(Vatikan/Menzingen) Es verdichten sich die Anzeichen, daß die Priesterbruderschaft St. Pius X. unmittelbar davorsteht, dem Heiligen Stuhl ihre Antwort auf die „Doktrinelle Präambel“ zu geben. Eine Antwort, die negativ ausfallen wird. Die Piusbruderschaft in der Person ihres Generaloberen Bischof Bernard Fellay wird, wie es aussieht, in wenigen Tagen die von Rom geforderte Unterzeichnung der „Doktrinellen Präambel“ ablehnen und diese Ablehnung theologisch begründen.
Das „Non possumus“ wird die „Präambel“ in ihrer derzeitigen Fassung vom 13. Juni 2012 betreffen. Was dies konkret für die Gespräche zwischen dem Heiligen Stuhl und der Piusbruderschaft bedeuten wird, läßt sich noch nicht abschätzen. Wird damit nur die Gesprächsphase Levada/Pozzo beendet und in eine neue Gesprächsphase Di Noia übergeleitet? Wird statt einer „Präambel“ ein von Di Noia angerissener neuer Weg gegangen? Oder bedeutet eine Ablehnung der „Präambel“, daß der Heilige Stuhl „alles“ versucht hat und die Gespräche für gescheitert und damit für beendet erklärt? Werden neue kirchenrechtliche Sanktionen gegen die Bruderschaft verhängt? Kommt es zum erneuten Bruch?
Eine Chronologie der Ereignisse:
August 2005: Papst Benedikt XVI. empfängt wenige Monate nach seiner Wahl den Generaloberen der Piusbruderschaft, Msgr. Bernard Fellay in Audienz. Der Papst äußert dabei den Wunsch, daß die Piusbruderschaft in die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche zurückkehrt.
7. Juli 2007: Papst Benedikt XVI. erläßt das Motu Proprio Summorum Pontificum und erlaubt allgemein für die gesamte Kirche die Feier der überlieferten, sogenannten „tridentinischen“ Messe nach dem Missale von 1962 als „außerordentliche Form des römischen Ritus“.
15. Dezember 2008: Msgr. Fellay bittet in einem Schreiben an die für die Gemeinschaften der Tradition zuständige Päpstliche Kommission Ecclesia Dei in seinem und im Namen der drei anderen Bischöfe der Bruderschaft um die Rücknahme des Exkommunikationsdekrets der Bischofskongregation vom 1. Juli 1988. Er sichert die Anerkennung des päpstlichen Primats und des päpstlichen Lehramtes zu.
21. Januar 2009: Die Bischofskongregation hebt mit Dekret die „Exkommunikation“ der vier Bischöfe Bernard Fellay, Alfonso de Gallareta, Bernard Tissier de Mallerais und Richard Williamson auf.
8. Juli 2009: Papst Benedikt XVI. lädt die Piusbruderschaft zu Gesprächen über Lehrfragen nach Rom ein, um die jeweiligen Positionen zu klären und die Möglichkeit einer Versöhnung auszuloten.
26. Oktober 2009: Am Sitz der Glaubenskongregation in Rom beginnen die theologischen Gespräche in einer „herzlichen, respektvollen und konstruktiven Atmosphäre“. In den kommenden anderthalb Jahren finden rund zehn solcher Gespräche statt.
14. September 2011: Kardinal William Levada, der Präfekt der Glaubenskongregation, übergibt dem Generaloberen der Priesterbruderschaft in Rom eine „Doktrinelle Präambel“. Die Anerkennung und Unterzeichnung der „Präambel“ wird vom Heiligen Stuhl zur Bedingung für die kanonische Anerkennung der Piusbruderschaft gemacht. Rom teilt mit, daß „nicht-substantielle“ Änderungsvorschläge an der Formulierung möglich sind.
7. Oktober 2011: Am italienischen Distriktsitz in Albano Laziale bei Rom tagen die Oberen der Priesterbruderschaft St. Pius X. und beraten über die Antwort auf die „Doktrinelle Präambel“. Trotz Meinungsverschiedenheiten wird die Position des Generaloberen Fellay gestärkt, konstruktiv auf eine Einigung hinzuarbeiten und Änderungsvorschläge für „nicht annehmbare“ Teile der Präambel auszuarbeiten.
21. Dezember 2011: Die Piusbruderschaft übermittelt Rom eine erste Antwort, die von Rom jedoch nicht als solche betrachtet wird.
14. Januar 2012: Msgr. Fellay übermittelt Rom eine zweite Antwort der Bruderschaft, die vom Heiligen Stuhl als solche entgegengenommen und einer eingehenden Prüfung unterzogen wird.
16. März 2012: Kardinal Levada erklärt Msgr. Fellay bei einem Treffen in Rom, daß die bisherige Antwort der Piusbruderschaft „ungenügend“ ist und der Heilige Stuhl sich innerhalb eines Monats eine endgültige Antwort erwartet, ohne diese Aufforderung an ein Ultimatum zu knüpfen.
26. März 2012: In den Kirchen und Kapellen des Deutschen Distrikts der Bruderschaft wird ein Schreiben des Distriktoberen Pater Franz Schmidberger verlesen, in dem er von „begründeten Hoffnungen auf eine zufriedenstellende Lösung“ spricht, durch die „alle Kräfte der Tradition in der Kirche gestärkt würden“.
14. April 2012: Zwischen der Piusbruderschaft und deren römischen Gesprächspartnern einigt man sich in intensiven Kontakten auf eine Formulierung, die für beide Seiten annehmbar ist und auch Papst Benedikt XVI. „persönlich überzeugt“ habe [P. Thouvenont in einem Rundschreiben vom 25. Juni 2012].
Bischof Fellay informiert die Priester der Bruderschaft, daß ein akzeptabler Text für die Antwort vereinbart werden konnte, die er dem Heiligen Stuhl zukommen lassen werde. Sie beruht auf zwei Grundsätzen:
- daß von der Bruderschaft keine Abstriche im Glauben und dem, was sich davon herleitet verlangt werden (Liturgie, Sakramente, Moral, Disziplin);
- daß der Bruderschaft wirkliche Handlungsfreiheit gewährt wird, die ihre Entwicklung möglich macht.
Die sich abzeichnende Einigung löst innerhalb der Bruderschaft Nervosität aus: Die anderen drei Bischöfe der Bruderschaft sprechen in internen Schreiben ihr Mißtrauen über das Entgegenkommen Roms aus und warnen vor einer möglichen „Falle“.
16. April 2012: Katholisches.info berichtet: „Die Einigung zwischen Rom und Piusbruderschaft scheint besiegelt“.
17. April 2012: Bischof Fellay übergibt dem Heiligen Stuhl im Namen der Bruderschaft eine „Glaubenserklärung“, mit „Präzisierungen“ zur „Doktrinellen Präambel“, wie es vorher mit Rom „informell abgestimmt“ [P. Niklaus Pfluger] worden war. Zur definitiven Einigung scheint nur mehr die formelle Zustimmung Roms zu fehlen.
18. April 2012: Der Heilige Stuhl bestätigt den Eingang der Antwort. Vatikan-Sprecher Pater Federico Lombardi spricht von einer „ermutigenden“ Antwort, die „ein Schritt vorwärts“ ist. Die Erklärung werde von der Glaubenskongregation geprüft und dann dem Papst vorgelegt, so der Vatikan-Sprecher, der für die Prüfung durch Rom mit „einigen Wochen“ rechnet. Er gibt bekannt, daß am Ende die endgültige Fassung der Präambel veröffentlicht wird, auf die man sich einigt, nicht aber die ursprüngliche Fassung vom September 2011. Noch „können wir die Gespräche nicht als positiv abgeschlossen betrachten“, aber, „wer die Antwort der Lefebvrianer gelesen hat, hält sie für deutlich verschieden von der vorherigen“.
Vatikanisten rechnen damit, daß die Einigung und die kanonische Errichtung der Bruderschaft als Personalordinariat unmittelbar bevorstehen. Das Generalhaus der Bruderschaft warnt offiziell vor übertriebener Euphorie:
„Es handelt sich um einen Etappe, nicht um den Abschluß.“
Inoffiziell ist man sich der Einigung so gut wie sicher.
29. April 2012: Beim Spes-Unica-Sonntag in Hattersheim erklärt Pater Niklaus Pfluger, der 1. Assistent von Bischof Fellay:
„Die Verhandlungen der vergangenen beiden Jahren haben offenkundig werden lassen, daß die unterschiedlichen Standpunkte in zentralen Fragen der Kirchenlehre nicht überbrückt werden können. In den vergangenen Wochen wurde nun deutlich, daß Papst Benedikt XVI. so sehr an einer kanonischen Lösung für die Bruderschaft interessiert ist, daß er bereit ist, mit ihr ein Abkommen zu schließen, auch wenn diese die strittigen Texte des II. Vatikanischen Konzils und die Neue Messe nicht anerkennt.“
Papst Benedikt XVI. verlange heute weniger von der Bruderschaft, als Erzbischof Lefebvre 1988 zu akzeptieren bereit war.
2. Mai 2012: Der Vatikanist Andrea Tornielli schreibt, daß innerhalb Mai die Prüfung der „Glaubenserklärung“ abgeschlossen sein werde, die die Piusbruderschaft in die volle Einheit mit Rom führen dürfte.
10. Mai 2012: Msgr. Juan Ignacio Arrieta, der Sekretär des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte bestätigt, daß es keine doktrinellen Hindernisse für eine Einigung mit der Piusbruderschaft gebe:
„Ich denke, daß wir die doktrinellen Probleme klären konnten, auch wenn es nicht leicht war, dies schriftlich zu Papier zu bringen.“
3. Mai 2012: Der deutsche Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse erklärt in Rom nach einem Gespräch mit Kurienkardinal Kurt Koch in einem KNA-Interview, daß ihm der Kurienkardinal versichert habe, dass die Piusbrüder das nachkonziliare Lehramt und damit die Autorität des II. Vatikanum anzuerkennen haben. Das gelte auch für «besonders sensible» Fragen wie das Bekenntnis zur Religionsfreiheit und das Verhältnis zum Judentum. Da gebe es «kein Zittern und Zaudern seitens des Vatikan», habe ihm Kardinal Koch erklärt. Diese Fragen seien „Essentials, bei denen der Vatikan nicht nachgeben“ werde.
12. Mai 2012: Bischof Fellay trifft sich in Rom mit Vertretern der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei zu einem „positiven“ Gespräch“, bei dem der Generalobere den sicheren Eindruck gewinnt, daß eine Einigung zum Greifen nahe ist. Die Antwort der Bruderschaft in Form der „Glaubenserklärung“ wird von Ecclesia Dei als befriedigend betrachtet.
16. Mai 2012: Die Vollversammlung der Glaubenskongregation (der aus dem deutschen Sprachraum die Kardinäle Kardinäle Christoph Schönborn, Walter Kasper, Kurt Koch und der Bischof von Regensburg Gerhard Ludwig Müller angehören) prüft auf ihrer Sitzung die Antwort der Piusbruderschaft und formuliert „einige Beobachtungen, welche in weiteren Diskussionen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Bruderschaft Beachtung finden werden“. Die „Situation“ der drei Bischöfe der Piusbruderschaft soll wegen ihres bekanntgewordenen Schreibens gegen eine Einigung mit Rom „getrennt und einzeln beurteilt werden“.
In diesem Zusammenhang werfen Kardinäle die Frage auf, ob man denn wisse, wer noch welches Gewicht in der Bruderschaft habe und ob sich selbst bei einer Einigung durch eine Spaltung der Bruderschaft anschließend nicht das Problem erneut stelle. Irritiert zeigen sich die Mitglieder der Glaubenskongregation zudem über Indiskretionen auf Seiten der Bruderschaft, die Gegnern einer Einigung zugeschrieben werden.
Kardinal Albert Malcolm Ranjith, der Erzbischof von Colombo erklärt, bereit zu sein, die Leitung des Priesterseminars seines Erzbistums der Piusbruderschaft anzuvertrauen.
20. Mai 2012: Bischof Fellay erklärt in Wien zu einer möglichen Einigung:
„Ich kann Euch versichern, es ist der Wille des Papstes, daran gibt es keinen Zweifel. Aber zweifelsohne ist es nicht der Wille aller in der Kirche.“
7. Juni 2012: Bischof Fellay erklärt in einem DICI-Interview:
„Bei uns mißtraut man Rom, weil man zu viel Unannehmlichkeiten erlitten hat; darum denkt man, daß es sich um eine Falle handeln könnte. Es ist wahr, daß unsere Feinde von diesem Angebot als von einer Falle träumen können; aber der Papst, der wirklich diese kirchenrechtliche Anerkennung will, schlägt sie uns nicht als eine Falle vor, was das römische Angebot dem Recht und den Tatsachen nach erlaubt. Ja, es ist der Papst, der dies will, und ich habe es öfter wiederholt. Ich besitze hinreichend genaue Elemente, um zu behaupten, daß das, was ich sage, wahr ist. […] Ich glaube, wenn meine Mitbrüder sehen und verstehen, daß es dem Recht und den Tatsachen nach im römischen Vorschlag eine wirkliche Möglichkeit für die Bruderschaft gibt, ‚alles in Christus zu erneuern‘, trotz aller Verwirrung, die in der Kirche heute noch besteht, sie ihr Urteil korrigieren könnten „‘ nämlich mit dem kanonischen Statut in der Hand und den Tatsachen vor Augen.“
9. Juni 2012: Kardinal Levada wird von Papst Benedikt XVI. in Audienz empfangen und berichtet diesem über den Stand der Gespräche und das Votum der Glaubenskongregation.
13. Juni 2012: Bischof Fellay reist auf Einladung von Kardinal Levada nach Rom in der begründeten Annahme, die Einigung besiegeln zu können. Statt dessen übergibt der Kardinal eine Neufassung der „Doktrinellen Präambel“, mit der man, so Bischof Fellay, wieder am „Ausgangspunkt“ angelangt“ ist. Der Inhalt der „Präambel“ bleibt weiterhin geheim.
Ebenso wird Fellay ein Vorschlag für eine mögliche kirchenrechtliche Anerkennung der Bruderschaft als Personalprälatur übergeben. Bischof Vitus Huonder von Chur erklärt am selben Tag dem St. Galler Tagblatt, daß er sich eine baldige Einigung erwarte.
14. Juni 2012: Vatikan-Sprecher Lombardi sagt vor Journalisten, daß die von Kardinal Levada übergebene Neufassung der „Präambel“ „nicht exakt“ aber weitgehend dem am 15. April von Bischof Fellay übergebenen Vorschlag entspreche. „Es ist klar, daß der Ball nun bei der Piusbruderschaft liegt“, so Lombardi, diese habe zugesagt, ihre Antwort „in einem annehmbaren Zeitraum“ vorzulegen. Nun sei „die letzte Etappe der Untersuchung der Situation durch die Bruderschaft angebrochen“, so der Vatikan-Sprecher, der zum Ausdruck bringt, daß der Heilige Stuhl auf eine Einigung hofft. Die Letztentscheidung, so Pater Lombardi, steht dem Papst zu.
20. Juni 2012: Der Vatikanist Andrea Tornielli schreibt, daß die Kardinäle am 16. Mai Zweifel zu verschiedenen Änderungs- und Präzisierungsvorschlägen der Bruderschaft aufgeworfen haben und Korrekturen an Formulierungen (vor allem zum II. Vatikanum) vornahmen, die sie für inakzeptabel hielten. Die Bruderschaft habe die neue Fassung der „Doktrinellen Präambel“ anzunehmen. Spielraum für neue Gespräche gebe es nicht. Der Papst teile verschiedene Bedenken seiner Mitarbeiter. Die Bischof Fellay übergebene neue „Präambel“ sei vom Papst genehmigt worden.
25. Juni 2012: Pater Christian Thouvenet, der Sekretär von Bischof Fellay teilt in einem internen Rundbrief an die Oberen der Bruderschaft mit, daß die von Bischof Fellay im April Rom übergebene „Glaubenserklärung“ im Vorfeld mit den römischen Gesprächspartnern abgeklärt wurde und – wie diese informell mitteilten – Papst Benedikt XVI. „persönlich überzeugt“ habe. Die neue Fassung der „Präambel“ entspreche hingegen faktisch der Erstfassung vom September 2011 und sei deshalb für die Bruderschaft „inakzeptabel“. Die Gespräche mit Rom seien an einem „toten Punkt“ angelangt.
26. Juni 2012: Papst Benedikt XVI. beginnt mit einem Umbau der Römischen Kurie durch den alle bisherigen Ansprechpartner in den Gesprächen mit der Piusbruderschaft ausgetauscht werden. Der amerikanische Dominikaner, Kurienerzbischof Augustine Di Noia wird zum Vize-Präsidenten von Ecclesia Dei ernannt. Seine Ernennung wird in der Piusbruderschaft begrüßt. Erzbischof Di Noia gehört einer anderen Richtung als Kardinal Levada an, was den Umgang mit den zwischen Heiligen Stuhl und Piusbruderschaft umstrittenen Punkt des II. Vatikanums betrifft. In einem ersten Interview erklärt er: „Die Gespräche gehen inzwischen seit drei Jahren weiter, aber der Heilige Vater will eine Sprache oder eine Weise finden, um alle zu versöhnen. Wir müssen alle I‑Tüpfelchen setzen und denen von der Bruderschaft helfen, eine Formel zu finden, um ihre theologische Integrität zu bewahren. Die Einigung ist nahe, man muß ihr nur einen letzten Anstoß geben.“
28. Juni 2012: Radio Vatikan berichtet, daß jüngste Äußerungen von Bischof Fellay in Rom für „Irritationen“ gesorgt haben, in denen er erklärte, Rom verlange von der Bruderschaft nicht mehr, das gesamte II. Vatikanum zu akzeptieren. Die Glaubenskongregation habe daher auf ihrer Versammlung vom 16. Mai bekräftigt, daß die Annahme des vollständigen Lehramtes der katholischen Kirche Grundlage für eine Einigung ist.
30. Juni 2012: Papst Benedikt XVI. bestätigt auf Anfrage der Piusbruderschaft in einem Brief an Bischof Fellay, daß die Neufassung der „Präambel“ seinem Willen entspricht. Die Existenz des Schreibens wird am 16. September von Bischof Tissier de Mallerais bekanntgegeben und am 18. September vom deutschen Distriktoberen in einem Interview bestätigt.
2. Juli 2012: Papst Benedikt XVI. ernennt Bischof Gerhard Ludwig Müller von Regensburg zum neuen Präfekten der Glaubenskongregation und gleichzeitig Präsidenten von Ecclesia Dei. Die Ernennung wird von der Piusbruderschaft keineswegs begrüßt. Es kommt zu einem wenig freundlichen öffentlichen Schlagabtausch zwischen der Bruderschaft und dem neuernannten Glaubenspräfekten. Die Bruderschaft erwartet, daß die Gespräche durch die Ernennung „schwieriger“ werden.
7.–14. Juli 2012: Das Generalkapitel der Piusbruderschaft tagt in Econe. Bischof Richard Williamson wird vom Generaloberen wegen „anhaltendem Ungehorsam“ die Teilnahme verweigert. Die Entscheidung wird von 29 von 38 Oberen gutgeheißen. Das Generalkapitel formuliert drei unverzichtbare Voraussetzungen für eine Einigung mit Rom: 1) den ausschließlichen Gebrauch des Missale von 1962, 2) die Freiheit, Kritik an den „Irrtümern oder den Neuheiten des Modernismus, des Liberalismus, des Zweiten Vatikanischen Konzils und deren Folgen“ üben zu dürfen, 3) die Garantie zumindest eines Bischofs. In der öffentlichen Schlußerklärung heißt es: „Wir haben die notwendigen Bedingungen für eine eventuelle kanonische Normalisierung definiert und angenommen. Es wurde festgelegt, daß in diesem Fall vorher ein außerordentliches, beschließendes Kapitel einberufen wird.“
25. Juli 2012: Der Pressesaal des Heiligen Stuhls gibt bekannt, daß Rom die öffentliche Erklärung des Generalkapitels nicht als Antwort betrachtet. Rom erkenne jedoch eine Gesprächsbereitschaft. Technische Fragen, wie einen exemten Status der Bruderschaft, die sie dem Einfluß der Diözesanbischöfe entzieht, gelten als lösbar, wie der Vatikanist Tornielli berichtet. Im Vatikan, so Tornielli, betone man, daß die Neufassung der „Präambel“ durchaus „verschiedene von Bischof Fellay formulierte Vorschläge und Anregungen“ berücksichtigt. Es handle sich daher um keinen „Rückschritt“, als hätte es die Gespräche nie gegeben.
Zwei Punkte der Präambel seien wieder in die Präambel eingefügt worden, einer auf Wunsch der Glaubenskongregation, der andere auf Wunsch des Papstes. In der Glaubenskongregation gebe es starke Widerstände gegen die Vorstellung, daß Konzilsdokumenten auch nur in Teilen „Irrtümer“ zugeschrieben werden. Man erwarte sich von der Piusbruderschaft, zwischen den Konzilsdokumenten und ihrer Interpretation zu unterscheiden und anzuerkennen, daß das Lehramt von keiner anderen Instanz beurteilt werden könne. Der zweite Punkt betrifft den Novus Ordo Missae. Der Heilige Stuhl erwartet sich, daß die Piusbruderschaft bei aller Kritik an Mißbräuchen und aller Diskussion über die Liturgiereform und deren Umsetzung, deren Lizeität anerkennt.
6. September 2012: Die Piusbruderschaft teilt der Kommission Ecclesia Dei mit, daß sie für Reflexion und Studium der Vorschläge des Heiligen Stuhls mehr Zeit braucht, um Rom eine angemessene Antwort geben zu können.
10. September 2012: Bischof Fellay schließt zwei amerikanische Priester der Bruderschaft wegen „Ungehorsams“ aus. Beide waren entschiedene Gegner einer Einigung mit Rom.
18. September 2012: Pius.info veröffentlicht ein Interview mit Pater Schmidberger, dem deutschen Distriktoberen der Piusbruderschaft. Dieser gibt bekannt, daß Papst Benedikt XVI. auf Anfrage bestätigt hat, daß die am 13. Juni Bischof Fellay übergebene „Präambel“ von ihm genehmigt wurde und daher seinem Willen entspricht. Aus dem Kontext läßt sich entnehmen, daß Rom zwei Punkte fordert: 1.) die Anerkennung der „Lizeität“ (Erlaubtheit) des Novus Ordo Missae und 2.) die Bestätigung des Vorhandensein einer Kontinuität des II. Vatikanums und des nachkonziliaren Lehramtes mit dem früheren Lehramt und den vorausgegangenen Konzilien.
2. Oktober 2012: Der neue Glaubenspräfekt, Kurienerzbischof Gerhard Ludwig Müller sagt in einem Interview mit dem National Catholic Register von EWTN: Die Piusbruderschaft müsse „eine gewisse Form der Entwicklung in der Liturgie akzeptieren. Der Heilige Vater hat den ewig gültigen Wert der außerordentlichen Form der Liturgie anerkannt, aber dort müssen sie auch anerkennen, daß die neue ordentliche Form der Liturgie, die nach dem Konzil entwickelt wurde, gültig und rechtmäßig ist“. Befragt, wie die Gespräche weitergehen würden sagte er: „Ich bin immer voll Vertrauen in unseren Glauben und optimistisch. Wir müssen beten, daß es einen guten Willen und Einheit in der Kirche gibt.“
6. Oktober 2012: Glaubenspräfekt Müller erklärt im NDR: „Diese Bruderschaft ist für uns kein Verhandlungspartner, weil es über den Glauben keine Verhandlungen gibt.“ Und weiter: „Es gibt keine Ermäßigungen was den katholischen Glauben angeht, gerade wie er auch vom Zweiten Vatikanischen Konzil gültig formuliert worden ist. […] Das Zweite Vatikanische Konzil steht nicht im Gegensatz zur gesamtkirchlichen Tradition, allenfalls im Gegensatz zu mancher falschen Interpretation des katholischen Glaubens.“
18. Oktober 2012: Pater Pfluger der 1. Assistent von Bischof Fellay erklärt in einem Interview mit der Kirchlichen Umschau (Ausgabe November): „Es gibt in Rom Gegner einer kirchenrechtlichen Regularisierung der Bruderschaft. Denn eine offizielle Anerkennung der Bruderschaft wäre ja das Signal, daß die Epoche des Zweiten Vatikanischen Konzils in der Kirchengeschichte geendet hat und ein neues Kapitel beginnt. Das paßt natürlich den Konziliaren nicht; für sie wäre eine Anerkennung der Priesterbruderschaft St. Pius X. nicht nur ein Affront, sondern eine Infragestellung des Konzils, also ein Debakel. Offenbar konnten sie sich durchsetzen.“
23. Oktober 2012: Bischof Richard Williamson wird wegen „anhaltenden Ungehorsams“ aus der Bruderschaft ausgeschlossen. Der Beschluß dazu war bereits am 4. Oktober gefaßt worden, dem Bischof jedoch eine Frist eingeräumt worden, sich unterzuordnen, die er ungenützt verstreichen ließ.
27. Oktober 2012: Der Heilige Stuhl räumt der Piusbruderschaft mehr Zeit für eine Antwort ein. In einer Stellungnahme der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei heißt es, bei den Gesprächen zwischen Rom und Econe brauche es „Geduld, Ernsthaftigkeit und Durchhaltevermögen“.
1. November 2012: In der November-Ausgabe des deutschen Mitteilungsblattes der Bruderschaft schreibt Pater Schmidberger: „Die Gespräche mit Rom wegen einer Normalisierung unserer Beziehungen zum Heiligen Stuhl sind ins Stocken geraten – von einem Scheitern zu sprechen ist allerdings übertrieben und wird der Sache nicht gerecht.“
3. November 2012: Msgr. Guido Pozzo, der Sekretär der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei wird von Papst Benedikt XVI. zum Päpstlichen Almosenier ernannt und verläßt die Kommission.
6. November 2012: Die Kommission Ecclesia Dei erteilt auf Anfrage eine negative Antwort, ob ein Gläubiger durch den Besuch einer von einem Priester der Piusbruderschaft zelebrierten Heiligen Messe die Sonntagspflicht erfüllt. Sie widerspricht damit einer Antwort derselben Kommission vom 18. Januar 2003, die lautete: „Im strikten Sinn können Sie Ihre Sonntagspflicht erfüllen, indem Sie einer Messe beiwohnen, die von einem Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X. zelebriert wird.“
11. November 2012: In Paris spricht Bischof Fellay über das „Stocken“ der Gespräche, für die er „widersprüchliche Signale“ Roms und „Sabotage“ durch Teile der Kirche verantwortlich macht.
28. Dezember 2012: Für mediales und innerkirchliches Aufsehen sorgt ein Vortrag von Bischof Fellay im kanadischen New Hamburg. Der Generalobere der Piusbruderschaft fragte: „Wer hat sich während dieser Zeit am meisten widersetzt, daß die Kirche die Bruderschaft anerkennt? Die Feinde der Kirche. Juden, Freimaurer, Modernisten.“
18. Januar 2013: Es wird bekannt, daß der Vize-Präsident von Ecclesia Dei, Kurienerzbischof Di Noia bereits vor Weihnachten Bischof Fellay einen umfangreichen persönlichen Brief geschickt hat (der Originalbrief), den dieser Anfang 2013 allen Priestern der Bruderschaft zukommen ließ. Di Noia bekräftigt darin, daß die Fortsetzung des Dialogs ein „großer Wunsch“ Papst Benedikts XVI. ist und unterbreitet in dem Schreiben neue Lösungsansätze, um zu einer Einigung zu gelangen. Unter anderem solle die Frage nach der Haltung gegenüber umstrittenen Punkten des II. Vatikanums offenbleiben und einer zukünftigen Entscheidung überlassen werden.
20. Januar 2013: Bischof Charles Morerod von Genf-Lausanne-Freiburg, der Mitglied der vatikanischen Theologendelegation war, die von 2009–2011 mit der Piusbruderschaft Lehrgespräche führte, bekräftigt mit einem Dekret, daß Priestern der Piusbruderschaft in seiner Diözese die Nutzung von Kirchen und Kapellen untersagt ist, da sie a divinis suspendiert sind.
1. Februar 2013: Der Präfekt der Glaubenskongregation, Kurienerzbischof Müller, gibt der Tageszeitung Die Welt ein Interview, das auch von der Piusbruderschaft als „katholisch“ bezeichnet wird: „Das könnte eine Erklärung für seine nicht besonders verständnisvolle Haltung gegenüber der Piusbruderschaft sein: ‚Wir brauchen keine Piusbruderschaft‘, – prägnant zusammengefaßt –, ‚wir sind selber katholisch‘.“ So die Reaktion auf Pius.info.
Auf die Frage, wie es mit der Aussöhnung mit der Piusbruderschaft weitergeht, sagt der Glaubenspräfekt: „Einfach und schwer. Die Glaubenskongregation hat der Priesterbruderschaft die Dogmatische Präambel vorgelegt. Die beinhaltet nichts als die Ganzheit des katholischen Glaubens, wo legitimerweise dem Papst die letztverbindliche Lehrautorität zusteht. Daraufhin ist bis jetzt keine Antwort erfolgt. Wir warten aber nicht endlos.“
[Update 7.2.2012: Es wurde auf den Rundbrief von Pater Thouvenot (25. Juni 2012) verlinkt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Una Fides