Die sperrigen Weisungen der Madonna von Fatima werden vom Papst für sein Programm umgedeutet.
Eine Nachlese zu Gebeten und Predigten von Franziskus zur Hundertjahrfeier im portugiesischen Heiligtum von Hubert Hecker.
Die Botschaften der Gottesmutter an die drei Hirtenkinder von Fatima sind eindeutig: Rosenkranzgebet und Buße, Umkehr und Aufstieg zum Kreuz. Denn Sünde und Unmoral der Menschen führen hier auf Erden zu Kriegen, Not und Kirchenverfolgung sowie nach dem Tod zu höllischen Strafen. Die Königin des Rosenkranzes ruft zu Beten und Beichten auf, zu Kommunionempfang und Sühne für eigene Sünden und die der Welt. Die Madonna fordert die Weihe Russlands an ihr unbeflecktes Herz sowie die Abhaltung von Sühne-Samstagen.
Die Spiritualität von Umkehr, Opfer und Buße gilt nicht mehr als opportun…
Die Weisungen der Madonna von Fatima sind sperrig für die Kirche nach dem Konzil. Der Geist von Opfer und Buße, die Realitäten von Sünde und den daraus folgenden Höllenstrafen sind nicht mehr kirchlich opportun. Insbesondere zum Programm von Papst Franziskus stehen die Fatima-Botschaften quer.
Man fragte sich im Vorfeld des Papstbesuches zum 100jährigen Erscheinungsjubiläum: Wird Franziskus sich die Gebets‑, Buß- und Sühneaufrufe der Gottesmutter zu eigen machen und der Welt erneut eindringlich verkünden? Oder wird er die Fatima-Botschaften für seine eigenen Anliegen umbiegen?
Das Gebet von Papst Franziskus in der Erscheinungskapelle am 12. Mai und die anschließende Ansprache gaben eine Antwort auf diese Frage: In verschiedenen Gebets- und Predigtpassagen wurden die Forderungen der Gottesmutter und die Visionen der Seherkinder weginterpretiert oder für das päpstliche Programm umgedeutet:
„…ich komme als ein Prophet und Bote, um allen die Füße zu waschen an demselben Tisch, der uns vereint.“ Das Kirchenoberhaupt sieht sich gern als Führer der gesamten Menschheit. Und dafür will er auch die Gottesmutter einspannen: „Du vereinst uns alle in einer einzigen Menschheitsfamilie“.
… stattdessen Menschheitspolitik durch grenzenlose Migration
Die beiden früh verstorbenen Seherkinder Francisco und Jacinta hatten im Geist von Sühnegebeten und Aufopferung ihrer Leiden gelebt und gehandelt. Darin sahen sie den „schmalen Weg“ zum Heil. Franziskus versuchte „dieses Beispiel“ der beiden Heiliggesprochenen auf sein Programm umzumünzen mit den Worten: „…so werden wir jeden Pfad beschreiten, auf allen Wegen pilgern, alle Mauern niederreißen und jede Grenze überwinden, wenn wir zu den Peripherien hinausgehen und die Gerechtigkeit und den Frieden Gottes kundtun.“
Aus dem schmalen Pfad zum Kreuz macht Franziskus seine Lieblingswege und ‑worte: Zu den Peripherien hinausgehen – aber nicht zur Missionierung, denn die lehnt er als Proselytenmacherei ab. Und was haben die Worte vom ‚Niederreißen aller Mauern’ mit der Spiritualität der Seherkinder zu tun? Was soll man mit der ‚Überwindung alle Grenzen’ assoziieren? Offensichtlich ist damit eine Hinlenkung zu Franziskus’ grenzenloser Migrationspolitik angedeutet. So wurde es jedenfalls von einem Journalisten verstanden, der beim Rückflug den Papst darauf ansprach.
Freude des Evangeliums durch die im Kriegsblut gewaschenen Kirchengewänder?
Im nächsten Gebetsabschnitt führt der Papst theologische Mystifizierungen vor, wobei er seine Hauptenzyklika in den Vordergrund schiebt: In der „Freude des Evangeliums“ würden „wir die in Weiß gekleidete Kirche sein mit den Gewändern, die im Blut des Lammes rein gewaschen wurden, das auch heute vergossen wird in den Kriegen, welche unsere Welt zerstören“.
Hier wird mit einem vieldeutigen Schachtelsatz ein Turm der Bedeutungsverwirrung aufgebaut: Mit der Metapher der Johannesoffenbarung von den Weißgekleideten sind allerdings die Erlösten nach „der großen Bedrängnis“ gemeint, nicht die pilgernde, bedrängte und verfolgte Kirche auf Erden. Und das reinigende Blut des Erlösers, der sich selbst als Pascha-Lamm „für die Sünden der Welt“ geopfert hat, ist nicht identisch mit dem Blutvergießen durch die heutigen zerstörerischen Bombenkriege. Denn entsprechend der Fatima-Botschaft erwachsen die Kriege aus den Sünden der Menschen.
Die Allbarmherzigkeitslehre macht Mariens Fürsprache für uns Sünder überflüssig
Nach dem Gebet in der Erscheinungskapelle hielt Franziskus eine Ansprache an die Pilger bei der Segnung der Kerzen. In diesem Zusammenhang kam der Papst auf den Komplex Sünde zu sprechen – ein zentrales Thema von Fatima. Um Sünder geht es auch in der Hauptbitte des Ave Maria, mit der die Muttergottes um Fürsprache bei ihrem Sohn gebeten wird. Seit dem 12. Jahrhundert betet die Christenheit: „Ora pro nobis peccatoribus ad Dominum“. Aber weder in dem oben erwähnten Gebet noch in seinen Predigten ist dem Papst diese traditionelle Bitte um die Fürsprache Mariens für uns Sünder über die Lippen gekommen.
Insbesondere die Wendung „für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes“ scheint mit der neuen päpstlichen Lehre von der Allbarmherzigkeit Gottes nicht vereinbar zu sein. Die erbetene Fürsprache „in der Todesstunde“ setzt die Erwartung von Gottes Gericht voraus. Denn die Bitte geht vom Glauben aus, dass der erhöhte Herr als gerechter „Richter über Lebende und Tote“ eingesetzt ist. Dabei wird die Muttergottes angerufen, ihren Sohn um Barmherzigkeit für uns Sünder zu bitten. Dieses Bittgebet entwertet Franziskus als „subjektive Empfindung“ der Gläubigen. Darüber hinaus verzerrt er die Fürbitte Mariens zu einer Karikatur: Als wenn darum gebetet würde, dass die Fürsprecherin dem „grausamen Richter“ in den strafenden „Richterarm Gottes“ fallen sollte. Welcher Gläubige denkt denn so was?
Hintergrund für die päpstliche Abneigung gegen die marianische Fürbitte und Fürsprache zugunsten der Sünder ist seine neue Lehre der sola misericordia. Bei Franziskus’ Barmherzigkeitstheologie ist das Verhältnis zwischen Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit aus den Fugen geraten. Danach ist Gottes Gericht nicht von der „Lilie der Barmherzigkeit“ zur Rechten und dem „Schwert der Gerechtigkeit“ zur Linken charakterisiert, wie es in den Bildern der alten Meister dargestellt ist. Dagegen behauptet Franziskus: „Die Barmherzigkeit ist dem Gericht übergeordnet“.
Diese theologische These läuft darauf hinaus, dass Gottes Barmherzigkeit allein gerichtsentscheidend wäre. Gerechtigkeit spielte dann keine Rolle mehr, es gäbe keine Strafen und erst recht keine Höllenstrafen, wie sie die Muttergottes den Seherkindern während der dritten Erscheinung am 13. Juli 1917 zeigte.
Frappierende Ähnlichkeit mit der lutherischen Irrlehre
Tatsächlich eliminiert Franziskus in seinen folgenden Ausführungen Gerechtigkeit und gerechte Strafe vollständig aus dem göttlichen Gericht: Schon mit seinem Kreuzestod habe „Jesus die Folgen unserer Sünde mit der gerechten Strafe (selbst) auf sich genommen. Er leugnet die Sünde nicht, er hat sie vielmehr am Kreuz für uns bezahlt. Und so sind wir im Glauben, der uns mit dem Kreuz Christi verbindet, von unseren Sünden frei.“
Die Aussage knüpft an biblische Stellen: Christus hat für die Vergebung unserer Sünden am Kreuz sein Blut vergossen (Mt 26,28); er hat mit seiner Passion den Schuldschein zerrissen oder ans Kreuz geheftet (Kol 2,14). Aber keineswegs sind damit die Getauften für immer „von Sünden frei“. Entscheidend ist der Hinweis auf die „Vergebung unserer Sünden“, die uns Christus verspricht, wenn wir sie aufrichtig in der Beichte bereuen und bekennen. Das ist die biblisch-katholische Lehre seit jeher.
Dagegen hat die von Papst Franziskus versprochene Sündenfreiheit im Glauben an das Kreuz frappierende Ähnlichkeit mit der lutherischen Irrlehre – bis in die Wortwahl hinein. Die entscheidende Neu-Lehre von Martin Luther bestand in Folgendem: Allein ein Glaubsenakt mit dem Inhalt, dass Christus am Kreuz alle meine Sünden auf sich gezogen habe, würde den sündigen Christen von allen Sünden befreien. Luther verneinte ausdrücklich die sakramentale Sündenvergebung durch Taufe oder Beichte, allein der Glaube an Christi Sündenübernahme bringe Heil und Heilsgewissheit.
In diesem theologischen Konstrukt haben Sakramente und Beichte keinen Platz mehr. Auch Gottes Gericht verändert seinen Charakter. Bei Heilssicherheit allein durch Glauben sind alle Bitten um Gottes Erbarmen überflüssig. Sie seien sogar als schädlich anzusehen, meinte Luther, insofern sie zweifelnde Unsicherheit über die heilssichere Glaubenswirkung bedeuten würden. Auf dem Hintergrund ist für Luther erst recht die Fürsprache der Gottesmutter „für uns Sünder“ anstößig. Und so schließt sich der Kreis zu Franziskus’ Argumentation. Denn wenn Gottes Allbarmherzigkeit dem Gericht übergeordnet wäre oder gar allein das göttliche Handeln bestimmte, dann hätten die Fürsprache der Gottesmutter und die Erbarmensrufe in der hl. Messe in Kyrie, Gloria und Agnus Dei ihren Sinn verloren.
Text: Hubert Hecker
Bild: Vatican.va (Screenshot)