von Wolfgang F. Rothe
- „Daß in dieser Konsequenz
eine beachtliche Schädigung
[des Kirchensteuersystems
in der Bundesrepublik
Deutschland] eintreten kann,
ist nicht zu bestreiten, nur erlaubt
uns das nicht, um dessentwillen
dann irgendwie am Recht zu
manipulieren“
„Aus der Erklärung, mit bürgerlicher Wirkung aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts auszutreten, läßt sich nicht erkennen, daß der Betreffende den Willen zur vollständigen Trennung von der katholischen Kirche hat. Der dem Körperschaftsaustritt zugrunde liegende Geschäftswille ist die Aufgabe der Pflichten im bürgerlichen Bereich, was nicht identisch ist mit einer bewußt angestrebten Trennung von der Kirche Jesu Christi.“ (365)
Wenn dieser in die nüchterne Sprache der Kirchenrechtswissenschaft gekleidete Befund richtig ist, dann handelt es sich dabei – etwas weniger nüchtern formuliert – um eine kirchenpolitische Sensation: Dann ist nämlich die von der Deutschen Bischofskonferenz von jeher rigoros vertretene (und in einer vom 24. April 2006 datierten Erklärung neuerlich bekräftigte) Auffassung, daß der gegenüber der zuständigen staatlichen Behörde erklärte Kirchenaustritt eines Katholiken generell als Abfall von der Kirche als Glaubensgemeinschaft zu werten ist und folglich die von selbst eintretende Strafe der Exkommunikation und den Verlust bestimmter Rechte (wie z.B. des Rechts auf ein kirchliches Begräbnis) nach sich zieht, schlichtweg falsch.
Kaum eine andere Frage wird gegenwärtig unter den deutschen Kirchenrechtlern derart kontrovers diskutiert wie die Frage nach der rechtlichen Bewertung des so genannten Kirchenaustritts. Schützenhilfe erhielt die Bischofskonferenz jüngst unter anderem vom Trierer Kirchenrechtler Peter Krämer, der ihr bescheinigte ernst zu nehmen, „was der Kirchenaustritt in Wirklichkeit ist: Trennung von der Kirche“, und daß in diesem Fall selbstverständlich „von der Exkommunikation auszugehen“ sei (Kirchenaustritt – Beweggründe und Rechtsfolgen, in: Stimmen der Zeit 225 [2007], 44–54, 51).
Der emeritierte Freiburger Kirchenrechtler Hartmut Zapp hingegen untermauerte seine gegenteilige Position durch einen medienwirksamen Coup, indem er kurzerhand selbst seinen Austritt aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts erklärte und zugleich beteuerte, der Kirche als Glaubensgemeinschaft weiterhin angehören zu wollen; seiner Auffassung nach beendet ein Kirchenaustritt „für den staatlichen Bereich die Kirchenmitgliedschaft, und zwar mit rein ‚bürgerlicher Wirkung’“, während der kirchliche Status „dadurch nicht berührt“ werde („Kirchenaustritt“ zur Vermeidung von Kirchensteuern – nun ohne Konsequenzen, in: Egler, Anna / Rees, Wilhelm [Hg.]: Dienst an Glaube und Recht / Festschrift für Georg May zum 80. Geburtstag [= Kanonistische Studien und Texte, 52], Berlin 2006, 673–707, 685).
Daß eine kirchenrechtliche Frage derart kontrovers, ja geradezu erbittert diskutiert wird, ist höchst ungewöhnlich. Grundlage dessen dürfte die schlichte Tatsache sein, daß es bei dieser Diskussion nicht (nur) um Inhalte, sondern (auch) um Geld geht – und zwar um viel Geld: Wenn es einem Katholiken tatsächlich möglich sein sollte, aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts auszutreten, ohne eine Beeinträchtigung seines Status’ in der Kirche als Glaubensgemeinschaft in Kauf nehmen zu müssen – dann wäre das in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Systems der Kirchenfinanzierung mittels Kirchensteuer in seinen Grundfesten erschüttert!
In diesem Fall wäre nämlich zu erwarten, daß sich künftig eine nicht unbedeutende Zahl von Katholiken aus dem bestehenden Kirchensteuersystem verabschieden würde, ohne sich von der Kirche als solcher zu verabschieden – und zwar keineswegs nur kirchenferne Katholiken, die sich ihrer unabhängig vom Kirchensteuersystem bestehenden Pflicht zur finanzielle Unterstützung der Kirche zu entziehen trachten, sondern auch und gerade die Treuesten der Treuen, die ganz bewußt selbst entscheiden wollen, welcher kirchlichen Institution bzw. welchem Projekt sie ihre finanzielle Unterstützung zukommen lassen.
Wer sich künftig mit der heiklen Frage nach der kirchenrechtlichen Bewertung des Kirchenaustritts nach staatlichem Recht befassen will, wird um die auf immerhin über vierhundert Seiten akribisch belegte Untersuchung von René Löffler nicht umhin kommen, die im Wintersemester 2005/2006 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn als Doktoratsdissertation angenommen wurde.
Ausgangspunkt der Untersuchung ist ein (hinsichtlich seiner formalrechtlichen Qualität und seiner inhaltlichen Reichweite durchaus strittiges) Schreiben der Päpstlichen Kommission für die Gesetzestexte vom 3. Mai 2005 über die Kriterien für das Vorliegen eines förmlichen Abfalls von der Kirche, das in einem (unter formalrechtlichem Aspekt nicht minder strittigen) Schreiben vom 13. März 2006 neuerlich bekräftigt wurde.
Demnach kann ein wie auch immer gearteter Kirchenaustritt dann und nur dann als förmlicher Abfall von der Kirche eingestuft werden, wenn er (erstens) aufgrund einer inneren Entscheidung zum Verlassen der Kirche als solcher erfolgt, (zweitens) nach außen hin kundgetan wird und (drittens) von der zuständigen kirchlichen Autorität, das heißt von Pfarrer oder Ordinarius, angenommen wird.
Zu Recht weist Löffler darauf hin, daß der gegenüber einer staatlichen Behörde erklärte Kirchenaustritt lediglich die „Aufgabe der Mitgliedschaft in einer körperschaftlich verfaßten Religionsgemeinschaft mit bürgerlicher Wirkung“ zum Ausdruck bringt und folglich „nach kanonischem Recht kein uneingeschränkter und unbedingter Trennungswille präsumiert werden [darf], da der objektive Inhalt der staatlichen Austrittserklärung darüber keine Aussage macht“ (253) – mit anderen Worten: daß einem Katholiken, der gegenüber einer staatlichen Behörde seinen Kirchenaustritt erklärt, kirchlicherseits nicht (länger) automatisch unterstellt werden darf, er wolle auch die Kirche als Glaubensgemeinschaft verlassen.
Dessen ungeachtet beharrt die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer Erklärung vom 24. April 2006 geradezu trotzig auf ihrer bisherigen Position: durch einen Kirchenaustritt nach staatlichem Recht werde zugleich auch „mit öffentlicher Wirkung die Trennung von der Kirche vollzogen“; „wer – aus welchen Gründen auch immer – den Austritt aus der katholischen Kirche erklärt, zieht sich die Tatstrafe der Exkommunikation zu“ und verliere unter anderem das Recht „zum Empfang der Sakramente und zur Mitwirkung in der Kirche“.
Daß das Schreiben der Päpstlichen Kommission für die Gesetzestexte vom 13. März 2006 (ungeachtet der strittigen Fragen um dessen formalrechtliche Qualität) von Papst Benedikt XVI. eigens approbiert wurde und insofern zweifelsfrei dem Willen des Nachfolgers Petri Ausdruck verleiht, scheint die deutschen Bischöfe nicht sonderlich zu stören: „Unter Berücksichtigung der deutschen [!] Rechtstradition“, heißt es im Vorwort ihrer Erklärung, halte man „an der geltenden [!] Rechtslage“ fest und „bestätigt die bewährte [!] Praxis“.
So unverblümt die deutschen Bischöfe in ihrer Erklärung Position bezogen haben, so unverblümt lautet das diesbezügliche Fazit Löfflers: „Mit der vorliegenden Erklärung setzt sich die DBK [= Deutsche Bischofskonferenz] über das kodikarische Recht nebst päpstlich autorisiertem Rundschreiben hinweg. […] Das Festhalten der DBK und der diözesanen Verwaltungen an der ‚bewährten Praxis’ bleibt rechtswidrig“ (358).
Und indem er sich eine bereits auf das Jahr 1970 zurückgehende Äußerung des inzwischen verstorbenen Bonner Kirchenrechtlers Heinrich Flatten zu Eigen macht, weist Löffler abschließend darauf hin: „Daß in dieser Konsequenz eine beachtliche Schädigung [des Kirchensteuersystems in der Bundesrepublik Deutschland] eintreten kann, ist nicht zu bestreiten, nur erlaubt uns das nicht, um dessentwillen dann irgendwie am Recht zu manipulieren“ (369).
In diesem Zusammenhang wird man allerdings fragen müssen, ob ein Überdenken bzw. eine Erneuerung des in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Kirchensteuersystems der Kirche als Glaubensgemeinschaft letztlich nicht nur nicht zum Schaden, sondern vielleicht sogar zum Segen gereichen könnte.
Gerade die glaubens‑, kirchen- und papsttreuen Katholiken sind es nämlich in zunehmendem Maß leid, mit ihrer Kirchensteuer desorientierte Theologen, entnervte Seelsorgsmanager, anarchistische Rätesysteme, inhaltsleere Papierberge, pseudoliturgische Spektakel, blasphemische Kirchenrenovierungen, entleerte Priesterseminare, destruktive Pastoralkonzepte, aufgeblähte Verwaltungsapparate und alberne Werbekampagnen finanzieren zu müssen.
Die eigentliche Bedrohung der Kirche in Deutschland besteht derzeit weniger in ihrer schwindenden Finanz- als in ihrer schwindenden Glaubenskraft.
Wolfgang F. Rothe wurde 1967 geboren und 1996 zum Priester geweiht. 2002 promovierte er an der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz in Rom zum Doktor des kanonischen Rechts.
Löffler, René: Ungestraft aus der Kirche austreten? / Der staatliche Kirchenaustritt in kanonistischer Sicht (= Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft, 38), Würzburg: Echter Verlag 2007, ISBN 978–3‑429–02888‑6, 429 Seiten, 42,- Euro.