Die „unglaubliche“ Fußnote 329 von „Amoris Laetitia“ und eine Erzählung


Amoris Laetitia, das päpstliche Schreiben, das sie "gehorsamen Kinder" unter den wiederverheiratet Geschiedenen in Verwirrung stürzt
Amoris Laetitia, das päpstliche Schreiben, das sie "gehorsamen Kinder" unter den wiederverheiratet Geschiedenen in Verwirrung stürzt

(Rom) Zur „unglaub­li­chen“ Fuß­no­te 329 des nach­syn­oda­len Apo­sto­li­schen Schrei­bens Amo­ris Lae­ti­tia erhielt der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster eine kur­ze E‑Mail, die er veröffentlichte.

Anzei­ge

Sehr geehr­ter Magister,

die apo­sto­li­sche Exhorta­tio „Amo­ris Lae­ti­tia“ hat uns wort­wört­lich in Ver­wir­rung gestürzt … Ich und mei­ne Frau den­ken näm­lich, zu jener Kate­go­rie der „gehor­sa­men Kin­der“ zu gehö­ren, die nun nicht mehr wis­sen, was sie den­ken sollen.

Wir erlau­ben uns eine „Erzäh­lung“ bei­zu­fü­gen, um unser Den­ken darzulegen.
Dan­ke für Ihre Aufmerksamkeit.

[Unter­schrift]

Die­se E‑Mail bringt sicher die Ver­bit­te­rung einer beträcht­li­chen Anzahl von ande­ren „gehor­sa­men Kin­dern“ zum Aus­druck, die nach der Ver­öf­fent­li­chung von „Amo­ris Lae­ti­tia“ herrscht.

Die For­mu­lie­rung „gehor­sa­me Kin­der“ stand vor weni­gen Tagen im Titel einer mei­ner Ver­öf­fent­li­chun­gen und bezog sich auf jene wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen, die nach Jah­ren des Gehor­sams gegen­über der Kir­che, weil sie die Weis­heit in deren Lehr­amt aner­kannt haben, sich durch die Exhorta­tio nicht bestärkt füh­len, son­dern gede­mü­tigt und verlacht.

In der Tat – wor­auf Set­ti­mo Cie­lo sofort auf­merk­sam mach­te – rich­tet Papst Fran­zis­kus in der Fuß­no­te 329 von „Amo­ris Lae­ti­tia“ an die wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen, die sich dafür ent­schie­den haben, nicht mehr als Ehe­bre­cher, son­dern „wie Bru­der und Schwe­ster“ zusam­men­zu­le­ben, und damit die Mög­lich­keit haben, die Kom­mu­ni­on zu emp­fan­gen, einen aus­drück­li­chen Tadel: daß sie dadurch der neu­en Fami­lie einen mög­li­chen Scha­den zufü­gen, denn, so der Papst wört­lich, „wenn eini­ge Aus­drucks­for­men der Inti­mi­tät feh­len, ‚kann nicht sel­ten die Treue in Gefahr gera­ten und das Kind in Mit­lei­den­schaft gezo­gen werden‘“.

Das alles als Zitat – in Wirk­lich­keit aus einem ganz ande­ren Kon­text geris­sen – der Kon­zils­kon­sti­tu­ti­on „Gau­di­um et spes“ . Noch schlim­mer jedoch ist, daß es so ver­stan­den wer­den soll, daß die ande­ren es bes­ser machen, die auch in der Zweit­ehe ein voll­stän­di­ges Ehe­le­ben füh­ren und dazu viel­leicht sogar noch zur Kom­mu­ni­on gehen.

Nach einer sol­chen eis­kal­ten Dusche erstaunt die Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit nicht, die vie­le „gehor­sa­me Kin­der“ und vor allem die gehor­sam­sten unter ihnen emp­fin­den. Nicht ein­mal im Gleich­nis vom ver­lo­re­nen Sohn behan­delt der Vater den älte­ren Bru­der so gering­schät­zig. Er tat viel­mehr das genaue Gegenteil.

Eine bei­spiel­haf­te Geschich­te ist ihrer E‑Mail bei­gefügt. Die Namen wur­den geändert.

Eine Geschichte unserer Tage

Vor eini­ger Zeit habe ich ein befreun­de­tes Paar ken­nen­ge­lernt, das am eige­nen Leib eine etwas beson­de­re Lebens- und Glau­bens­ge­schich­te erlebt hat, eine, die etwas außer­halb der Stan­dards liegt, die wir nor­ma­ler­wei­se gewöhnt sind.

Ich ver­su­che sie zu erzählen.

Er, Andre­as, durch und durch Katho­lik, knapp über 40, sah plötz­lich sei­ne Ehe zer­brö­seln. Es ist über­flüs­sig, die Grün­de hier näher aus­zu­füh­ren. Nach mehr als sie­ben Jah­ren des Ehe­le­bens stand er plötz­lich vor der Tür. Das Sor­ge­recht für die noch kei­ne drei Jah­re alte Toch­ter bekam sei­ne Ex-Frau. Er bekam nur die klas­si­schen Besuchs­re­geln: ein Wochen­en­de alle zwei Wochen sowie ein Abend in der Woche, die Feri­en zur Hälf­te, usw.

Sie, Fran­zis­ka, eini­ge Jah­re jün­ger als Andre­as, war von ihrem Mann ver­las­sen wor­den, der ihr eine Arbeits­kol­le­gin vor­ge­zo­gen hat­te. So stand sie allein da mit zwei Söh­nen im Alter von 13 und 11 Jah­ren und gro­ßen Schwie­rig­kei­ten sowohl mate­ri­el­ler als auch emo­ti­ver Art. Alles ande­re als eine Situa­ti­on, die sie sich gewünscht hatte.

Die­se mei­ne bei­den Freun­de, Bewoh­ner einer klei­nen Stadt in der Ebe­ne, sind sich zufäl­lig begeg­net, lern­ten sich ken­nen, unter­nah­men gemein­sam etwas und fan­den Gefal­len anein­an­der und – was für sie sehr wich­tig war in ihrem bren­nen­den Wunsch wie­der eine Fami­lie auf­zu­bau­en – sie gefie­len jeweils auch ihren Kindern.

Andre­as und Fran­zis­ka began­nen eine Roman­ze und schließ­lich eine Lie­bes­be­zie­hung, die sie schnell ganz erfaßte.

Von Anfang an beschäf­tig­te sie, neben allen ande­ren Pro­ble­men, die zwi­schen zwei Außen­ste­hen­den ent­ste­hen kön­nen, die ver­su­chen, die Scher­ben zwei­er ande­rer vor­he­ri­ger Leben zusam­men­zu­fü­gen, auch das Glau­bens­pro­blem des Sakra­men­ten­emp­fangs. Die Regeln der Kir­che waren und sind klar. Solan­ge ein Mann und eine Frau außer­halb ihres jewei­li­gen Ehe­ban­des „more uxorio“ leben, sind sie als Ehe­bre­cher nicht zur Beich­te und zur Eucha­ri­stie zuge­las­sen eben­so­we­nig zu einer Rei­he ande­rer Momen­te des kirch­li­chen Lebens.

In dem Moment ihres Lebens – da sie stark ver­liebt und vol­ler Lei­den­schaft waren – akzep­tier­ten sie die­sen Stand der Din­ge, ohne den Glau­ben zu ver­lie­ren und ohne, im Rah­men ihrer Mög­lich­kei­ten, auf die Teil­nah­me am Leben der Kir­che zu verzichten.

Nach zwei Jah­ren beschlos­sen sie im Haus von Fran­zis­ka zusam­men­zu­zie­hen, auch weil Andre­as am Arbeits­platz eine Ver­set­zung näher zu ihrer Stadt hin errei­chen konnte.

Sie began­nen so ein neu­es Fami­li­en­le­ben mit den Höhen und Tie­fen jeder nor­ma­len Fami­lie, mit den vie­len gemein­sa­men Freu­den und Schmer­zen und mit den Pro­ble­men, die damit zusam­men­hän­gen, daß sie eine soge­nann­te „erwei­ter­te Fami­lie“ waren, mit der Not­wen­dig­keit mit den jewei­li­gen Ex-Ehe­part­nern bei Festen, Feri­en usw. die Kin­der tei­len zu müssen.

Es gelingt, einen eini­ger­ma­ßen akzep­ta­blen Stan­dard zu errei­chen, doch nach eini­gen Jah­ren, als der Ex-Ehe­mann von Fran­zis­ka die Schei­dung bean­trag­te, um sei­ne neue Freun­din zu hei­ra­ten, den­ken auch Andre­as und Fran­zis­kas dar­an, ihrer Ver­bin­dung, soweit eben mög­lich, eine offi­zi­el­le Form zu geben, indem sie gehei­ra­tet haben.

Andre­as hat­te eini­ge Jah­re bevor er Fran­zis­ka ken­nen­lern­te, die kirch­li­che Annul­lie­rung sei­ner Ehe erhal­ten, die dann auch zivil­recht­lich aner­kannt wur­de, sodaß er wie­der in jeder Hin­sicht ledig war.

Des­halb stand einer stan­des­amt­li­chen Ehe nichts im Wege, die 2005 freu­dig und fei­er­lich mit den besten Freun­den und eng­sten Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen geschlos­sen wurde.

Es blieb aber die unge­re­gel­te reli­giö­se Fra­ge. Es gab nur eine Lösung: den „Sta­tus“ des Zusam­men­le­bens zu ändern. Im übri­gen hat­te sich, viel­leicht auch durch einen dis­kre­ten Ein­griff der Vor­se­hung, die Lei­den­schaft etwas abge­kühlt, sozu­sa­gen sta­bi­li­siert, so daß die Mög­lich­keit eines völ­li­gen Ver­zichts irgend­wie in Betracht gezo­gen wer­den konnte.

So began­nen sie, unter der wohl­wol­len­den und väter­li­chen Lei­tung ihres Pfar­rers, einen Weg der Klä­rung, der sie in weni­gen Mona­ten dazu führ­te, sich bewußt für die ehe­li­che Keusch­heit zu ent­schei­den, die allein ihnen die vol­le Wie­der­zu­las­sung zum Glau­bens­le­ben in der Gemein­schaft der Kir­che ermöglichte.

Die Ent­schei­dung fiel ohne Zwei­fel schwer. Der Ver­zicht auf das voll­stän­di­gen Ehe­le­ben, wie es all­ge­mein ver­stan­den wird, war alles ande­re als leicht. Doch mit der bestän­di­gen Bit­te an den Herrn um väter­li­che Unter­stüt­zung, um Sei­nem Weg zu fol­gen, konn­te die­ser Weg beschrit­ten werden.

Ich weiß nicht, wie das Leben von Andre­as und Fran­zis­kas gera­de vor­an­schrei­tet. Wie es im Leben oft so geht, sehen wir uns der­zeit weni­ger oft als früher.

Da ich sie ken­ne, bin ich mir aber sicher, daß sie nie auf­hö­ren wer­den, den lie­ben Gott zu bit­ten, sie zu füh­ren und ihnen bei­zu­ste­hen, um die­sen Weg zu gehen, den Er für sie vor­ge­ge­ben hat.

Die­se wah­re Geschich­te kann in die­sem Moment, da inner­halb und außer­halb der Kir­che über die Zulas­sung der wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen zur Kom­mu­ni­on dis­ku­tiert wird, zei­gen, wie man, indem man sich Gott anver­traut und ein biß­chen auf den eige­nen Stolz ver­zich­tet, den Weg gehen kann, den die Kir­che in ihrer müt­ter­li­chen Weis­heit und Güte immer auf­ge­zeigt hat.

Text: Set­ti­mo Cielo/​Sandro Magister
Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL (Screen­shot)

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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