„Goldenes Zeitalter“ der muslimischen Herrschaft auf Sizilien? Erfindung eines politisierten Historikers


Muslimische Eroberung von Syrakus
Muslimische Eroberung von Syrakus (878)

Stimmt es wirk­lich, daß in den Jah­ren, in denen die Mus­li­me die Her­ren von Sizi­li­en waren, auf der Insel Tole­ranz und Frie­den herrschten?

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Die Ant­wort scheint auf­grund des­sen, was man land­läu­fig über die mus­li­mi­sche Herr­schaft in euro­päi­schen Län­dern behaup­tet, ein­deu­tig aus­zu­fal­len, stimmt aber nicht.

Historische Fakten

Zunächst eini­ge Fak­ten. Die Mus­li­me konn­te nur Her­ren von Sizi­li­en wer­den, weil ihnen Chri­sten aus Macht­in­ter­es­sen die Tore geöff­net haben. Sizi­li­en gehör­te im Früh­mit­tel­al­ter zum Byzan­ti­ni­schen Reich. Seit 740 ver­such­ten die Mus­li­me erfolg­los die Insel zu erobern. 812 gelang ihn nur die Erobe­rung von Lam­pe­du­sa. Einer Insel, die auch heu­te wie­der eine nicht unbe­deu­ten­de Rol­le spielt. 826 über­warf sich Kai­ser Micha­el II. mit Euphe­mi­os, einem Turm­ar­chen (Befehls­ha­ber) der byzan­ti­ni­schen Flotte.

Euphe­mi­os stamm­te aus einer der reich­sten Fami­li­en Sizi­li­ens. Der Kai­ser beschul­dig­te ihn, eine Ordens­frau aus einem Klo­ster ent­führt und gehei­ra­tet zu haben. Er setz­te Euphe­mi­os ab und woll­te ihn ver­haf­ten las­sen. Die­ser zet­tel­te auf Sizi­li­en eine Rebel­li­on gegen den byzan­ti­ni­schen Kai­ser an und rief sich selbst zum Kai­ser von Sizi­li­en aus. Die Rebel­li­on war erfolg­reich, weil sich das Reich damals in einer Schwä­che­pha­se befand. Als eini­ge sei­ner Statt­hal­ter gegen ihn selbst rebel­lier­ten, und um sei­ne Stel­lung gegen­über dem Kai­ser hal­ten zu kön­nen, rief er den Emir von Tunis zu Hil­fe. Im Gegen­zug erkann­te er für Sizi­li­en die Ober­ho­heit des Emirs an, dem er sich zu Tri­but­zah­lun­gen verpflichtete.

Wäh­rend Euphe­mi­os im Kampf um sei­ne Macht fiel, nütz­ten die her­bei­ge­ru­fe­nen Mus­li­me die Gele­gen­heit und erober­ten die Insel Dank sei­ner Hil­fe. Die christ­li­che Bevöl­ke­rung lei­ste­te gegen die mus­li­mi­schen Erobe­rer hef­ti­gen Wider­stand und muß­te einen hohen Blut­zoll bezah­len. Im Osten und Nord­osten der Insel konn­ten sich die Chri­sten noch lan­ge hal­ten. Die Mus­li­me konn­ten erst 965 die letz­te christ­li­che Stel­lung erobern. Der Groß­teil der Insel stand jedoch 150–200 Jah­re unter isla­mi­scher Herr­schaft, bis die Nor­man­nen 1061 mit der Rück­erobe­rung began­nen. Hat­ten die Mus­li­me es in 230 Jah­ren nicht geschafft, den letz­ten christ­li­chen Wider­stand zu bre­chen, gelang es den Nor­man­nen inner­halb von 30 Jah­ren die gesam­te Insel zu befreien.

Soweit die Fak­ten. Wie stand es nun aber mit der isla­mi­schen Herrschaft?

Michele Amari, verpolitisierter Historiker

Bei der Beant­wor­tung die­ser Fra­ge wird in der Regel auf den Histo­ri­ker und Ori­en­ta­li­sten Miche­le Ama­ri ver­wie­sen. Ama­ri (1806–1889), der auch Mit­glied der Baye­ri­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten war, zeich­ne­te mit sei­nem drei­bän­di­gen Haupt­werk die „Geschich­te der Mus­li­me von Sizi­li­en“ (1853–1873), das 1942 mit dem Titel „Die Mus­li­me in Sizi­li­en“ eine Neu­auf­la­ge erleb­te. Ama­ri leg­te dar­in den Grund­stein zu einer ver­klär­ten Sicht der mus­li­mi­schen Herr­schaft auf Sizi­li­en, die er gera­de­zu als strah­len­de Zeit dar­stell­te. Der gebür­ti­ge Sizi­lia­ner war ein erklär­ter Geg­ner der bour­bo­ni­schen Herr­schaft in Süd­ita­li­en und der Kir­che. Als Frei­mau­rer und Anhän­ger der radi­ka­len Ideen Giu­sep­pe Mazz­inis muß­te er nach Paris ins Exil gehen. 1860 mit Giu­sep­pe Gari­bal­di zurück­ge­kehrt, wur­de er des­sen Mini­ster, als Gari­bal­di auf Sizi­li­en eine Dik­ta­tur errich­te­te. Nach der ita­lie­ni­schen Eini­gung wur­de er Sena­tor auf Lebens­zeit und ita­lie­ni­scher Unterrichtsminister.

Inwie­weit ist aber Ama­ris Dar­stel­lung histo­risch zutref­fend, der die mus­li­mi­sche Herr­schaft als ein „gol­de­nes Zeit­al­ter“ schilderte?

Sagen wir es ein­mal so: Ama­ri war ein gro­ßer Intel­lek­tu­el­ler sei­ner Zeit. Mehr noch war er aber ein Poli­ti­ker. Sei­ne Kul­tur war Toch­ter jenes Emp­fin­dens, das vie­le Män­ner des 19. Jahr­hun­derts präg­te. Ihr gro­ßes Anlie­gen war der Kampf gegen die Tra­di­tio­nen und die poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se ihrer eige­nen Län­der und Völ­ker. Sie sahen dar­in Obsku­ran­tis­mus, den sie nach Kräf­ten bekämpf­ten. Dazu gehör­te für sie auch die katho­li­sche Kirche.

Der erklär­te Anti­kle­ri­ka­le war auch Frei­mau­rer. Als sol­cher waren ihm die Kir­che und deren Ein­rich­tun­gen ein rotes Tuch. Die Abnei­gung war so groß, daß schon mal die Siche­run­gen durch­ge­hen konnten.

Es darf daher nicht ver­wun­dern, daß auch sei­ne Arbeit als Histo­ri­ker von sei­nen star­ken ideo­lo­gi­schen und kul­tu­rel­len Vor­ur­tei­len beein­flußt wur­de. Wie mein­te schon Goe­the, die Geschich­te zu schrei­ben, sei eine Art, sich der Ver­gan­gen­heit zu ent­le­di­gen. Bei Ama­ri ging das soweit, daß sei­ne Abnei­gung gegen sein christ­li­ches Sizi­li­en dazu führ­te, eine Ver­gan­gen­heit „wie­der­zu­ent­decken“, die ihm zur Recht­fer­ti­gung sei­ner eige­nen Ideen diente.

Kathedrale von Palermo, im Ursprung eine Kirche, dann in eine Moschee umgewandelt (Teil recht im Bild), dann wieder eine Kirche und prächtig erweitert
Kathe­dra­le von Paler­mo, im Ursprung eine Kir­che, dann in eine Moschee umge­wan­delt (Teil rechts im Bild), dann wie­der eine Kir­che und präch­tig erweitert

Da Ama­ri Was­ser auf die Müh­len sei­ner eige­nen Welt­an­schau­ung lei­ten woll­te, befaß­te er sich beson­ders mit einer – glück­li­cher­wei­se nur kur­zen – Epo­che der sizi­lia­ni­schen Geschich­te, der mus­li­mi­schen Herr­schaft, die er unver­hält­nis­mä­ßig posi­tiv auf­bläh­te, um sie in einen umso radi­ka­le­ren Gegen­satz zur christ­lich-mon­ar­chi­schen Zeit zu set­zen, die er über­win­den woll­te. Er pro­ji­zier­te das, was er selbst poli­tisch anstreb­te, in die Ver­gan­gen­heit, um zu sagen: Das sol­le und wol­le man wie­der anstre­ben. Die Mus­li­me waren dabei mehr ein zufäl­li­ges Mit­tel zum Zweck.

Trotz neuem Wissensstand hartnäckige Verklärung

Da sich die Geschichts­schrei­bung bis dahin nicht mit der mus­li­mi­schen Zeit befaßt hat­te, wur­de die ver­klär­te Dar­stel­lung des nam­haf­ten Intel­lek­tu­el­len wider­spruchs­los hin­ge­nom­men und kann bis heu­te nachwirken.

Inzwi­schen sieht es anders aus. Nam­haf­te Histo­ri­ker haben sich in jün­ge­rer Zeit der isla­mi­schen Zeit auf Sizi­li­en ange­nom­men und ein deut­lich dif­fe­ren­zier­te­res Bild ent­ste­hen las­sen. Die Bücher „Das mus­li­mi­sche Sizi­li­en“ von Ales­san­dro Vano­li und „Die Insel Allahs“ von Sal­va­to­re Tra­mon­ta­na haben eine Bre­sche in die bis­he­ri­ge Geschichts­sicht geschla­gen. Sie haben die para­die­si­sche Sicht­wei­se Ama­ris nicht nur ent­zau­bert, son­dern weit­ge­hend zer­schla­gen. Wenn sich Ama­ris ver­klär­tes Bild des mus­li­mi­schen Sizi­li­ens den­noch so hart­näckig hal­ten kann, dann wie­der­um mehr aus poli­tisch-ideo­lo­gi­schen und nicht aus wis­sen­schaft­li­chen Gründen.

Keh­ren wir also zur anfäng­lich gestell­ten Fra­ge zurück: Stimmt es wirk­lich, daß in den Jah­ren, in denen die Mus­li­me die Her­ren von Sizi­li­en waren, auf der Insel Tole­ranz und Frie­den herrsch­ten? Laut heu­ti­gem Wis­sens­stand steht fest, daß Ama­ris The­se einer kri­ti­schen Über­prü­fung nicht standhält.

Das Dhimmi-System und der Pakt von Umar

Sizi­li­en war unter der Herr­schaft des Islams mit­nich­ten tole­ran­ter. Es war ein Land, in das sich Erobe­rer gewalt­sam fest­ge­setzt und die ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung gewalt­sam unter­wor­fen hat­ten. Allein die 140 Jah­re andau­ern­den mili­tä­ri­schen Kämp­fe wei­sen bereits dar­auf hin, daß das isla­mi­sche Sizi­li­en alles ande­re als ein Idyll war. Die Chri­sten lei­ste­ten hart­näcki­gen Wider­stand. Sie wuß­ten war­um. Im Jahr­hun­dert zuvor hat­ten sie oft genug blu­ti­ge Erfah­rung mit isla­mi­schen Plün­de­rern und Erobe­rern gemacht. Die Mus­li­me errich­te­ten ein har­tes Regi­ment gegen die Chri­sten. Vor allem waren sie mit­nich­ten des­in­ter­es­siert an einer Isla­mi­sie­rung der Insel. Die Insti­tu­tio­nen der Insel wur­den eben­so isla­mi­siert wie die Archi­tek­tur. Die Errich­tung eines isla­mi­schen Emi­rats und die Umwand­lung von Kir­chen, aber auch Syn­ago­gen in Moscheen zeigt eine kla­re Stoß­rich­tung. Die Isla­mi­sie­rung rich­te­te sich nicht nur auf Ein­rich­tun­gen, son­dern noch weit mehr auf die Menschen.

Auf mehr oder weni­ger stren­ge Wei­se wur­de die Dhim­ma oder der Aman prak­ti­ziert, der von Kalif Omar ein­ge­führt wur­de, jenem isla­mi­schen Herr­scher, der die berühm­te Biblio­thek von Alex­an­dria in Brand stecken­ließ, eines der größ­ten Ver­bre­chen der Welt­ge­schich­te gegen das gei­sti­ge Erbe der Menschheit.

Das isla­mi­sche Recht, die Scha­ria, gesteht Nicht-Mus­li­men nur die Mög­lich­keit zu, zum Islam über­zu­tre­ten oder zum Dhim­mi zu wer­den, andern­falls droht die Todes­stra­fe oder im bes­se­ren Fall die Ver­trei­bung. Die Dhim­ma ist die Rechts­form, die es Nicht-Mus­li­men erlaubt, stän­dig in der isla­mi­schen Welt zu leben. Es sicher­te ihnen ein „Recht auf Leben“ zu. Der Aman ist die Rechts­form, die es Nicht-Mus­li­men aus dem Dar al-Harb, der nicht-mus­li­mi­schen Welt, vom Islam als „Haus des Krie­ges“ bezeich­net, vor­über­ge­hend erlaubt in der isla­mi­schen Welt zu leben. Zwi­schen dem Dar al-Harb und der isla­mi­schen Welt, dem Dar al-Islam kann nach isla­mi­scher Leh­re nie Frie­den herr­schen, besten­falls ein vor­über­ge­hen­der Waffenstillstand

Bei­de Rechts­for­men zwi­schen den Nicht-Mus­li­men füh­ren zur Unter­wer­fung unter eine Rei­he von ein­schrän­ken­den und zum Teil auch demü­ti­gen­den Bedin­gun­gen. Das Dhim­mi-System wur­de auch auf die Chri­sten und Juden Sizi­li­ens ange­wandt. Dazu gehör­te auch zwangs­wei­se auf­er­leg­te Klei­der­be­stim­mun­gen für Chri­sten und Juden, um sie in der Öffent­lich­keit für jeden Mus­li­men kennt­lich zu machen. Von den mus­li­mi­schen Zwangs­maß­nah­men rührt die gel­be Far­be in der Klei­dung für Juden her, die erst­mals im 9. Jahr­hun­dert auf Sizi­li­en belegt ist, und als Anlei­he beim Islam von den Natio­nal­so­zia­li­sten in Form eines gel­ben David­sterns auf­ge­grif­fen wurde.

Um sich die ein­ge­schränk­ten Rech­te zu sichern, zual­ler­erst das Recht über­haupt noch leben zu dür­fen, muß­te jeder Dhim­mi eine Kopf­steu­er bezah­len, die Dschi­zya. Hat­te er zudem Besitz, zum Bei­spiel Grund und Boden, dann hat­te zusätz­lich eine Grund­steu­er (Kha­rag) bezahlt zu wer­den, die von den Mus­li­men nicht bezahlt wer­den muß­te. Es waren vor allem die Ein­schrän­kun­gen des „Pak­tes von Umar“ (Omar), die auf den Dhim­mis laste­ten. 17 extrem bela­sten­de Ver­bo­te und teil­wei­se sogar demü­ti­gen­de Bestim­mun­gen hat­ten laut Pakt ein­ge­hal­ten zu werden.

Dazu gehör­te das Ver­bot, den eige­nen Glau­ben öffent­lich beken­nen zu kön­nen, das Ver­bot Kir­chen oder Syn­ago­gen errich­ten oder bestehen­de reno­vie­ren zu dür­fen. Man­che betra­fen direkt das Pri­vat­le­ben der Ein­zel­nen. Dhim­mis waren ver­pflich­tet, Mus­li­me auf­zu­neh­men und zu bewir­ten, wenn die­se es for­der­ten. Sie muß­ten den Platz für Mus­li­me frei­ma­chen. Demü­ti­gend bei­spiels­wei­se war der Zwang, sich den Vor­der­kopf zu sche­ren. Von der beson­de­ren Klei­der­ord­nung war bereits die Rede.

Die Ein­hal­tung der Bestim­mun­gen wur­de nicht immer gleich streng gehand­habt und die Steu­er­last wur­de zum Vehi­kel der Isla­mi­sie­rung, die als Dau­men­schrau­be manch­mal ange­zo­gen, manch­mal gelockert wur­de. Je nach­dem, wel­ches Ziel gera­de ver­folgt wur­de, ob man vie­le Mus­li­me haben woll­te, oder hohe Steuereinnahmen.

Die­se drücken­de Situa­ti­on war weit ent­fernt von einem Staat der Tole­ranz und des Frie­dens, wie ihn Ama­ri aus den genann­ten Grün­den fälsch­lich skiz­zier­te. Sie erklärt auch den außer­ge­wöhn­li­chen Erfolg der nor­man­ni­schen Befrei­ung der Insel, die mit der Recon­qui­sta der ibe­ri­schen Halb­in­sel zu ver­glei­chen ist.

Höch­stens tau­send schwe­re nor­man­ni­sche Rei­ter setz­ten auf die Insel über, beglei­tet von einer unbe­kann­ten Schar von Fuß­volk. Mag sein, daß sie die inner­is­la­mi­schen Strei­te­rei­en geschickt nütz­ten. Sie allein hät­ten aber nie die isla­mi­schen Trup­pen besie­gen kön­nen, ohne die Hil­fe der ein­hei­mi­schen christ­li­chen Bevölkerung.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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