(Buenos Aires) Kaum gewählt, wurde der Versuch unternommen, Papst Franziskus eine Verstrickung mit der argentinischen Militärdiktatur (1976–1982) zu unterstellen. Die Absicht war ganz den Kategorien „politisch korrekten“ Denkens verhaftet, über die viele europäische Medien und Personen des öffentlichen Lebens nicht hinauszudenken vermögen. Im linksliberalen Spektrum ist die Rollenverteilung immer und von vorneherein klar: Die Militärdiktatur wird abgelehnt, denn der Feind steht immer rechts.
Weit großzügiger blickt man auf die Gegenseite, wo sich allerlei linksextreme, bewaffnete, auch terroristische Gruppen tummelten, die nicht nur gegen die Militärdiktatur Widerstand leisteten, sondern nicht unwesentlich als Kämpfer für den Marxismus, teils mit sowjetischer Unterstützung, ursächlich dafür waren, daß es überhaupt zur Militärdiktatur kam.
„Verstrickung“ von Papst Franziskus mit Militärdiktatur offenbart nur, wie Linksliberale ticken
Es scheint derzeit, als sollten in einem Aufguß mit den von den Generälen unschuldig Verfolgten, auch Ideologen und Ideologien „reingewaschen“ werden, die es weder verdienen, noch etwas mit der katholischen Kirche zu tun haben. Nicht jeder damals in Argentinien verfolgte Franziskaner oder Jesuit war ein treuer Sohn der Heiligen Kirche. Manch einer hatte das Kreuz mit einer Kalaschnikow vertauscht.
Jorge Mario Bergoglio hat ihnen widerstanden und ist seinem priesterlichen Auftrag treugeblieben. Als guter Hirte setzte er sich für die gefangenen Mitbrüder ein, von denen er völlig zu Unrecht jahrelang als Denunziant verdächtigt wurde. Mit ein Grund, weshalb die Wahl des neuen Papst unter deutschen Jesuiten nicht nur Begeisterung auslöste. Ein Verdacht, der übrigens inzwischen von einem der damals von der Junta verhafteten Jesuiten, Pater Franz Jalics, zurückgenommen wurde.
Erklärungsbedarf für „Holocaustgedenkliturgie“ von B’nai B’rith in katholischer Kathedrale
Wegen der Militärdiktatur hat Papst Franziskus keinen Erklärungsbedarf. Zumindest erklärungsbedürftig erscheint hingegen eine „Gedenkfeier zur [Reichs]Kristallnacht“, die von der jüdischen Organisation B’nai B’rith zusammen mit der Erzdiözese Buenos Aires am 12. November 2012 organisiert wurde, um der „6 Millionen während der Shoah ermordeten Juden zu gedenken“. Die Gedenkfeier dieser jüdischen Loge, offiziell sogar „Gedenkliturgie“ genannt, fand in der Kathedrale von Buenos Aires statt, an der der damalige Kardinal Jorge Mario Bergoglio aktiv teilnahm.
B’nai B’rith gehört nicht der regulären Freimaurerei an, wenn es auch teils personelle Überschneidungen und Formen der Zusammenarbeit gibt. Die „Söhne des Bundes“, so die deutsche Übersetzung des Namens, entstanden 1843 zu einer Zeit, als Juden in Freimaurerlogen häufig abgewiesen wurden, weshalb sie parallel zur regulären Freimaurerei ihre eigenen Logen gründeten, ohne sich jedoch als Geheimbund zu konstituieren. Der Unabhängige Orden B’nai B’rith kann daher, bei allen Unterschieden, als eine Art jüdische Form der Freimaurerei bezeichnet werden mit eigenen Riten und Erkennungszeichen. Die einzelnen Niederlassungen werden deshalb Logen genannt. Die Logen eines Staates sind in Distrikt-Großlogen zusammengefaßt. Dieser jüdische Orden wurde gegründet, um die jüdischen Interessen auch in politischer Hinsicht zu vertreten. Gleichzeitig will er die Ethik der Brüder befördern, die jener der Freimaurerei sehr ähnlich ist. In den USA gehören fast zehn Prozent aller männlichen Juden der Loge an, entsprechendes Gewicht hat der Logenverband.
Warum veranstaltet jüdische Loge jüdisches Gedenken für jüdische Opfer in katholischen Kirchen?
Katholische argentinische Organisationen fragten sich, wie es möglich sei, daß eine jüdische Organisation, zudem eine Loge, in der Kathedrale der Erzdiözese Buenos Aires eine Gedenkfeier abhalten kann. Bei Räumlichkeitsproblemen hätte das Erzbistum auch anders aushelfen können. Warum aber wurde ein liturgischer Ort zur Verfügung gestellt, in dem im Allerheiligsten Sakrament des Altares Christus selbst aufbewahrt wird? Da Kardinal Bergoglio Hauptredner der Veranstaltung war, wird klar wer die Zweckentfremdung, Pagina Catolica spricht sogar von „Profanierung“ der Kathedrale, möglich machte. Tatsächlich wurde mit der „Gedenkliturgie“ eine Art Gottesdienst gefeiert. Da die Feier bereits seit etlichen Jahren stattfindet, gibt es bereits eingespielte ritenähnliche Handlungen. Vor dem Altar saßen neben Kardinal Bergoglio weitere Vertreter christlicher Denominationen (Lutheraner, Prebyterianer, Methodisten). Das offizielle Programmheft mit dem Symbol von B’nai B’rith und dem Wappen der Erzdiözese Buenos Aires spricht von „Interreligiöser Liturgie“. Sechs Kerzen symbolisieren bei diesem Holocaustgedenkritual je eine Million jüdischer Opfer. Rabbi Alejandro Avruj entzündete jeweils mit dem Vertreter einer christlichen Konfession oder einer jüdischen Organisation eine Kerze. Die letzte der sechs Kerzen entzündete er gemeinsam mit Kardinal Bergoglio.
Kardinal Bergoglio pflegt seit Jahren enge Kontakte zu B’nai B’rith mit jährlich mehreren Treffen und gegenseitigen Einladungen, bei denen der Kardinal vor allem das soziale Engagement der jüdischen Loge lobend betonte. Aus diesem Grund nahmen Vertreter der jüdischen Großloge auch offiziell am 19. März an der Amtseinführungsfeier von Papst Franziskus am Petersplatz teil und am nächsten Tag am Empfang für die Religionsvertreter im Vatikan, darunter der Direktor des B’nai B’rith-Komitee für UN-Angelegenheiten, David J. Michaels.
Unter Erzbischof Bergoglio wurde es in der Erzdiözese Buenos Aires üblich, daß B’nai B’rith seine seit 1994 jährlich abgehaltene Gedenkfeier für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in katholischen Kirchen Argentiniens durchführt. 2005 wurde der Acto de Recordación de la Noche de los Cristales Rotos in der katholischen Pfarrkirche San Nicolas de Bari abgehalten. Auch damals war Kardinal Bergoglio anwesend, wie ein Foto mit Rabbiner Felipe Yafe zeigt. 2009 in der katholischen Pfarrkirche Santa Catalina de Siena, immer in der Erzdiözese Buenos Aires. Bereits 2008 fand die Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Reichskristallnacht, stets ausschließlich für jüdische Opfer der Shoah, in der Kathedrale von Buenos Aires statt unter Anwesenheit des israelischen, deutschen und österreichischen Botschafters. 2007 fand die Feier in der Kirche San Ignacio von Buenos Aires statt.
Interreligiöses Ritual mit katholischem Verständnis vereinbar?
Nach einem Treffen zwischen Kardinal Bergoglio und Mario Wilhelm, dem argentinischen Vorsitzender von B’nai B’rith und Boris Kalnicki, dem B’nai B’rith-Verantwortlichen für den interreligiösen Dialog am 4. Juni 2012 hieß es in einer Presseerklärung der jüdischen Organisation, daß die „traditionelle Gedenkfeier an die Kristallnacht“ auch 2012 wieder stattfinde und auf die „großzügige Bereitschaft des Kardinals zählen“ kann. Die Veranstaltung wird für den 8. November angekündigt „in einer Kirche, die rechtzeitig bekanntgegeben“ werden wird. Es handelte sich schließlich nicht um irgendeine Kirche, sondern um die Bischofskirche selbst. Daß die Veranstaltung in einer katholischen Kirche stattfindet, war für B’nai B’rith offensichtlich selbstverständlich.
2011 fand eine Gedenkfeier zur Reichskristallnacht in der Kathedralkirche der Diözese San Isidro statt. Für die von der Diözesankommission für Ökumene und Interreligiösen Dialog, B’nai B’rith-Argentinien, einer Jüdisch-christlichen argentinischen Bruderschaft und der Gemeinschaft Lamroth Hakol am 10. November veranstaltete Gedenkfeier arbeiteten der Rabbiner Leon Klenicki und der katholische Theologe Eugene Fischer Texte für eine eigene „Interreligiöse Liturgie“ aus, „mit Zeugen, Gesängen und Hinweisen auf die Nacht des 9. November 1938 in Deutschland und Österreich, die als Beginn des jüdischen Holocaust des 20. Jahrhunderts oder der Shoah gilt“. Sie war auch Grundlage der „Gedenkliturgie“ 2012.
Die Frage lautet nicht, warum Juden in Argentinien jener Ereignisse gedenken. Die Frage lautet aber, warum die katholische Kirche in Argentinien ohne direkten Bezug dieser Ereignisse im fernen Europa vor 70 Jahren in dieser Form gedenkt, die – wie B’nai B’rith ausdrücklich betont – keineswegs allen Opfern, sondern ausschließlich den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus gilt. Warum findet dann dieses jüdische Gedenken für jüdische Opfer in einer katholischen Kirche statt?
Kathredale zwei Mal von politischen Gruppen besetzt
Überhaupt geht es in der Kathedrale von Buenos Aires bewegt zu. Sie wurde in den vergangenen fünf Jahren zwei Mal von politischen Gruppen besetzt. Als der Erzbischof von Buenos Aires, Kardinal Bergoglio bereits in Rom war und gerade das Konklave begann, besetzten 200 Aktivisten des linksextremen Movimiento Popular La Dignidad (MPLD) die Kathedrale von Buenos Aires, wie der spanische Kirchenhistoriker Francisco Fernandez de la Cigena berichtete. Der Dompfarrer mußte die Zelebration der Heiligen Messe absagen. Bereits 2008 war die Kathedrale für politische Zwecke mißbraucht worden. Damals wurde die Bischofskirche von den linken Madres de Plaza de Mayo besetzt. In beiden Fällen richtete sich der Protest gegen Kürzungen von staatlichen Geldern für Projekte der jeweiligen Besetzergruppe, die mit der Kirche in keinem Zusammenhang stehen.
Text: Giuseppe Nardi
Bilder: Todocorrientes/La Nacion/Pagina Catolica/Info Catolica