(Paris) Im Studienjahr 2011/2012 bereiten sich in Frankreichs Diözesanseminaren 710 Seminaristen auf das Priestertum vor. Das ist im Vergleich zum Vorjahr mit 732 Kandidaten ein erneuter Rückgang um drei Prozent, wie er bereits gegenüber dem Studienjahr 2009/2010 mit 756 Kandidaten registriert worden war.
Im Vergleich dazu lag die Zahl der Seminaristen nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ende des Konzils mehr als sechs Mal so hoch. Im Jahr 1966, in dem das Zweite Vatikanische Konzil beendet wurde, zählt Frankreich 4536 Seminaristen. Nach den radikalen Umbrüchen der 68er-Revolution waren es 1975 nur mehr 1297. 2005, dem Jahr der Wahl Papst Benedikts XVI. waren es 785. „Ein Trend der anzuhalten scheint, solange in den Pfarrgemeinden ein Geist herrscht, der dem Priestertum wenig wohlwollend gegenübersteht und dessen Neuentdeckung verhindert“, so Paix Liturgique.
Geringste Seminaristenzahl seit Französischer Revolution
Von den 710 Diözesanseminaristen wären die 65 ausländischen Studenten abzuziehen, die in Frankreich studieren, dies aber zum größten Teil für ihre Heimatdiözesen tun. In der Aufstellung fehlen hingegen die 60 Seminaristen der Gemeinschaft St. Martin, die sich alle für die Seelsorge in französischen Diözesen vorbereiten. In Summe entspricht die Zahl von 710 Diözesanseminaristen also einer Photographie der aktuellen Lage und entspricht dem tiefsten Stand seit der Französischen Revolution. Sich daran aufzuhalten, hieße jedoch nur die halbe Wahrheit zu sehen. Innerhalb der französischen Seminare ist ein grundlegender Umbruch im Gange.
Entwicklung der Priesterweihen in den Diözesen
2010 wurden in Frankreich 96 Priester (ohne Ordensgemeinschaften) geweiht. Erstmals wurden im Kommissionsbericht der Bischofskonferenz auch die Priesterweihen für die traditionsverbundenen Ecclesia-Dei-Gemeinschaften berücksichtigt. Ein weiteres Zeichen für eine Normalisierung und die schrittweise Anerkennung der Gemeinschaften der Tradition als festen Bestandteil der Kirche. Der nächste Schritt dürfte ihre ausdrückliche Nennung und nicht nur eine stillschweigende Subsumierung sein.
2011 wurden in Frankreich 111 Diözesanpriester geweiht (2010 waren es 96, 2009 89 Neupriester). Das entspricht unter Berücksichtigung der Gemeinschaft St. Martin einer Zunahme um 15 Weihen gegenüber dem Vorjahr oder einer Zunahme von 15,6 Prozent. Allerdings läßt sich daraus kein genereller Trend ablesen. 2011 wurden lediglich 77 Diakone geweiht, die den Weihejahrgang 2012 bilden werden.
Der Boden auf dem Berufungen gedeihen, ist beschädigt – Doch eine Melioration ist im Gange
Stellt man die Neuweihen den Pensionierungen gegenüber, wird das Ausmaß einer „beschädigten Landschaft“ (Paix Liturgique) in aller Härte sichtbar. Rund 100 Neuweihen stehen jährlich an die 800 Todesfälle von Priestern gegenüber. Die Gemeinschaft St. Martin steht unter den „Neuen Gemeinschaften“ der Tradition am nächsten. Die Gemeinschaft zelebriert die Liturgie in der ordentlichen Form des römischen Ritus jedoch in Latein, pflegt den Gregorianischen Choral, den Thomismus und fördert unter den Seminaristen ein wohlwollende Haltung gegenüber der außerordentlichen Form des römischen Ritus. Sie erlebt eine außergewöhnliche Blüte. Die Gemeinschaft zählt heute 60 Seminaristen im Vergleich zu den 43 des Vorjahres und erhält immer neue seelsorgliche Aufgaben von den Bischöfen. Aus den Diözesen erreichen die Gemeinschaft immer öfter Anfragen nach Priestern, sogar aus „progressiven“ Diözesen. Die Zeiten der Ächtung, als etwa der Bischof von Bayeux ein kategorisches „Die St. Martin bei mir, niemals!“ sagte, sind für diese Gemeinschaft vorbei.
Die kleine Diözese Frejus-Toulon und die große Erzdiözese Paris führen Seminaristenzahlen an
Unter allen französischen Diözesanseminaren ragen zwei Diözesen und ein interdiözesanes Seminar hervor. Würde man eine Rangordnung erstellen, würden sie die ersten drei Plätze einnehmen. Es handelt sich um das Seminar der Diözese Toulon-Frejus und die Erzdiözese Paris. In beiden bereiten sich mehr als 70 Seminaristen vor. Bedenkt man, daß Frejus-Toulon eine der kleinsten Diözesen Frankreichs und die Erzdiözese Paris um ein Vielfaches Größer ist, wird die außergewöhnliche Blüte dieser südfranzösischen Diözese der Provence offenkundig. Es fälllt auf, daß die „Sensibilität“ der Bischöfe der beiden Diözesen mit den meisten Seminaristen sehr unterschiedlich ist. Der Bischof von Frejus-Toulon steht explizit der Tradition nahe. Die Zahl der Pariser Seminaristen sank unter Erzbischof François Kardinal Marty (1968–1981) auf ein Minimum von 50, erlebt dann unter Jean-Marie Kardinal Lustiger (1981–2005) ein Zwischenhoch mit einer Verdoppelung, um dann unter dem regierenden Erzbischof André Armand Kardinal Vingt-Trois 2007 wieder auf 54 zu fallen und sich auf nun über 70 Seminaristen zu erholen. Unterdessen beginnt der Priestermangel in Paris spürbar zu werden, während er im Großraum Paris geradezu dramatisch ist.
Die Gemeinschaften der Tradition und ihre Entwicklung
Wie sieht die Situation bei den traditionsverbundenen Gemeinschaften aus? Berücksichtigt werden nur jene Gemeinschaften, deren Status jenem von Diözesanpriestern gleichkommt und daher keine Orden. Wie bei den Diözesanseminaren fand das Propedeutikum keine Berücksichtigung und es wurden nur Franzosen in die statistische Erfassung aufgenommen, nicht aber ausländische Seminaristen, die in Frankreich studieren. Zunächst ist festzuhalten, daß sich diese in zwei Gruppen unterteilen: auf der einen Seite die offiziellen Ecclesia-Dei-Gemeinschaften, die sich in voller Einheit mit Rom wissen, auf der anderen Seite die Priesterbruderschaft St. Pius X., deren künftiger Status in der katholischen Kirche noch ungeklärt ist.
Die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften zählten im Jahr 2011 in Frankreich 91 Seminaristen, die sich auf das Priestertum vorbereiteten. Ihre Zahl ist weitgehend stabil. Eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, wie langsam die Zahl der ihnen von französischen Bischöfen anvertrauten Pfarrgemeinden und Seelsorgestellen zunimmt und dadurch ihre Entfaltung behindert.
Die Piusbruderschaft zählte 2011 49 französische Seminaristen. Ihr Anteil liegt seit Jahren konstant bei einem Drittel aller Seminaristen (150) der von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründeten Priesterbruderschaft.
280 von 710 Seminaristen sind traditionsverbunden
Zusammengezählt stellen die Gemeinschaften der Tradition 140 französische Seminaristen, die sich auf das Priestertum vorbereiten. Das entspricht genau der Zahl der Seminaristen, die sich in traditionsverbundenen Diözesanseminaren auf die Priesterweihe vorbereiten.
2011 wurden für die traditionsverbundenen Gemeinschaften zusammen 18 Priester geweiht, sieben für die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften und elf für die Piusbruderschaft. 2010 waren es insgesamt 16 Neupriester, davon acht für die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften und acht für die Piusbruderschaft.
Die Gemeinschaften der Tradition im engeren Sinn machen fast ein Sechstel aller französischen Seminaristen aus. Zählt man die Gemeinschaften der Tradition mit den traditionsverbundenen Diözesen zusammen, dann ist jeder dritte Seminarist Frankreichs traditionsverbunden.
Die Gesamtzahl der traditionsverbundenen Seminaristen weist einen doppelt positiven Trend auf. Sie weist mit einem zwar langsamen, aber stetigen Wachstum nach oben (2005: 120, 2007: 130, 2009 140, 2010 sogar 144). Das Tempo entspricht ihrer eingebremsten Verwendung in den Diözese. Was die Gemeinschaft St. Martin inzwischen hinter sich hat, erleben die Gemeinschaften der Tradition noch immer. Sie werden von den Diözesanbischöfen ignoriert und ihnen wird der Einsatz in den Pfarreien verweigert. Obwohl in diesen Gemeinschaften junge geweihte und ausgebildete Priester für die Seelsorge bereitstehen, kommen sie nicht zum Einsatz. Diese andauernde Ächtung bremst wiederum ihr eigenes Wachstum ein. Je mehr die traditionsverbundenen Priester in den Pfarreien zum Einsatz kämen, desto mehr Priesterberufungen werde es geben, kommentierte Paix Liturgique die Veröffentlichung der Statistiken.
Frankreich – Deutschland: Gleiche Auswirkungen, selbe Gründe
Im Vergleich zur Tatsache, daß ein Drittel aller Seminaristen im westlichen Nachbarland sich der Tradition verpflichtet weiß und sich auch auf die Zelebration im Alten Ritus der katholischen Kirche vorbereitet, wirkt die Situation in deutschen Landen fast wie eine Ödnis. Der Grund, der in Frankreich die Entwicklung der Tradition hemmt, gilt ebenso, nur verstärkt auch in den deutschen Ländern. Die Petrusbruderschaft, eine Ecclesia-Dei-Gemeinschaft und damit Teil der offiziellen Tradition in der Kirche, verfügt über junge, kirchentreue und gut ausgebildete Priester, die von den Bischöfen weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in Österreich oder der Schweiz in den Pfarrdienst übernommen werden. Die Beauftragung von Pater Martin Ramm von der Petrusbruderschaft durch den Bischof von Chur, Msgr. Vitus Huonder, mit der Betreuung einer der beiden vom Churer Bischof am 22. Februar errichteten Personalpfarreien im alten Ritus, ist ein erster Schritt, diese Mauer der Ächtung einzureißen.
Text: Paix Liturgique/Giuseppe Nardi
Bild: Diocese de Frejus-Toulon