(Bonn) Der von Kardinal Walter Kasper und noch lautstärker von Kardinal Reinhard Marx ausgerufene „Notstand“ in der katholischen Kirche entpuppt sich als Sturm im Wasserglas, wie die Diözesen nun selbst zugeben mußten. „Wir können nicht warten“ tönte der Erzbischof von München-Freising noch vor einem Monat im Rahmen der Frühjahrvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (siehe eigenen Bericht „Gott bewahre uns vor den Deutschen“ – Marxens Drohung gegen Rom) und drohte Rom ziemlich offen mit einem Schisma.
Der nach dem Motto „Und seid ihr nicht willig, so brauch ich …“ handelnde mächtigste deutsche Kirchenfürst behauptete einen unaufschiebbaren pastoralen Notstand, der sofortige Antworten verlange. So dringende Antworten, daß nicht einmal die Bischofssynode im Oktober abgewartet werden könne. Beobachter rieben sich erstaunt die Augen. Eine so unverhohlene Drohung mit einem Schisma? Die „leidenden wiederverheirateten Geschiedenen müssen Schlange stehen vor Deutschlands Kirchen und Bischofsresidenzen“ mutmaßte der meistgelesene katholische spanische Blog La Cigueña de la Torre. Doch von Schlangen keine Spur. Nicht einmal vor dem erzbischöflichen Palais Holnstein in München.
Antworten werden „ausgewertet“ – „Gesamtdokument“ von Fachleuten
Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Matthias Kopp, gab heute folgendes bekannt. Die auf die zweite Befragung zum „Thema Familie und Sexualität“ der „katholischen Basis“, so die katholischen Nachrichtenagenturen KNA und KAP, eingegangenen Antworten würden nun „ausgewertet“. Diese seien aus den 27 bundesdeutschen Diözesen und „auch über viele Verbände und Institutionen eingegangen“.
Aus den Antworten würden „Fachleute ein Gesamtdokument“ erstellen, das bis zum 15. April dem Generalsekretariat der Bischofssynode übermittelt und von der DBK veröffentlicht werde. Das klingt gut, ist aber längst nicht so gut, wie es klingt.
Diözesen klagen: Nur geringe Beteiligung an zweiter Befragung zur Synode
Unterdessen wird die Liste der Diözesen länger, die zugeben, daß kaum Antworten auf die zweite Befragung eingegangen sind. Bereits vor Tagen sprach das Bistum Magdeburg von einer nur geringen Beteiligung. Inzwischen gestanden auch die Diözesen Erfurt und Berlin das geringe Interesse der „katholischen Basis“ ein. Allein das Erzbistum München meldete trotzig gegen den Trend, es gebe „viele Teilnehmer“ und es seien „sehr detaillierte“ Antworten auf die römischen Fragen eingegangen.
Darüber, was unter „viele Teilnehmer“ zu verstehen ist, mögen die Meinungen auseinandergehen. Die der Redaktion vorliegenden Informationen bestätigen keinen Trendunterschied für München. Auch viele glaubenstreue Katholiken, die 2014 noch auf die erste Befragung antworteten, haben 2015 nicht mehr geantwortet. Der Grund: Weil sie sich von den Diözesanleitungen unbeachtet und übergangen fühlen.
Einseitiges „Gesamtdokument“ 2014
Bereits 2014 waren die Antworten „ausgewertet“ und ein „Gesamtdokument“ nach Rom geschickt worden. Darin fand sich jedoch weitgehend nur die Meinung einer bestimmten Richtung wieder, die offene Sympathie mit dem Vorschlag von Kardinal Walter Kasper zeigte. Die zahlreichen detaillierten Antworten glaubenstreuer Katholiken, die ein klares Wort der Bekräftigung der katholischen Ehelehre und der kirchlichen Praxis forderten und auf eine Reihe von Mißstände hinwiesen, blieben unberücksichtigt.
Schon im Vorfeld zeichnete sich hinter den Kulissen eine Einheitsmeinung ab, die abweichende Meinungen als unerwünscht ausklammert. Zur Monopolisierung sollten nur die Bischofskonferenzen im Block eine Meinung nach Rom übermitteln. Dem kam für die Schweiz Bischof Vitus Huonder von Chur zuvor und veröffentlichte für seine Diözese, wie es das Kirchenrecht vorsieht und Rom wünschte, eine eigene Stellungnahme. Gleiches tat zwar auch die Erzdiözese Köln, ließ damit aber nur erkennen, daß die Nach-Meisner-Ära bereits begonnen hatte (siehe Bericht Fragebogen: Antworten von Chur und Köln im Vergleich).
Glaubenstreue Katholiken fühlen sich unberücksichtigt
Aus dem geringen Interesse, an der zweiten römischen Befragung zur Bischofssynode teilzunehmen, lassen sich schon jetzt zwei Dinge ablesen: Der von Kardinal Marx, Kardinal Kasper und einigen anderen deutschen Oberhirten behauptete „Notstand“ existiert nicht. Und zweitens: Glaubenstreue Katholiken fühlen ihre Überzeugung in dieser Frage bei den meisten Bischöfen nicht in guten Händen.
In Österreich und der Schweiz geht es vor den Kulissen zwar ruhiger zu, doch in der Deutschen Bischofskonferenz gibt Kardinal Marx den Ton an. Um ihn scharen sich seine Sekundanten, während die Bischöfe, die zu Lehre und Praxis am kirchlichen Erbe festhalten wollen, in ein mehr oder weniger tiefes Schweigen gefallen sind. Mit ein Grund, weshalb sich gläubige Katholiken von den Bischöfen und Ordinariaten unberücksichtigt fühlen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL