(Jerusalem) Die Stadt Bethlehem, Geburtsstadt Jesu Christi, wird von einer Frau und Christin regiert. Seit wenigen Wochen ist die palästinensische Katholikin Vera Baboun Bürgermeisterin der heute in den Palästinensergebieten gelegenen Stadt. Die Witwe und Mutter von fünf Kindern ist die erste Frau, die als Stadtoberhaupt fungiert. Bei den jüngsten Kommunalwahlen konnte sie sich gegen sechs andere Kandidaten (ausnahmslos Männer) durchsetzen.
Ein von PLO-Chef Jassir Arafat, dem 2004 verstorbenen ersten Präsidenten der Palästinensischen Autonomiegebiete 1997 eingeführtes Gesetz sieht vor, daß das Bürgermeisteramt in der Stadt Betlehem einem Christen zusteht. Neben Bethlehem gilt das Gesetz für weitere sieben Städte im Westjordanland. Das Gesetz dient als Ausgleich dem religiösen Frieden und dem Schutz der Minderheiten. Da Baboun Katholikin ist, hat ihr Stellvertreter ein orthodoxer Christ zu sein. Bethlehem war für fast zweitausend Jahre eine mehrheitlich christliche Stadt. Daran änderte sich auch nichts während der langen moslemischen Herrschaft. Erst die Umwälzungen durch die Gründung des Staates Israel führten dazu, daß die Bevölkerung der Stadt heute in ihrer Mehrheit moslemisch ist.
Vera Baboun kam nach nach einer erfolgreichen akademischen Laufbahn in die Politik, zuletzt war sie Direktorin einer orthodoxen christlichen Schule. Vor fünf Jahren verlor sie ihren Mann, der wie viele palästinensische Christen in der Palästinenserbewegung aktiv war. „Es waren die Herausforderungen dieses Landes, die mich auf meine heutige Aufgabe vorbereitet haben“, sagt Baboun. Am 14. September 1990 drangen israelische Soldaten in ihr Haus ein und verschleppten ihren Mann. 50 Tage lang wußte sie nicht, wo er sich befand und was mit ihm geschehen war.
„Ich hatte damals drei Kinder und den Mann im Gefängnis, aber an der Hebräischen Universität machte das keinen Unterschied. Man respektierte mein Recht zu studieren und das Recht meines Mannes, sein Land zu verteidigen“, so die Bürgermeisterin im Rückblick über ihre persönliche Erfahrung mit Israel. Ihre Dissertation schrieb sie über die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison.
In ihrer Heimatstadt Betlehem mußte sie immer wieder Demütigungen erleben und erdulden. „Die israelischen Soldaten kamen immer nachts. Vor zehn Jahren rissen sie den Betrieb meines Mannes nieder. Sie sagten einfach, der Bau behindere die Sicht ihrer Wachtürme auf Bethlehem. Mein Mann zog sich darauf in eine völlige innere Isolation zurück. Fünf Jahre lang verließ er nicht mehr das Haus.“ 2007 ist er gestorben. Bei seinem Begräbnis wurde er von seinen Landsleuten mit militärischen Ehren verabschiedet und wie ein Märtyrer gefeiert. „An jenem Tag war der Platz vor der Geburtskirche von Christen und Moslems überfüllt, um Abschied von ihm zu nehmen.“
Heute steht Vera Baboun an der Spitze ihrer Heimatstadt. Von ihrem Büro im Rathaus kann sie direkt auf die Geburtskirche blicken. Sie muß nun für ihre Stadt die nicht leichte Gratwanderung zwischen Christen und Moslems (die sieben von 15 Sitzen im Stadtrat stellen), die Beziehungen zur palästinensischen Autonomiebehörde und nicht zuletzt zur israelischen Besatzungsmacht bewältigen.
Die UNESCO hat die Geburtskirche als Weltkulturerbe anerkannt und die UNO den Palästinensergebieten eine Vorstufe zur Vollmitgliedschaft eingeräumt. In diesem internationalen Kontext der schwierigen nahöstlichen Situation hat es Baboun trotz ihrer Wahl noch mit einer Gesellschaft zu tun, in der Frauen Einschränkungen unterliegen und militante moslemische Gruppen eine Verschärfung ihrer Diskriminierung anstreben.
Baboun sieht ihre vordringliche Aufgabe darin, der Jugend in der Stadt eine Zukunft zu geben, um sie von der Abwanderung abzuhalten und vor dem Abgleiten in eine Radikalisierung. Vor allem will sie den Zugang zu Betlehem für Pilger aus der ganzen Welt offenhalten. „Es ist das Recht der Christen, frei den Ort besuchen zu können, an dem Jesus Christus geboren wurde“, so die Christin Vera Baboun, die erste Bürgermeisterin Betlehems.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Nuova Bussola Quotidiana