(Tokio) Amerikanische und japanische Regierungsquellen bestätigen, daß US-Präsident Barack Obama beabsichtigt, Hiroshima zu besuchen, eine der beiden 1945 durch eine US-Atombombe zerstörten japanischen Städte. Eine Entschuldigung für den Atombombenabwurf sei „nicht vorgesehen“, heißt es in Washington.
Für Ende Mai ist ein Besuch des US-Präsidenten in Japan vorgesehen. Es liege auch die Idee in der Luft, wie es übereinstimmend in Washington und Tokio heißt, daß Obama eine der beiden durch eine Atombombe der USA zerstörten japanischen Städte besuchen werde. Obama war gleich nach seinem Amtsantritt mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Sein einziger „Verdienst“, wie Kritiker der ungewöhnlichen Vorschußlorbeeren damals meinten, habe darin bestanden, die Ära seines republikanischen Amtsvorgängers George W. Bush beendet zu haben.
„Besuch von enormem symbolischem Wert für eine atomwaffenfreie Welt“
Yoshihid Suga, japanischer Kabinettssekretär, teilte mit, daß Japans Ministerpräsident Shinzo Abe “bereit ist, den Gast bei seinem Besuch zu begleiten, der einen enormen symbolischen Wert hätte, angesichts des Bemühens um eine atomwaffenfreie Welt“. Der Besuch solle im Rahmen des G7-Gipfels stattfinden, der für den 26./27. Mai in der japanischen Präfektur Mie abgehalten wird.
Unklar ist noch der genaue politische Kontext, in dem der Besuch Hiroshimas stattfinden soll. Die USA befinden sich mitten im Wahlkampf, der über Obamas Nachfolge entscheiden wird. Viele US-Amerikaner sind auch 71 Jahre nach der Atomkatastrophe der Überzeugung, daß die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki ein „notwendiges Übel“ gewesen seien, um den Zweiten Weltkrieg siegreich zu beenden.
„Entschuldigung nicht grundlegend“
In Tokioter Regierungskreisen zeigt man sich erstaunlich entgegenkommend: „Die Sache ist äußerst heikel. Aus diesem Grund haben wir das amerikanische Staatsoberhaupt bereits wissen lassen, daß unsere Regierung eine Entschuldigung für die Opfer der Bomben beim Besuch in Hiroshima nicht für grundlegend hält.“
Der Atombombenangriff auf Hiroshima erfolgte am 6. August 1945. Der Zweite Weltkrieg war in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reichs schon seit drei Monaten zu Ende. Am 9. August folgte der Atombombenangriff auf Nagasaki. Es handelt sich um die bisher einzigen Atomwaffeneinsätze in einem Krieg. Die Auswirkungen waren verheerend. Die beiden Städte wurden regelrecht vom Erdboden gefegt.
Unmittelbar nach der Atomexplosion starben rund 140.000 Menschen. Die genaue Zahl der Folgeopfer durch Verletzungen und die radioaktive Verseuchung läßt sich nur schätzen, wird aber weitgehend mit 220.000 angegeben. Am 15. August wurde der Erlass des japanischen Kaisers „zur Beendigung des Krieges“ im Radio gesendet, den er bereits einige Tage zuvor aufgezeichnet hatte.
Am 2. September unterzeichnete auch Japan die bedingungslose Kapitulation. Manche Stimmen vertreten den Standpunkt, daß damit die Bedingungen gegeben seien, den Atombombeneinsatz gegen Hiroshima und Nagasaki als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. Kriegsverbrechen der Sieger werden allerdings nicht geahndet.
„Entschuldigung nicht vorgesehen“
Die US-Regierung vertritt bis heute den Standpunkt, daß der Atombombenabwurf notwendig war, um den Zweiten Weltkrieg auch in Ostasien zu beenden. Zahlreiche Historiker sind hingegen der Ansicht, daß Japan zum Zeitpunkt des Atombombeneinsatzes bereits kapitulationswillig war. Die Zerstörungen seien daher keine kriegsnotwendige Handlung gewesen. Ihr Ziel sei nicht die Beendigung des Krieges, sondern die bedingungslose Kapitulation gewesen. Es sei zudem eine Gelegenheit gewesen, die Wirkung von Atombomben zu testen.
Bereits am 9. Juli hatte Japans Botschafter in Moskau, um Friedensverhandlungen gebeten. Japans Kapitulationsbereitschaft war Diskussionsgegenstand bei der Potsdamer Konferenz der alliierten Siegermächte, die am 17. Juli begann. General Dwight D. Eisenhower, Oberkommandant der alliierten Streitkräfte an der Westfront in Europa und von 1953 bis 1961 selbst US-Präsident, betonte später, der 1945 amtierende US-Präsident Truman habe den Atombombeneinsatz trotz seines Abratens befohlen.
Mit der bedingungslosen Kapitulation wurde Japan von den USA besetzt. Mehrere Jahre galt ein striktes Verbot über den Atombombeneinsatz und seine Folgen zu sprechen. Die US-Besatzungsmacht übte eine rigide Zensur aus. Erst nach 1948 wurden den Japanern langsam Details bekannt.
Das Gedenken an die Opfer spielt in Japan eine wichtige Rolle. 2007 hatte der japanische Verteidigungsminister die Atombombenabwürfe indirekt zu rechtfertigen versucht. Sie hätten dem japanischen Volk „ein Schicksal wie Deutschland erspart“. Gemeint waren Gebietsverluste, Vertreibung, Teilung und ein Kriegsverbrecherprozeß wie in Nürnberg. Die Empörung der Japaner über diesen Rechtfertigungsversuch war so groß, daß der Minister sein Amt räumen mußte.
Weder Paul Tibbets (Hiroshima) noch Charles Sweeney (Nagasaki), die beiden Bomberpiloten, bereuten den Atombombenabwurf. Beide beendeten ihre militärische Laufbahn als Brigadegeneräle. Tibbets starb 2007, Sweeney 2004.
Zwei Drittel der japanischen Katholiken ausgelöscht
Durch die beiden Atombomben starben rund 220.000 Menschen. Das entsprach etwa 0,3 Prozent der japanischen Bevölkerung (ohne Berücksichtigung der Tausenden von koreanischen und chinesischen Zwangsarbeitern, die sich in den beiden Städten aufhielten).
Weit dramatischer betroffen waren Japans Katholiken, die zu zwei Drittel ausgelöscht wurden. Die ersten Katholiken waren Anfang des 16. Jahrhunderts mit den Portugiesen nach Japan gekommen und erzielten beachtliche Missionserfolge. Der Konkurrenzkampf europäischer Mächte, vor allem zwischen den später gekommenen calvinistischen Niederländern provozierte im Zuge eines innerjapanischen Machtkampfes die völlige Auslöschung des Christentums im Zuge einer blutigen Christenverfolgung und der Abschließung Japans von der Außenwelt.
Als Japan in den 1850er Jahren durch die USA zur Öffnung gezwungen wurden, kamen auch wieder Katholiken in das Land und mußten zu ihrem großen Erstaunen feststellen, daß es japanische Glaubensbrüder gab, die fast 300 Jahre im Untergrund unter strengster Geheimhaltung mit Hilfe einer Geheimsprache und Tarnmechanismen ihren Glauben an Christus bewahrt hatten.
Neben den Untergrundkatholiken, den Kakure Kirishtan, entstand eine neue katholische Gemeinschaft mit eigener Hierarchie. Ihr Zentrum war Nagasaki.
Die über Nagasaki abgeworfene Atombombe war über dem Stadtteil Urakami explodiert. Urakami war damals das katholische Zentrum Japans. Dort stand die Kathedrale, die größte katholische Kirche Ostasiens. Urakami zählte 12.000 Katholiken. 8.500 von ihnen starben an jenem 9. August 1945. Bei beiden Angriffen wurden mehr als 10.000 von 15.000 Katholiken getötet. „Es ist, als hätte man die katholische Kirche in Japan ein zweites Mal ausgelöscht“, sagte der Katholik Akira Fukahori, ein Überlebender der Atombombenexplosion 2008.
Aus den Ruinen der Kathedrale in Urakami wurde die Büste Unserer Lieben Frau von Nagasaki geboren, der Mariendarstellung, die seither zum mahnenden Friedenssymbol geworden ist.
Text: Giuseppe Nardi
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