Heute ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, der dem Gedenken an die Judenvernichtung durch das nationalsozialistische Deutschland gewidmet ist. Es wird einer Vergangenheit gedacht, die mehr als 70 Jahre zurückliegt. Heute aber vernichtet die „zivilisierte“ Welt jedes Jahr Millionen Unschuldige durch das Verbrechen der Abtreibung, das durch eine niederträchtige Gesetzgebung und Rechtsprechung zum „Recht“ erklärt worden ist.
von Paolo Deotto*
Da heute der Tag des Gedenkens ist, scheint es auch angemessen, Gedenken zu halten. Das gilt gerade auch, weil einer der häufig gebrauchten Slogans lautet: „Erinnern, damit sich das nie wiederholt“. In Wirklichkeit erleben wir ein seltsames, schaudererregendes Phänomen: Jährlich wiederholen sich zum Holocaust auf allen Ebenen und in allen Größenordnungen Gedenkveranstaltungen aller Art und sie finden große Aufmerksamkeit und viel Raum in den Medien, und dennoch geht das Massaker weiter, und das sogar an Zahl und Grausamkeit noch schlimmer als der Holocaust.
Es geschieht tagtäglich, mit einer blutigen Monotonie, und bei völliger Gleichgültigkeit einer Welt, die in Gewissenlosigkeit ertrinkt. Die Rede ist von einem schrecklichen Blutbad, das sich Abtreibung nennt.
Ein Massaker, das an Zahl und Grausamkeit sogar noch schlimmer ist, als der Holocaust. Es ist schlimmer, weil die Abtreibung inzwischen zur „Normalität“ der sogenannten „zivilisierten“ Welt geworden ist. Sie wurde zum „Recht“ erhoben und wird vom Gesetz geschützt und wird vom Staat mit den Steuern der Bürger finanziert und auch von staatlichen Einrichtungen durchgeführt.
Die nationalsozialistischen Führer versuchten ihr Verbrechen noch mit allen Mitteln geheimzuhalten, weil sie sich des Verbrechens bewußt waren, das sie begingen. Ein schlechtes Gewissen war noch vorhanden für ein Verbrechen, das so schrecklich war, ein solcher Zivilisationsbruch war, daß es nicht nur vor dem Ausland, sondern auch vor dem eigenen Volk geheimgehalten werden mußte. Es wurde so verborgen, daß selbst den Historikern ein direkter Nachweis schwerfällt.
Ganz anders heute: Die Abrechnungen des Mordens erfolgen bürokratisch penibel und, soweit vom Gesetz gedeckt, mit akribischer Sorglosigkeit. Das Morden damals geschah versteckt und daran zu denken, läßt uns noch heute erschaudern. Das Morden heute geschieht vor aller Augen und es kümmert und berührt uns, bis auf wenige Ausnahmen, überhaupt nicht.
Wenn der nationalsozialistische Wahnsinn nach allgemeiner Meinung sechs Millionen Juden das Leben gekostet hat, so hat der demokratische Wahnsinn es geschafft, noch viel mehr Menschen zu töten.
Wenn der nationalsozialistische Wahnsinn eines systematischen Mordens zweieinhalb Jahre dauerte und dann durch den Zusammenbruch im Zweiten Weltkrieg gestoppt wurde, dauert das Morden des demokratischen Wahnsinns oft schon seit Jahrzehnten und wird tagtäglich fortgesetzt, ohne daß ein Ende absehbar ist. Die Kommunisten und Sozialisten machten den Auftakt: 1920 war die Sowjetunion das erste Land der Welt, das die Tötung ungeborener Kinder legalisierte. 1920 waren es SPD-Abgeordnete, die einen Gesetzentwurf im Deutschen Reichstag einbrachten, um die Abtreibung auch in Deutschland zu legalisieren. 1967 war es Großbritannien, das als erstes westliches, nicht sozialistisch regiertes Land die legale Tötung unschuldiger Kinder einführte. Schrittweise folgte die gesamte „zivilisierte“ Welt.
Zwischen der Abtreibung heute und der Judenvernichtung damals besteht kein konzeptioneller Unterschied. Beide entspringen einer tiefen Krankheit der Seele und des Intellekts, laut der die „Macht“ darüber entscheiden kann, wer leben darf und wer nicht. Wer die Macht hat, der bestimmt, was lebenswertes oder was lebensunwertes Leben ist. Die Menschen, die Personen, die von jenen, die Macht haben, als lebensunwertes Leben eingestuft werden, können und sollen vernichtet werden.
Der nationalsozialistische Wahnsinn bemühte sich zumindest eine, wenn auch völlig inakzeptable „Rechtfertigung“ seiner Judenverfolgung (die Judenvernichtung war ein Staatsgeheimnis) zu finden, indem er den kranken Traum von der Schaffung eines „neuen Menschen“ propagierte, eines höherwertigen, gesünderen, besseren, „veredelten“ Menschen, zu dessen Erreichung alles aus dem eigenen Volk ausgetilgt werden mußte, was „minderwertig“ und „schädlich“ war: der „fremdrassige“ Einfluß der Juden ebenso wie behinderte oder psychisch kranke Menschen.
Der demokratische Wahnsinn hingegen entspringt dem bloßen Egoismus, der sich nicht einmal um eine Rechtfertigung bemüht, weil der Intellekt eine Rechtfertigung für unterste egoistische Triebe schamhaft (oder schamlos) verweigert. Der Wahnsinn wird dadurch noch verschärft, weil der „zivilisierte“ Mensch dennoch in Gesetz und Praxis zuläßt, wofür sein Verstand und sein Gewissen nur Verachtung übrig haben können.
Wenn das menschenverachtende Handeln des nationalsozialistischen Staates zu Recht angeprangert wird, um wieviel mehr müssen wir das menschenverachtende Handeln des demokratischen Staates anprangern? Wenn wir das „industrielle“ Morden in Konzentrationslagern und durch Einsatzgruppen im Osten als himmelschreiend beklagen, um wieviel mehr müssen wird die massenhafte Tötung unschuldiger Kinder als himmelschreiend beklagen? Wenn wir den nationalsozialistischen Vernichtungsdrang gegen die Juden als geradezu satanisch bezeichnen, weil uns jede vernünftige Erklärung fehlt, um wieviel mehr müssen wir den Vernichtungsdrang von Parlamenten, Regierungen und Gerichten gegen unschuldige Kinder als satanisch bezeichnen?
Die Konstruktion des demokratischen Vernichtungswahns ist dabei weit perfider als der nationalsozialistische. Damals war es ein Staat im Staat, nämlich ein Teil der SS, der unter strikter Geheimhaltung auch vor anderen Staatsorganen und NSDAP-Parteimitgliedern durch Befehl von oben handelte. Heute ist der Mutter des Kindes die Macht gegeben, darüber zu entscheiden, sich von etwas „Lästigem“, besonders einer ungewollten Schwangerschaft zu entledigen. Das Töten wurde „demokratisiert“. Die „Entscheidung“ liegt „selbstbestimmt“ bei der Frau. Das Kind wird nie erwähnt. Es wird vom Subjekt zum Objekt und damit auf barbarische Weise verfügbar. Und die Umwelt drängt die „demokratisch“ agierende Mutter ebenso „demokratisch“ zur Tötung ihres Kindes. Früher hatte man zumindest den Anstand, die Dinge beim Namen zu nennen, auch die Verbrechen, die erschauern ließen und nach Vergeltung durch Strafe riefen.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges, als langsam das Ausmaß des Schreckens bekannt und den Menschen bewußt wurde, hätte sich niemand vorstellen können, daß es noch eine größere Pervertierung des Mordens geben könnte. Doch es gibt sie, und sie wurde nicht von einem nationalsozialistischen, sondern von einem demokratischen Staat erfunden. Es ist das Morden einer anderen totalitären Ideologie, des Kommunismus oder Realen Sozialismus. Wir erschaudern vor dem Morden des Nationalsozialismus und haben das Morden des Kommunismus übernommen. Was für eine Perversion.
Wie in einer Tierhandlung werden die Mütter „angehalten“, sich das schönste, gesündeste Kätzchen auszusuchen. Die im laizistisch-demokratischen System aufgewachsene Mami wurde von diesem „erzogen“, im Sinne des Konsums mit genormtem Qualitätssiegel eine Garantie einzufordern, daß ihr Kind gesund und schön zu sein habe. Die zum Ideal erhobene „Selbstverwirklichung“ ist letztlich nur ein wohlklingenderes Synonym für Egoismus. Und der darf, so die Botschaft, durch keine Hürden eingeschränkt werden. Karriere und/oder Unterhaltung sind die beiden Seiten derselben Medaille, die zum Absoluten erhoben, keinen Platz für das andere Leben lassen. Nun kann man andere Menschen nicht einfach töten, weil das vom System verboten und strafbewehrt ist. Wo das System aber das Töten zuläßt, wird es gnadenlos ausgeübt und erlaubt eine schaudererregende Ahnung dessen, was geschehen würde, wenn die dämonische Tötungserlaubnis ausgeweitet würde.
Für die zum weitaus größten Teil zwischen 1942 und 1945 ermordeten Juden wird jedes Jahr der Internationale Tag des Gedenkens begangen. Und das ist gut so. Wer aber rührt einen Finger gegen die tägliche Vernichtung ungeborener Kinder? Und damit steht auch die Frage im Raum, wieviel der Internationale Tag des Gedenkens taugt.
Laut offizieller Statistik des Gesundheitsministeriums wurden in Italien seit 1978, dem Jahr der Legalisierung, 5.642.070 Kinder getötet. Eine gewisse Dunkelziffer ist in Rechnung zu stellen. Auch die durch Verhütungsmittel mit abtreibender Wirkung getöteten Kinder fehlen in der Statistik: 2012 wurden rund 400.000 Packungen der sogenannten „Pille danach“ verkauft. Selbst wenn man „nur“ einen Wirkungsgrad von 20 oder 30 Prozent annimmt, sind mehrere Zehntausend weitere Opfer in die Statistik einzurechnen.
In anderen Staaten der „zivilisierten“ Welt sieht es nicht anders aus. Aus den USA liegen uns keine detaillierten Statistiken vor. Einige vorhandene Zahlen sprechen für das Jahr 2008 von 1,2 Millionen getöteten Kindern. Für das Jahr 2011 von 1,1 Millionen. Auch für die USA und alle anderen Staaten gilt, daß sich die sogenannte „chemische“ Abtreibung, durch Einnahme von Pharmaka, jeder Kontrolle und statistischen Erhebung entzieht.
Die Weltgesundheitsbehörde (WHO) schätzt die jährlich weltweit getöteten Kinder auf 44 Millionen. Der Großteil davon wird „legal“ im Rahmen geltender Gesetze und mit dem „Segen“ des Staates getötet.
Die Zahlen sprechen für sich allein. Sie erzählen die grausame Realität eines mörderischen Wahnsinns, der jenen des Nationalsozialismus um ein Vielfaches übersteigt. Die Abtreibungslegalisierung tötet nicht nur die Kinder, sondern auch die Gewissen. Was der Staat erlaubt, wird auch in den Köpfen von falsch zu richtig. Das Gesetz, Strafbewehrung und Straffreiheit formen das Gewissen. Was als „Recht“ der Frau verkündet wird, wird schließlich auch als „Recht“ eingefordert. Recht und Unrecht werden auf den Kopf gestellt. Der Mahner gegen das Verbrechen zum Störenfried.
Und der mörderische Wahn bringt noch mehr um, weil die Psychiatrie reich an Fällen von schrecklicher Konsequenzen ist, denen Frauen, die abgetrieben haben, entgegengehen, wenn ihr Gewissen – zumindest von einigen – irgendwann erwacht und sie sich ihrer Tat bewußt werden.
So ist es legitim, sich zu fragen, mit welcher monströsen Schamlosigkeit man einerseits die Verbrechen des Nationalsozialismus anklagen kann, wenn die glückliche Ära nach der Zerstörung des Hitler-Regimes, in der wir leben, die Welt noch schlimmeres tut, als Hitler und seine Schergen getan haben.
Die Juden haben allen Grund, Abscheu und Schauder zu empfinden, wenn sie an die niederträchtige Verfolgung denken, der sie unterworfen waren. Es wäre allerdings nicht schlecht, wenn sie uns erklären würden, aufgrund welchen Moralverständnisses sie sich in Israel eine der „liberalsten“ Abtreibungsgesetzgebungen zugelegt haben. Man möchte meinen und hoffen, daß zumindest sie es besser wissen sollten und authentische Zeugen gegen den Abtreibungswahn wären. Doch nichts dergleichen ist der Fall. Wie kann man aber das abscheuliche Morden anderer beklagen, wenn man selbst abscheuliches Morden betreibt oder zumindest zuläßt? Der frühere Abtreibungsarzt Bernhard Nathanson, der maßgeblich mitverantwortlich war für die Abtreibungslegalisierung in den USA, bezeichnete sich als „jüdischen Atheisten“. Als er das Verbrechen erkannte und zum Lebensschützer wurde, konvertierte er zur katholischen Kirche.
Wir können die Frage noch erweitern und über andere Holocausts sprechen, vergessene, von der Geschichte begrabene Verbrechen, oder solche, über die schlechte Gewissen jedes Wort lieber vermeiden. Der erste, der mir in den Sinn kommt in diesem Horrorkabinett, das die Menschheitsgeschichte prägt, sind die „Indianerkriege“ (1830–1890) der jungen amerikanischen Nation. Dem unerbittlichen Fortschritt auf der Suche nach dem Glück fielen geschätzt zwischen zehn und zwölf Millionen Menschen zum Opfer. Dann wäre da der Genozid an den Armeniern, und jener an den Kambodschanern, und heute der an den Christen des Nahen Ostens. Außer gelegentlichen, verbalen Verurteilungen, die Pflichtübungen gleichen, ist aus unserem „zivilisierten“ Westen kaum etwas dagegen zu hören.
Was sollen wir aus dem so unterschiedlichen Umgang mit dem Gedächtnis und dem Gedenken lernen? Eine moralische Lehre jedenfalls nicht.
Im Zusammenhang mit dem heutigen Tag des Gedenkens möchten wir die Tausenden von Politiker, maitre à penser, die Vertreter der sogenannten „Zivilgesellschaft“, die uns heute und morgen mit den Pillen ihrer Weisheit füttern werden, um uns zu erklären, wie gut, human und zivil sie und ihre jüdischen Freunde mit ihren „liberalen“ Abtreibungsgesetzgebungen sind, nur fragen: „Habt Ihr es wirklich noch nicht bemerkt, daß der Nationalsozialismus nicht tot ist, sondern das Blutbad an Unschuldigen fortgesetzt wird? Wie viele von Euch sind mitschuldig, weil sie nichts getan haben, um diese Tragödie zu verhindern? Wie viele von Euch sind mitschuldig, weil sie nichts tun, um das Morden zu stoppen? Habt Ihr noch nie darüber nachgedacht, daß irgendwann die Rechnung serviert wird? Denn das Blut der Unschuldigen fällt auf jene zurück, die es vergossen haben. Vielleicht ist die angebrochene Migranteninvasion bereits Teil dieser Rechnung, die uns serviert wird für die Verbrechen, die wir an unseren eigenen Völkern und gegen Menschheit und Menschlichkeit begangen haben und tagtäglich weiter begehen?
Diese Fragen werden leider weder heute noch morgen eine Antwort erhalten, weil sie unter Strömen von heuchlerischer Druckerschwärze und Bits erdrückt werden.
In diesen Tagen werden uns die schrecklichen Bilder der nationalsozialistischen Verbrechen gezeigt. Wichtiger ist es, Bernhard Nathansons Film „Der stumme Schrei“ zu sehen, der nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart berichtet, die unser Handeln fordert.
Text: *Paolo Deotto, Schriftleiter der katholischen Internetzeitung Riscossa Cristiana
Bild: Riscossa Cristiana