(Vatikan) Papst Franziskus gab erneut und trotz der schlechten Erfahrungen ein Interview. Der Jesuit Pater Bernd Hagenkord, Leiter der deutschen Redaktion von Radio Vatikan schrieb auf seinem Blog: „Das letzte Interview des Papstes ist schief gegangen: Der Herausgeber der Zeitung La Repubblica hatte romanhaft wiedergegeben, was er vom Papst in seinem langen Gespräch meinte verstanden zu haben.
Und was lernt der Papst daraus? Sich nicht ins Boxhorn jagen zu lassen. Auf Englisch sagt man ‚Bad cases make for bad laws‘, vulgo: aus schlechten Erfahrungen soll man keine Regeln ableiten. Und voilà : So hatten wir heute morgen wieder ein langes Papstinterview auf dem Frühstückstisch.“
Tatsächlich unterscheidet sich das Interview, was wohl vor allem auch dem Vatikanisten Andrea Tornielli gschuldet ist, der das Interview für die Tageszeitung La Stampa führte. Vielleicht ein Indiz, daß die Gesprächspartner sorgfältiger ausgewählt werden.
Zum Gespräch berichtet Tornielli, daß es am 10. Dezember im Gästehaus Santa Marta des Vatikans stattfand. Beginn war 12.50 Uhr mit einer Dauer von anderthalb Stunden. Der Papst verwirft darin die Idee weiblicher Kardinäle und den etwa vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch behaupteten Zusammenhang zwischen Aussagen des Apostolischen Schreibens Evangelii Gaudium und der Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten.
Hier der vollständige Wortlaut in deutscher Übersetzung:
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„Nie Angst vor der Zärtlichkeit Gottes haben“
Was bedeutet Weihnachten für Sie?
Es ist die Begegnung mit Jesus. Gott hat immer sein Volk gesucht, er hat es geführt, er hat es behütet, hat versprochen, ihm immer nahe zu sein. Im Buch Deuteronomium lesen wir, daß Gott mit uns geht, uns an der Hand führt wie ein Vater sein Kind. Das ist schön. Weihnachten ist die Begegnung Gottes mit seinem Volk. Und es ist auch Tröstung, ein Geheimnis der Tröstung. Viele Male habe ich nach der Mitternachtsmette manche Stunde allein in der Kapelle verbracht, bevor ich am Morgen die Hirtenmesse zelebrierte. Mit diesem Gefühl tiefen Trostes und Friedens. Ich erinnere mich, einmal, hier in Rom, ich glaube, es war Weihnachten 1974, an eine Gebetsnacht nach der Messe im Centro Astalli. Für mich war Weihnachten immer das: den Besuch Gottes bei seinem Volk betrachten.
Und was sagt Weihnachten dem Menschen von heute?
Es spricht zu uns über die Zärtlichkeit und die Hoffnung. In der Begegnung mit uns sagt uns Gott zwei Dinge. Das Erste ist: habt Hoffnung. Gott öffnet immer die Türen, nie schließt er sie. Er ist der Vater, der uns die Tore öffnet. Zweitens: habt keine Angst vor der Zärtlichkeit. Wenn die Christen die Hoffnung und die Zärtlichkeit vergessen, werden sie eine kalte Kirche, die nicht weiß, wohin sie gehen soll und sie verstrickt sich in Ideologien, in weltliche Verhaltensweisen. Während die Einfachheit Gottes dir sagt: geh weiter, ich bin ein Vater, der dich liebkost. Ich habe Angst, wenn die Christen die Hoffnung verlieren und die Fähigkeit zu umarmen und zu liebkosen. Vielleicht spreche ich deshalb mit Blick auf die Zukunft von den Kindern und den Alten, also von den Schutzlosesten. In meinem Priesterleben habe ich in den Pfarreien immer versucht diese Zärtlichkeit vor allem den Kindern und Alten zu vermitteln. Es tut mir gut und es läßt mich an die Zärtlichkeit denken, die Gott für uns hegt.
Wie kann man glauben, daß Gotte, der von den Religion als unendlich und allmächtig betrachtet wird, sich so klein macht?
Die griechischen Väter nannten ihn „synkatabasis“, göttliche Herablassung. Gott, der herunterkommt und mit uns ist. Das ist eines der Geheimnisse Gottes. In Betlehem, im Jahr 2000, sagte Johannes Paul II., daß Gott ein Kind geworden ist, vollkommen abhängig von der Obsorge eines Vaters und einer Mutter. Deshalb gibt Weihnachten soviel Freude. Wir fühlen uns nicht mehr allein, Gott ist herabgekommen um mit uns zu sein. Jesus hat sich zu einem von uns gemacht, und für uns hat er am Kreuz das schlimmste Ende erlitten, das eines Verbrechers.
Weihnachten wird häufig als zuckersüßes Märchen präsentiert. Aber Gott wird in eine Welt geboren, in der es auch viel Leid und Elend gibt.
Was wir in den Evangelien lesen, ist Verkündigung der Freude. Die Evangelisten haben eine Freude beschrieben. Es werden keine Überlegungen über eine ungerechte Welt angestellt, darüber wie Gott in einer solchen Welt zur Welt kommen kann. Das alles ist das Ergebnis unserer Betrachtung: die Armen, das Kind, das in eine unsichere Situation hineingeboren wird. Weihnachten war nicht eine Anklage gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen Armut, sondern die Verkündigung der Freude. Der ganze Rest sind Folgerungen, die wir daraus ziehen. Einige sind richtig, andere weniger richtig, wieder andere sind ideologisiert. Weihnachten ist Freude, religiöse Freude, Freude Gottes, innere, des Licht, des Friedens. Wenn man nicht die Fähigkeit hat oder sich in einer menschlichen Situation befindet, die es nicht zuläßt, diese Freude zu verstehen, erlebt man das Fest mit weltlicher Fröhlichkeit. Zwischen der tiefen Freude und der weltlichen Fröhlichkeit ist ein großer Unterschied.
Es ist Ihr erstes Weihnachten in einer Welt, in der es nicht an Konflikten und Kriegen fehlt …
Gott gibt nie jemandem eine Gabe, der nicht imstande ist, sie zu empfangen. Wenn er uns Weihnachten schenkt, dann, weil wir alle die Fähigkeit haben, es zu verstehen und zu empfangen. Alle, vom größten Heiligen bis zum größten Sünder, vom Saubersten bis zum Korruptesten. Auch der Korrupte hat diese Fähigkeit: der Arme, seine ist vielleicht etwas eingerostet, aber er hat sie. Weihnachten in dieser Zeit der Konflikte ist ein Ruf Gottes, der uns dieses Geschenk macht. Wollen wir es empfangen oder bevorzugen wir andere Geschenke? Dieses Weihnachten in einer von Kriegen erschütterten Welt, läßt mich an die Geduld Gottes denken. Die in der Bibel genannte Haupttugend Gottes ist, daß er die Liebe ist. Er erwartet uns, nie wird er müde auf uns zu warten. Er schenkt die Gabe und dann erwartet er uns. Das geschieht auch im Leben eines jeden von uns. Es gibt jene, die das nicht beachten. Aber Gott ist geduldig und der Frieden, die friedvolle Freude der Weihnachtsnacht ist Ausdruck dieser Geduld Gottes mit uns.
Im Januar werden es 50 Jahre sein, seit Paul VI. seine historische Reise ins Heilige Land machte. Werden auch Sie gehen?
Weihnachten läßt uns immer an Betlehem denken und Betlehem ist ein präziser Ort im Heiligen Land, wo Jesus lebte. In der Heiligen Nacht denke ich vor allem an die Christen, die dort leben, jene, die Schwierigkeiten haben, an die vielen von ihnen, die aus verschiedenen Schwierigkeiten dieses Land verlassen mußten. Aber Betlehem bleibt Betlehem. Gott kam in einem bestimmten Punkt zur Welt, in einem bestimmten Land ist die Zärtlichkeit Gottes, die Gnade Gottes erschienen. Wir können nicht an Weihnachten denken, ohne an das Heilige Land zu denken. Vor 50 Jahren hatte Paul VI. den Mut hinauszugehen, um dorthin zu gehen und so begann die Epoche der päpstlichen Reisen. Auch ich wünsche hinzugehen, um meinen Bruder Bartholomäus zu treffen, den Patriarchen von Konstantinopel und mit ihm dieses 50. Jahrestages zu gedenken und die Umarmung zwischen Papst Montini und Athenagoras von 1964 in Jerusalem zu erneuern. Wir bereiten uns darauf vor.
Sie haben mehrfach schwerkranke Kinder getroffen. Was können Sie zu diesem unschuldigen Leiden sagen?
Ein Lehrmeister des Lebens war für mich Dostojewski und diese explizite und implizite Frage war immer in meinem Herzen: Warum leiden die Kinder? Es gibt keine Erklärung. Mir fällt dieses Bild ein: an einer bestimmten Stelle seines Lebens „wacht“ ein Kind auf, es versteht viele Dinge nicht, es fühlt sich bedroht, es beginnt dem Vater oder der Mutter Fragen zu stellen. Es ist das Alter des „Warum“. Wenn das Kind frägt, hört es aber nicht alles, was du ihm zu sagen hast, es löchert dich sofort mit neuen „Warum?“. Das was es noch mehr sucht als die Erklärung, ist der Blick des Vaters, der ihm Sicherheit gibt. Vor einem leidenden Kind ist das einzige Gebet, das mir kommt, das Gebet des Warum. Warum Herr? Er erklärt mir nichts. Aber ich spüre, daß er mich anschaut. Und so kann ich sagen: Du kennst das Warum, ich kenne es nicht und Du sagst es mir nicht, aber Du schaust mich an und ich vertraue Dir, Herr, ich vertraue Deinem Blick.
Wenn man über das Leiden der Kinder spricht, kann man nicht die Tragödie derer vergessen, die Hunger leiden.
Mit der Nahrung die wir zuviel haben und die wir wegwerfen, könnten wir sehr vielen zu essen geben. Wenn wir es schaffen würden, nichts zu verschwenden, die Nahrung wiederzuverwerten, dann würde der Hunger in der Welt stark abnehmen. Es beeindruckte mich, eine Statistik zu lesen, die von 10.000 Kinder spricht, die jeden Tag in der Welt an Hunger sterben. Es gibt viele Kinder, die weinen, weil sie Hunger haben. Vor einigen Tagen bei der Mittwochsaudienz stand hinter der Absperrung eine junge Mutter mit ihrem wenige Monate alten Kind. Als ich vorbeikam, weinte das Kind laut. Die Mutter streichelte es. Ich sagte ihr: Ich denke, das Kind hat Hunger. Sie antwortete: ja, es wäre Zeit… Ich sagte ihr: dann geben Sie ihm bitte zu essen! Sie hatte Scham und wollte nicht in der Öffentlichkeit stillen während der Papst vorbeikommt. Nun, ich möchte dasselbe der Menschheit sagen: gebt zu essen! Diese Frau hatte die Milch für ihr Kind, in der Welt haben wir ausreichend Nahrung um alle satt zu machen. Wenn wir mit den humanitären Organisationen arbeiten und es schaffen, uns alle einig zu sein, keine Nahrung zu verschwenden, indem wir sie denen zukommen lassen, die es brauchen, dann werden wir einen großen Beitrag dazu leisten, die Tragödie des Hungers in der Welt zu lösen. Ich möchte der Menschheit wiederholen, was ich der Mutter gesagt habe: gebt denen zu essen, die Hunger haben! Die Hoffnung und die Zärtlichkeit der Weihnacht des Herrn rütteln uns aus der Gleichgültigkeit auf.
Einige Teile von Evangelii Gaudium haben Ihnen die Angriffe ultrakonservativer Amerikaner zugezogen. Was für einen Eindruck macht es einem Papst, als „Marxist“ bezeichnet zu werden?
Die Marxistische Ideologie ist falsch. Aber in meinem Leben haben ich viele Marxisten kennengelernt, die gute Menschen waren und deshalb fühle ich mich nicht beleidigt. In der Exhortatio findet sich nichts, was sich nicht auch in der kirchlichen Soziallehre findet. Ich habe nicht von einem technischen Blickwinkel aus gesprochen, ich habe versucht ein Abbild dessen darzustellen, was geschieht. Das einzige spezifische Zitat betrifft die „Überlauf“-Theorien (trickle-down Theorie), laut denen jedes, vom freien Markt begünstigte wirtschaftliche Wachstum, von sich aus mehr Gleichheit und soziale Einbindung in der Welt schafft. Es gab das Versprechen: wenn das Glas voll sein wird, werde es übergehen und auch die Armen würden davon Nutzen ziehen. Die Wirklichkeit ist aber eine andere: sobald es voll ist, vergrößert sich auf magische Weise das Glas und so fällt nie etwas für die Armen ab. Das ist der einzige konkrete Hinweis auf eine spezifische Theorie. Ich wiederhole: ich habe nie als Techniker gesprochen, sondern gemäß der Soziallehre der Kirche. Und das bedeutet nicht, ein Marxist zu sein.
Sie haben eine „Veränderung des Papsttums“ angekündigt. Haben Ihnen die Begegnungen mit den orthodoxen Patriarchen einen konkreten Weg nahegelegt?
Johannes Paul II. sprach noch ausdrücklicher von einer Form der Primatsausübung, die sich einer neuen Situation öffnet. Aber nicht nur vom Gesichtspunkt der ökumenischen Beziehungen aus, sondern auch der Beziehungen zwischen der Kurie und den Ortskirchen. In diesen neun Monaten habe ich die Besuche vieler orthodoxer Brüder empfangen, Bartholomäus, Hilarion, den Theologen Zizioulas, den Kopten Tawadros: Letzterer ist ein Mystiker, er betrat die Kapelle, zog die Schuhe aus und betete. Ich fühlte mich als ihr Bruder. Sie haben die apostolische Sukzession, ich habe sie wie Brüder im Bischofsamt begrüßt. Es ist ein Schmerz noch nicht gemeinsam die Eucharistie zelebrieren zu können, aber die Freundschaft gibt es. Ich denke, daß das der Weg ist: Freundschaft, gemeinsame Arbeit, und Gebet für die Einheit. Wir haben uns gegenseitig gesegnet, ein Bruder segnet den anderen, ein Bruder heißt Petrus und ein anderer heißt Andreas, Markus, Thomas…
Ist die Enheit der Christen für Sie eine Priorität?
Ja, für mich hat die Ökumene Vorrang. Heute existiert eine Ökumene des Blutes. In einigen Ländern töten sie die Christen, weil sie ein Kreuz tragen oder eine Bibel haben und bevor sie sie töten, fragen sie sie nicht, ob sie Anglikaner, Lutheraner, Katholiken oder Orthodoxe sind. Das Blut ist durchmischt. Für die, die töten, sind wir Christen. Vereint im Blut, auch wenn wir unter uns es noch nicht schaffen, die nötigen Schritte zur Einheit zu setzen und vielleicht ist die Zeit noch nicht gekommen. Die Einheit ist eine Gnade, um die man bitten muß. Ich kannte in Hamburg einen Pfarrer, der die Heiligsprechung eines katholischen Priesters betrieb, der von den Nazis enthauptet worden war, weil er die Kinder den Katechismus lehrte. Nach ihm in der Reihe der Verurteilten war ein lutherischer Pastor, der aus demselben Grund hingerichtet wurde. Ihr Blut hat sich vermischt. Dieser Pfarrer erzählte mir, daß er zum Bischof ging und ihm sagte: „Ich verfolge weiterhin die Causa, aber von beiden, nicht nur des Katholiken“. Das ist die Ökumene des Blutes. Sie existiert auch heute, es genügt die Zeitungen zu lesen. Jene, die die Christen töten fragen dich nicht nach dem Personalausweise um zu wissen, in welcher Kirche du getauft bist. Wir müssen diese Realität berücksichtigen.
In der Exhortatio haben Sie zu klugen und kühnen pastoralen Entscheidungen eingeladen was die Sakramente betrifft. Auf was haben Sie sich bezogen?
Wenn ich von Klugheit spreche, denke ich nicht eine lähmende Haltung, sondern an eine Tugend für die, die regieren. Die Klugkeit ist eine Regierungstugend. Auch die Kühnheit ist es. Man muß mit Kühnheit und mit Klugheit regieren. Ich sprach von der Taufe und der Gemeinschaft, als geistliche Nahrung um vorwärts zu gehen, als Hilfsmittel und nicht als Prämie. Einige haben sofort an die Sakramente für die wiederverheiratet Geschiedenen gedacht, aber ich bin nicht auch spezielle Fälle eingegangen: ich wollte nur einen Grundsatz aufzeigen. Wir müssen versuchen, den Glauben der Menschen zu erleichtern, statt ihn zu kontrollieren. Im vergangenen Jahr habe ich in Argentinien die Haltung einiger Priester kritisiert, die nicht die Kinder junger Mütter tauften. Das ist eine kranke Mentalität.
Und bezüglich der wiederverheiratet Geschiedenen?
Der Ausschluß von der Kommunion für die Geschiedenen, die in einer zweiten Verbindung leben ist keine Strafe. Es ist gut das in Erinnerung zu rufen. Aber ich habe davon in der Exhortatio nicht gesprochen.
Wird das die nächste Bischofssynode behandeln?
Die Synodalität der Kirche ist wichtig: über die Ehe in ihrer Komplexität werden wir in den Versammlungen des Konsistoriums im Februar sprechen. Dann wird das Thema von der außerordentlichen Bischofssynode im Oktober 2014 behandelt und auch in der ordentlichen Synode des darauffolgenden Jahres. Bei diesen Gelegenheiten werden viele Dinge vertieft und sich klären.
Wie schreitet die Arbeit Ihrer acht „Berater“ für die Kurienreform voran?
Die Arbeit ist langwierig. Wer Vorschläge vorbringen oder Ideen übermitteln wollte, hat es getan. Kardinal Bertello hat die Stellungnahmen aller vatikanischen Dikasterien eingeholt. Wir haben Empfehlungen von den Bischöfen der ganzen Welt erhalten. Bei der jüngsten Versammlung der acht Kardinäle sagten sie, daß wir am Punkt angelangt sind, konkret Vorschläge zu machen, und beim nächsten Treffen im Februar, werden sie mir ihre ersten Empfehlungen übergeben. Ich bin bei den Treffen immer dabei, ausgenommen am Mittwoch vormittag wegen der Generalaudienz. Aber ich äußere mich nicht, ist höre nur zu, und das tut mir gut. Ein alter Kardinal sagte mir vor einigen Monaten: „Die Kurienreform haben Sie bereits mit der täglichen Messe in Santa Marta begonnen.“ Das ließ mich denken: die Reform beginnt immer mit geistlichen und pastoralen Initiativen noch vor strukturelle Veränderungen.
Was ist das richtige Verhältnis zwischen Kirche und Politik?
Das Verhältnis muß zur selben Zeit parallel und übereinstimmend sein. Parallel, weil jeder hat seinen Weg und seine verschiedenen Aufgaben. Übereinstimmend nur bei der Hilfe für das Volk. Wenn die Beziehungen früher übereinstimmen, ohne das Volk oder ohne Rücksicht auf das Volk, beginnt jenes Verbandeln mit der politischen Macht, das dazu führt, die Kirche verfaulen zu lassen: die Geschäfte, die Kompromisse … Man muß parallel vorgehen, jeder mit der eigenen Methode, den eigenen Aufgaben, der eigenen Berufung. Übereinstimmend nur beim Gemeinwohl. Die Politik ist edel, es ist eine der höchsten Formen der Nächstenliebe, wie Paul VI. sagte. Wir beschmutzen sie, wenn wir sie für Geschäfte mißbrauchen. Auch die Beziehung zwischen Kirche und politischer Macht kann verdorben sein, wenn sie nicht ausschließlich auf das Gemeinwohl abzielt.
Darf ich Sie fragen, ob wir Frauen als Kardinäle haben werden?
Das ist ein Scherz, von dem ich nicht weiß, wo der herkommt. Die Frauen in der Kirche müssen aufgewertet, aber nicht „klerikalisiert“ werden. Wer an Kardinälinnen denkt, leidet etwas unter Klerikalismus.
Wie schreiten die Reinigungsarbeiten bei der Vatikanbank IOR voran?
Die betreffenden Kommissionen arbeiten gut. Moneyval hat uns ein gutes Urteil ausgestellt, wir sind auf dem richtigen Weg. Was die Zukunft des IOR anbelangt, wird man sehen. Zum Beispiel: die „Zentralbank“ des Vatikan ist die APSA [Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls]. Das IOR wurde errichtet, um den religiösen Werken, den Missionen und den armen Kirchen zu helfen. Danach ist daraus geworden, was es heute ist.
Konnten Sie sich vor einem Jahr vorstellen, daß Sie Weihnachten 2013 im Petersdom zelebrieren würden?
Absolut nicht.
Haben Sie erwartet, gewählt zu werden?
Ich habe es mir nicht erwartet. Ich habe die Ruhe nicht verloren, als die Stimmen anwuchsen. Ich bin ruhig geblieben. Und dieser Frieden ist noch heute da, ich betrachte ihn als Geschenk des Herrn. Als der letzte Wahlgang zu Ende war, brachten sie mich in die Mitte der Sixtinischen Kapelle und ich wurde gefragt, ob ich annehme. Ich habe Ja gesagt, und gesagt, daß ich mich Franziskus nennen werde. Erst dann habe ich mich entfernt. Ich wurde in den daneben liegenden Raum geführt, um mich umzuziehen. Dann, kurz bevor ich mich zeigte, bin ich niedergekniet, um einige Minuten gemeinsam mit den Kardinälen Vallini und Hummes in der Paolinischen Kapelle zu beten.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Osservatore Romano