(Vatikan) Der Vatikan hat sich entschieden gegen eine amerikanische Militärintervention in Syrien ausgesprochen. Stillschweigende Zustimmung herrscht hingegen zur französischen Militärintervention in der Zentralafrikanischen Republik. Ein Mangel an „Kohärenz“?
Der Osservatore Romano veröffentlichte am 7. Dezember die Nachricht vom Einsatz französischer Truppen gegen islamistische Seleka-Milizen im schwarzafrikanischen Land auf der Titelseite und in großer Aufmachung. Es wurden kommentarlos die Ereignisse berichtet. Eine Distanzierung fehlte. Die Zentralafrikanische Republik wird von einem Bürgerkrieg erschüttert, der religionspolitischen Hintergrund hat. Teile der früheren Opposition verbündeten sich mit islamistischen Kräften und übernahmen im Frühjahr durch einen Putsch die Macht im Land. Aus den Nachbarländern stammen daher auch beträchtliche Teile der nunmehrigen Regierungsmilizen. Obwohl nur 15 Prozent der Einwohner Moslems sind, stützen sich die neuen Machthaber auf diese Gruppe und wollen als Gegenleistung für die islamistischen Waffendienste das Land zwangsislamisieren. Die Christen des Landes leiden unter den islamistischen Milizen eine brutale Verfolgung. Die Christen sind seit Monaten einer systematischen Verfolgung ausgesetzt.
„Humanitärer Einsatz“ als Nachfolger des „gerechten Krieges“
Zur selben Zeit wie der Osservatore Romano veröffentlichte die renommierte Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica mit der Druckerlaubnis des Vatikans einen Aufsatz von Pater Giovanni Sale SJ. Der bekannte Jesuit befaßte sich darin mit den „humanitären Einsätzen“, wie in jüngster Zeit Militärinterventionen einer oder mehrerer Staaten in einem anderen Staat genannt werden, wenn dort schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte festgestellt wurden und die Zustimmung eines internationalen Gremiums wie der UNO oder der NATO vorliegt. Dem Vatikan ist dabei durchaus bewußt, daß unterschiedlichste Interessen in solche Zustimmungen hineinfließen.
Der Aufsatz endet mit dem Hinweis, daß das katholische Lehramt, besonders Papst Johannes Paul II., einer der größten Unterstützer „humanitärer Einsätze“ in den vergangenen Jahrzehnten war.
Pater Sale zitiert eine Botschaft des polnischen Papstes von 1992, in der er „humanitäre Einsätze“ als „Pflicht der Staaten und der internationalen Staatengemeinschaft“ bezeichnete, wenn das Überleben der Völker und ganzer ethnischer Gruppen schwerwiegend gefährdet ist.
Ebenso verweist Pater Sale auf die Botschaft Johannes Pauls II. zum Weltfriedenstag 2000, in der von derselben „Verpflichtung“ die Rede ist und auch davon, daß der Heilige Stuhl seinen Einsatz in Zukunft dahingehend verstärken werde.
Widerspruch zwischen „pazifistischen“ und „interventionistischen“ Päpsten?
Der Jesuit zitiert, allerdings ohne jede Form von Distanzierung oder Kritik, den Juristen Francesco Margiotta Broglio, der sagte, daß diese päpstlichen Erklärungen „eine Wende in der katholischen Lehre darstellten“, weil sie einen „Mangel an Kohärenz“ aufweisen zwischen dem „Pazifisten“ Johannes Paul II., der sich mit Nachdruck dem Golfkrieg entgegenstellte und dem „Interventionisten“ Johannes Paul II., der die „humanitären Einsätze“ im ehemaligen Jugoslawien und in Somalia unterstützte. Es habe sich schließlich immer um Militärinterventionen gehandelt.
Was Broglio auf den polnischen Papst bezog, ließe sich ebenso vom argentinischen Papst sagen: Der „Pazifist“ Franziskus widersetzte sich der Militärintervention in Syrien, während der „Interventionist“ Franziskus zum Militäreinsatz in der Zentralafrikanischen Republik schweigt. Die Frage ist allerdings nicht jene, die Broglio mit dem Hinweis auf mangelnde Kohärenz aufwirft, die er dem 2005 verstorbenen Papst und dem kirchlichen Lehramt unterstellte.
Es geht nicht um „Kohärenz“, sondern um Unterscheidung. Die Frage des „gerechten Krieges“ wird heute nicht mehr so betont, weil das Wort „Krieg“ im allgemeinen Sprachgebrauch weitgehend verpönt ist. Man sucht wohlklingendere, beschönigende Ausdrücke. Nicht der Vatikan, sondern die Staatskanzleien.
Unterscheidung statt Säbelrasseln
Die Kirche unterschied zu allen Zeiten, nicht erst in jüngster Zeit, zwischen unterschiedlichen Situationen und Beweggründen, auch den Beweggründen jenes Staates oder jener Staaten, die militärisch in einem anderen Staat eingreifen wollen. Entscheidend ist, ob eine untragbare Situation entstanden ist, die nur durch eine externe Militärintervention abgestellt werden kann. Selbst wenn der Heilige Stuhl einem solchen militärischen Einsatz zustimmte, stimmte er damit nicht zwangsläufig den politischen Beweggründen und Zielsetzungen der Interventionsmacht zu. Mit anderen Worten: Es kann kein Zweifel bestehen, daß der Heilige Stuhl für ein Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland war, was aber nichts über die in der Nachkriegszeit von den Siegermächten in Deutschland betriebene Politik, einschließlich Teilung und Umerziehung aussagt. Der Wunsch des Vatikans, daß im östlichen Mitteleuropa und Osteuropa der Kommunismus stürzt, sagt nichts aus darüber, was darauf an manchen Fehlentwicklungen in jenen Staaten folgte. Die stillschweigende Zustimmung zum französischen Militäreinsatz in der Zentralafrikanischen Republik soll der brutalen und untragbaren Verfolgung von Menschen ein Ende bereiten, vor allem der Christen. Der Heilige Stuhl hat damit noch nichts zu möglichen politischen französischen Plänen nach dem Militäreinsatz ausgesagt.
Der Heilige Stuhl widersetzte sich unter Johannes Paul II. einem westlichen Militäreinsatz im Irak, unter Benedikt XVI. in Libyen und unter Franziskus in Syrien, um nur drei Beispiele zu nennen, weil der Vatikan sehr gut über die tatsächlichen Verhältnisse in den betroffenen Ländern informiert war und ebenso über die Interessen der möglichen Interventionsmächte und durchaus in der Lage war interessengeleitete, als „humanitäre Einsätze“ getarnte Militärinterventionen zu durchschauen oder daß der Schaden eines Militäreinsatzes, sprich eines Krieges, größer sein würde als der Nutzen.
Text: Settimo Cielo/Giuseppe Nardi
Bild: Settimo Cielo