(New York) Kevin J. Madigan, Sprecher des Redaktionskomitees der Harvard Theological Review gab am vergangenen Freitag, den 21. September bekannt, daß die Zeitschrift die für Januar geplante Veröffentlichung des Aufsatzes von Karen L. King auf unbestimmte Zeit ausgesetzt hat. Eine Veröffentlichung werde erst erfolgen, so Madigan, wenn die Echtheit des Papyrus-Fragments beziehungsweise der zentralen Stelle auf dem Fragment ausreichend nachgewiesen werden könne.
An der Echtheit des Fragments waren bereits vor Kings Vorstellung ihrer Forschungsergebnisse in Rom Bedenken aufgetaucht, die sich danach noch verstärkten. Kritik lösten auch Kings antikatholische Schlußfolgerungen aus. Wäre Jesus verheiratet gewesen, wie es einige Apostel waren, hätten es die Evangelisten überliefert. Dies die Antwort führender Neutestamentler wie Ken Schenck vom Wesley Seminary in Indiana oder John Byron vom Ashland Theological Seminary, auf Kings Unterstellung einer von der Kirche angeblich vertuschten Ehe.
Ben Witherington vom Asbury Theological Seminary erklärte, daß Kings „Entdeckung“ ein Beitrag zum Studium der Gnosis des 4. Jahrhunderts sein könne, nicht aber des Christentums und des historischen Jesus. Abgesehen davon dürfte, sollte das Fragment echt sein, in der Begriffswelt der Gnosis, die weitgehend asketisch bis leibfeindlich war, ein spirituelles „Schwester-Frau“-Phänomen gemeint gewesen sein, so Witherington.
Wolf-Peter Funk, ein bekannter Sprachwissenschafter an der Laval University von Quebec, der an der französischen Übersetzung der Nag Hammadi-Kodizes mitgewirkt hat, bezweifelt rundweg die Relevanz der Entdeckung: „Es existieren Tausende von Payrusfragmenten auf denen die verrücktesten Dinge stehen, das kann irgend etwas meinen.“ Funk äußerte auch Zweifel über die Authentizität des Fragments. Zweifel an der Echtheit hat auch Stephen Emmel, Professor für Koptologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Wie Funk ist auch für Emmel die äußere Form „suspekt“, aber auch die koptische Grammatik, die nicht wirklich überzeuge. Alin Suciu von der Universität Hamburg ist noch viel deutlicher. Der Papyrologe vom Hiob Ludolf Zentrum für Äthiopische Studien am Asien-Afrika-Institut erklärte unumwunden: „Ich würde sagen, es ist eine Fälschung. Die Schrift scheint nicht authentisch im Vergleich zu anderen koptischen Papyren des 4. Jahrhunderts.“
Kurz angebunden ist auch die Stellungnahme von David Gill, Professor für Archäologie an der britischen University Campus Suffolk, und Experte für illegalen Handel mit Altertümern: „Die akademischen Verantwortlichen sollten dazu auf Distanz bleiben.“ Hany Sadak, der Generaldirektor des Koptischen Museums von Kairo bestätigte, daß die Existenz des Fragments den ägyptischen Behörden bis zum Zeitpunkt der Vorstellung durch King unbekannt war. „Persönlich denke ich als Wissenschaftler, daß das Fragment nicht echt ist, denn wenn es in Ägypten gewesen wäre, hätten wir es gekannt und davon gehört.“ Eine Meinung, die von Larry Rothfield von der University of Chicago ebenso geteilt wird wie von Francis Watson von der Durham University. Von einer „modernen Fälschung“ sprachen auch die beiden führenden Papyrologen Roger Bagnall von der University of New York und Anne Marie Luijendijk von der University of Princeton sowie der Koptologe Ariel Shisha-Halevy von der Universität Jerusalem.
Ironisch nimmt die Sache der Bibelwissenschaftler James A. Davila von der University of St. Andrews: „Wir befinden uns also vor einem Fragment, das – welch glücklicher Zufall – exakt jene Worte, aber wirklich exakt jene Worte enthält, die unsere Zeit aus dem Mund Jesu gerne hören möchte.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: UCCR