(Rom) Einen Monat nach seiner Wahl zum Papst gibt es ein Wort, das Jorge Mario Bergoglio noch nicht ausgesprochen hat: das Wort Religionsfreiheit. Darauf macht der Vatikanist Sandro Magister aufmerksam. Papst Franziskus gebrauchte das Wort, trotz der damit verbundenen Erwartungen, auch nicht in seiner Rede am 22. März vor dem beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Corps mit den Abgesandten aus aller Welt.
Ein einziges Mal sprach er darüber, aber ohne die Religionsfreiheit beim Namen zu nennen, und zwar am Samstag, den 6. April in seiner morgendlichen, improvisierten Kurzpredigt in der Kapelle des vatikanischen Gästehauses Domus Sanctae Martae, wo er wohnt.
Papst Franziskus hat Religionsfreiheit noch nie erwähnt
Er tat dies aber in einer ganz besonderen Form. Papst Franziskus sagte weder ein Wort gegen die Christenverfolger noch gegen jene, die auf subtilere Weise die Freiheit der Gläubigen abzuwürgen versuchen.
Er stellte sich in seiner kurzen Betrachtung auf die Seite der Verfolgten: „Um Märtyrer zu treffen muß man nicht in die Katakomben und ins Kolosseum gehen: Die Märtyrer leben jetzt, in vielen Ländern. Die Christen werden wegen ihres Glaubens verfolgt, heute, im 21. Jahrhundert, unsere Kirche ist eine Märtyrerkirche.“
Dann identifizierte er sich mit den frühen Christen, indem er die Worte von Petrus und Johannes zitierte: „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben“ [Apostelgeschichte 4,20).
Kirche ist Märtyrerkirche, sie verhandelt nicht über den Glauben
Um daraus ohne wenn und aber eine Feststellung abzuleiten: „Über den Glauben wird nicht verhandelt“.
Und weiter: „In der Geschichte des Volkes Gottes gab es immer diese Versuchung: einen Teil des Glaubens wegzulassen, vielleicht nicht einmal viel. Aber der Glauben ist so, wie wir ihn im Credo bekennen. Die Versuchung muß überwunden werden, es ein bißchen so zu machen, wie es alle machen, es nicht so ganz ganz streng zu nehmen, weil genau dort beginnt ein Weg, der in der Apostasie endet. In der Tat, wenn wir beginnen, ein Stück des Glaubens wegzuschneiden, den Glauben zu verhandeln, ihn dem Meistbietenden zu verkaufen, betreten wir die Straße der Apostasie, der Untreue zum Herrn.“
Für Papst Franziskus heißt Religionsfreiheit vor allem, „den Mut haben, Zeugnis für den auferstandenen Herrn zu geben“. Eines unverkürzten, öffentlichen Glaubens. Eines Glaubens, der den Anspruch erhebt, die Gesellschaft und damit die Welt zu verändern.
Der „Anspruch“ die Welt zu verändern – Kritik an laizistischer Theorie des „neutralen“ Staates
„Der Anspruch“ lautet auch der Titel des vor wenigen Tagen erschienenen Buches des Religionssoziologen Luca Diotallevi. Darin übt der Autor harte Kritik an den laizistischen Theorien. Theorien, die auch innerhalb der Kirche weitverbreitet sind, wobei man sich mißbräuchlich auf das Zweite Vatikanische Konzil beruft. Konkret geht es um die Leugnung eines direkten und untrennbaren Zusammenhangs zwischen dem Evangelium und der Gesellschaftsordnung, die mit einer behaupteten „Neutralität“ des Staates begründet wird.
Dem Paradigma der Laizität stellt Diotallevi das Paradigma der Religionsfreiheit entgegen, wie sie typisch für die angelsächsische Welt ist, aber mit einer theologischen Grundlage, die sich auf De Civitate Dei des Kirchenvaters Augustinus und letztlich auf das Neue Testament stützt.
Demnach ist das Saeculum zwischen der ersten und der zweiten Ankunft Christi eine Begegnung zwischen Zeit und Ewigkeit, ein Konflikt zwischen Sünde und Gnade. An diesem Konflikt nehmen auch die Fürsten, Throne und Herrschaften teil, von denen das Neue Testament spricht und die die Mächte dieser Welt meinen. Es sind die rebellischen Mächte, über die das Kreuz und die Auferstehung Jesu den endgültigen Sieg errungen haben. Ein Sieg, der jedoch noch nicht seine Entfaltung gefunden hat. Im Saeculum schwanken diese Mächte noch zwischen den Extremen von Anarchie und absoluter Herrschaft, während die Kirche als Wächterin des Sieges ständig versucht, sie von dem einen wie dem anderen Extrem fernzuhalten.
Diotallevi und die Geschichtstheologie Joseph Ratzingers
Nach Augustinus haben diese neutestamentliche Sicht der Geschichte in unseren Tagen vor allem Oscar Cullmann und Joseph Ratzinger entwickelt, letzterer auch in einer Geschichtstheologie, die von Diotallevi ausführlich zitiert werden.
Der wirklich originäre Teil des Buches ist jedoch jener, wo Diotallevi mit der Zelebration der Eucharistie die Quelle und den Höhepunkt dieses „Anspruchs“ des christlichen Glaubens auf die Gestaltung der Gesellschaftsordnung identifiziert. Auch hierin kann sich der Autor ganz in der Kontinuität mit Benedikt XVI. sehen.
„Die Eucharistie ist die Kirche, die sichtbar wird. Sie ist das sieghafte Wirken Gottes, das in die Geschichte einbricht und sich dem Anblick des Menschen anbietet. Sie ist der zwischen den Schächern ans Kreuz geschlagene Jesus, mit dem Zenturio, der ihn erkennt und der bebenden Erde“, so Sandro Magister. Die gebildeten Heiden der ersten Jahrhunderte irrten sich nicht, wenn sie von der Zelebration der Liturgie sprachen, um das Christentum zu beschreiben.
Bücher für Interessierte (bisher nur in italienischer Ausgabe):
Luca Diotallevi: La pretesa. Quale rapporto tra vangelo e ordine sociale? (Der Anspruch. Welches ist die Beziehung zwischen Evangelium und Gesellschaftsordnung?), Rubbettino, Soveria Mannelli, 2013, S. 140, Euro 12,00.
In diesen Tagen erschien auch ein Buch des Erzbischofs von Mailand, Angelo Kardinal Scola, über das Verhältnis zwischen Staat und Religionsfreiheit, das sich ebenfalls kritisch mit dem vorherrschenden Modell der Laizität auseinandersetzt:
Angelo Scola: Non dimentichiamoci di Dio (Vergessen wir Gott nicht), Rizzoli, Mailand, 2013, S. 112, Euro 15,00.
Text: Settimo Cielo/Giuseppe Nardi
Bild: Asianews