(Rom) Der Vatikanist Sandro Magister, einer der aufmerksamsten und kritischsten Beobachter des derzeitigen Pontifikats meint, daß die Welt am neuen Papst in die Irre gehe. Es sei ein Bild von Papst Franziskus gezeichnet und in den Köpfen eingesetzt worden, das nicht den Tatsachen entspreche. Was genau der Papst aus Argentinien mit der Kirche vorhabe, sei zwar noch nicht klar. Eines stehe aber fest, so Magister, was er tut, wird er als „absoluter Monarch“ tun.
Franziskus meidet soweit möglich die ganze Unterschrift als Papst
Papst Franziskus bezeichnet sich weiterhin bevorzugt nur als „Bischof von Rom“ und vermeidet es, wo er nur kann, seiner Unterschrift das doppelte P anzufügen, das Teil der päpstlichen Unterschrift ist und für Pastor Pastorum, Hirt der Hirten steht, und den Unterzeichner als Papst ausweist. Einerseits diese Form der Verweigerung des Papstamtes, andererseits ein Agieren, das in vollem Umfang dem eines Papstes entspricht noch konsequenter und akzentuierter als es etwa unter Benedikt XVI. der Fall war.
„Demokratie“ und „Kollegialität“, Zauberwörter progressiver Kirchenkreise, sind also von diesem Papst nicht zu erwarten. Das heiße nicht, daß er die Kirchenverfassung nicht in diese Richtung verschieben könnte. Wenn er es tut, dann aber als Akt allein seiner Entscheidung, mit der allein ihm zustehenden Autorität eines Stellvertreters Christi auf Erden.
Papst Franziskus: „demokratisch und kollegial“ in den Köpfen – „absoluter Monarch“ im Handeln
Als Beleg für seine These nennt Magister das Vorgehen von Papst Franziskus bei den Selig- und Heiligsprechungen. Erst kurz im Amt lockerte er die Bremsen der Glaubenskongregation, die seit der Präfektenzeit Joseph Kardinal Ratzingers gegen eine Seligsprechung von Erzbischof Oscar Romero von San Salvador angezogen waren. Die Gründe für die Vorbehalte sind nicht näher bekannt. Sie können mit Romeros Lebenswandel oder seinen Entscheidungen zu tun haben, aber vielleicht auch nur gebotener Zurückhaltung entsprechen, um in einem Land die Bürgerkriegswunden verheilen zu lassen. Romero wurde nämlich, da von rechten Militärs ermordet, zum linken Säulenheiligen erhoben. Ihm wurde nicht zuletzt in Europa in manchen Kreisen mehr eine politische als eine religiöse Verehrung zuteil. Für Joseph Kardinal Ratzinger und Papst Benedikt XVI. scheinen auch Vorbehalte wegen der Predigten von Erzbischof Romero bestanden zu haben, die erkennbar vom baskischen Jesuiten Jon Sobrino, einem führenden Vertreter der marxistischen Befreiungstheologie beeinflußt waren. Sobrino, der seit 1957 in El Salvador lebt und die Staatsbürgerschaft des mittelamerikanischen Landes hat, wurde von der Glaubenskongregation 2007 zurechtgewiesen, da einige seiner „Thesen“ den „Gläubigen durch ihre Irrtümer und Gefährlichkeit schaden“ können. Unter Beobachtung stand er schon lange.
Kanonisierungspolitik des Papstes: grünes Licht für Oscar Romero – In Europa mehr politisch als religiös verehrt
Papst Johannes XXIII. und einen von ihm persönlich verehrten Jesuiten spricht er einfach ohne das vorgeschriebene zweite Wunder heilig. „Bei den Selig- und Heiligsprechungen handelt der Papst als absoluter Monarch“, obwohl er es weiterhin „vorzieht, sich selbst als Bischof von Rom zu bezeichnen“, so Magister.
Die von Papst Franziskus in manchem praktizierte Selbstdistanzierung von seinem Papstamt gilt nur den Äußerlichkeiten. Inhaltlich nimmt er die Vollmachten in ganzem Umfang in Anspruch. Dies stellte er umgehend bei der Regierung der Kirche unter Beweis und zwar mit einer Schnelligkeit, „die die Vorgehensweise seiner unmittelbaren Vorgänger geradezu erblassen läßt“, so Magister.
Der Papst verlangt und erwartet absolute Entscheidungs- und Handlungsfreiheit gegenüber anderen Kirchenvertretern. Er läßt keinen Zweifel, allein über allen anderen zu stehen. Um einen Vergleich ziehen zu können, muß man weit zurückgehen. Magister sieht eine gewisse Ähnlichkeit höchstens mit Pius XII., der sich selbst gleichzeitig auch Staatssekretär war, indem er das Amt des Kardinalstaatsekretärs unbesetzt ließ und auch keinen Privatsekretär wollte.
Der Bereich, in dem Papst Franziskus bisher das ganze Gewicht seiner persönlichen Entscheidungen am deutlichsten zu erkennen gab, sind die Selig- und Heiligsprechungen.
Wie nach einer Audienz von Kurienerzbischof Vincenzo Paglia, seit 2012 Präsident des Päpstlichen Familienrats, vor allem aber auch Postulator im Seligsprechungsverfahren von Oscar Arnulfo Romero y Galdámez (1917–1980), bekanntwurde, erteilte ihm Papst Franziskus „endlich“ grünes Licht für den während einer Eucharistiefeier ermordeten Erzbischof von San Salvador.
Petrus Faber – von Papst Franziskus verehrte Jesuitgestalt der ersten Generation
Einen ganz persönlichen Hintergrund hat hingegen die Heiligsprechung von Petrus Faber (1506–1546), einem der Gründer des Jesuitenordens, der 1872 von Pius IX. seliggesprochen wurde. Magister sieht eine Ähnlichkeit zwischen Faber und Papst Franziskus, in der Art wie Faber in der schweren, alles erschütternden Krisenzeit der protestantischen Kirchenspaltung handelte.
„Faber stellte, so die Historiker, sein persönliches Lebenszeugnis und sein Beharren auf grundlegende innerkirchliche Reformen vor die theologische Kontroverse und vor die kaiserliche Illusion, den wahren Glauben notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Er gewann sich damit die Wertschätzung von Heiligen, die zu den herausragenden Verfechtern der katholischen Erneuerung der Gegenreformation zählen wie Franz von Sales und Petrus Canisius“, so Magister.
Wahrscheinlich werde es für Petrus Faber keine feierliche Heiligsprechung geben, sondern lediglich die Feststellung seiner Heiligkeit in Form einer „gleichwertigen Kanonisierung“. Eine Form, die in der Regel bei Persönlichkeiten angewandt wird, die bereits seit vielen Jahrhunderten tot sind und daher ein reguläres Heiligsprechungsverfahren nicht mehr möglich ist. In diesem Fall braucht es auch kein Wunder, das ihrer Fürsprache zugeschrieben wird, was hingegen für das ordentliche Verfahren gilt. Die Form wurde von Papst Benedikt XVI. für die heilige Hildegard von Bingen genützt, als er sie zur Kirchenlehrerin erhob oder von Pius XI. für Albertus Magnus.
Kirchenpolitische Heiligsprechung: Johannes Paul II. durch Johannes XXIII. „ausgleichen“
„Die aufsehenerregendste Entscheidung von Papst Franziskus in diesem Feld ist aber sicher die Heiligsprechung von Johannes XXIII. ohne ein Wunder, das seiner Fürsprache zugeschrieben wird und das nach seiner Seligsprechung geschehen ist“, so Magister.
Laut dem Vatikanisten geht es dabei vor allem um Kirchenpolitik. Die Heiligsprechung des Konzilspapstes soll die gleichzeitig stattfindende Heiligsprechung von Johannes Paul II. „ausgleichen“.
Damit wiederhole sich, so Magister, was bereits 2000 bei der Seligsprechung von Angelo Roncalli geschehen ist. Die Seligsprechung des Papstes des Zweiten Vatikanischen Konzils machte die gleichzeitige Seligsprechung von Pius IX., dem Papst des Ersten Vatikanischen Konzils, des Unfehlbarkeitsdogmas und des antimodernistischen Syllabus möglich. Waren die Seligsprechungen von 2000 der erste Teil einer kirchenpolitischen Aktion, wären demnach die Heilgsprechungen 2013 der zweite Teil davon. Mit anderen Worten: der von glaubenstreuen Kirchenkreise immer wieder vorgebrachte Wunsch nach Seligsprechung des Syllabus-Papstes Pius IX. war trotz regulären Verfahrens innerkirchlich nur möglich, weil sie im Windschatten der Seligsprechung Johannes XXIII. erfolgte. Erst damit konnten die Widerstände überwunden werden.
Gleiches wiederhole sich nun unter umgekehrten Vorzeichen. Im Windschatten der nach einem ordentlichen Verfahren erfolgenden Heiligsprechung Johannes Pauls II. soll auch Johannes XXIII. „irregulär“ hineingeschoben werden, um die innerkirchliche Waage zu halten. Damit sollen die beiden großen Fraktionen der Kirche, die Progressiven und die Konservativen zufriedengestellt werden, die in den genannten Päpsten mehr oder weniger Antipoden sehen.
Magister liefert damit die bisher stichhaltigste Erklärung für das synchrone Vorgehen von Papst Franziskus bei der Doppelheiligsprechung gleich zweier Päpste der jüngsten Kirchengeschichte. Stichhaltiger als die bisherigen, ungelenk und verlegen wirkenden Begründungsversuche wie sie jüngst auch die Tageszeitung der italienischen Bischöfe lieferte (siehe eigenen Bericht). Diese konstruierte eine Heiligsprechung Johannes XXIII. per Akklamation durch das Zweite Vatikanische Konzil, die es in Wirklichkeit aber nie gegeben hat.
Aufsehenerregende „Machtentscheidung“ von Franziskus um Johannes XXIII. heiligsprechen zu können
Die Dispens von einem für die Heiligsprechung notwendigen Wunder, die Papst Franziskus dabei Johannes XXIII. gewährt, bleibe dennoch eine „eklatante“ Sonderregelung. Es werden zwei Päpste der Nachkriegszeit gleichzeitig heiliggesprochen, aber nach unterschiedlichen Kriterien in das Verzeichnis der Heiligen eingetragen. Warum gilt für Johannes XXIII. nicht, was für Johannes Paul II. gilt? Die Frage steht im Raum und blieb bisher unbeantwortet.
„Erklärt“ wird das Sondervorgehen des regierenden Papstes nur durch seine Machtfülle. Er kann es tun, weil er absolute Vollmachten besitzt. Und diese auch nützt. Papst Franziskus exerziert am Beispiel Johannes XXIII. vor, was er ansonsten so bemüht zu verneinen versucht, nämlich Papst zu sein mit allen Pflichten und Rechten. Für Papst Franziskus genügt beim „gutmütigen“ Papst bereits die fama signorum, obwohl keiner der „zahlreichen“ Hinweise auf Gebetserhörungen bisher kanonisch als tatsächliches Wunder anerkannt wurde.
„Faktisch hat Franziskus die päpstliche Macht, über die er als Oberhaupt der Weltkirche verfügt, maximal ausgeschöpft, um eine Entscheidung durchzusetzen, die wie es scheint ein Präzedenzfall ohne gleichen ist für Fälle, die nicht Märtyrer betreffen“, so Magister.
Johannes Paul II. sprach Pater Maximilian Kolbe 1982 auf der Grundlage der damals beiden für die Seligsprechung vorgeschriebenen Wunder heilig, obwohl kein weiteres Wunder kanonisch anerkannt worden war, weil Kolbe ein Märtyrer war.
Franziskus gewährte Johannes XXIII., was Johannes Paul II. Mutter Teresa von Kalkutta verweigerte
Gleiches nahm er für die 120 im Jahr 2000 heiliggesprochenen chinesischen Märtyrer in Anspruch. Die Heiligsprechung löste eine schwere diplomatische Krise mit der Volksrepublik China aus.
Das galt für Märtyrer. Obwohl eine große Zahl von Gläubigen, vor allem aber zahlreiche Kardinäle mit einer Petition eine sofortige Heiligsprechung von Mutter Teresa von Kalkutta auf der Grundlage des Wunders der Seligsprechung gewünscht hatten, lehnte dies Papst Johannes Paul II. unter Verweis auf die geltenden Bestimmungen ab.
„Franziskus hat Johannes XXIII. gewährt, was Johannes Paul II. Mutter Teresa nicht gewährt hat“, so Magister.
Text: Settimo Cielo/Giuseppe Nardi
Bild: Fotomontagen Katholisches.info