Warum wird der Papst angegriffen? Was unterscheidet die Angriffe gegen Benedikt XVI. von denen, gegen seine Vorgänger? Der Journalist Maurizio Crippa geht in der Tageszeitung Il Foglio den Fragen nach, warum Papst Benedikt XVI. während seiner Afrika-Reise so starken politischen und medialen Angriffen aus der westlichen Welt ausgesetzt war und ob sich die Angriffe von denen gegen seine unmittelbaren Vorgänger unterscheiden.
Für The Economist ist die auf dem Flug nach Afrika gefallene Bemerkung des Papstes zu AIDS und Kondomen „bestenfalls weltfremd“. Für die New York Times liegt der Heilige Vater einfach „falsch“ (The Pope is wrong). Von vielen anderen – Regierungen, einflußreichen Kreisen, Lobbys, vom Weltwährungsfonds abwärts – hagelte es unfreundliche und harte Kritik, wie man sie nur selten gegen den römischen Pontifex zu hören bekam. Der Verdacht, dahinter stecke eine gezielte Regie oder zumindest ein unausgesprochener Befehl zum Angriff, ist dabei mehr als einem gekommen.
Die katholische italienische Tageszeitung Avvenire schrieb von „konzentrischen Angriffen“, bei denen „Vulgarität kein Tabu mehr ist, sondern ein muß“. Noch deutlicher wurde der Vorsitzende der italienischen Christdemokraten Pier Ferdinando Casini, der hinter den Kanonenkugeln „das Händchen der internationalen Freimaurerei“ erkennt. Die Kirche selbst hat dieses „magische Wort“ eines meist unsichtbaren Feindes seit langem nicht mehr in den Mund genommen und sieht sich nicht mehr als Opfer dunkler Verschwörungen. Dabei war es der Chefredakteur des Avvenire, Dino Boffo, der das Stichwort im Zusammenhang mit dem erzwungenen Tod der Wachkomapatientin Eluana Englaro in den Ring warf, als in einem Interview mit Il Foglio von einer „Kuppel freimaurischer Art“ sprach, der es über alle Standes‑, Partei – und Berufsgrenzen hinweg gelungen sei, einen Präzedenzfall für die Euthanasie durchzusetzen. Wie im Fall der US-Amerikanerin Terri Schiavo, mußte Eluana Englaro Anfang Februar auf richterlichen Beschluß hin verhungern und verdursten.
Der Fall Englaro wird in Italien als „Porta Pia der Bioethik“ betrachtet. Am römischen Stadttor Porta Pia gelang es 1870 den italienischen Truppen, die erste Bresche in die noch päpstliche Stadt Rom zu schlagen. Nicht nur ein Symbol für den letzten Kampf zur Schaffung eines italienischen Nationalstaates, sondern noch viel mehr für den Kampf der Freimaurerei gegen die katholische Kirche.
Die Aussage Boffos ist ein Zeichen dafür, daß sich in jüngster Zeit in der katholischen Hierarchie wenn schon nicht ein Verschwörungssyndrom breit gemacht hat, so doch das Bewußtsein, im Visier vieler und starker Feinde zu sein.
Casini jedenfalls denkt nicht daran, von seiner Anspielung abzurücken: „Es ist offensichtlich, daß es sich bei den Angriffen auf den Papst um eine ebenso unanständige wie geplante Aktion handelt. Zu den Themen AIDS und Kondome ist Benedikt XVI. mit seiner ganzen moralischen Autorität treu dem Lehramt seiner Vorgänger gefolgt“, so der Christdemokrat. In Afrika habe der Papst viele und schwerwiegende Probleme angesprochen. In der westlichen Welt aber sei durch den Medienfilter „alles auf eine einzige Aussage reduziert“ worden, um ihn „persönlich und auf vulgäre“ Art angreifen zu können. „Ob dahinter die Freimaurerlogen, internationale Kräfte oder multinationale Konzerne stecken, die sich in ihren Geschäften gestört fühlen, kann ich nicht sagen“, so Casini. „Die Folgen sind jedoch evident.“ Gleichzeitig verwies der UDC-Vorsitzende auf eine sich wiederholende „Anomalie“ hin, die „jedes Mal“ eintrete, „wenn man verhindern will, daß die Stimme des Papstes gehört wird“. Dazu scheinen auch Probeläufe zu gehören, um zu testen, wie gut dieses System schon funktioniere. „Die Wahrheit ist, daß dem Westen die Voraussetzungen wegbrechen, die den laizistischen Staat kennzeichnen, nämlich die Rede- und Meinungsfreiheit für alle. Warum ist es allen erlaubt zu sprechen, außer dem Papst? Warum bemühen sich Regierende und internationale Institutionen so sehr, seine Stimme zu verzerren und zu übertönen?“
Der Chef der Christdemokraten betrachtet den jüngsten Angriff auf den Papst als so schwerwiegend, daß er einlädt, „zum Zeichen der Solidarität mit dem Papst“, am Palmsonntag in Rom an der Liturgie am Petersplatz teilzunehmen. Die Idee erinnert an den Palmsonntag 1975, als Papst Paul VI. Zielscheibe massiver Protestkampagnen von außerhalb und innerhalb der Kirche war, die nach der Veröffentlichung der Enzyklika Humanae vitae eingesetzt hatten. Unter diesen Angriffen leidend hatte er die Jugend gebeten, sich am Palmsonntag sichtbar um ihn zu scharen. Mit wenigen, wenn auch bedeutenden Ausnahmen wurde Paul VI. aber alleingelassen. Die Idee Casinis erinnert aber auch an einen Sonntag im Januar 2008 als sich aus Solidarität Hunderttausende Menschen auf dem Petersplatz und den angrenzenden Straßen um Benedikt XVI. versammelten, nachdem links- und liberalradikale Kräfte dessen Rede an der römischen Universität La Sapienza verhindert hatten.
Der derzeitige Belagerungszustand, dem Benedikt XVI. ausgesetzt ist, regt zum Vergleich mit seinen unmittelbaren Vorgängern an. Die ersten Jahre des Pontifikats von Papst Johannes Paul II. waren von keineswegs geringeren „konzentrischen Angriffen“ gekennzeichnet. Die militanten Feministen und Abtreibungsbefürworter brüllten durch die Straßen „Wojtyla go home“. Angegriffen haben damals vor allem der kommunistische Block (von außerhalb) und der progressive Flügel (von innerhalb). Die Geschichte lehrt, daß der polnische Papst ab Mitte der 80er Jahre sich gegen seine politischen, kirchlichen und medialen Gegner durchsetzen konnte.
Die Gründe dafür lassen sich aber nicht eins zu eins auf Benedikt XVI. übertragen, dessen Charisma ein anderes ist und wohl auch seine persönliche Mission. Seine öffentlichen Kommunikationsschwierigkeiten mit den Medien faßt Aldo Grosso so zusammen: „Wojtyla war ein Medienmensch. Er war ein absoluter Bändiger des Fernsehens. Ratzingers Unbehagen gegenüber den Medien ist hingegen jedes Mal offensichtlich, wo er seine eigentliche Dimension des Theologen und Priesters verlassen muß.“ Grosso meint daraus schließen zu können: „Ich denke, es gibt kein Medienkomplott, das hinter der Art und Weise steckt, wie die Medien den Papst behandeln. Sie scheinen im Papst vielmehr ein leichtes Opfer zu sehen und leisten sich Dinge, die sie sich bei keinem regierenden Politiker trauen würden. Damit erzeugen sie natürlich ein Schema, das nur schwer überwindbar ist.“
Für den Religionssoziologen Massimo Introvegno geht es aber um wesentlich mehr: „Ich bin gegen Verschwörungstheorien, dennoch kann ich mich bei diesem Afrika-Besuch nicht des Eindruckes erwehren, daß es darum ging, den Papst zum Schweigen zu bringen. Vor allem, um die Aufmerksamkeit von dem 100-Seiten starken Dokument Instrumentum laboris fernzuhalten, mit dem im Gepäck der Papst nach Afrika gereist ist. Das ist ein Schlüsseldokument für Afrika, an dessen Ausarbeitung die Kirche 20 Jahre gearbeitet hat. Die afrikanische Presse hat seine Tragweite schnell erkannt und von einem ‚zentralen Dokument’ für den Kontinent gesprochen. Im Westen dagegen spricht man nur vom Kondom…“
Wer aber könnte ein Interesse an einem solchen politischen und medialen Manöver haben? „Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, sondern Realist“, fährt Introvegno fort. „Der Papst ist nach Afrika in einen Kontinent gegangen, den die Kirche für sehr wichtig hält. Er tat dies mit einem Dokument in der Hand, in dem die UNO, die EU, viele internationale Institutionen und nicht zuletzt auch viele Regierungen und etliche multinationale Konzerne für ihre politischen Entscheidungen und ihre Geschäfte kritisiert, ja angeklagt werden. Sie können mir glauben: Es gibt viele Leute, die nicht wollen, daß darüber gesprochen wird. Und das beste Mittel dies zu erreichen, ist es, präventiv den Überbringer und Wortführer dieser Anklage anzugreifen und die Aufmerksamkeit abzulenken.“
Auf eine konzertierte Aktion weiße auch das gleichzeitige Schweigen des Westens zu den skandalösen Problemen Afrikas hin. „Während man sich im Westen mit Banalitäten die Blöße gab, begegnete der Papst den Afrikanern mit derselben Liebe und denselben Worte, die Jesus am Beginn seines Wirkens zu den Menschen sprach“, wie der Avvenire schrieb.
Aber zurück zu Introvegno: Kann man Unterschiede in den Angriffen auf die unmittelbaren Vorgänger des Papstes erkennen? „Die Homosexuellen- und Abtreibungslobbys hat es schon damals gegeben. Sie werden immer angreifen. Wojtyla wurde von ihnen nicht besser behandelt als Ratzinger jetzt oder Montini zuvor“, so Introvegno. „Das Neue heute ist, daß die Kirche an vielen Fronten Wichtiges sagt, das vielen nicht paßt. Wenn es irrelevant wäre, was sie sagt, würde sich niemand darum kümmern. Ein Papst, der angegriffen wird, ist kein Zeichen der Schwäche – ganz im Gegenteil.“
Die italienischen Bischöfe haben nach der Rückkehr des Papstes aus Afrika klare Worte für jene Vertreter internationaler Institutionen und Medien gefunden, „die jenseits von gutem Ton und jeder Angemessenheit den Heiligen Vater auf unverhältnismäßige und vulgäre Art und Weise angegriffen haben“. Der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, fügte die Mahnung hinzu: „Sie sollen wissen, daß wir es nicht widerspruchslos hinnehmen werden, daß der Heilige Vater in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht und beleidigt wird“.
(Il Foglio/Avvenire/JF)