(Vatikan) Wie steht es um das Verhältnis der katholischen Kirche zum Islam? Welche diplomatische Linie verfolgt der Vatikan? Gibt es eine katholische „Strategie“ gegenüber dem Islam? Aktuelle und brisante Fragen in einer unruhigen Zeit. Der Vatikanist Paolo Rodari ging den Fragen nach und stieß auf gegensätzliche Antworten.
„Schauen Sie sich das an, der Sie dachten, der Kommunismus sei unsterblich.“ Das waren die Worte Papst Johannes Pauls II. zu Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli, als die Berliner Mauer fiel. „Eine kleine Genugtuung gegenüber einem Diplomaten, den Karol Wojtyla gerade deshalb an seiner Seite wollte, weil er so verschieden von ihm war“, so Rodari. Obwohl oder gerade weil die Ostpolitik Casarolis und des Staatssekretariats nicht dem entsprach, was Johannes Paul II. den kommunistischen Regimen entgegensetzen wollte. Der polnische Papst vertraute jenen, die mehr von Diplomatie verstanden als er selbst. Das Ergebnis war eine Mischung aus Gegensätzen, die auf ihre Weise zum Sturz des Kommunismus beitrug, der von der katholischen Kirche und von der Christenheit insgesamt im Namen des Proletariats große Opfer gefordert hatte.
Alte Gefahr Kommunismus – Neue Gefahr radikaler Islam
Heute gibt es keinen Ostblock mehr, dafür aber eine andere Gefahr, die sich in den islamischen Staaten eingenistet hat, in denen die Christen heute im Namen Allahs ermordet werden. 12 Tote und hundert Verletzte ist die Bilanz der jüngsten salafitischen Angriffe auf koptische Kirchen in Kairo. Solche Schreckensmeldungen kommen nicht nur aus Ägypten, sondern aus verschiedenen Teilen der islamischen Welt.
Msgr. Lawrence Saldanha, der emeritierte Erzbischof von Lahore in Pakistan erklärte nach der Hinrichtung Osama bin Ladens, daß die Christen eine „leichtes Zielscheibe“ für jene radikalislamischen Kräfte seien, die einen religiös verbrämten Krieg zwischen dem (islamischen) Orient und dem (sogenannten christlichen) Westen losbrechen wollen. Ähnliche Worte sind von kirchlichen Stellen im Irak zu hören: „Bin Laden hat eine ganze Schule des Terrors geschaffen“, „eine von ihm indoktrinierte Generation“.
Und wie reagiert der Heilige Stuhl? Was machen die vatikanischen Diplomaten? Im zuständigen Staatssekretariat verweist man auf die historische Regensburger Rede Papst Benedikts XVI. An dieser Position habe sich bis heute nichts geändert. „Ratzinger hat in Regensburg durch die Forderung, im Namen Gottes keine Gewalt anzuwenden, die Gewissen erleuchtet“, zitiert Rodari seine ungenannte, aber gewiß zuverlässige Quelle des Staatssekretariats. „Unsere Aufgabe ist es, dieser Position des Papstes einen fruchtbaren Boden zu bereiten, auf dem Konstruktives gedeihen kann. Das ist die wahre Stoßrichtung von Regensburg.“
Regensburger Rede gibt Linie gegenüber dem Islam vor
So sieht es auch Pater Bernardo Cervellera, Direktor der Nachrichtenagentur AsiaNews. Es gebe eine vatikanische Position und die sei jene des „Dialogs zwischen unterschiedlichen Identitäten“. „Die Einberufung eines interreligiösen Treffens in Assisi ist ein klares Zeichen dafür, welche Linie Ratzinger verfolgt. Assisi ist eine präzise politische Entscheidung. Regensburg war der Beginn eines schwierigen Weges, den der Papst mit Nachdruck weitergeht“, so Pater Cervellera. „Schauen wir uns die Situation heute an: In der islamischen Welt gab es nach der Ermordung Bin Ladens nicht viele haßerfüllte Demonstrationen, verbrannte Fahnen oder aufgehängte Puppen, wie wir es schon mehrfach erleben mußten. Die islamische Welt hat sich immer mehr von den selbsternannten Helden distanziert, die sich in den Höhlen der pakistanischen und afghanischen Berge verstecken. Der Vatikan widersetzt sich dem islamischen Terrorismus seit Regensburg mit Freundschafts- und Unterstützungsprojekten. Das ist die Linie. Und viele islamische Intellektuelle haben dies erkannt und schätzen es“, so der Direktor von AsiaNews.
Schützt Appeasement die Christen in islamischen Staaten?
Die Bischofssynode für den Nahen und Mittleren Osten im Oktober 2010 machte deutlich, daß die vatikanische Diplomatie ein Hauptanliegen verfolgt: die Verteidigung der Ortskirchen. Dies bedeutet, „ob man es hören will oder nicht“, wie Rodari anmerkt, eine Art „Appeasementpolitik gegenüber dem Islam. Dies wird nicht von allen im Vatikan gutgeheißen, ist aber die vorherrschende Position“, so Rodari.
Drei Monate vor seiner Ermordung durch radikale Moslems sagte der Katholik Shahbaz Bhatti, Minister für die religiösen Minderheiten in Pakistan, zu Kardinal Jean-Louis Tauran, dem Vorsitzenden des Päpstlichen Rats für den interreligiösen Dialog und wichtigen Mann der vatikanischen Diplomatie unter Karol Wojtyla: „Ich weiß, daß sie mich umbringen werden. Ich gebe mein Leben für Christus und den Dialog zwischen den Religionen.“ Diese Worte wurden dem Papst mitgeteilt und seine Antwort lautete: „Mehr Dialog, um die Gewalttätigen und Gewaltbereiten zu bekämpfen.“ So hatte Benedikt XVI. es bereits wenige Wochen zuvor, am 19. November, hinter verschlossenen Türen den zum Konsistorium versammelten Kardinäle dargelegt.
Dieser Arbeitsbereich der vatikanischen Diplomatie wird von ausgewiesenen Kennern des Nahen und Mittleren Ostens und des Islams geleitet. An der Spitze des vatikanischen „Außenministeriums“, der Sektion für die Beziehungen mit den Staaten steht der Korse Msgr. Dominique Mamberti. Der Substitut des Kardinalstaatssekretärs, Msgr. Fernando Filoni, wurde soeben von Papst Benedikt XVI. zum neuen Präfekten für die Evangelisierung der Völker ernannt und damit zum „Roten Papst“ befördert, in dessen Zuständigkeitsbereich ein Teil der islamischen Welt fällt. Sein Nachfolger ist Msgr. Giovanni Angelo Becciu. Der Sarde war bisher Apostolischer Nuntius auf Kuba und ist den Umgang mit widerspenstigen Regimen gewohnt. An der Linie des Heiligen Stuhls wird sich durch die Umbesetzung wohl nichts ändern, denn die eigentliche Gestalt hinter dem „Geist des Dialogs“ ist Kardinal Tauran. Nicht zufällig übertrug der Papst ihm die Beziehungen zum Islam nach dem Unverständnis, auf die seine Lectio von Regensburg gestoßen war.
Benedikt XVI. gibt intellektuell die Linie vor – Es fehlt aber gezielte Außenpolitik
Der Historiker Alberto Melloni meint allerdings in seinem soeben erschienenen Buch „Le cinque perle di Giovanni Paolo II.“ (Die fünf Perlen Johannes Pauls II.), daß es zwar eine „Linie auf höchstem Niveau“ von Papst Benedikt XVI. gebe, dahinter aber keine konsequente Zielsetzung folge. Melloni erinnert an das ungleiche Duo Wojtyla-Casaroli: „Ratzinger, meiner Ansicht nach in ausgeprägter Form kein Papst der Kurie, wollte durch die Ernennung Tarcisio Bertones zum Staatssekretär den Vatikan entpolitisieren, der heute tatsächlich über keine klare Außenpolitik verfügt. Ich glaube, daß es gegenüber den islamischen Staaten kein wirkliches politisches Projekt gibt. Es gibt nur den Papst und seine Vorgabe auf höchster spiritueller und intellektueller Ebene, aber wenig Politik. Nicht von ungefähr werden die Nuntien, die rund um den Erdball wirken, vom Papst nicht mehr empfangen. Geht es noch klarer?“, so der Historiker Melloni.
Das Duo Ratzinger-Bertone sei geradezu atypisch. „Ratzinger wählte einen Freund als Staatssekretär. Seine Vorgänger wählten meist Personen, die ihnen in vielem sehr fernstanden, weil sie wollten, daß jemand die Politik machte, die der Papst nicht machen kann. Pius XI. hatte Pietro Gasparri und erst in zweiter Linie Eugenio Pacelli. Pius XII. hatte Luigi Maglione, bis er entschied, es selber zu machen. Wojtyla hatte Agostino Casaroli und dann Angelo Sodano, die beide von ihm recht unterschiedliche Sichtweisen hatten. Ratzinger leuchtet heute durch seine Worte, doch fehlt eine Außenpolitik. Zudem gibt es keine klaren Überlegungen zu den Entwicklungen im Islam. Wojtyla war überzeugt, daß der Kommunismus Ausdruck des Bösen war und als solcher in sich zusammenbrechen würde. In Centesimus annus sprach er von der ‚gewaltfreien Standhaftigkeit‘ der Kirche in den Ostblockstaaten. Heute scheint der Islam zu implodieren, doch niemand im Vatikan sagt: ‚Ich habe es gesagt, daß sich der gewaltlose Islam durchsetzen würde‘.“
(Palazzo Apostolico/Giuseppe Nardi, Bild: Palazzo Apostolico)