Seit dem ersten Anschlag von Paris und auch nach dem jüngsten Massaker durch Muslime bemühen sich Islam-Vertreter, das Gewaltpotential von Koran und Islam herunterzuspielen. Als Refrain oder Echo dazu werden oftmals biblische Gewaltzitate und kirchliche Gewaltaktionen hochgespielt. Nach diesem Muster ist auch ein FAZ-Beitrag vom 16. 2. 2015 gestrickt. Unter dem Titel Wie auch Christen und Buddhisten metzeln behandeln die drei Autoren Gerd Althoff, Thomas Bauer und Perry Schmidt-Leukel in einem fortlaufenden Text religiös motivierte Gewalt in Weltreligionen. Alle drei Autoren sind Mitglieder des so genannten Exzellenzclusters Religion und Politik an der Universität Münster.
Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker.
Der Islam ist nach Urschrift und Geschichte kriegerisch
Der erste Teil des Artikels ist offensichtlich von Thomas Bauer geschrieben. Sein Beitrag erscheint von dem Bemühen geleitet, den Islam als wenig kriegerisch und bei Konflikten deeskalierend darzustellen. Dazu beruft er sich auf die Dschihad-Handbücher der islamischen Rechtsschulen. Die würden sich durch das Bestreben auszeichneten, Gewalt zu zügeln und in rechtliche Bahnen zu leiten. Der Autor muss allerdings zugeben, dass sich die muslimischen Herrschen vielfach nicht an diese Rechtsregeln der klassischen Zeit hielten. Man sollte also die Darlegungen der Handbücher nicht mit der geschichtlichen Realität des Islam verwechseln. Die historischen Berichte aus den ersten vier Jahrhunderten der islamischen Eroberungen vermitteln dann auch ein ganz anderes Bild. Die Historikerin Bat Ye´or berichtet in ihrem Buch Der Niedergang des orientalischen Christentums unter dem Islam von zahlreichen Massakern und Versklavungsaktionen islamischer Eroberer sowie von Plünderung und Brandschatzung, Erniedrigung und Ausbeutung der Besiegten. Wenn auch solche Vorgehensweisen bei den anderen Armeen der Zeit nicht unüblich waren, so stellt sie doch eine Verschärfung bei muslimischen Heeren fest: Allein die Maßlosigkeit, die Regelmäßigkeit und der systematische Charakter der von den islamischen Theologen zur Norm erhobenen Verwüstungen unterscheiden den Dschihad von anderen Eroberungskriegen oder Beutezügen jener Zeit.
Handbücher sagen wenig über die Praxis aus
Außerdem klammert der Bezug auf islamische Kriegshandbücher für die Regeln der Kriegsführung (jus in bello) das offensive Vorgehen der islamischen Eroberungsheere aus. Das ist aber der entscheidende Aspekt der muslimischen Kriege seit Mohammed. Zum Vergleich: Im Islam sind auch die ersten Handbücher zur Sklavenbehandlung geschrieben worden, um Willkür-Exzesse gegen die von Muslimen gehaltenen Sklaven zu begrenzen. Gleichwohl kann das die Tatsache nicht relativeren, dass die islamischen Reiche über 1000 Jahre die größten Sklavenjäger und ‑halter der Weltgeschichte waren.
Bei innerislamischen Kriegen werden die muslimischen Gegner kurzerhand zu Ungläubigen erklärt
Zu den exzessiven islamischen Eroberungskriegen spielt Bauer die Karte ‚Ablenkung auf einen Nebenaspekt’ auf. Das vom Autor zitierte ‚jus ad bellum’ ist ein auf Augustinus zurückgehender Regelkomplex, der einen ‚gerechtfertigten Krieg’ (bellum justum) moralisch nur unter einschränkenden Bedingungen erlaubt. Angriffs- und Eroberungskriege waren danach ausgeschlossen. Die islamische Kriegspraxis seit Mohammed kannte diese Einschränkungen nicht. Die muslimischen Heere fühlten sich berechtigt, die halbe Welt im Namen Allahs zu erobern und sie dem Islam zu unterwerfen. Davon zeugen in den ersten vier Jahrhunderten der islamischen Expansion Tausende von kleinen Überfällen(Razzien) und großen Eroberungskriegen. Doch davon will Bauer nichts wissen. Stattdessen lenkt er auf den Aspekt ab, dass viele muslimische Herrscher Krieg gegeneinander geführt hätten. Das aber seien Regelverstöße gegen das islamische Recht gewesen. Bauer mag ein Kenner von islamischen Kriegshandbüchern sein – in der muslimisch-historischen Praxis kennt er sich offensichtlich nicht aus. Denn schon seit dem achten Jahrhundert wurden innerislamische Kriege ganz einfach so gerechtfertigt, dass die jeweiligen muslimischen Kriegsgegner zu Ungläubigen erklärt wurden. Das ist über die Jahrhunderte bis heute Praxis: Vor dem Iran-Irak-Krieg in den 80er Jahre erklärten sich die beiden Staaten wechselseitig für ungläubig. Erst kürzlich verdammte der irakische Großayatollah Sistani die Sunniten des Islamischen Staates zu Ungläubigen und mobilisierte damit die schiitische Jugend für den Krieg. Ähnliche Fatwas erließen die Religionsführer in den sunnitischen Staaten von Ägypten bis an den Persischen Golf.
Zweifel an der Exzellenz des Autors
Schließlich kommt der Autor auf den Krieg des Islamischen Staates zu sprechen, der sich bekanntlich auf die Kriegspraxis und Scharia des Frühislam beruft. Bauer hält dagegen, dass der IS seine Feldzüge nach dem Muster der absoluten Kriege der Moderne (Clausewitz) führen würde. Dass sich die ISlamisten moderner Waffentechnologie und Kriegsstrategien bedienen, ändert nichts an dem Charakter ihres koranbasierten Eroberungskriegs im Namen Allahs.
Erst zum Schluss seines Katalogs von Verharmlosung und Relativierung des kriegerisch-gewalttätigen Islam kommt Bauer dem aggressiven Kern des Islam ungewollt doch noch nahe. Er behauptet, dass es gewaltfördernde Passagen in den heiligen Texten aller drei monotheistischen Weltreligionen gebe. Diese Abschnitte würden wörtlich genommen die unnachgiebige Vernichtung von Gottesfeinden, Gottesfrevlern und –lästerern fordern, dies als Befehl Gottes an seine Auserwählten deklarieren und verheißen, dass diesbezüglicher Eifer durch Gott reich belohnt werde.
Diese Behauptung von Bauer trifft auf die heilige Schrift des Christentums definitiv nicht zu. Solche Gewalt-Passagen oder gar göttliche Vernichtungsbefehle in das Neue Testament einschmuggeln zu wollen, ist ein unlauteres Vorgehen des Islam-Wissenschaftlers. In den Schriften des Alten Bundes finden sich dagegen martialische Gewaltaufrufe im Namen Jahwes zur Vernichtung von Feinden, aber jeweils nur auf bestimmte Völker, Gruppen und Bedrohungen bezogen. Jedenfalls sind solche allgemeine Vernichtungsbefehle gegen Ungläubige und Heiden, wie Bauer sie beschreibt, nur in der Urschrift des Islam anzutreffen – und genau darauf berufen sich die Allah-Krieger des Islamischen Staates.
Die Reformpäpste des 11. Jahrhunderts strebten die libertas ecclesiae an
Der zweite Teil des gemeinsamen Artikels ist vom Mittelalter-Historiker Gerd Althoff verfasst. Er will in der gegenwärtigen Diskussion auch an christliche Irrwege bei der Rechtfertigung von Gewalt erinnern. Das zeigt er an der Epoche des sogenannten Reformpapsttums im 11. Jahrhundert auf, insbesondere wie Papst Gregor VII. in Auseinandersetzung mit dem salischen Königtum seine Stellung und seinen Geltungsanspruch neu zu begründen suchte. Die ottonischen und salischen Könige verstanden sich damals als sakrale Herrscher von Gottes Gnaden, die auch kirchliche Gewalt ausübten. Die Reformpäpste des 11. Jahrhunderts dagegen wehrten sich gegen die Eingriffe der deutschen Könige in die inneren Rechte der Kirche, insbesondere gegen die Einsetzung der deutschen und italienischen Reichsbischöfe durch das Königshaus (Laieninvestitur). Sie kämpften für die volle Autonomie der Kirche (libertas ecclesiae). Darüber hinaus strebten sie eine Suprematie der geistlichen Gewalt an und beanspruchte eine Stellung der Kirche als Herrin, nicht als Magd des Königtums.
Alttestamentliche Vernichtungsbefehle für die geistliche Aufrüstung der Päpste
Althoff zeigt auf, wie in dieser Situation der päpstliche Hof alttestamentliche Gottesbefehle und Handlungsmuster zur Legitimierung seiner Machtfülle und der Gehorsamsverpflichtung aller Christen einschließlich der Könige und Kaiser heranzog. So hätten die Hoftheologen Papst Gregors als Kronzeugen den Propheten Samuel zitiert, der den König Saul absetzte, weil der Jahwes Befehl zur vollständigen Vernichtung aller Amalekiter-Feinde einschließlich des Viehs nicht nachgekommen sei. Oder die Leviten wurden als Zeugen aufgerufen. Die hätten das ungehorsame Volk nach dem Tanz um das Goldene Kalb mit der Erschlagung von 3000 Israeliten bestraft. Diese geistige Aufrüstung des Papsttums hätte zu vielen Kämpfen und Schlachten in der damaligen christlichen Gesellschaft geführt, außerdem zu Strafaktionen wie den Ketzerkreuzzügen.
Selig sind die Friedenstifter, nicht die Gewalttätigen
Althoff fasst die Ergebnisse seiner kirchengeschichtlichen Studien in dem Buchtitel zusammen: Selig sind, die Verfolgung ausüben. Dieses historische Zitat aus dem Umkreis von Papst Gregor VII. ist eine ins Gegenteil verkehrte Seligpreisung aus der neutestamentlichen Bergpredigt Jesu, die im Original lautet: Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen… (Mt 5,11). Mit dieser Verdrehung eines Jesus-Wortes wird aber deutlich, dass sich Papst Gregor nicht im Einklang mit der christlichen Urschrift befand. Damit ist aber die übergeordnete Beweisstrategie des FAZ-Artikels gescheitert, nach der auch die Urschrift des Christentums Passagen enthielten, die zur Tötung von Ungläubigen und Gottesfrevler aufgrund von Gottesbefehlen aufforderten. Denn die Theologen des streitbaren Papstes fanden offensichtlich im heiligen Text des Christentums keine Passage zur unnachsichtigen Vernichtung von Gottesfeinden. Daher mussten sie auf gewaltlegitimierende Texte des frühen Judentums zurückgreifen, die aber in eklatantem Gegensatz zu Anspruch und Botschaft Jesu standen.
Althoff bewertet den Ansatz von Papst Gregor VII. als einen christlichen Irrweg bei der Rechtfertigung von Gewalt. Dieser Weg war aber gerade nicht christlich, weshalb ihn die Kirche später korrigierte.
Das Christentum befürwortet die Trennung von Staat und Kirche, dem Islam hat Mohammed die Einheit von Politik und Religion vorgegeben
Interessant sind zu diesem Themenkomplex zwei vergleichende Überlegungen zum Islam:
â–ª Bei allem Streben nach geistlicher Suprematie über das weltliche Königtum bewegte sich Papst Gregor VII. jedoch vollständig im christlich-mittelalterlichen Grundsatz des Dualismus’ von Kirche und Staat (sacerdotium et imperium). Mit seiner Entsakralisierung und Entkirchlichung des deutschen Königtums verschärfte er sogar die Trennung und beförderte die europäische Entwicklung des säkularen Staates, wie er sich dann zu Beginn der Neuzeit zu entfalten begann. Die Trennung von Religion und Politik ist schon im Neuen Testament angelegt – etwa in dem Jesuswort: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Dieser christliche Ansatz steht im Gegensatz zum Islam. Begründet in der Person Mohammeds, der sowohl Religionsführer als auch Staats- und Kriegsführer war, fordern Scharia und islamische Theologie die Einheit von Politik und Religion, Islam und Staat, auch wenn in der Praxis dieses Ideal nicht immer so verwirklicht wurde.
â–ª Gewaltanwendungen von Seiten kirchlicher Autoritäten wie im Mittelalter war tatsächlich ein Irrweg, da politische und kriegerische (Staats-) Gewalt nicht zu den Mitteln und Wegen gehören, die Jesus Christus mit seiner Lehre der Kirche aufgegeben hat. Insofern konnte sich die Kirche in der Rückwendung auf Lehre und Auftrag Christi in der Urschrift von dieser Gewaltverstrickung befreien.
Im Islam sind dagegen politische und kriegerische Gewalt durch Lehre und Praxis der Stifterperson sowie deren Fortsetzung im Frühislam legitimiert. Im Laufe der Geschichte haben sich muslimische Großgruppen teilweise von diesen Ursprungsprinzipien entfernt. Doch je mehr sich muslimische Reformgruppen wie die Salafisten auf Koran und Frühislam beziehen, desto gewalttätiger treten sie auf. Das war schon im arabischen Wahabismus des 18. Jahrhunderts so, das zeigt sich bei dem archaisch strafenden saudi-arabischen Staats-Islam und das erleben wir zurzeit bei den ISlamischen Terrormilizen.
Text: Hubert Hecker
Bild: Il Giornale (Screenshot)