von Manfred Müller
- Priester im Oratorium des Oratorium
des hl. Philipp Neri Leipzig
Bild: Privatarchiv
Der „Prätorianerpater“ Josef Gülden, so berichtete die Leipziger Gestapo ihren Düsseldorfer Kollegen, sei viel mit dem Motorrad unterwegs, auch sei der rührige Geistliche bei der Jugend sehr beliebt. Der junge Priester muß den Berichterstatter der Gestapo beeindruckt haben, sonst hätte dieser den Priester des Leipziger Oratoriums nicht (in Unkenntnis der Strukturen des katholischen Klerus) einer römischen Eliteeinheit, der kaiserlichen Prätorianergarde, zugeordnet.
Josef Gülden heute vor 100 Jahren, in Neuwerk (inzwischen nach Mönchengladbach eingemeindet) geboren. Er wuchs in einer kinderreichen Familie auf und erlebte schon bewußt die Notzeit des 1.Weltkrieges: „Als unauslöschliche Erinnerung blieb uns aus diesen Kindheitsjahren voll von Hunger, Not und Tod der Wert einer Schnitte Brot.“ in seiner Jugend war Gülden ein begeisterter Führer in der katholischen Schülerorganisation „Neudeutschland“ (ND). Als Obersekundaner (mit 16 Jahren) wurde er 1923 Gauleiter des Thomasgaues (am linken Niederrhein). Den politischen Standort der Mönchengladbacher Neudeutschen kennzeichnete er 1985 aus der Rückschau so: „Wir waren vaterländisch, aber Republikaner.“ Aus dem Verhalten Güldens im Umbruchjahr 1933 und auch später kann man schließen, daß diese pointierte Bejahung der Weimarer Republik glaubhaft ist. Was die Mönchengladbacher Bundesbrüder Güldens anbelangt, ist die Verallgemeinerung Güldens wohl nicht haltbar. Liest man die 1980 erschienenen Jugenderinnerungen des christdemokratischen NRW-Ministerpräsidenten Franz Meyers (Jg. 1908), der als Primaner fast zwei Jahre lang die Mönchengladbacher ND-Ortsgruppe führte, gewinnt man den Eindruck, daß die meisten eher unpolitisch waren.
Dagegen ist die betont nationale Einstellung der Neudeutschen nicht zu bezweifeln. Im Rahmen der Feiern „1000 Jahre deutsches Rheinland“ veranstalteten die Neudeutschen der belgisch und französisch besetzten rheinischen Gebiete zu Pfingsten 1925 in Aachen eine Tagung. Etwa 1000 Jungen ab Untersekunda marschierten durch die Stadt zum Münster: „zu Ehren unserer Heimat und unseres Vaterlandes“, so Gülden in der Einladung an die Bundesbrüder seines Gaues. Die Aufführung des Tellspiels von F.J. Weinrich am Abend dieses Tages habe in den Neudeutschen den Drang wachwerden lassen, „wie Tell dem Heimatlande Befreiung zu erwirken ‑nur daß wir‚s nicht mit dem Bogen in der Hand vermögen, sondern indem ein jeder von uns ein ganzer Mann wird, der für sein Vaterland seine Pflicht tut“, so Gülden damals in der Rückschau.
Gülden studierte Theologie. 1932 wurde er zum Priester geweiht und wirkte zunächst als Kaplan in Süchteln (Niederrhein). 1934 trat er in Leipzig in das Oratorium des hl. Philipp Neri ein, eine Priestergemeinschaft, der vom Bischof von Meißen die Liebfrauenpfarrei (eine Arbeitergemeinde in Leipzig-West mit einem Katholikenanteil von 2,5 % der Bevölkerung) anvertraut worden war. Als Student und als Priester übernahm Gülden im ND-Älterenbund (Studenten und Werktätige) Führungsaufgaben. Ab 1935 war er Geistlicher Bundesleiter und Schriftleiter der Bundeszeitschrift <em>Werkblätter</em>.
In seiner Pfarrei, die mit Vorstädten und Dörfern einen Durchmesser von 42 km hatte, war Gülden viel mit dem Motorrad unterwegs. Per Motorrad besuchte er auch zahlreiche ND-Gruppen. Daher die Charakterisierung durch die Leipziger Gestapo, die den Priester mißtrauisch beobachtete. Gülden war nämlich trotz seiner nationalen Einstellung (oder gerade deswegen) ein grundsätzlicher Gegner des Nationalsozialismus und auch ein Gegner der sog. Reichstheologie, die sich um einen Brückenschlag zum Nationalsozialismus bemühte.
Bei Kriegsbeginn 1939 war Gülden bereit, als Wehrmachtspfarrer seelsorglich tätig zu werden. Aber als Kaplan, bischöflicher Sekretär und Studentenseelsorger wurde er u.k. gestellt.
In den Kriegsjahren bewies Gülden immer wieder seinen Mut. Nach jedem Bombenangriff radelten er und die anderen Priester des Oratoriums durch den Stadtteil Plagwitz, um den Bombenopfern zu helfen. Mehreren getauften Juden rettete er durch seine einfallsreiche Hilfe das Leben. Als kirchliche Druckerzeugnisse nicht mehr genehmigt wurden, organisierte er den illegalen Druck kirchlicher Kleinschriften.
Nach Kriegsende war Gülden beteiligt, als die Oratorianer Wolgadeutsche vor dem Zugriff der Sowjets bewahrten. Diese Volksdeutschen wohnten und arbeiteten im Bereich der Liebfrauenpfarrei und sollten in die Sowjetunion „repatriiert“ werden. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion schleusten die Priester sie nach West-Berlin. Das brachte den Priestern die Verhaftung durch die Sowjets ein; Guldens Überzeugungskraft in den Verhören führte zur Freilassung der Geistlichen.
Die größte Breiten- und Tiefenwirkung hatte Güldens seelsorgliche Arbeit zu Zeiten der „DDR“. Um die Diaspora-Katholiken gegen die atheistische Propaganda zu immunisieren, nutzte Gülden die publizistischen Möglichkeiten, die das Regime der Kirche noch gewährte, erfindungsreich aus. Er war Mitbegründer des St.Benno-Verlags in Leipzig, in dem die Kirchenzeitung <em>Tag des Herrn</em> und katholisches Schriftum erschien. Als Cheflektor und Chefredakteur gab Gülden für den Auf- und Ausbau katholischer Gemeinden und für die katholische Lebensgestaltung in der „DDR“-Diaspora immer wieder Anregung und Ermutigung.
Zwei Beispiele für seine publizistische Tätigkeit: 1952 gab Gülden das Gebetbuch „Lehre uns beten“ heraus, ein Musterbeispiel für den Zusammenhang, den er zwischen Gebetsleben und Weltverantwortung des Christen sah. Ab 1952 erschien im Auftrage der Bischöfe unter Güldens Schriftleitung (bis 1980) ein <em>Katholisches Hausbuch</em> für die Katholiken der „DDR“. Es stand jeweils unter einem anderen Jahresthema, enthielt Beiträge, die auf vielfältige Weise der Wissenserweiterung und Glaubensvertiefung dienten und war hervorragend bebildert. Im westlichen Teil Deutschlands gab es nichts, was gleichwertig gewesen wäre. Aber ganz ohne winzige Zugeständnisse an die kommunistischen Behörden, die für die Druckerlaubnis zuständig waren ging es nicht ab. Etwa im Kalendarium. So hieß es dort z.B. im Jahrbuch 1964: „13.8.1961 Die Maßnahmen der Regierung der DDR zum Schutze der Staatsgrenzen retten den Frieden in Europa“. Doch kaum ein Katholik dürfte diese Propagandasprache nicht durchschaut haben.
Beim II. Vatikanischen Konzil war Gülden als Liturgieexperte Berater des Bischofs von Meißen und hatte Einfluß auf die liturgischen Reformen. Liest man heute, was Gülden nach dem Konzil über die Zukunftsperspektiven der Kirche schrieb, wird man unschwer erkennen, daß Gülden die Auswirkungen der Konzilsbeschlüsse zu optimistisch sah.
Die Liturgie war für Gülden Quelle und Gipfel seines Lebens. Wenn er mit seiner strahlenden Tenorstimme bei feierlichen Gottesdiensten die liturgischen Gesänge vortrug, waren die Gläubigen ebenso beeindruckt, wie es in seinen jungen Jahren die Neudeutschen gewesen waren, wenn Gülden mit ihnen die Lieder der deutschen Jugendbewegung sang. Ebenso konnte er mit seinen Predigten die Zuhörer tief beeindrucken, ob sie nun Akademiker oder Arbeiter waren.
Die faszinierende Wirkung Güldens als Gesprächspartner beruhte darauf, daß er viel Verständnis für die Menschen mitbrachte, besonders für diejenigen, die nicht mehr glauben konnten und sich von der Kirche getrennt hatten, oder für diejenigen, die als Suchende und Fragende innerhalb der Kirche zu ihm kamen. Wer mit Gülden sprach, merkte, daß dieser Priester nie seine rheinische Prägung verloren hatte. Er liebte seine niederrheinische Heimat sehr. Aber bei aller Liebe zu Landschaft und Menschen des Niederrheins blieb Gülden auch nach der Wende in Leipzig: „Ich kann hier nicht weggehen.“ In Leipzig starb Josef Gülden am 23. Januar 1993 und wurde dort auch begraben.