Die Geschichte der Liturgiereform muß neu geschrieben werden – Quellen allgemein zugänglich


Fontis Liturgiekonstitution(Rom) Ein hal­bes Jahr­hun­dert nach der Lit­ur­gie­kon­sti­tu­ti­on Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um wur­den erst­mals alle Vor­be­rei­tungs­tex­te der brei­ten Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht. Das ermög­licht einen direk­ten Ver­gleich und auch eine neue Form der kri­ti­schen Gegen­über­stel­lung zwi­schen der Kon­sti­tu­ti­on und dem, wie sie in der Nach­kon­zils­zeit umge­setzt wurde.

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Vor genau 50 Jah­ren stimm­te das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil dem ersten von ins­ge­samt 16 Kon­zils­do­ku­men­ten zu. Es han­del­te sich dabei um die Lit­ur­gie­kon­sti­tu­ti­on Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um (sie­he eige­nen Bericht „Bruch im grund­le­gen­den lit­ur­gi­schen Bewußt­sein“ – 50 Jah­re Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um).

Auf den Tag genau fünf­zig Jah­re danach wur­de die neue Inter­net­sei­te FONTES Com­mis­sio­nis Lit­ur­gi­cae ver­öf­fent­licht. Sie ver­öf­fent­licht alle Doku­men­te, die in Vor­be­rei­tung des Kon­zils und wäh­rend des Kon­zils bis zur Ver­ab­schie­dung der Lit­ur­gie­kon­sti­tu­ti­on mit die­ser in Zusam­men­hang stehen.

Die Tat­sa­che, daß das Kon­zil sei­ne Arbei­ten aus­ge­rech­net zum Sche­ma De lit­ur­gia begann, hing damit zusam­men, daß den Kon­zils­vä­ter der Text am mei­sten aus­ge­reift und am wenig­sten umstrit­ten schien. Schon bald spra­chen jedoch gewich­ti­ge Stim­men davon, daß es sich dabei um einen Akt der Vor­se­hung han­del­te. Indem beim The­ma der Lit­ur­gie begon­nen wur­de, bekräf­tig­te man unmiß­ver­ständ­lich den Pri­mat Got­tes, sei­nen abso­lu­ten Vor­rang vor und über alle ande­ren The­men, die das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil behan­deln soll­te, wie Joseph Ratz­in­ger, selbst als jun­ger Theo­lo­ge Peri­tus des Kon­zils, anmer­ken sollte.

In der Schluß­ab­stim­mung erhielt Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um 2158 Stim­men. Ledig­lich 19 Kon­zils­vä­ter stimm­ten dage­gen. Den­noch schwoll der Wider­stand nach dem Kon­zil an. Vor allem wegen der Art und Wei­se, wie die Kon­sti­tu­ti­on und ihre Richt­li­ni­en vom Con­si­li­um ad exse­quen­dam Con­sti­tu­tio­nem de sacra lit­ur­gia umge­setzt wur­den. Der Lit­ur­gie­rat war im Janu­ar 1964 von Papst Paul VI. ein­ge­setzt wor­den. Erster Prä­si­dent wur­de Gia­co­mo Kar­di­nal Ler­ca­ro, erster Sekre­tär und Fak­to­tum der Lit­ur­gi­ker Anni­ba­le Bug­nini (sie­he eige­nen Bericht Franz von Assi­si statt Anni­ba­le Bug­nini – Bene­dikt XVI. mahnt Bischö­fe Lit­ur­gie zu respek­tie­ren).

Die Inter­net­sei­te wur­de vom renom­mier­ten Lit­ur­gi­ker Don Nico­la Bux vor­ge­stellt. Der Prie­ster der Diö­ze­se Bari ist Con­sul­tor der Kon­gre­ga­ti­on für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung und der Kon­gre­ga­ti­on für die Selig- und Hei­lig­spre­chungs­pro­zes­se. Bis vor kur­zem war er auch Con­sul­tor des Amtes für die päpst­li­chen Zele­bra­tio­nen. Papst Fran­zis­kus ersetz­te im Sep­tem­ber sämt­li­che unter Papst Bene­dikt XVI. ernann­te Con­sul­to­ren und neue, die sei­ner lit­ur­gi­schen Sen­si­bi­li­tät näher sind (sie­he eige­nen Bericht San­dro Magi­ster: Wen­de und Bruch von Papst Fran­zis­kus – Distanz zu Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI.).

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Für eine Reform der Reform

von Don Nico­la Bux

50 Jah­re nach dem 4. Dezem­ber 1963, als die Lit­ur­gie­kon­sti­tu­ti­on des Zwei­ten Vati­ka­nums pro­mul­giert wur­de, kommt einem die Fest­stel­lung eines Gelehr­ten in den Sinn, der jenes Kon­zil erforsch­te: „Die Kon­zils­vä­ter wol­len kei­ne ‚lit­ur­gi­sche Revolution‘“.

Wie kann man das bele­gen? Eine neue Inter­net­sei­te kommt uns dabei ent­ge­gen. Sie sam­melt und ver­öf­fent­licht sämt­li­che Quel­len zur Vor­be­rei­tung und zur Abfas­sung der Kon­sti­tu­ti­on Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um bis zur Schlußabstimmung.

Ziel der Inter­net­sei­te ist es, die­se Doku­men­te zugäng­lich und bekannt zu machen, um ein voll­stän­di­ges und aus­ge­wo­ge­ne­res Bild der Lit­ur­gie­re­form zu gewin­nen. Es geht dabei auch um ein authen­ti­sches Ver­ständ­nis des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils in Kon­ti­nui­tät mit allen ande­ren öku­me­ni­schen Kon­zi­len der Kir­chen­ge­schich­te, wie sie der Kir­chen­hi­sto­ri­ker Kuri­en­erz­bi­schof Ago­sti­no Mar­chet­to in einer Rei­he von bemer­kens­wer­ten Ver­öf­fent­li­chun­gen her­aus­ge­ar­bei­tet hat:

„In den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten wur­de die Fra­ge der kor­rek­ten Zele­bra­ti­on der Lit­ur­gie immer mehr zu einem zen­tra­len The­ma der Aus­ein­an­der­set­zung rund um das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil, oder anders gesagt, dar­über, wie die­ses Kon­zil bewer­tet und im Leben der Kir­che auf­ge­nom­men wer­den sollte.“

Neue Internetseite macht Dokumente zugänglich

Die neue Inter­net­sei­te ist kosten­los und macht end­lich allen ein kost­ba­res Quel­len­ma­te­ri­al zugäng­lich. Die Sei­te ist noch nicht ganz fer­tig­ge­stellt. Auf der Home­page heißt es:

„In den kom­men­den Wochen wird die voll­stän­di­ge Doku­men­ta­ti­on ver­öf­fent­licht, die not­wen­dig ist, um zu ver­ste­hen, wie die vor­be­rei­ten­de Lit­ur­gie­kom­mis­si­on vor dem Kon­zil zur Abfas­sung des Sche­mas gelang­te, das dem Öku­me­ni­schen Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil vor­ge­legt wur­de und wie die­ses Sche­ma wäh­rend der bei­den Kon­zils­ses­sio­nen gemäß den Wün­schen der Kon­zils­vä­ter abge­än­dert wurde.“

Zunächst ist vor allem zwi­schen ver­schie­de­nen Lit­ur­gie­kom­mis­sio­nen zu unter­schei­den, die in ver­schie­de­nen Pha­sen tätig waren und in der Regel mit­ein­an­der in kei­ner direk­ten Ver­bin­dung stan­den. Kon­kret las­sen sich drei Haupt­pha­sen unter­schei­den: die Vor­be­rei­tungs­pha­se vor dem Kon­zil, das Kon­zil selbst und die Nachkonzilszeit.

Die vor­be­rei­ten­de Lit­ur­gie­kom­mis­si­on hielt drei Tagun­gen ab, bei denen die Arbeit der Unter­kom­mis­sio­nen vor­ge­stellt und dis­ku­tiert wur­de. Um die­ses Mate­ri­al zu prä­sen­tie­ren, wur­de deren Unter­tei­lung auch für die Inter­net­sei­te beibehalten:

  • I Con­ven­tus
  • II Con­ven­tus
  • III Con­ven­tus

Nach die­ser Vor­be­rei­tungs­pha­se begann das Kon­zil und damit die eigent­li­chen Kon­zils­ar­bei­ten der Com­mis­sio Cen­tra­lis. Die Lit­ur­gie­kom­mis­si­on des Kon­zils ver­sam­mel­te sich wäh­rend der ersten und der zwei­ten Ses­si­on der Kir­chen­ver­samm­lung in den Jah­ren 1962 und 1963 sowie in der Zeit zwi­schen den bei­den Ses­sio­nen. Auch für die­se Haupt­pha­se wur­de die ursprüng­li­che Unter­tei­lung beibehalten:

  • Ses­sio I
  • Ses­sio II

Fast das gesam­te Mate­ri­al ist heu­te im Geheim­ar­chiv des Vati­kans gesam­melt. Dort wur­den die Doku­men­te gesich­tet und nun auf der Inter­net­sei­te zugäng­lich gemacht. Was ande­re Doku­men­te anbe­langt, von deren Exi­stenz man durch Nen­nung oder Hin­wei­sen in ande­ren Doku­men­te weiß, die sich aber nicht im Geheim­ar­chiv fin­den, ist man auf der Suche nach ihnen, um die Ori­gi­na­le zu erhal­ten oder ori­gi­nal­ge­treue Kopien anfer­ti­gen zu können.

Dokumente ermöglichen auf neue Weise Vergleich und kritische Überprüfung der Nachkonzilszeit

Da die Ori­gi­nal­do­ku­men­te ver­öf­fent­licht wer­den, sind die Tex­te in der jewei­li­gen Ori­gi­nal­spra­che gehal­ten. Für den größ­ten Teil der Doku­men­te ist das Latein.

Die Kon­sti­tu­ti­on Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um stellt die Lit­ur­gie als Fort­set­zung des Heils­wer­kes Chri­sti in jeder Zeit und an jedem Ort dar. Das Geheim­nis Chri­sti ist in ihr gegen­wär­tig und macht so aus ihr den Höhe­punkt und die Quel­le des gesam­ten kirch­li­chen Lebens.

Rich­ti­ger­wei­se fand Pame­la E. J. Jack­son den Schlüs­sel zur rich­ti­gen Les­art des Doku­men­tes im Para­graph 7, der fol­gen­der­ma­ßen endet:

„Infol­ge­des­sen ist jede lit­ur­gi­sche Fei­er als Werk Chri­sti, des Prie­sters, und sei­nes Lei­bes, der die Kir­che ist, in vor­züg­li­chem Sinn hei­li­ge Hand­lung, deren Wirk­sam­keit kein ande­res Tun der Kir­che an Rang und Maß erreicht.“

Eben­so stell­te sie fest, daß für die Kon­sti­tu­ti­on die Quel­len der Theo­lo­gie der Lit­ur­gie die Hei­li­ge Schrift und die lit­ur­gi­sche, patri­sti­sche und theo­lo­gi­sche Tra­di­ti­on sind, inter­pre­tiert durch das Lehr­amt, ganz kon­kret durch die Enzy­kli­ken Mysti­ci Cor­po­ris und Media­tor Dei, so daß man sagen kann, daß im lit­ur­gi­schen Bereich das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil „das von Pius XII. begon­ne­ne Werk vollendete“.

Das stimmt mit dem über­ein, was Bene­dikt XVI. bei der Gene­ral­au­di­enz vom 10. Okto­ber 2012 sag­te: „Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um erin­nert an die Zen­tra­li­tät des Geheim­nis­ses der Gegen­wart Chri­sti“. Eben­so sag­te er in sei­ner Anspra­che vom 18. Febru­ar 2013 an den römi­schen Kle­rus und im Vor­wort zu sei­nen lit­ur­gi­schen Schriften:

„Die erste, ursprüng­li­che, ein­fa­che – schein­bar ein­fa­che – Absicht des Kon­zils war die Reform der Lit­ur­gie, die bereits mit Pius XII. begon­nen hat­te, der bereits die Kar­wo­che refor­miert hat­te. […] Jetzt, rück­blickend, fin­de ich, daß es sehr gut war, mit der Lit­ur­gie zu begin­nen. So erscheint der Pri­mat Got­tes, der Pri­mat der Anbe­tung. ‚Ope­ri Dei nihil prae­po­na­tur‘: nichts darf dem Got­tes­dienst vor­ge­zo­gen wer­den. Die­se Wor­te aus der Regel des Hei­li­gen Bene­dikt, erschei­nen so als ober­ste Regel des Konzils.“

Liturgiekonstitution wurde teils „sakrilegisch verfälscht“

Wenn man schon nicht auf Bene­dikt XVI. hören möch­te, tut man es viel­leicht bei Hen­ri De Lubac. Auch für die­sen gro­ßen Theo­lo­gen ist die Lit­ur­gie­kon­sti­tu­ti­on „oft miß­ver­stan­den und teils sogar auf sakri­le­gi­sche Wei­se ver­fälscht wor­den“. Denn nach dem Kon­zil mach­te sich die Über­zeu­gung breit, die Lit­ur­gie­kon­sti­tu­ti­on hät­te eine Reform im Sinn eines Bruchs mit der Tra­di­ti­on der katho­li­schen Lit­ur­gie postu­liert. Dies in min­de­stens vier Punk­ten: die Eucha­ri­stie als Mahl statt als Opfer; die Ver­samm­lung als Sub­jekt der Lit­ur­gie statt des Prie­sters; die par­ti­ci­pa­tio actuo­sa als Alter­na­ti­ve zur Anbe­tung; die zen­tra­le Bedeu­tung der Gemein­schaft statt der kos­mi­schen Trag­wei­te des eucha­ri­sti­schen Opfers.

Auch des­halb ist es wich­tig zu den Quel­len zurück­zu­keh­ren. Die Vor­be­rei­tungs­do­ku­men­te für das Kon­zil erlau­ben es, mit grö­ße­rer Objek­ti­vi­tät auf die Kon­sti­tu­ti­on Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um zu blicken und lie­fern umso wert­vol­le­re Hilfs­mit­tel und Maß­stä­be um einen Ver­gleich mit ihrer nach­kon­zi­lia­ren Umset­zung anzu­stel­len und die­se einer Prü­fung zu unterziehen.

Konzilsväter wollten keine „grundlegende Veränderung der katholischen Liturgie“

Aus den Wort­mel­dun­gen der Kon­zils­vä­ter in der Kir­chen­ver­samm­lung geht eben­so her­vor, daß sie wohl ein Rah­men­ge­setz sein soll­te, aber kei­nes­wegs eine grund­le­gen­de Ver­än­de­rung der katho­li­schen Lit­ur­gie woll­te. In die­sem Sinn sei zu „prü­fen“, so Joseph Ratz­in­ger, „wo zu dra­sti­sche Ein­schnit­te aus­ge­führt wur­den, um auf kla­re und orga­ni­sche Wei­se die Ver­bin­dung mit der ver­gan­ge­nen Geschich­te wie­der­her­zu­stel­len. Ich selbst habe in die­sem Sinn von einer „Reform der Reform gespro­chen“. Mei­nes Erach­tens muß dem aber ein Erzie­hungs­pro­zeß vor­aus­ge­hen, der die Ten­denz zur Tötung der Lit­ur­gie durch per­sön­li­che Erfin­dun­gen ausschließt“.

Die neue Inter­net­sei­te mit ihren Doku­men­ten kann bei die­sem Pro­zeß helfen.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Fon­tis (Screen­shot)

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