(Rom) Ein Kardinal „prophezeite“ mit vollem Ernst, daß Papst Benedikt XVI. innerhalb der nächsten zwölf Monate sterben würde. Er lebt noch, dankte jedoch als Papst ab. Eine makabere „Prophezeiung“, die in Erfüllung ging. Ein anderer Kardinal nahm die Worte ernst und informierte damals Benedikt XVI. schriftlich und mündlich darüber.
Heute jubeln progressive Teile der Kirche, vor allem in Italien, und behaupten, mit der Wahl von Papst Franziskus, sei eine andere „Prophezeiung“ in Erfüllung gegangen: der „Traum“ von Kardinal Carlo Maria Martini von einer „anderen“ Kirche. Handelt es sich nur um eine Verwirrung der Geister, um Wichtigtuerei oder stehen beide „Prophezeiungen“ durch obskure kirchenpolitische Manöver in Zusammenhang? Letzteres zumindest schließt Messa in Latino nicht aus.
Famiglia Cristiana ist die auflagenstärkste katholische Zeitung Italiens. Sie ist kein progressives Kampfblatt, dafür kennzeichnet sie sich durch eine deutlich progressive Schlagseite, gewissermaßen durch den „ganz normalen Progressismus“ eines Christentum light wie man ihn in fast allen offiziellen diözesanen Kirchenmedien findet und auch in etlichen Ordenspublikationen. Herausgegeben wird das Wochenmagazin Famiglia Cristiana von der Gesellschaft vom Hl. Apostel Paulus, einer Ordensgründung von Don Alberione.
Der Kardinal, der Papst Franziskus „prophezeite“ und das „Konzil von Mailand“
Die Titelgeschichte der jüngsten Ausgabe widmete Famiglia Cristiana dem 2012 verstorbenen früheren Erzbischof von Mailand, Carlo Maria Kardinal Martini. Anlaß war sein erster Todestag. Bereits die Titelseite präsentiert sich „besorgniserregend, schockierend und als Bote schlechter Vorahnungen“, so Messa in Latino. Warum? Der Titel ist aussagekräftig: „Der Kardinal, der Papst Franziskus ankündigte. Ein Jahr nach seinem Tod wird sein Traum von einer neuen Kirche Wirklichkeit.“
Die Darstellung sagt zunächst wenig über Papst Franziskus aus, aber viel über jene, die in der Kirche nun Aufwind verspüren. Messa in Latino schrieb dazu: „Erst jetzt verstehe ich, was mir ein hoher Prälat wenige Tage nach dem Begräbnis von Kardinal Martini sagte. Ich versuche den Inhalt möglichst wörtlich wiederzugeben: ‚Die Beerdigung, die eine so große Beteiligung von Kardinälen, Bischöfen und Priestern sah, war ein Konzil: Das Konzil von Mailand! Das ist die Kirche. In Rom werden sie das zur Kenntnis nehmen müssen!’ Soweit seine Worte. Und tatsächlich haben sie es fünf Monate später zur Kenntnis genommen. Papst Benedikt XVI., der Nachfolger des Petrus und Stellvertreter Christi auf Erden reichte seinen Rücktritt sein. Der letzte Akt eines Kirchenoberhauptes, das aus größter Liebe zur Kirche und für ihre unmögliche Einheit eine Reihe von Nötigungen und Schikanen aller Art ertragen mußte, die für immer als Via Crucis von Papst Benedikt XVI. in unser Gedächtnis eingeprägt bleiben wird“, so Messa in Latino.
Via Crucis von Papst Benedikt XVI.
Der Amtsverzicht des deutschen Papstes, so singulär in der Kirchengeschichte, gibt weiterhin Rätsel auf und beschäftigt um so mehr mit Blick auf den Zustand der Kirche und deren aktuelle Entwicklung. Wurde der Abtritt Benedikt XVI. vielleicht doch angekündigt? Er selbst sprach davon, nach seiner Mexiko-Reise im Frühjahr 2012 immer konkreter einen Amtsverzicht in Betracht gezogen zu haben.
Aber bereits im Februar ließ Paolo Kardinal Romeo, der Erzbischof von Palermo und kein Ratzingerianer, eine „Bombe“ platze. „Kardinal prophezeit Ratzingers Tod“, titelte am 10. Februar 2012, fast auf den Tag genau ein Jahr vor der Bekanntgabe des Amtsverzichts, die Tageszeitung Der Standard. Zahlreiche Medien übernahmen die Meldung. Die Tageszeitung Il Fatto Quotidiano hatte am selben Tag mit dem Titel: „Komplott gegen Benedikt XVI.: innerhalb von 12 Monaten wird er sterben“, die Spekulationen ausgelöst.
„Innerhalb von 12 Monaten wird er sterben“ oder auf sein Amt verzichten
Papst Benedikt XVI. sollte „innerhalb“ von exakt zwölf Monaten nicht tot sein, aber auf sein Amt verzichten, was in etwa für die Leitung der Kirche auf dasselbe hinauskommt.
Worum ging es damals? In der ersten Januarhälfte 2012 schickte der kolumbianische Kardinal Dario Castrillon Hoyos Papst Benedikt XVI. ein vertrauliches Schreiben des Kardinals und eine Sachverhaltsdarstellung. Ein Schreiben, das der Kardinal in deutscher Sprache verfaßte. Nicht so sehr eine Reverenz an die Muttersprache des Papstes, sondern mehr, um den Kreis ungebetener Mitleser erheblich einzuschränken. Darin hinterbrachte er, was der italienische Kardinal Romeo im November 2011 in mehreren Gesprächen während seiner China-Reise von sich gab: „Seine Gesprächspartner dachten mit Schrecken, daß es sich um einen Attentatsplan gegen den Papst handle“, so Kardinal Castrillon Hoyos. Im Schreiben findet sich ausdrücklich das Wort „Mordkomplott“. Die Sachverhaltsdarstellung trägt das Datum des 30. Dezember 2011 und wurde vom kolumbianischen Kardinal in den ersten Januartagen dem Papst und dem Staatssekretariat übermittelt.
Um auf Nummer sicher zu gehen, informierte Kardinal Castrillon Hoyos Papst Benedikt XVI. Mitte Januar persönlich in einer Privataudienz.
„Seltsame Reise“ von Kardinal Romeo nach China
Die von Kardinal Castrillon Hoyos übermittelte Sachverhaltsdarstellung gliederte sich in drei Teile. Der dritte Teil trug die Überschrift: „Die Nachfolge von Papst Benedikt XVI.“ Darin wurde die „seltsame Reise“ (Fatto Quotidiano) von Kardinal Romeo nach China rekonstruiert. Der ehemalige Vatikandiplomat Romeo gilt als einflußreicher Mann in der Kirche wegen seiner Kontakte zum Diplomatischen Corps und Kardinal Sodano und seiner Stellung im italienischen Episkopat. Ein Mann aus reichem und kinderreichem Elternhaus, extrovertiert und technikbegeistert. Seine Reise nach China gab Rästel auf, weil der Kardinal keine Vertreter der Kirche in China traf, sondern italienische Geschäftsleute, die in China tätig sind und zum Teil dort leben. Offiziell erklärte er, vom Papst beauftragt zu sein, die Kontakte zwischen dem Vatikan und der Volksrepublik abzuklären. Im Vatikan wußte man von einem solchen Auftrag nichts.
Vatikansprecher Pater Federico Lombardi dementierte im Februar 2012 umgehend die Presseberichte. Er bezeichnete sie als „absurd und unseriös“, ja als „so unglaublich, daß man sie gar nicht kommentieren kann.“
In der Presse war damals auch vom „Tod eines Papstes“ zu lesen. „Vielleicht war nicht unbedingt ein physischer Tod gemeint, sondern einfach der Abtritt Benedikts“, so Messa in Latino.
Ein Abtritt, den es nicht geben hätte dürfen und eine seltsame Ankündigung dieses Abtritts
„Wir wissen nicht, was tatsächlich rund um den Rücktritt von Benedikt XVI. geschehen ist“, so Messa in Latino. „Wir sehen Signale und versuchen sie zu deuten. Wir sehen einen Abtritt, den es nicht geben hätte dürfen und der einzigartig in der Kirchengeschichte dasteht. Wir sehen eine seltsame Ankündigung dieses Abtritts durch Kardinal Romeo. Und wir sehen ein Schreiben von Kardinal Castrillon Hoyos, der die Sache so ernst nahm, daß er den Papst informierte und es ihm persönlich vortrug. Wir sehen das Dementi von Vatikansprecher Pater Lombardi. Aber der arme Pater Lombardi hat viel von allem zu erklären, wie man weiß. Wir sehen die Wahl von Papst Franziskus, mit dem niemand gerechnet hatte. Die Wahl des direkten Gegenspielers von Benedikt XVI. im Konklave von 2005, den sich damals der gescheiterte Kardinal Martini zur Verhinderung von Kardinal Ratzinger als Papst wünschte. Und wir sehen einen jubelnden progressiven Kirchenteil, der sich im Aufwind fühlt. Dabei mag viel Zweckoptimismus sein. Und doch muß es Signale geben, die ihnen diesen Optimismus nahelegen. Wir wissen daher vor allem eines, und das sagen wir in aller Ruhe all jenen, die uns gestern wie heute so gerne die ‚Schwester Verfolgung‘, wie Gamalià«l sagte, an den Hals wünschen: „Laßt von diesen Männern ab und gebt sie frei; denn wenn dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen.“ (Apostelgeschichte 5,38f), so die traditionsverbundene Seite Messa in Latino.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Concilio e Postconcilio