(Straßburg) Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Parlament bzw. dem Europäischen Rat) forderte gestern, Mittwoch, die Regierungen der 47 Mitgliedsstaaten mit rund 800 Millionen Einwohnern zur Entkriminalierung der Abtreibung bis zu einer maximalen Schwangerschaftsdauer auf, sofern dies nicht bereits geschehen sein sollte. Frauen müsse das „Recht… auf sicheren und legalen Zugang zu Abtreibung“ eingeräumt werden.
Papst Benedikt XVI. und Bischöfe weltweit haben genauso wie der Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei der UNO, Erzbischof Celestino Migliore, wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß ein vermeintliches „Recht auf Abtreibung“ mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht zu vereinen sei.
„In Europa ist zuerst der Begriff der Menschenrechte formuliert worden“, erklärte der Heilige Vater am 7. September bei seiner Begegnung mit den Spitzen der österreichischen Regierung und Diplomaten aus aller Welt in der Wiener Hofburg. „Das grundlegende Menschenrecht, die Voraussetzung für alle anderen Rechte, ist das Recht auf das Leben selbst. Das gilt für das Leben von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende. Abtreibung kann demgemäß kein Menschenrecht sein – sie ist das Gegenteil davon. Sie ist eine tiefe soziale Wunde, wie unser verstorbener Mitbruder Kardinal Franz König zu betonen nicht müde wurde“ (vgl. Ansprache).
Nach einer vierstündigen Debatte und der Untersuchung von 72 Änderungen wurde die Entschließung im Europarat mit 102 gegen 69 Stimmen verabschiedet. Die Abgeordneten wiesen darauf hin, daß Abtreibungen so gut es geht verhindert werden müßten. Diese Maßnahmen „können in keiner Weise als Methode zur Familienplanung betrachtet werden“. Sie fügten hinzu, daß ein vollständiges Verbot nicht zu einer Senkung der Abtreibungen, sondern eher zu heimlichen und traumatisierenden Abtreibungen sowie zu einem regelrechten „Abtreibungs-Tourismus“ führen könnte.
In praktisch allen Mitgliedsstaaten des Europarates ist Abtreibung gesetzlich erlaubt, wenn es darum geht, das Leben der Mutter zu retten, betonte die Versammlung. In den meisten europäischen Ländern ist Abtreibung auch aus anderen Gründen oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne erlaubt. Wie aus dem Bericht von Gisela Wurm (Österreich, SOC) hervorgeht, sind Andorra, Irland, Malta, Monaco und Polen davon ausgenommen.
Das Salzburger Ärzteforum wirft der Juristin Wurm vor, die Parlamentarier bewußt irrezuführen: Sie wolle „durch eine geschickt gewählte, juristische Tatsachen verfälschende, jedoch auch leicht durchschaubare Wortwahl und Diktion“ ein „Recht auf Abtreibung“ einfordern und von „legaler Abtreibung“ sprechen. Ein dezidiertes „Recht auf Abtreibung“, so die Ärzte, existiere weder in Österreich noch in der überwiegenden Mehrzahl der europäischen Staaten – „auch wenn dies offenbar quasi durch die Hintertüre eingeführt werden soll.“ Abtreibung könne weder als „legal“ noch als ein „Recht der Frau“ bezeichnet werden.
In ihrer Entschließung erklärten die Abgeordneten des Europarates, daß Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen möchten, medizinische und psychologische Betreuung sowie ausreichende finanzielle Unterstützung geleistet werden müsse. Vorschriften, die den Zugang zu sicherer und legaler Abtreibung verbieten, seien aufzuheben.
Diesbezüglich hält das „Salzburger Ärzteforum“ fest: „Die Tötung eines Kindes im Mutterleib – und um dies handelt es sich bei einer Abtreibung einmal – ist keinerlei medizinische „Heilmaßnahme“, zu der ein Arzt individuell oder die Ärzteschaft global verpflichtet werden könnte oder auf die Patientinnen ein Recht hätten! Abtreibungen können nur schwerlich als medizinische Heilmaßnahmen zum Allgemeinwohl uminterpretiert werden. Daß medizinische Eingriffe – um welche es sich auch immer handelt – medizinisch korrekt und nicht traumatisierend durchgeführt werden müssen, ist eine Forderung, der sich das Salzburger Ärzteforum anschließt. Im Zusammenhang mit Abtreibungen darf jedoch nicht die hohe Traumatisierungsrate für Frauen durch die Abtreibung als Eingriff an sich unerwähnt bleiben. Seriösen Studien zufolge leiden über 50 Prozent der Frauen zum Teil auch noch Jahre nach einer Abtreibung an den psychosomatischen Folge- bzw. Nebenwirkungen der Abtreibung.“
Die Abgeordneten des Europarates forderten außerdem, daß Schulkinder „umfaßenden, altersentsprechenden, geschlechterspezifischen Unterricht zum Thema Sex und Beziehungen“ bekommen müßten, um ungewollte Schwangerschaften und folglich Abtreibungen zu verhindern.
Beim dritten internationalen Kongreß Treffpunkt Weltkirche, der vom 11. bis zum 13. April in Augsburg stattfand, warnte Diözesanbischof Walter Mixa, Schirmherr der Veranstaltung, eindringlich davor, dem Staat die „Lufthoheit über die Kinderbeten“ zu überlassen. Insbesondere die Eltern ermahnte er, die Erziehung der Kinder in die Hand zu nehmen, was vor allem bedeute, sich Zeit zu nehmen und mit den heranwachsenden Menschen über so wichtige Themen wie den verantwortungsbewußten Umgang mit der eigenen Geschlechtlichkeit und dem anderen Geschlecht zu sprechen. Er selbst wisse aus seiner Zeit als Religionslehrer, daß junge Menschen an solchen Gesprächen sehr interessiert seien. Sie verstünden, daß es im Letzten um ein „Liebeswachstum“ gehe. Davon, daß sie diese Dinge gut begreifen, hänge ihr irdisches Glück ab, denn jeder Mensch sehne sich nach Liebe, die von Dauer sei, nach Zuverlässigkeit und Echtheit, Beheimatung, Erfüllung und wahrem Glück. Selbstdisziplin sei „die größte Hilfe“, um ein gesundes Selbstwertgefühl und Respekt vor den anderen zu entwickeln, hob der Bischof hervor. „Nicht unsere Kinder und Jugendlichen sind schuldig, sondern wir sind schuldig, weil wir den Mund nicht aufmachen.“
Der 1949 gegründete Europarat hat seinen Sitz in Straßburg. Sein erklärtes Ziel besteht darin, die Demokratie in Europa zu fördern sowie Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu schützen.
(Zenit/Dominik Hartig)