihrem jüng­sten Auf­satz im Osser­va­to­re Roma­no vom 20./21. Janu­ar, der ihren Anfang der Woche in Flo­renz gehal­te­nen Vor­trag voll­in­halt­lich wiedergibt.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Set­ti­mo Cielo/​Papa Ratz­in­ger Blog

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