(Ferrara) Erzbischof Luigi Negri von Ferrara-Comacchio und der Historiker Roberto de Mattei nahmen vor kurzem an einem Vortrags- und Diskussionsabend über die Kreuzzüge teil. In die Sala San Francesco in Ferrara hatte der Freundeskreis der katholischen Monatszeitschrift Il Timone geladen.
Kern des Abends waren Gedanken, aber auch Richtigstellungen zu einem Kapitel der Geschichte, dessen Wahrnehmung und Darstellung im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Verzerrungen erfahren hat. Verzerrungen, die durch Eingang in den Schulunterricht dazu geführt hätten, daß die Kreuzzüge weitgehend negativ konnotiert seien. Anders die Darstellung der beiden Referenten, die von den „bewaffneten Pilgerfahrten“ in einem anderen Licht sprachen. Durch den Abend führte der Historiker und Archäologe Tommaso Mantovani.
Pilgerstab und Schwert: die „eminent geistlichen“ Ziele der Kreuzzüge
Roberto de Mattei sprach über die „eminent geistlichen“ Zielsetzungen, die die lateinische Christenheit veranlaßte, Pilgerrock und Waffenrock anzulegen, Pilgerstab und Schwert in die Hand zu nehmen. Er sprach in der Darstellung der Vorgeschichte über die Bedeutung der Heiligen Stätten für die Christenheit und spannte den Bogen von den turkmenischen Eroberungen bis zum Konzil von Clermont, das Papst Urban II. 1095 einberief. Der dort erschallende Ruf „Deus lo vult“ (Gott will es!) führte zum Ersten Kreuzzug.
Zu den Verzerrungen in der Darstellung der Kreuzzüge gehöre die Herabsetzung der Motive. Es wird Beutegier unterstellt und behauptet, die Kreuzzüge seien ein Ventil für die weichenden Söhne des europäischen Adels gewesen, die nichts zu erben hatten. Die Wissenschaft wisse zwar längst das Gegenteil, doch dringe diese Meinung weder in den Schulbüchern noch in den meinungsbildenden Medien durch. Die Kreuzfahrt war ausgesprochen teuer, weshalb die These der abgeschobenen Nachgeborenen in sich zusammenbricht. Es brachen Erst- wie Nachgeborene gleichermaßen auf und die Kosten wurden von den Familien gleichermaßen, oft unter großen Opfern bezahlt, ja ganze Herrschaften und Fürstentümer zur Finanzierung verpfändet ohne jede Aussicht, das Geld je zurückzuerhalten, vielmehr alles zu verlieren.
Glaubenseifer für Gott zu streiten und Bereitschaft zum Opfergang als Akt der Buße
Die Wüstenei des Nahen Ostens war zudem keineswegs ein verlockendes Ziel. Ohne die Bedeutung des geistlichen Antriebs zu erfassen, seien die Kreuzzüge nicht zu verstehen. Dazu gehörte der Glaubenseifer für Gott zu streiten ebenso wie die Bereitschaft zum Opfergang als Akt der Buße für das eigene Seelenheil.
Der Kreuzzug kam aufgrund eines Hilferufs des byzantinischen Kaisers zustande, der sich ein Söldnerheer erwartete, weil es in Ostrom unüblich geworden war, daß der Adel militärisch aktiv wird. Um so erstaunter war man, als die Blüte der lateinischen Elite dem Ruf Folge leistete und vor Konstantinopel aufmarschierte.
De Mattei zeigte den „Kreuzzugsgeist“ auf, den Geist des Christentums, oder mit anderen Worten, die „Liebe für das unverständliche Geheimnis des Kreuzes“. Deshalb seien die Kreuzzüge „keineswegs auf das mittelalterliche Denken beschränkt“, wie es oft heiße, und nur daraus erklärbar. Die Kreuzzüge seien nämlich „eine seelische Grunddisposition des Christen“, aber auch ein Lehrbeispiel dafür, was eine entschlossene, aber unterstützte Minderheit bewegen kann. Nur etwa zehn, höchstens 15 Prozent der europäischen Ritter griffen persönlich zum Schwert und nahmen das Kreuz, waren aber durch die Allgemeinheit unterstützt. Dieser mutigen Minderheit gelang eine in vielerlei Hinsicht beeindruckende Leistung. Sie schufen unter anderem Kreuzfahrerstaaten im Nahen Osten, die unter widrigen Umständen 200 Jahre Bestand hatten, und von Jerusalem über Zypern und das Baltikum bis Malta sogar ganze 700 Jahre umfassen. Mehr noch aber beeindrucke, wie diese Minderheit unter größten Opfern für das Überleben Europas und für die gesamte Christenheit focht.
Widerspruch gegen negative Rezeption
Der Historiker widersprach deshalb der negativen Rezeptionsgeschichte der Kreuzzüge, die besonders mit dem antikatholischen Kampf der Aufklärung einsetzte und im Marxismus seine Fortsetzung fand. Beide ineinandergreifenden Strömungen beherrschen noch immer die Volksmeinung über die Kreuzzüge. Die Kreuzzüge (sieben oder acht, je nach Zählweise) seien „untrennbar mit einer langen Reihe von Päpsten verbunden – von Urban II. bis Pius XII. – die sie gefördert und organisiert oder in ihrer historischen Bewertung als ihr Heer betrachtet haben“, so de Mattei.
Es war „die brennende Liebe für die Nächstenliebe“, die Menschen jeglicher Herkunft und Standes zusammenführte, um die heiligen Stätten zu befreien. Eine Haltung, die auch heute die Christenheit bewegen sollte und als innere Haltung wiederzuentdecken und zurückzugewinnen sei. Die Christen dürfen „weder den kämpferischen Geist verlieren noch für einen falschen Pazifismus eintreten, denn Gott hat in Christus sein eigenes Blut für alle vergossen, aber vor allem für sein Reich, das in der Gesellschaft triumphieren muß“.
Kreuzzüge eine „uneigennützige, missionarische Glaubensbewegung“
Eine Haltung, die Erzbischof Luigi Negri mit großem Lob bedachte. Er griff den Faden auf und beschrieb die Kreuzzüge als „Bewegung des Glaubens und des uneigennützigen und missionarischen Einsatzes“, der nichts mit wirtschaftlichen und politischen Beweggründen zu tun hatte. Der Applaus im Saal zeigte, daß die Interpretation des Erzbischofs vom Publikum geteilt wurde, der mehrfach betonte, „den Kreuzzügen dankbar“ zu sein. Gleichzeitig zeichnete der Erzbischof das Bild jener christlichen Gesellschaft, die über eine gefestigte Identität verfügte, die nicht in sich selbst eingeschlossen war, sondern zum Akteur der Rückeroberung der Heiligen Stätten des Christentums werden konnte. Irgendwelchen ideologischen Interpretationen hielt Erzbischof Negri entgegen: „Wir müssen niemanden rechtfertigen. Der Glauben der Kreuzritter drückte sich auch in Gewalt aus, aber er hat sie nicht verursacht.“
Kreuzzüge verschafften Europa längste Friedenszeit seiner Geschichte
Der Historiker de Mattei widersprach schließlich auch der Verzerrung, die Kreuzzüge seien ein Mißerfolg gewesen. Das Gegenteil sei der Fall. Europa habe nie mehr vorher oder nachher bis zum heutigen Tag eine so lange, 200 Jahre währende Friedensphase ohne äußere Bedrohung erlebt. Die Kreuzzüge stoppten um zwei Jahrhunderte den türkischen Vormarsch nach Europa und schwächten ihn insgesamt. „Europa sähe ohne Kreuzzüge heute anders aus“, so Erzbischof Negri. Die Kreuzzüge waren letztlich eine „Befreiungstat“. „Vor allem lehren uns die Kreuzzüge, daß eine im einen Glauben geeinte Gesellschaft zu Höchstleistungen fähig ist und mehr noch Garant für Identität und Sicherheit, aber auch der Artikulation wirklicher Diversität ist und nicht verfälscht wie heute durch den laizistischen Relativismus, der Europa zur Selbstzerstörung führt“, so Erzbischof Negri.
„Die Kirche hat im Heute und Jetzt das Recht und die Pflicht, das Wort Gottes zu verkünden, aktiv zu sein und täglich dafür zu kämpfen, in der Öffentlichkeit Sichtbarkeit zu erlangen, denn die einzigen Grenzen, die ihr gesetzt sind, sind die physischen Grenzen der Erde“, so in Übereinstimmung Erzbischof Negri und Professor de Mattei.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana