(Washington/Rom) Die Glückwünsche Benedikts XVI. an den wiedergewählten US-Präsidenten Barack Obama gehören zu den üblichen diplomatischen Gepflogenheiten. Dabei schrieb das Kirchenoberhaupt, „Gott zu bitten, damit Er ihm in seiner großen Verantwortung für sein Land und die internationale Gemeinschaft beistehe“, damit „die Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit“ auf dem Weg der amerikanischen Nation „leuchten“. Vatikansprecher Pater Federico Lombardi ergänzte, daß die Glückwünsche mit der Aufforderung zur Förderung einer „Kultur des Lebens und der Religionsfreiheit“ verbunden sind. Die Ergänzung war kein Zufall. Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung Obama gestaltete sich wegen der aggressiven Abtreibungsbefürwortung Obamas von Anfang an schwierig und verschlechterte sich zuletzt radikal, als Obama offen die Religionsfreiheit anzugreifen begann.
Roms verhaltene Reaktion auf Obamas Wiederwahl
Die Reaktion Roms auf die Wiederwahl fällt daher deutlich verhaltener aus, als noch 2008. Damals konnte sich auch der Osservatore Romano nicht gänzlich der erzeugten „messianischen“ Euphorie rund um die Wahl Obamas entziehen. Die Tageszeitung des Vatikans titelte: „Eine Entscheidung, die eint“. Statt der erhofften Einigung wurde die Spaltung vertieft, wie das knappe Wahlergebnis nach vier Jahren Amtszeit belegt. Die amerikanischen Bischöfe warfen bereits damals dem Osservatore Romano europäische Blauäugigkeit vor. Inzwischen ist auch in der römischen Zeitung vom damaligen Enthusiasmus wenig übriggeblieben. Zur Wiederwahl schrieb der Osservatore: „Die Welle der Hoffnung auf eine radikale Wende, die vor vier Jahren aufgebaut wurde, ist inzwischen aufgezehrt.“
Es ist bekannt, daß die amerikanischen Kirchenführer in den USA und in Rom auf eine Abwahl Obamas hofften. Kardinal Raymond Burke, ein bekannter Obama-Kritiker, ist nur einer, der ausdrücklich genannt werden soll. Rom stellte nie in Frage, daß es mit dem demokratischen Präsidenten Gemeinsamkeiten in Fragen der internationalen Politik, der Armutsbekämpfung und des Dialogs mit dem Islam gibt. In diesen Bereichen gab es reibungslose Zusammenarbeit und so wird es auch in den kommenden Jahren sein. Seine Politik zu gesellschaftspolitischen Fragen wie Abtreibung und Homo-„Ehe“ und die Angriffe auf die Religions- und Gewissensfreiheit brachten ihn jedoch in offenen Kontrast zur Kirche.
Abtreibung ist eine absolute Frage, da gibt es keine „ausgleichende Gewichtung“
Angesprochen auf die Abtreibungspolitik des Präsidenten kontern Obama-Sympathisanten gerne mit dem Hinweis auf dessen sozialen Einsatz, der die Tötung ungeborener Kinder gewissermaßen aufwiege. Dieses „Gleichgewicht“ beschrieb kurz vor der Wahl auch Pater Langsch für die deutsche Redaktion von Radio Vatikan. Eine Aufrechnung, die von den amerikanischen Bischöfen entschieden zurückgewiesen wird. Auf Radio Vatikan, englische und italienische Redaktion, brachte es der Theologe und Politologe Robert Royal vom Faith and Reason Institute auf den Punkt. „Diese Diskussion findet in jedem Land statt. Unsere Bischöfe haben jedoch sehr klar gesagt, daß man einsehen muß, daß die Abtreibung eine absolute Frage ist“, da sie eine moralische Frage ist und eine irreversible Frage von Leben oder Tod bedeutet. „Die Fragen, die den Schutz des Lebens betreffen, können daher nicht mit den anderen Fragen auf dieselbe Stufe gestellt werden“.
Was würde man sagen, wenn jemand Hitlers Massenmord an Juden mit dessen erreichter Vollbeschäftigung rechtfertigen würde. Graduell wäre noch anzumerken, daß Hitlers Massenmordprogramm als „Geheime Reichssache“ unter strikter Geheimhaltung vor dem eigenen Volk durchgeführt wurde, während die millionenfache Tötung ungeborener Kinder unter Mißbrauch der Demokratie heute ganz offen nicht „irgendwo im Osten“, sondern in der Abtreibungsklinik oder im Krankenhaus gleich um die Ecke durchgeführt wird. Das Unrechtsbewußtsein ist jedoch vielfach soweit abgestumpft, daß ein solcher Vergleich empört zurückgewiesen würde.
Ob Obama Dignitas personae, das Geschenk des Papstes, je gelesen hat?
Im Juli 2009, als Papst Benedikt XVI. den amerikanischen Präsidenten empfing, schenkte er Obama eine Kopie der Instruktion Dignitas personae. Sie ist bioethischen Fragen und der Würde des Menschen gewidmet, einer Würde, die jedem Menschen von der Zeugung bis zu seinem natürlichen Tod eigen ist. Ob der amerikanische Präsident das Dokument je gelesen hat, wird in Kirchenkreisen stark bezweifelt.
Amerikas Bischöfe haben bereits am Vorabend der Wahl durch ihre neue Internetseite firstamericanfreedom.com Position bezogen und dem neuen (alten) Präsidenten ins Stammbuch geschrieben, was sie von ihm erwarten: Schutz der Religions- und Gewissensfreiheit und ein Ende der Abtreibungspolitik. Sie richten sich auf die neuen Auseinandersetzungen ein, die sie für die zweite Amtszeit Obamas erwarten. Der Präsident muß sich nicht mehr um eine Wiederwahl sorgen und kann seine zweite und letzte Amtszeit noch ungezwungener handeln, so eine in katholischen Kreisen weitverbreitete Sorge.
Ab 2013 müssen katholische Arbeitgeber Abtreibung mitfinanzieren
Ein großer Konflikt kommt bereits im Jahr 2013 auf die Kirche zu, dann sind durch die Gesundheitsreform auch katholische Arbeitgeber gezwungen, Verhütung, Sterilisation und Abtreibung für ihre Angestellten zu bezahlen. Eine Gewissens- und Religionsfreiheit ließ Obama bisher nicht gelten. Nachdem sich die Hoffnung zerschlagen hat, durch die Abwahl Obamas Teile der Gesundheitsreform noch zu kippen, gehen nun alle Blicke zum Obersten Gerichtshof, der über Klagen gegen die Reform entscheiden muß. Darunter auch eine Megaklage der katholischen Bischöfe und katholischer Einrichtungen und Organisationen.
Diesseits des Ozeans wird der Kampf der amerikanischen Bischöfe von der Stiftung Johannes Paul II. für das soziale Lehramt unterstützt, deren Vorsitzender der Bischof von San Marino, Msgr. Luigi Negri ist. In einer Stellungnahme der Stiftung heißt es, man hoffe, daß das amerikanische Volk diese Wahlentscheidung „nicht bereuen wird müssen“.
Wie haben Amerikas Katholiken gewählt – Nachwahlbefragung
Erhebungen der führenden Meinungsforschungsinstitute geben ersten Aufschluß über das Wahlverhalten. Ausschlaggebend für die Wiederwahl Obamas waren, laut FoxNews die Frauen. Während 52 Prozent der Männer für Mitt Romney stimmten, gaben 53 Prozent der Frauen Barack Obama ihre Stimme. Da mit 53 Prozent zu 47 Prozent deutlich mehr Frauen als Männer wählten, sorgten sie für den entscheidenden Vorsprung Obamas. Da es sich bei den Daten von FoxNews um eine Nachwahlbefragung unter den tatsächlichen Wählern handelt (die Wahlbeteiligung lag am vergangenen Dienstag nur knapp unter 50 Prozent aller Wahlberechtigten), während Gallup die Erhebung zehn Tage vor der Wahl durchführte, sollen hier zum Wahlverhalten die aktuelleren FoxNews-Daten zitiert werden.
2008 hatten 54 Prozent der Katholiken für Obama gestimmt, 2012 waren es nur mehr 50 Prozent. Dennoch erhielt der amtierende Präsident damit mehr Stimmen als sein republikanischer Herausforderer. Die weißen Katholiken bevorzugten mit 59 Prozent eindeutig Romney. Nur 40 Prozent stimmten für Obama. Unter den schwarzen, asiatischen und lateinamerikanischen Katholiken stimmten hingegen 80 Prozent für Obama. Am deutlichsten die schwarzen Katholiken, am wenigsten die asiatischen. Einzig die kubanischen Katholiken fallen aus der Reihe. Sie gaben mehrheitlich Romney ihre Stimme. Praktizierende Katholiken wählten zu 57 Prozent Mitt Romney, zu 42 Prozent Barack Obama. Von den nicht praktizierenden Katholiken stimmten 58 Prozent für Obama, nur 39 Prozent für Romney.
Von den Befragten gaben 36 Prozent an, Abtreibung für ein Unrecht zu halten. Sie stimmten zu 77 Prozent für Romney, 21 Prozent für Obama. 59 Prozent der Befragten bezeichneten die Tötung ungeborener Kinder als legal. Von ihnen stimmten 67 Prozent für Obama und 31 Prozent für Romney.
Verheiratete Männer stimmten zu 60 Prozent für Romney, verheiratete Frauen zu 53 Prozent. Unverheiratete Männer stimmten zu 56 Prozent für Obama, unverheiratete Frauen zu 67 Prozent. Alleinerziehende Mütter mit Kindern wählten deutlich öfter Obama als verheiratete.
Befürworter der Homo-„Ehe“, wählten zu 73 Prozent Obama, Gegner zu 74 Prozent Romney. Fünf Prozent der Befragten gaben an, sich als „gay, lesbian or bisexual“ zu bezeichnen. Von ihnen stimmten 76 Prozent für Obama, nur 22 Prozent für Romney. Unter den 95 Prozent heterosexuellen Wählern lagen Romney und Obama mit je 49 Prozent gleichauf.
Republikaner brauchen charismatischen Kandidaten – Bischöfe besseren Kontakt zu ethnischen Minderheiten
Die Bischöfe sind nicht Partei. Sie haben sich daher nach den Wahlen andere Gedanken zu machen als die Republikanische Partei nach zwei aufeinanderfolgenden Niederlagen. Da der Ausgang der Wahlen jedoch weitreichenden Richtungsentscheidungen entspricht, betreffen sie in hohem Maße auch die Bischöfe. Beobachter, wie Sam Tanenhaus, sprechen seit einiger Zeit von einer „natürlichen Erweiterung der demokratischen Wählerbasis“ durch einen schrittweisen demographischen Umbau der amerikanischen Gesellschaft. Ruy Teixeira spricht in The emerging democratic majority über diesen Umbau durch den zahlenmäßigen Anstieg der Minderheiten, die zur Erosion des angelsächsischen Amerika in allen Bereichen führe. Eine Erosion, die durch die Einwanderung aus nicht-europäischen Kulturräumen erfolgt. Die Einwanderer der jüngsten Generationen wählen zu Dreiviertel demokratisch. Sie sind zum größten Teil in den sozial schwächeren Schichten angesiedelt und hoffen auf den Wohlfahrtsstaat. Das traditionelle amerikanische Staatsverständnis ist ihnen weitgehend fremd und bliebt es meist auch nach längerem Aufenthalt in den USA.
Anderer Ansicht ist Geoffrey Kabaservice, Autor von Run and Ruin. Er sieht im demokratischen Sieg „das Beste, was den Republikanern passieren hätte können“. Dieser zwinge die Good Old Party, sich neu und besser auf den nächsten Urnengang in vier Jahren vorzubereiten, bei dem beide ideologischen Großlager neue Kandidaten präsentieren müssen. Die Meinungen gehen im republikanischen Lager auseinander. Die Tea Party, der jeder fünfte Amerikaner nahesteht, sieht das Problem nicht in der ideologischen Ausrichtung der Partei, sondern im personellen Angebot. Da die meisten Bürger nicht systematisch dem politischen Geschehen folge, liege die Frage nicht primär in programmatischen Fragen. Vielmehr gelte es eine glaubwürdige, charismatische Persönlichkeit mit ausgeprägter Volkstümlichkeit zu nominieren, die das vorhandene Programm vertrete.
Die katholischen Bischöfe Amerikas, die nicht auf die Parteimitgliedschaft eines Kandidaten, sondern auf dessen Programm schauen, werden sich um verstärkten Kontakt mit den Katholiken der Minderheiten bemühen müssen, um sie für die unverzichtbaren katholischen Grundsätze zu sensibilisieren, die im Zweifelsfall über der sozialen Frage oder einer Rasse zu stehen hätten.
Text: Giuseppe Nardi
Karte: rcms2010.org
Karikatur: Jack Higgins/Chicago Sun Times